Mittwoch, 1. Juni 2016

115. Akt

„Nee, nee, nee.... ich kann es nicht mehr sehen.“ Der junge Mann neben mir tippt an die Scheibe der S-Bahn und seine beiden Begleiter – eine junge Frau und ein ebenfalls junger Mann - schauen hinaus auf die Gleise.
Ich schaue auch. Was ist denn so schlimm, dass der Kerl mit der trendy Brille und dem hippen Haarschnitt es nicht mehr sehen kann?
Ich kann auf Anhieb nichts Unerträgliches erkennen. Die anderen beiden auch nicht. Also wird er direkter und zeigt auf ein Plakat, das für den Tierschutz wirbt.
„Also mit Tierschutz braucht man doch heute keinem mehr zu kommen. Das ist sowas von out!“
Die beiden anderen schauen wieder raus und nicken. Ich schaue auch wieder raus und überlege, ob der Typ seine Freunde verscheißern will.
„Tierschutz ist schon fast so retro wie, Sonnenenergie und kleine schwarze Babys. Da lockt man doch heute kein Schwein mehr hinter dem Ofen vor.“
Ich muss schlucken. Hatte der Typ seinen Kopf bei der Einfahrt des Zuges zu nah an den Gleisen?
Die beiden Mitfahrer nicken wieder wissend.
Dann entbrennt ein kurzer Monolog über das, was die Menschen heute interessiert und was nicht. Ich finde nichts darin wieder, was mich ernsthaft beschäftigt.
Hallo??? Bin ich bei „Versteckte Kamera“? Werde ich jetzt so lange provoziert, bis ich anfange zu toben und zu fragen, ob die ein Rad abhaben?
Ich überlege, ob es sich bei den Dreien um die Mitarbeiter einer Werbeagentur handelt. Oder um Idioten. Oder gerne auch idiotische Werbeagentur-Mitarbeiter.
Seit wann ist Tierschutz „out“? Ist Bildung auch „out“? Und Erziehung, gute Ernährung und Menschlichkeit?
Während ich noch verdattert da sitze, steigen die drei an der nächsten Haltestelle aus. Also doch keine versteckte Kamera.
Ich würde gerne hinterher stürmen und fragen, was er damit meint. Vielleicht gibt es ja eine Erklärung, die ich einfach noch nicht begriffen habe. Aber was gibt es denn an einer Aussage wie „Tierschutz ist out“ nicht zu verstehen?

Grübelnd fahre ich weiter. Am Hauptbahnhof steige ich aus. Bis dahin bin ich mir über eines im Klaren. Dämliche Yuppie-Honks werden garantiert niemals bestimmen können, warum manche Dinge „out“ und unwichtig und andere „in“ und mega-hip sind. Zumindest so lange nicht, wie Hirn und Intelligenz auch nur ansatzweise „in“ ist.

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