115. Akt
„Nee, nee, nee.... ich kann es nicht mehr sehen.“ Der junge Mann
neben mir tippt an die Scheibe der S-Bahn und seine beiden Begleiter
– eine junge Frau und ein ebenfalls junger Mann - schauen hinaus auf
die Gleise.
Ich schaue auch. Was ist denn so schlimm, dass der Kerl mit der
trendy Brille und dem hippen Haarschnitt es nicht mehr sehen kann?
Ich kann auf Anhieb nichts Unerträgliches erkennen. Die anderen
beiden auch nicht. Also wird er direkter und zeigt auf ein Plakat,
das für den Tierschutz wirbt.
„Also mit Tierschutz braucht man doch heute keinem mehr zu kommen.
Das ist sowas von out!“
Die beiden anderen schauen wieder raus und nicken. Ich schaue auch
wieder raus und überlege, ob der Typ seine Freunde verscheißern
will.
„Tierschutz ist schon fast so retro wie, Sonnenenergie und kleine
schwarze Babys. Da lockt man doch heute kein Schwein mehr hinter dem
Ofen vor.“
Ich muss schlucken. Hatte der Typ seinen Kopf bei der Einfahrt des
Zuges zu nah an den Gleisen?
Die beiden Mitfahrer nicken wieder wissend.
Dann entbrennt ein kurzer Monolog über das, was die Menschen heute
interessiert und was nicht. Ich finde nichts darin wieder, was mich
ernsthaft beschäftigt.
Hallo??? Bin ich bei „Versteckte Kamera“? Werde ich jetzt so
lange provoziert, bis ich anfange zu toben und zu fragen, ob die ein
Rad abhaben?
Ich überlege, ob es sich bei den Dreien um die Mitarbeiter einer
Werbeagentur handelt. Oder um Idioten. Oder gerne auch idiotische
Werbeagentur-Mitarbeiter.
Seit wann ist Tierschutz „out“? Ist Bildung auch „out“? Und
Erziehung, gute Ernährung und Menschlichkeit?
Während ich noch verdattert da sitze, steigen die drei an der
nächsten Haltestelle aus. Also doch keine versteckte Kamera.
Ich würde gerne hinterher stürmen und fragen, was er damit meint.
Vielleicht gibt es ja eine Erklärung, die ich einfach noch nicht
begriffen habe. Aber was gibt es denn an einer Aussage wie
„Tierschutz ist out“ nicht zu verstehen?
Grübelnd fahre ich weiter. Am Hauptbahnhof steige ich aus. Bis dahin
bin ich mir über eines im Klaren. Dämliche Yuppie-Honks werden
garantiert niemals bestimmen können, warum manche Dinge „out“
und unwichtig und andere „in“ und mega-hip sind. Zumindest so
lange nicht, wie Hirn und Intelligenz auch nur ansatzweise „in“
ist.
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