Samstag, 30. April 2016

84. Akt

Wer es gefunden hat, der darf es auch behalten. Ähem... so heißt es zumindest bis zur 4. Klasse. Was aber, wenn man etwas Gefundenes ganz sicher nicht behalten will? Also ganz, ganz sicher nicht? Wenn einem sogar lieber wäre, man hätte es gar nicht gefunden?
Nun ja... schon ein bisschen doof. Dabei fängt alles ganz frühlingshaft an. Also: Das Wetter ist schön, und mein Laufband steht im Keller dann doch einfach zu schattig, also nix wie raus und eine Runde um den See. Es ist wenig bis nix los. Zum Baden zu kalt und die Hunde-Runden-Dreher treffen sich heute wohl an einer anderen Stelle. So weit so gut. Während ich also so vor mich hin schlendere, höre ich eigenartige Geräusche. Es klingt, als wäre irgendwo eine Spieluhr kaputt, oder als ob ein Asthmakranker einen Hund grausam quält.
Ich klettere also seitlich ein bisschen hoch, schaue mich um und lande vor einem Gebüsch. Und da ist es wieder, dieses „Manu,-musst-du-wirklich-immer-allem-auf-den-Grund-gehen?“-Gefühl. Mit beiden Händen schiebe ich das Geäst zur Seite und sehe mich zwei Menschen gegenüber.
Da liegt keine Spieluhr und ein Hund wird hier auch nicht gequält.
Au Backe. Ein Er und eine Sie im Gebüsch zwischen Laub und gebrochenem Geäst. Das mit dem Hund ist dann so falsch nicht, ich kann schließlich beide seitlich von hinten sehen. Na, hoffentlich gibt das keine Blasenentzündung, denke ich mir noch.
Um noch mal darauf zurück zu kommen. Wer es gefunden hat, der darf es auch behalten? Nee... was soll ich denn mit einem kopulierendem Pärchen?
Mehr als ein „Oh...“ bringe ich nicht raus, als ich das Geäst wieder vor meinem Gesicht zusammen sortiere und mich schnurstracks abwende.
Ich schleiche mich von dannen und hoffe, dass es niemand ist, den ich kenne. Die beiden haben mich ja gesehen. Vielleicht sind sie genauso erschrocken wie ich und merken sich mein Gesicht nicht. Ich habe mir ihre Gesichter ganz sicher nicht gemerkt. Lediglich die Tätowierung auf seinem Hintern würde ich problemlos identifi.... ach lassen wir das.     

Freitag, 29. April 2016

83. Akt

Mist!! Ich habe ganze Länder und einen halben Kontinent ausgelöscht.
Einfach so. Weil ich alles wieder in Ordnung bringen wollte.
Ich hatte ja keine Ahnung, dass mein Globus keinen Nagellackentferner verträgt.
Also von vorne. In meinem Schlafzimmer steht ein beleuchteter Globus. Bei einem Wandplakat könnte ich nun die Kategorien „Da war ich schon“, „Das wäre ganz schön“, „Das wird nix mehr“ und „Da muss ich dringend noch hin“ mit Fähnchen markieren. Bei einem Plastik-Erdball ist das leider nicht möglich. Also hab ich mit Edding und Nagellack gekennzeichnet, was schon war und was noch muss.
Nachdem Europa, weite Teile von Nord- und wenige von Südamerika, ein paar Orte in Afrika und Australien, sowie ein kleines bisschen von Asien nun leuchtete, wie ein Maybelline Teststreifen, wollte ich den Globus wieder in seiner Ursprungsbemalung erscheinen lassen.
Aber war es nun das Aceton oder das lieblose Rumrubbeln? Jedenfalls leuchtet das Ding nun heller. Weil eben ganze Länder verschwunden sind.
Wenn ich wenigstens so gründlich gearbeitet hätte, dass nur die Orte weg wären, wo ich schon gewesen bin - kein Problem. Dann würde ich einfach so lange weiterreisen, bis das Teil nur noch eine Lampe ist. Aber so?
Wie soll ich das Obama oder seinen Kollegen erklären, wenn die mich mal besuchen kommen? Pech gehabt, LA, New York und Florida sind pfutsch. Die hatten Probleme mit meinem Reinigungsmittel?
Alternativ hätte ich ja auch Seiten aus einem Atlas raus reißen können.
Und jetzt? Keine Ahnung.

Ich habe kein großes Orientierungsvermögen und verlaufe mich zur Not auch auf dem Laufband. Aber wenn ich auf Reisen bin, brauche ich auch keinen Globus. Das Navi oder Google Maps auf dem Handy ist eh handlicher als ein Basketball-großer Plastikplanet. Und mein Handy mal ich auch nicht mit Nagellack an. Egal, ob ich irgendwo schon war oder nicht.   

Donnerstag, 28. April 2016

82. Akt

Ich laufe mit zwölf Zentimeter hohen Absätzen auf meinem Laufband. Hin und wieder schaue ich ein bisschen skeptisch nach, ob ich das Teil mittlerweile nicht schon perforiert habe. Wenn die beweglichen Teile aussehen, wie ein Lochstickereimuster, sollte ich vielleicht aufhören. Aber – Qualität zahlt sich aus – es sind keine Schäden erkennbar.
Das Highheel-Training ist nötig. Unbedingt.
Warum auch immer, häufen sich in diesem Jahr die Anfragen, die mich auf den Laufsteg locken wollen. Und ganz ehrlich - da muss keiner lange schwafeln. Ich liebe das. Seitdem ich mit fünf Jahren, Bambiaugen und Kampfschritt das erste Mal den Catwalk erobert habe, lasse ich diesem Teil meiner Eitelkeit gerne freien Lauf.
Es erfordert keinen hohen Anspruch, dreißig Meter geradeaus zu gehen, sich bisweilen zu drehen und dabei – je nach Designerwunsch - zu lächeln oder so zu schauen, als wäre man gerade auf dem Weg zur Post. Dafür auch noch Geld zu bekommen, rundet die Sache außerordentlich ab.
Hin und wieder werde ich gemeinsam mit meiner Tochter gebucht. Das ist klasse. Ich muss mich nur ein klitzekleines bisschen kontrollieren, dass ich mit ihr nicht vorne am Catwalk high five abklatsche oder, vor Stolz auf diese wunderschöne Person, aus den Latschen kippe.
Während ich so auf meinem Laufband mit vier Stundenkilometern an meiner Schrittlänge arbeite, erinnere ich mich daran, wie ich vor vielen Jahren mal bei so einer Sache „verunfallt“ bin. Es war eine Brautmodenschau.
Das Licht war grell und ich offenbar ein bisschen in Gedanken. Die Show war damals in einer großen Stadthalle. Ausgebucht.
Das Malheur bestand darin, dass ich dummdusselig, wie ich an diesem Abend war, den Steg um einen Schritt zu lang in Erinnerung hatte.
So rauschte ich also in schniekem Sahnebaiser-Ornat über den Catwalk hinaus und landete auf dem direkt anschließenden Tisch, zwischen einigen sehr überraschten Gästen. Der Tisch schloss allerdings höhentechnisch keineswegs an den Steg an und ich stürzte quasi mit Reifrock und Schleier gute achtzig Zentimeter bergab.
Ich war gerade siebzehn und es war mir ein bisschen peinlich. Ich kletterte wieder nach oben, lachte und lief mit den Schuhen in der Hand und winkend wieder zurück. Der Saal applaudierte und ich war professionell genug, kein großes Drama daraus zu machen (Gott, bin ich froh, dass es damals noch keine Handys und YouTube gab.)
Was mich allerdings am meisten verstörte, war, dass meine Mutter damals wie heute noch vor Lachen vom Stuhl kippt, wenn sie an diese Szene denkt. Im freien Flug vom Laufsteg höre ich immer noch ihr Lachen und das exorbitant fröhliche Gekicher.

Um den Knick im Ego wieder auszugleichen hat es viele hundert Meter Catwalk erfordert. Heute bin ich da aber lange drüber weg. Wenn mir jetzt nochmal so was passieren würde, könnte ich mich damit herausreden, dass ich Minimum doppelt so alt bin, wie die durchschnittlichen Models auf dem Runway. Fehlsichtigkeit ist somit entschuldigt. Und in meiner Kategorie ist der Begriff „gefallenes Mädchen“ dann doch eher Wunschdenken.  

Mittwoch, 27. April 2016

81. Akt

Wenn ich für meine Bücher Menschen studieren muss, dann setze ich mich gerne in Cafés oder fahre mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Dort hast du Menschen aller Altersklassen und in allen „Aggregatszuständen“.
Frisch verliebt und gut drauf, mittelmäßig Standard und verdammt uncool und mies gelaunt. Und wenn mal niemand zum studieren dabei ist, dann schaut man sich halt die Landschaft an.
Auf der Suche nach einem interessanten Charakter steige ich also wieder mal in die Linie 263.
Und weil dieser Bus recht unergiebig scheint, steige ich wenig später in eine andere Linie. Der Bus ist voll. Ich schaue mich um und überlege, wen ich gerne ein bisschen beobachten möchte, als plötzlich ein Junge aufsteht und mir seinen Sitz frei macht. Er ist vielleicht neun Jahre alt, dunkelblond und sommersprossig. Eigentlich ganz niedlich.
Ich bin erschüttert. Zum einen, weil ich es kolossal nett finde, dass er so höflich ist, zum anderen, weil mir der alte Satz einfällt. „Älteren Menschen und Schwangeren hat man in Bus und Bahn seinen Platz anzubieten.“
Älteren Menschen. Ich fasse mir kurz an den Kopf.
Oha, vielleicht muss ich mir mal wieder den Ansatz nachfärben.
Oder beult sich meine Jacke irgendwie ungewöhnlich? Wirke ich trächtig?
Ich sehe heute doch nicht gebrechlicher aus als an allen anderen Tagen? Der Junge bleibt stehen und lächelt mich an. Ich will ihn jetzt nicht fragen, ob er mich fertig machen will und überlege, ob ich ihm das mit „älter“ noch mal erklären muss. Vielleicht kann ich ja auch kurz zwei Minuten an der Haltestange tanzen, damit er sieht, wie wendig ich noch bin.
Mir wird also ein Sitz im Bus angeboten. Völlig unschwanger und absolut zu jung für solche guten Taten. Normalerweise biete ich doch den wirklich älteren Herrschaften freundlich meinen Sitz an.
Ich setze mich hin. Super gemacht, junger Mann! Täglich eine gute Tat. Und Zack! Ist mein Ego für zwei Stunden in den Keller gewandert.
Aber dann löst sich der Fall. Der Junge geht zur Tür. Er muss lediglich aussteigen. Der Platz wurde also ganz banal einfach nur so frei.  Braves Kind. Und wenn demnächst eine Omi einsteigt, stehst du dann wirklich für die Dame auf. Auch wenn du nicht aussteigen musst. An der nächsten Haltestelle verlasse ich den Bus. Dort gibt es eine Drogerie. Ich hole mir für alle Fälle trotzdem mal ein Ansatz-Färbe-Set. Man weiß ja nie.

Dienstag, 26. April 2016

80. Akt

Hmpf!!! Es ist Ende April, und ich bin definitiv urlaubsreif. Und draußen
SCHNEIT ES!
Ich weiß ja, das Wetter wird nicht besser, wenn ich es blöde finde, aber blöde finde ich es trotzdem. Ich brauch ja keine 36 Grad und permanent blauen Himmel, aber ab 20 Grad komm ich halt erst auf Puls.
So, wie es jetzt gerade ist, pendle ich fortwährend zwischen Winterschlaf und Frühjahrsmüdigkeit. Keine angenehme Pendelei. Ich will sommerlich fröhlich mit einer Eiscreme in der Hand Windowshopping in der Maxistraße machen. Ich will im Straßencafé feststellen, dass ich meine Sonnenbrille schon aufgesetzt habe, während ich sie in meiner Handtasche suche. Und stattdessen?
Meine Sandalen und Sommerkleidchen hängen Trübsal blasend im Schrank. Mein Epiliergerät fängt bald das Rosten an. Wozu die Beine enthaaren? Draußen ist kalt. Fell hält warm.
Frisieren? Um dann die frisch ondulierten Wellen unter einer Wollmütze auf Spaghettiformat zu pressen? Alles Käse.
Im Internet steht, man müsse lange vor Tageslichtlampen sitzen. Das würde ein bisschen Sommerfeeling vermitteln. Aber wenn ich das tue, kann ich den Rest des Tages nix mehr sehen. Keine gute Idee. Und der Wärme wegen den halben Tag in der Badewanne liegen. Auch doof. Nach zwanzig Minuten sehe ich aus wie Sponge Bob. Nur nicht so gelb.   Wenn das noch 24 Stunden so weiter geht, dann bestell ich mir Fotoposter von sonnigen Stränden und tapeziere damit die frisch verputzten Wände. Die Rollos bleiben dann unten und Essen lass ich mir von BoFrost liefern. Obwohl? Nee BoFrost kommt mir dann nicht ins Haus. Frost in jeder Form hat draußen zu bleiben. Lieferheld tut es auch. Und ansonsten trainiere ich im Keller auf meine Sommerfigur. Hab ja offensichtlich noch ein bisschen Zeit dafür.        

Montag, 25. April 2016

79. Akt

Boahhhhh!! An alle zartbesaiteten Seelchen. Wenn euch ein Buch den „Angstschweiß, ob der Psyche des Autors“ ins Gesicht treibt. Wenn euch die Zeilen eindeutig zu „merkwürdig und schauderbar“ erscheinen, dann gibt es noch Hoffnung. Zum Einen kann man das Buch einfach wieder weg legen, mit dem Kopf schütteln und den Rasen mähen. Oder man liest es gemeinsam mit der Therapiegruppe  "Ich hab gedacht, der Titel ist übertrieben.“
Wenn ein Buchtitel "33 Grausamkeiten“ heißt, dann ist da höchstwahrscheinlich keine gute Nacht Geschichte für das geneigte Vorschulkind drin. Auch bei einem Buch wie "Der Fall A.", wo man schon auf dem Einband lesen kann, dass es zum Teil im Escortbereich spielt, könnte man unter Umständen darauf kommen, dass das Wort „Sex“ da vielleicht ein oder zweimal drin vorkommt. Und – oh mein Gott – könnte der Überbegriff „Thriller“ vielleicht dafür stehen, dass es spannend wird???
Mich und (!) meine Leser als moralisch gestört zu bezeichnen, stimmt mich ein wenig nachdenklich. Zumal sie das Buch offensichtlich trotz aller Widerwilligkeit von vorne bis hinten gelesen haben. Inklusive Widmung und Danksagung. Mindestens einmal.
Äh.... Sie gehören damit ebenfalls zu meinem erlesenen Leserkreis. Sie Schlimmer, Sie.
Das hat für mich ein bisschen was von den Leuten, die neugierig und langsam an einer Unfallstelle vorbeifahren und dabei auf andere Schaulustige schimpfen.
Ich freue mich trotzdem. Wenn Sie sich befleißigt sehen, sich schriftlich an mich zu wenden, dann hat Sie mein Buch zumindest nicht kalt gelassen. Und das ist ja genau das, was ich erreichen will. Fürchterlich, viel fürchterlicher  wäre es, mit einem „Jaja, ist wirklich nett geschrieben.“ bedacht zu werden.
Dann mach ich nämlich was verkehrt. Aber so? Danke für´s Lesen.


Sonntag, 24. April 2016

78. Akt

„Hallo du allerhübscheste. Hab dich gesehn und finde dich echt toll. Würde mich freun wenn du meine Freundschaftsanfrage annimmst.“
Äh, ja. Und deinen Deutschlehrer, lieber Frank, hätte eine regere Teilnahme deinerseits am Unterricht sicher auch sehr gefreut. Aber egal. Ich bin selber recht kreativ mit der Verteilung von Kommata und diversen grammatikalischen Regeln und will da nicht groß motzen.
Aber bestätigen, werde ich diese Kontaktanfrage trotzdem nicht. Du bist mir gänzlich unbekannt, und wir haben nicht einen einzigen gemeinsamen Kontakt. Dein Interesse an „internationalen Erotikstars“, Gina Lisa Lohfink, „Megamöpsen“ und ölverschmierte Powerwrestlerinnen, kann ich auch nicht auf Anhieb teilen.
Dass du mich gesehen hast, weist dich als sehenden Menschen aus. Dass du mich als „allerhübscheste“ bezeichnest, bedeutet entweder, dass du *hüstel...* Geschmack hast, oder dass der Spruch dir schon mal einen oder zwei willige Kontakte beschert hat.
Und dennoch. Nee, lass mal gut sein.
Und das Beste in solchen Situationen ist die Vermeidung weiterer Hoffnung durch fortgesetzte Kommunikation. Ich nehme also dein Anschreiben zur Kenntnis und hoffe, dass du anderswo größeren Erfolg hast. Ich wünsche dir Glück. Toitoitoi! Die Facebook-Welt ist groß.
Dementsprechend ist die Sache für mich erledigt.
Zwei Tage später schreibst du mir wieder. Und Zack! bin ich schon nicht mehr die „allerhübscheste“, sondern habe deutlich in deinem Ranking nachgelassen: „Hallo du. Ich habe dir letztens schon geschrieben und eine Kontaktanfrage geschickt. Wie so nimmst du die nicht an? Ich warte. Grüße. Frank“
Oha. Frank wird also ungeduldig. Na, dass ich bei der ersten Anfrage nicht gleich meinen Hoolahoop-Reifen rausgeholt und den „Yeah-Frank-will-mein-Facebook-Freund-sein“-Tanz auf der A94 aufgeführt habe, ist aber auch sowas von nachlässig.
Asche auf mein Haupt. Aber – und jetzt wird es wieder weniger nett – ich habe immer noch nicht mehr Interesse, mit dir Dinge zu teilen, die ich nicht mit dir teilen will. Selbst, wenn es nur Fotos von meinem Rasensprenger oder ein Bild von einem verregneten Sonnenaufgang ist. Also: Ich antworte wieder nicht.
Vielleicht wird Frank ja jetzt gerade im Moment von einer Gisela, Herta oder Melanie eine Freundschaftsbestätigung geschickt, und ich falle ihm aus dem Hirn.
Aber Pech gehabt. Franks Erinnerungsvermögen ist doch wesentlich ausgeprägter, als das einer Eintagsfliege. Die nächste Nachricht lässt nicht lange auf sich warten:
„Hör ma, du arogante Ziege. Glaub bloß nicht das du so toll bist. Andere Mütter haben auch schöne Töchter. Viel schöner als du. Ich hab auch nich nötig dir hinterher zu rennen. Also aus. Deine Chanc ist vertan. Brauchst auch nicht mehr zu bestätigen. Haufenweise alleinerziehender Muttis warten nur auf einen echten Kerl. Also Beibei (!!!) du dumme Kuh.“
Um den Inhalt deiner Wort nicht zu verfälschen, lieber Frank, habe ich deine Nachrichten – so gut sie verständlich waren – in deiner Schreibweise wiedergegeben. Nicht, dass du am Ende noch sagst: „Die Frau ist nicht nur arrogant und dämlich, sondern sie kann auch kein Deutsch.“
Tja. Da hab ich aber Pech. Meine Chance ist also vertan und ich muss diesen tollen Kerl an ein ganzes Rudel williger alleinerziehender Mütter abtreten. Und es soll zu allem Überfluss auch noch Frauen geben, die schöner sind als ich? Ach echt? Es gibt noch andere Frauen? Und dann auch noch schöner? Da bricht bei mir nun aber eine Welt zusammen. Ich werde mich damit wohl abfinden müssen. Das Leben ist hart und ich verpasse doch immer wieder die großartigsten Möglichkeiten in meinem Leben.

Also, lieber Frank, weiterhin viel Erfolg mit deiner charmanten einfühlsamen Art Menschen für dich zu begeistern. Irgendwann wird sich schon jemand finden, der das toll findet. Aber ganz ehrlich. Ich hab so viel Aufmerksamkeit gar nicht verdient. Und damit du mehr Zeit dafür hast mit anderen zu schreiben, hab ich dich jetzt mal blockiert. Das verringert die Auswahl und verwirrt dich nicht unnötig weiter. Also mach es gut und bis äh... nee. Bis gar nirgends und nirgendwann. Ganz sicher.

Samstag, 23. April 2016

77. Akt

Ich freu mich. Kolossal. Der Frühling haut nicht nur mir ins Hormonsystem, nein, auch meiner höchst privaten Flora in meinem Garten hilft er auf die Sprünge. 
Um es auf den Punkt zu bringen: Mein Apfelbaum blüht.
Klingt an und für sich völlig normal und unspektakulär. In der Regel ist das ja gerade bei Obstbäumen so. Gestern Blüten. Morgen Äpfel. Oder auch Birnen, Kirschen, je nachdem, was man denn da nun gerade stehen hat.
Bei meinem Apfelbaum ist das anders. Er wurde mit Einzug vor knapp sechs Jahren gepflanzt. Der Gärtner hielt mich schon für ein bisschen gaga, dass er mir quasi schwören musste, dass es sich bei diesem Schulter hohen Zweiglein im Boden tatsächlich um einen Apfelbaum handelte. Er konnte ja nicht wissen, dass mir das so exorbitant wichtig war. Seitdem ich denken kann, wünsche ich es mir genau so. Ein kleines Haus. Weißer Gartenzaun. Holzterrasse. Und einen Apfelbaum im Garten. Spießig?
Yo! Bin ich. Ist mir aber wurscht.
Und da steht er seitdem. Der Apfelbaum. Seit fast sechs Jahren.
Und jedes Jahr im Frühling habe ich mir überlegt, ob mein elitäres kleines Bäumchen es schick findet, die Blühphase zu überspringen und mich dann im Herbst ganz einfach so mit knackigen Äpfeln zu erfreuen. Und jedes Mal stand ich im Herbst da und stellte fest: Nix!!
Nicht ein einziger Apfel. Und ja, ich habe ihn abgesucht.
Groß ist er geworden in den Jahren, aber in all der Zeit. Nicht ein einziges klitzekleines Äpfelchen.
Ich glaubte schon an eine Identitätskrise meines Bäumchens und las im Internet alles über Fremdbestäubung, Obstbaumdüngung und Hoffnung.
Nichts half.
Zu allem Überfluss trug das Apfelbäumchen vom Nachbarn gegenüber, trotz knapp überschrittener Parkuhr-Höhe in absolut jedem Jahr Äpfel. Nicht nur ein oder zwei. Nein locker zwanzig. Und dabei wurde er nach meinem Gewächs eingepflanzt. 
Ich glaube, wenn er hätte lachen können, dann hätte der Nachbarsbaum sich jedes Mal schlapp gelacht, wenn ich oben aus dem Badezimmer sehnsüchtig auf seinen opulenten Fruchtbehang gelinst habe. Sogar der Apfelbaum vorne an der Straße. Ebenfalls voller Äpfel. 
Obwohl er eher aussieht wie eine Kreuzung aus Hecke und Zahnstocher.
Den Gedanken, nachts bei den Nachbarn die Äpfel vom Baum zu klauen und zu vernichten und parallel dazu einen Träger Boskop an meinen Patienten zu hängen, habe ich mir zügig aus dem Kopf geschlagen. Hätte faktisch ja nichts geändert. Mein Baum trug nicht. War nicht trächtig. Oder wie auch immer man es nennen wollte.
Wenn meine Mutter mich so richtig auf die Palme bringen will, dann sagt sie gerne: „Na ja, dann setzen wir uns im Sommer eben in seinen Schatten." Und dabei grinst sie dann breit.
In den Baumschatten kann ich mich bestenfalls nach einem heftigen Anfall von Magersucht setzen. So hoch der Baum schon ist, den Stamm kann man fast noch mit zwei Händen umfassen. Ich war frustriert
Bis jetzt. Denn jetzt blüht er. Ich bin stolz auf ihn. Mindestens dreißig Blüten habe ich bereits zählen können. Das wird. Er hat endlich zu sich gefunden. Erkannt, dass er eine Aufgabe hat. 
Ich liebe mein Bäumchen. Und am Montag gehe ich los und kaufe schon mal einen Obstkorb.

Einen ganz, ganz großen.     

Freitag, 22. April 2016

76. Akt

Mann mann mann... wenn ich noch einmal im Radio höre, dass heute Blitzermarathon ist, dann schmeiß ich das Ding raus und singe selbst. Dürfte ja wohl mittlerweile der Betrunkenste unter den Autofahrern mitgekriegt haben, dass man heute nicht ganz so heftige Krämpfe im rechten Fuß haben darf.
Und wer es nicht ausreichend oft im Radio gehört hat, der braucht ja bloß an den Straßenrand zu schauen. Ist ja fast wie Ostern. Alle paar Meter ein grünes Nest. So mancher eitle Geck fährt vermutlich lächelnd durchweg 15 Kilometer zu schnell. Bloß damit es viele hübsche Fotos mit dem frisch gewaschenen BMW, Audi oder Mercedes gibt.
Es hat ein bisschen was von Klassenausflug bei den Uniformierten. Alle gut gelaunt, und wenn ich das Fenster runter mache, höre ich bestimmt auch noch irgendwelche basslastige Musik. Kann man sagen, was man will. Wenn die so fröhlich sind, dann sind sie mir alle total sympathisch.
Aus Sicherheit habe ich mein Headset wie immer gleich bei der Abfahrt in die Ohren gestöpselt. Unterwegs telefoniere ich oft. (Sorry Mutti, das wird sich nicht mehr ändern :-) )
Ich will ja nicht, dass sie mich raus winken und sagen. „Nee, zu schnell waren Sie nicht. Aber wir konnten erkennen, dass Ihr Samsung S 5 in der rechten Hand ziemlich veraltet ist.“
Also fahr ich brav nach Beschilderung. Und ärgere mich.
Ich ärgere mich nicht wegen des Tempos, was gefordert, erlaubt und dringlichst eingehalten werden sollte, sondern über die Fahrer, die bei jedem Schild, jeder Reflektion und allem was grün ist, sofort in die Eisen gehen. Und das, obwohl sie bereits die vorgeschriebenen 50, 70 oder 100 Km/h fahren. Hallo? Es ist gut. Wenn ihr durch den Wald fahrt, dann ist das Grüne manchmal nur ein Baum und nicht unbedingt ein diabolisch grinsender Beamter, der nix will, außer euch den Lappen wegzunehmen.

Aus Sicherheitsgründen lass ich den Wagen jetzt dann mal stehen. Nicht, weil ich irgendwo zu schnell fahren könnte. Eher, weil ich den nächsten Fahrer, der auf der Autobahn mit beiden Füßen auf die Bremse springt, bloß weil sich die 102 km/h bei erlaubten 100 geradezu rebellisch anfühlen, am Genick packen und aus seinem Auto schleifen werde. Und zwar schneller, als die Polizei erlaubt. Basta.        

Donnerstag, 21. April 2016

75. Akt

Sooooo.... es mag ja sein, dass sich manche Frauen weniger für Autos interessieren als Männer. Das heißt aber nicht zwingend, dass wir nun überhaupt keine Ahnung haben. Ich kann als Frau durchaus mehr, als erkennen, dass das eine Auto silbern und das andere Auto rot ist. Meine Kenntnis geht sogar darüber hinaus, dass ich auf Anhieb den Unterschied zwischen Automatik und Schaltgetriebe realisiere. Man mag es kaum glauben, aber sogar die Ungleichheit von Diesel und Benzinern haut mich nicht mehr um.
Und die Mehrheit aller Frauen stellt mich trotz all meines genialen Wissens über KFZ immer noch in den Schatten.
Nun denn, der Grund meines heutigen Themas liegt in Folgendem:
Die Winterzeit ist vorbei, und dieses Mal möchte ich den Wechsel von Winter- auf Sommerreifen nicht wieder antizyklisch vornehmen. Nein. Jetzt kommen Sommerreifen drauf. Und mir ist völlig Schnuppe, ob sich da oben noch mal einer einen Scherz erlaubt.
Also schau ich im Internet nach. Heutzutage kann man ja auch diese Termine online buchen. Die Werkstatt, die mir über diese Plattform vorgeschlagen wird, kenne ich schon. Die hieven meine Schleuder auch über den TÜV, also prima. Tag gewählt. Uhrzeit gewählt. Daten angegeben und per Email bestätigt. Alles ganz einfach.
In der Bestätigungs-Email steht dann aber folgender Satz:
Bitte bringen Sie Ihr Auto zum Termin mit in die Werkstatt
Äh? Ja was glauben die denn? Dass ich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln komme? Unter jedem Arm einen Sommerreifen. “Bin gleich wieder da, mehr als zwei schaff ich nicht auf einmal. Und ups... da hab ich doch glatt mein Autochen vergessen.“?
Natürlich komme ich zum Reifenwechsel meistens MIT Auto. Auch zur Reparatur des Auspuffs begleitet es mich. Und beim Ölwechsel hol ich mir auch kein Fläschchen aus der Werkstatt und stehe dann verzweifelt in der Garage.
Ich könnte schwören, dass da zwei Männer bei der Gestaltung der Website saßen, sich angrinsten und meinten „Der Satz muss noch rein. Hier machen schließlich auch Frauen Termine.“

Hey Jungs. Es wird schon einen Grund haben, warum Frauen die Kinder kriegen und nicht Männer. Einfach mal ´nen Moment drüber nachdenken. Es sei denn ihr habt gerade Schnupfen. Dann geht lieber ins Bett und sucht die Nummer vom Notarzt und vom Bestatter raus. Tee und Kekse kommen gleich.  

Mittwoch, 20. April 2016

74. Akt

 Ich bin zum Essen eingeladen. Mongolisches Buffet. Eigentlich ganz cool. Ich mag Buffets. Man muss nicht lange warten, sondern kann einfach los latschen und sich bedienen, wonach es einem gelüstet. Dazu dann diese Mongolische Variante, bei der man sich verschiedene Fleisch- oder Fischsorten auf den Teller legt, oder eben Gemüse. Dann kommen noch die Gewürze dazu und eine von rund zehn verschiedenen Soßen. Das Ganze wird dann direkt vor meiner Nase zusammen gebrutzelt und auf den Tisch gestellt. Außerdem gibt es allerlei an Salaten und, falls dann noch was reinpasst, verschiedene Nachtische. Eigentlich immer ganz prima. Eigentlich.
Aber dann gibt es auch noch das Buffet-Fieber, das bei einigen ausbricht.
Während in irgendeiner Ecke ein Kindergeburtstag tobt, laden sich zwei Papas jenseits der „ja, ab jetzt nennt sich das Adipositas“-Grenze zwei Teller randvoll, während die Bedienung hinter ihnen vier halbvolle, aber nicht mehr erwünschte Teller vom Tisch räumt.
Direkt neben mir steht eine Mutter vorm Gemüse und macht den Eindruck, dass sie da auch noch ein Weilchen bleiben will. Aber nicht, um sich an den gesunden Sachen zu bedienen. Offensichtlich gibt es hier bloß gerade eine Lehrstunde.
„So Silas, schau mal. Das ist Brokkoli.“
Ich schau die Beiden an. Aber keiner reagiert.
Silas schaut kurz auf die grünen Bäumchen und entscheidet sich dann lieber dafür mit beiden Händen in die Pilze zu langen.
„Ja genau Silas, das sind Pilze.“
Silas ist etwa vier oder fünf Jahre alt, und ich überlege, wo die Hände heute schon alles gewesen sind.
„Und hier Silas, das sind Zwiebeln.“
Aber auch Zwiebeln sind nicht Silas Ding. Der kleine unsympathische Gemüsefetischist beginnt nun den Brokkoli in die Bohnen zu werfen.
Ich schaue beide etwas eindringlicher an.
Die Frau teilt die Freude am Gemüse mit ihrem Sohn und lässt ihn gewähren. Das was ich mit Silas und seiner Mutter nun gerne tun würde, ist leider verboten und strafbar.
Okay, Brokkoli, Pilze, Zwiebeln und Bohnen scheiden heute für mich aus. Als Silas auch noch über das gesamte Gemüse niest, reduziert sich das von mir gewünschte Essen schlagartig.
Das Einzige, was von seiner Mutter kommt ist ein „Gesundheit, mein Schatz.“ Und das auch noch mit Micky Mouse Stimme.
Eigentlich hab ich wohl doch keinen Hunger.
Dennoch ist es wohl an der Zeit Mutter und Sohn kurz anzusprechen. Und so weise ich darauf hin, dass es doch ziemlich unappetitlich sei, was da gerade passiere.
Okay, 10 Punkte auf der Liste der Majestätsbeleidigungen hab ich damit erreicht. Die Dame stellt sich über ihren Sohn und hält ihn an beiden Schultern, als ob ich ihm gerade verraten habe, dass seine Mutter die böse Fee von Dornröschen ist.
„Mein Sohn ist nicht unappetitlich!!!!“
Äh, ja. Die vier Ausrufezeichen hat sie quasi mit ausgesprochen.
Ich könnte sie jetzt noch fragen, ob es ihr ebenso recht wäre, wenn ich ihre Cola mit dem Zeigefinger von der Kohlensäure befreie, aber ich lass es. Hat ja doch keinen Sinn. Meine Chance ergibt sich an ganz anderer Stelle. Ich bin bereit zum Verlassen des Lokals und schon in Mantel und Mütze, als ich Silas am Dessertbuffet sehe. Er steht vor der Mousse au Chocolat und schaufelt sich selbige direkt vor Ort von der Schüssel in den Mund.
Ich beuge mich kurz runter.
„Du Silas, weißt du was das ist?“
Er schaut mich ein wenig dumb an. Er kriegt schon fast den dreisten Gesichtsausdruck seiner Mutter hin.
„Silas, das ist Katzenkacke!“

Silas wechselt die Farbe und rennt zu seiner Mutter. Ich verlasse das Lokal. Künftig dann doch wieder á la carte. Oder ich warte bis Silas groß ist und schmeiß ihm dann mal im Vorbeigehen ein benutztes Tempotaschentuch auf den Teller. Ja, ich sollte das nicht völlig aus den Augen verlieren.

Dienstag, 19. April 2016

73. Akt

Wenn ich eines nicht leiden kann, dann ist es, wenn mein Körper mir entgegenbrüllt: „Hey, du bist keine 20 mehr!“
So was kann man dann geraume Zeit ignorieren. Dann lenkt man sich mit der Jagd auf DHL-Boten ab und Senioren, die einem erklären, dass man gerade Grünglas in den Braunglas-Container geschmissen hat. Und dann kommt der Moment der roten Karte und man schmeißt völlig unkontrolliert die Hufe hoch und landet in der Kardiologie.
Da sitze ich dann und warte auf EKG, Echo und das ganze Gedöns. Wieder mal. Mittlerweile sperren sich die Schwestern schon auf dem Klo ein, um mir nicht Blut abnehmen zu müssen. Klitzekleine Rollvenen sorgen für Verzweiflung und Tränen am anderen Ende der Nadel. Nicht bei mir. In solchen Fällen ist das „Kaktus-Gefühl“ geradezu gewohnt.
Das wirklich Interessante in solchen Momenten sind die Wartezeiten vor der Rezeption. Es gibt einfach Begriffe, die kann man nicht miteinander verbinden. In diesem Fall ist es der Begriff „Arztpraxis“ mit dem Wort „Datenschutz“. Alle, die heute mit mir auf Ergebnisse, Befunde, den Notarztwagen oder einen Abholer gewartet haben, wissen nunmehr, dass Frau H. ständig simuliert, Herr F. so schwer ist, dass man sich Sorgen um die Liege macht und das Schwester Claudia ihre Tage hat. Im Fall der anwesenden Patienten wurden die Namen allerdings vollständig ausgesprochen. Zusätzlich wurden telefonisch Termine für Dinge ausgemacht, die so mancher Patient lieber für sich behalten hätte und ich weiß jetzt, dass eine Bekannte von mir ganze zehn Jahre älter ist, als sie zugibt. Nicht dass es mir wichtig wäre, aber ihr wäre es sicherlich wichtig gewesen. Also, dass man das nicht so laut abfragt und wiederholt.
Als ich dann meine Ergebnisse kriege, bin ich versucht zu fragen, ob noch jemand Infos über mich braucht oder ob ich jetzt gehen kann. Ich lass es dann aber doch.
Alles in allem ist alles okay. Ich soll ein bisschen kürzer treten. Mach ich dann auch mal. Morgen. Oder nächste Woche. Oder 2020.


Montag, 18. April 2016

72. Akt

Ich sitze und warte auf den Wagen der DHL. Ein paar Bestellungen sind überfällig, und ich frage mich, ob die Deutsche Post die Zustellung von Paketen mittlerweile auswürfelt.
Quasi so: Montags und mittwochs nur Pakete, die bis kniehoch und mit bunten Aufklebern dekoriert sind. Dienstags alles unter zwei Kilogramm. Und freitags alles, was man nicht schon zum dritten Mal auf Samstag verschieben kann.
Von meinem Tisch aus kann ich den DHL Wagen kommen sehen. Na endlich!
Am Telefon erzählt mir meine Mutter gerade noch, dass sie doch keinen Motorradführerschein mehr machen will. Zu teuer.
So etwas ist nur einen Moment beruhigend. Denn in der Regel kommt sie schnell auf neue Ideen. Fallschirmspringen und Bungee stehen immer noch ganz oben auf der Liste. Ich höre, wie der Motor des Lieferwagens ausgestellt wird. Dann scheppert die Fahrertür. Meiner Mutter sage ich, dass ich gleich zurückrufen werde und hoffe, dass sie in der Zwischenzeit nicht weitere kreative Projekte entwickelt.
Kaum aufgelegt, höre ich erneut die Tür des DHL-Boten. Gleich darauf den Motor.
Hallo? In der Zwischenzeit nicht irgendwas vergessen???
Bevor ich mich versehe, biegt der Wagen vorne ums Eck. Ich gehe vor die Tür und kann nur noch die Rücklichter sehen. Statt Paketen vor der Tür, finde ich eine Karte im Briefkasten.
„Wir haben Sie heute nicht angetroffen. Die Zustellung bla bla bla...“
Weiter muss ich gar nicht lesen. Es hat auch überhaupt keinen Sinn, die angegebene Telefonnummer anzurufen. Alles schon probiert.
Stattdessen lauf ich los. Ich kenne doch die Tour des Kartenverteilers und Zustellungsverweigerers. Und richtig! Zwei Straßen weiter steht der gelbe Wagen.
Ich bin außer Atem, aber in der richtigen Stimmung. Kaum kommt der DHL-bemützte Geselle aus einem der kleinen Wege, stehe ich parat und wedle mit der Karte.
„Hier steht, ich bin nicht da.“
„Äh, ja. Ich habe geklingelt, aber es hat keiner...“
„Quatsch!!! Ich steh den ganzen morgen Gewehr bei Fuß. Geklingelt hat keiner.“
Widerwillig schaut er auf die Karte. „Ah ja. Das Große da.“
Er zeigt in den Laderaum. Zirka 120 Zentimeter hoch und zweimal 60 Zentimeter breit. Eindeutig die mobile Klimaanlage. Prima!
„Wollen Sie es gleich mitnehmen?“
„Sicher doch. Ich trage ein 40 Kilo-Paket mal eben um zwei Blöcke. Mach ich gerne. Gibt ordentlich Muckis.“
Ich schaue ihn an, als ob ich gerne zwischen Frühstück und Mittagessen Postzusteller filetiere.
„Wir sehen uns in fünf Minuten. Genau da!“ Ich drücke ihm die Karte in die Hand „Sie brauchen auch nicht klingeln. Ich werde bereits in der offenen Tür stehen.“ Dann laufe ich wieder nach Hause.
Und tatsächlich. Nach fünf Minuten ist er da. Missmutig lädt er ab und verschwindet grußlos.
Keine zwei Minuten später sitze ich wieder an meinem Computer. Bei Ebay kann man Brennholz bestellen. Da werden dann 100 Kilo Holz in handlichen 20 Kilo-Paketen geliefert. Per DHL.


 Und genau das mach ich jetzt. Und wenn es soweit ist, dann werde ich auf der Treppe sitzen und warten, bis ich den gelben Wagen sehe.

Sonntag, 17. April 2016

71. Akt

Eine Freundin postet bei Facebook eine Frage. Schlicht und ergreifend. Sie lautet: “Ich ziehe um und soll eine Küche ablösen, die vor einem Jahr eingebaut wurde. Damals hat sie rund 8000,- Euro gekostet. Was würdet ihr dafür noch zahlen?“
Eigentlich kein großes Ding. Man schreibt eine Zahl und bestenfalls noch eine kurze Begründung.
Aber es zeichnet sich schon nach wenigen Minuten eine klare „ich muss meinen Senf nun wirklich zu Allem abgeben“-Tendenz ab.
Während die ersten vier Kommentatoren Zahlen zwischen 3500,- und 6000,- Euro nennen. Schreibt schon der fünfte einen Kommentar, in dem die deutsche Wegwerfgesellschaft heftig angegriffen wird. Eine richtige Abhandlung.
Nummer sechs schreibt, dass die Frage eigentlich recht einfach zu verstehen war. Es wurde um Rat gefragt.
Der siebte Kommentator schießt dann vorerst den Vogel ab.
Wütend wird berichtet, dass ein Moped mit einer Laufleistung von 30.000 km auf Bali immer noch zwei Drittel seines Neupreises wert sei.
Worauf ihm mitgeteilt wird, dass ein balinesisches Moped nur wenig mit einer Münchner Küche gemein habe.
Als der Nächste sich über die mangelhafte Qualität von asiatischen Küchengeräten auslässt, bricht ein fulminanter Streit aus. Und an dieser Stelle steige ich dann aus. Thema verfehlt, setzen! 6!
Ähnliches habe ich vor einiger Zeit auch in einem anderen Lager erlebt.
Meine Nachbarin brachte mir eine vegane Pizza. Es sah zwar nicht zwingend aus, wie das, was ich als Pizza kannte, aber es schmeckte köstlich. Also postete ich ganz begeistert: „Meine erste vegane Pizza. Schmeckt spitze. Vielen Dank Marlene.“
Das Ergebnis war eine Grundsatzdiskussion unter Beteiligung vierer Gruppen. Die kleinste Gruppe waren die, die meinten, ich solle es mir schmecken lassen und mir nett und unverbindlich über ihre Ausflüge ins vegane Lager berichteten. Gruppe 2 waren die Vegetarier, die mich freudig in ihrer Mitte begrüßten. Gruppe 3 waren die Hardcore-Veganer, die mir unter die Nase rieben, dass mich der Verzehr einer veganen Pizza noch lange nicht zu einem guten Menschen mache. Und Gruppe 4 waren die Carnivoren, die sich gar nicht mehr einkriegen konnten, ein gutes Steak als unersetzbar zu feiern.
Und alles nur, weil ich das Foto einer veganen Pizza gepostet habe.
Und nein. So was passiert nicht nur bei Facebook.
Das passiert beim Tengelmann in der Fertiggerichteabteilung, am Altglascontainer, auf dem Schulhof und an der Tankstelle. Überall, wo man Menschen die Möglichkeit gibt, eine Meinung zu äußern, wird sich einer finden, der die Frage nicht verstanden hat. Und der fühlt sich dann berufen in geradezu orgiastischer Manier tief hinab in den persönlichen Keller seiner Grundsätze und Prinzipien zu steigen. Von dort aus wirft er einem dann alles um die Ohren, was man schon lange nicht wissen wollte.
Und das, obwohl ein banales „Ja“, „Nein“, „Gut“, „Schlecht“ oder „keine Ahnung“ völlig ausgereicht hätte.


 Ach ja, die Küche. Ich würde mit 4.800,- einsteigen und mich bis 5.300,- Euro hoch handeln lassen. Fertig.

Samstag, 16. April 2016

70. Akt

Es gibt ja allerlei, was unter dem Begriff Business-Treffen veranstaltet wird. Manches hat tatsächlich mit Geschäft zu tun, anderes wiederum wirkt eher wie ein Speed-Dating von Anzug- und Kostümträgern.
Ich bin also dazu eingeladen. Business-Treffen in edlem Hotelbar-Ambiente.
Na super! Manchmal rüsch´ ich mich ganz gerne zum Ausgehen auf, und manchmal zwing ich mich zu solchen Events. Aber ich bin noch viel zu unbekannt, als dass ich mich zur Ruhe setzen könnte.
Um - vom regen Absatz meiner Literatur gelangweilt - Geldscheine aus dem Fenster zu schmeißen, bin ich zu ambitionsschwach. Und davon, jeden Tag die Chippendales bei meiner Mutter zum Putzen anrücken zu lassen, bin ich wirtschaftlich noch weit entfernt.
Also, geh ich da mal hin. Vielleicht trifft sich ja ein Investor, der sein Haus mit zwei Lagen „33 Grausamkeiten“, „Der Fall A.“ oder anderen Werken aus meiner Feder isolieren will.
Hätte ich kein Problem mit. Würde sogar einen Mengenrabatt ausdealen.
Und da steh ich nun. Inmitten vieler sehr wichtiger Leute, in sehr feiner Kleidung, mit sehr großem Selbstbewusstsein. Und die, die nicht auf Anhieb Selbstbewusst sind, brauchen bestenfalls die Zeit von zwei Glas Wein, um sich ganz toll zu finden.
Innerhalb kürzester Zeit hält man mich 1 x für ein Mitglied der Geschäftsführung, 1 x für eine Designerin, 2 x für eine Dozentin aus dem Management-Team, 1 x für jemanden von der Landesbank und 1 x für die Kellnerin.
Um hier ein Spaß zu haben müsste ich mich quer durch die Cocktailkarte arbeiten. Das wiederum würde sich finanziell und kalorientechnisch ausgesprochen ungünstig auf mein derzeitiges Leben auswirken, und angesichts der bereits absolvierten und noch anstehenden Gespräche nicht wirklich lohnen.
Es bleibt also – so wie die Pinguine in dem Film Madagaskar – nur eines. Lächeln und winken.
Und hier verschwinden.
Behutsam seile ich mich – lächelnd und winkend – nach vorne ab. Kaum ums Eck hole ich meine Jacke und überlege, was zu tun ist.
Die Hotelbar im vorderen Bereich ist auch keine Option. Dort zu sitzen und sich bei einem Glas Apfelschorle auszuruhen, würde nur ein weiteres Lager auf den Plan rufen. Und nach dumpfbackigem Angebandel irgendwelcher Messebesucher steht mir nun am allerwenigsten der Sinn.
Dann setze ich mich eben ins Auto. Hier kann ich viel besser überlegen.
Hin und wieder sehe ich, wie ein weiterer Gast des super-mega-wahnsinns- wichtigen Business-Treffen sich von dannen schleicht. Mein Verständnis haben sie.
Und dann fällt es mir ein. Ich hab Hunger. Und wenn ich schon mal in der Stadt bin, kann ich mich ja, von Kind und Kegel unbeobachtet, in die beste Curry-Wurst-Bude der Stadt schleichen. Einmal Pommes-Rot-Weiß mit Currywurst extra scharf. Yo! Genau das brauch ich jetzt.
Zehn Minuten später stehe ich am Tresen und leiere mit glänzendem Blick meine Bestellung runter.
Mit dem kleinen Tablett in der Hand suche ich mir einen Platz.
Mich trifft fast der Schlag. Mindestens acht (!) der Gäste von dem vorherigen Event hängen hier über Bratwurst und Pommes.
Alle schauen ein kleines bisschen schuldbewusst.


 Ich auch. Aber schmecken lass ich es mir dann trotzdem.

Freitag, 15. April 2016

69. Akt

Tja, manche Scherze gehen halt nach hinten los. Heute beim Einkaufen. Ich will den Kühlschrank ein bisschen aufrüsten. Zwei Flaschen Wein, ein bis sieben Tafeln Schokolade, Kaffee, Zeug, und für die Kinder – boshaft, wie ich bin – Obst und Gemüse.
An der Kasse angekommen bin ich die Vierte in der Schlange. Vor mir die ortsbekannten Lästermäuler eins und zwei und direkt im Bezahlvorgang ein junger Gastarbeiter. An der Kasse selbst sitzt eine Dame, die an guten Tagen schweigsam und an schlechten ein kleiner Giftzahn ist. Aber in der Regel ganz in Ordnung.
Aber heute hat sie wohl eine kleine Hella von Sinnen gefrühstückt.
Der Gastarbeiter fragt, nach dem Preis einer 10er-Packung Kondome. Ich sehe seinen Kopf bis zum Gemüsestand hin rot leuchten. Quasi Peinlichkeits-Illumination. 
Warum holt er die Dinger nicht beim Rossmann oder in der Apotheke, wo das Publikum den Unterhaltungswert von Kondomkauf nicht so hoch einschätzt?
Jedenfalls hat die Kassiererin nix Besseres zu tun, als quer durch den ganzen Laden den Preis der Gummi-Packung abzufragen. Volle Lautstärke. Mit Grinsen im Gesicht.
Der junge Mann tut mir leid. Die ganze Bude voller Hausfrauen und alle schauen zur Kasse. Im Comedy-Spot war das irgendwie witziger, aber auch jetzt grinsen alle. Der Kunde bezahlt seine Einkäufe und schleicht bedröppelt aus dem Geschäft. Er tut mir leid.
Während ich dran bin, stehen die zwei Kundinnen vor mir noch in Kassennähe und begiggeln sich mit der Kassiererin.
Ich zahle. Dann sage ich „Seien sie froh, dass der Junge Kondome kauft.“
Sie grinst:“Warum???“
Ich: „Das ist der Freund ihrer Tochter.“
Und zack bin ich aus dem Laden raus.

Dieses Gesicht. Also das von ihr und den Damen die da noch standen – Unschlagbar! Unschlagbar!!        

Donnerstag, 14. April 2016

68. Akt

Äh, wie nennt man nochmal jemanden, der einem sagt, wann man wo zu sein hat? Der Termine, Interviews und Umstände ausdealt? Und Locations klar macht? Also auf beruflicher Ebene? Mutti?
Nee, in diesem Fall wohl Management. In meinem Fall sogar Managerin.
Ich finde den Begriff, cool. Und die Frau auch. Wir sind so ziemlich genau gleich alt und die Lady hat Hummeln im Ar***. Ihr organisatorisches Talent haut mich um. Ich bin sicher, sie schafft es einer Eskimofrau den heißesten Bikini zu verticken und eine Brasilianischen Sambaschule für die neueste CD von Helene Fischer zu begeistern. Und das Schärfste ist, sie heißt wie ich. Manuela. Das bedeutet, ich weiß immer, wie ich sie rufen muss. Im euphorischen Erfolgsrausch nach einem gelungenen Event. Nach zwei Flaschen Prosecco auf einer Party. Und nervös und aufgeregt, vor einem wichtigen Termin. Immer Manuela. So wie ich eben. Sehr günstig.
Heute gehen wir zu einer Location für eine größere Lesung. Ich weiß wieder mal kaum mehr als Ort und Zeit. Ich liebe das.
Ich bin pünktlich. Und ich bin am richtigen Platz. Sie ist noch pünktlicher und schon im Gebäude. Also geh ich rein. Auf Anhieb sieht es aus, wie ein hübsches einfaches Gasthaus. Dann zeigt uns der Wirt aber den geplanten Ort des Geschehens. Ein Saal mit einer kolossal genialen Bühne. Bestuhlt für über einhundert Leute. Scheinwerfer, Videoanlage, extra Raum für Maske und Künstlergarderobe (nicht, dass ich eine bräuchte) und ein Hammer-Ambiente. Hier sind schon Ottfried Fischer und Konstantin Wecker aufgetreten. Und nu komm ich mit meinen „33 Grausamkeiten“.
Ich gehe hoch auf die Bühne und wir checken die Akustik des Mikrophon-Headsets.
Ja, und dann ist es wieder so weit. Die Scheinwerfer-affine Rampensau in mir kollidiert mit dem lampenfiebrigen scheuen Reh.
Ich zitiere aus meinen Gedichten, laufe hin und her, überlege, ob ich Beruhigungsmittel brauchen werde und fühle mich wie eine Kreuzung aus Madonna, Christina Aguilera und Marcel Reich-Ranicki. Es fühlt sich gut an. Okay, bisher haben sich alle Lesungen gut angefühlt. Jede für sich war besonders. Aber Bühne ist eben Bühne. Und Scheinwerfer wirken auf mich wie Viagra auf einen Triebtäter. Vielleicht sollte ich die Lesung um einen French Can Can ergänzen? Ich frage, ob der Wirt die Single „You can leave your hat on“ im Haus hat. Manuela schaut mich streng an. Okay. Ich werde nur lesen.
Direkt im Anschluss an die Ortsbegehung kommt dann noch die Planung für einen Werbefilm. Woahhhh! Ich kollabier gleich. 2016 wird mein Jahr.

Und jetzt bestell ich Manuela einen Pulli, auf dem „Manus Managerin“ steht. Damit auch jeder weiß, mit wem er es zu tun hat. Und sie sich dran gewöhnt.

Mittwoch, 13. April 2016

67. Akt 

„Nur zwei, drei Rittersporn.“
Meine Mutter schaut mich mit großen Augen an. Sie will, dass ich ihr glaube. Aber irgendwie hat sie mich damit schon ziemlich häufig ausgetrickst.
„Ehrlich. Da fehlt nicht viel. Rittersporn vielleicht. Und höchstens noch ein Bodendecker für das Beet hinter der Hütte.“
Na, na, na... da hat der Rittersporn aber gleich mal Zuwachs gekriegt. Aber sie schaut mich so ehrlich an, und der Garten sieht auch nicht wirklich wie ein florales Nudisten-Camp aus.
Ich zögere. 
„Na, nu komm schon.“ Oha, das Sächsisch bricht durch . Es ist also ein blümeranter Notfall. Ich gebe mein „Okay“ und der Ausflug in die Baywa ist geritzt.
Gleich vorab. Meine Mutter hat nicht nur den klassischen grünen Daumen. Sie hat auch noch jede Ausgabe von „Mein schöner Garten“ , „Garden Style“ und „Florieren“ quasi inhaliert.
Ich fahre den Wagen aus der Garage und höre noch, wie sie meinen Sohn bittet, uns zu begleiten.
Hmpf!!! Das heißt, sie braucht noch jemanden, der etwas tragen kann, was das Gewicht von ein, zwei Topfpflanzen überschreitet.
Vermutlich einen 70 Liter Sack Erde oder Rindenmulch.
Der Rittersporn wird wohl nicht so einsam bleiben.
In der Baywa angekommen ignoriert meine Mutter, dass ich schon einen Einkaufskorb am Arm hängen habe. Sie greift nach einem Einkaufswagen. Einem großen.
Im Außenpflanzen-Areal lässt sie ihr „Oma-braucht-Hilfe“ Attitüde schlagartig fallen. Leichtfüßig wie eine Elfe turnt sie zwischen Thujen und Buchs. Zwischen Stauden und Bodendeckern. Sie hält Töpfe in die Luft und ihr Blick sagt klipp und klar „Genau das brauchst du!!!“
Ich verzichte auf Gegenwehr. Ich habe es mal probiert. Die Strafe war Rasen-Nachsaat und ein Vertikutierer. 
Sie will Pflanzen. Sie kriegt Pflanzen.
Es hat keinen Sinn, zu sagen, dass ich mein Portemonnaie Zuhause vergessen habe. Wäre kein Problem für sie. Sie würde mich nach Hause schicken, um es zu holen und wenn ich zurück käme hätte sie sich mit dem gesamten Baumarktpersonal fraternisiert. Ein Wagen voller Büsche, Blumen und Kräuter würde auf mich warten.
Ich gebe also klein bei und hoffe, dass sie Hunger kriegt oder auf´s Klo muss.
Eine gute dreiviertel Stunde später sitze ich am Steuer. Mutti räumt allerlei Grünzeug in den Kofferraum, während mein Sohn zwei Sack Pflanzenerde in das Auto hievt. Wenn er sie nicht so gerne hätte, würde er mich bitten, sie in der Nähe des Friedhofes auszusetzen. Sie könnte ja schon mal dort warten.
Na ja, Pflanzen gibt es da ja auch genug. Aber da wo meine Mutter ist, ist immer ziemlich viel los. Und dort ist sie dann wirklich nicht so richtig aufgehoben. Noch lange nicht.



Dienstag, 12. April 2016

66. Akt

Hallo Manuela! Ich bin ein großer Fan von deiner Arbeit als Fotografin. Du machst echt spitze Aufnahmen. Kompliment!“

Die Nachricht im Facebook Chat geht mir runter wie Öl.
„Fan“, „Spitzen Aufnahmen“ und „Kompliment“ zieht bei mir kolossal. Fast so gut wie „Hast du abgenommen?“ und „Ich liiiiiiieebe deine Bücher.“
Ist also schon mal gar nicht verkehrt so zu starten.
Ich bedanke mich artig und durchpflüge rasch das Profil der Schreiberin.
Sieht sympathisch aus. Hübsch. Bekennende 30, faktisch Anfang 40 würde ich sagen. Egal. Wer mir nette Sachen sagt, hat schon mal einen satten Stein im Brett.
Zack! Ploppt schon die nächste Nachricht auf. Und mir schwant, wohin die Reise geht.
Ich möchte uuuuuuuuuunbedingt mal mit dir arbeiten. Ich glaube, dass du aus einer Frau das Allerbeste herausholen kannst. Mit Fotos von dir würde ich bei meiner Agentur bestimmt ordentlich punkten.“
Okay, Madame hat also schon mal eine Agentur. Das heißt, sie arbeitet kommerziell und ist keines der Models, das einen Haufen Kohle in die Hand nimmt, um mal über den Laufsteg marschieren zu dürfen. Hoffe ich.
Gut, gut. Ich antworte brav, dass einer Zusammenarbeit ja nun nicht zwingend etwas im Wege stehen muss.
Die Freude auf der anderen Seite ist groß. Ich werde überrannt von Wünschen über Zeit, Art, Dauer und Umfang des Shootings und ich stelle fest, dass wieder mal ein ganz essentieller Teil in der Vorfreude fehlt.
Ganz sachte frage ich an, ob die Dame denn meine Konditionen kennt.
Fünf Minuten lang kommt nix mehr. Dann kommt die typische Frage:
Äh, was für Konditionen?“
Aha. Okay. Also mal wieder eine kurze Aufklärung über Arbeit und Honorar. Mit netten Worten schreibe ich, dass sowohl das Bücher schreiben, als auch das Fotografieren mein Beruf ist. Beruf bedeutet, ich bekomme und nehme dafür Geld.
Hemmungslos. Ohne mit der Wimper zu zucken.
Vier Stunden Fotografieren, Bildbearbeitung, Haare, Make up, Bilder CD.
Ja. Dafür nehme ich keine Kekse. Und in der Regel haben die Leute, mit denen ich arbeite auch kein Problem damit.
Dann kommt der Klassiker: „Aber die Bilder sind für die Agentur. Wenn ich da so tolle Bilder abliefere, dann wollen die bestimmt häufiger mit dir arbeiten.“
Kurz frage ich, welche Agentur sie denn vertritt und muss lachen, als ich den Namen der Wald, Wiesen, Vorstadt-Agentur höre. Gefolgt von „Die sind mega-erfolgreich!!!“
Es ist okay, mag sich die Dame doch gerne vertreten lassen, von wem sie will. Gerne auch von ihrem Metzger oder dem lokalen Reisebüro.
Ich mache ihr den Vorschlag, das Ganze im Umfang zu reduzieren und dann den Preis entsprechend anzupassen. Das wiederum ist aber nicht wirklich befriedigend für das Superduper-Newcomer-Ü-30 Model.
Ich lege ihr nahe, nochmal drüber zu schlafen. Den Hinweis, zur Not eine der Fotokabinen am Stachus zu benutzen, unterdrücke ich. Was soll´s. Sie ist enttäuscht und ich muss sie nicht auch noch zusätzliche demoralisieren.
Den Nachschub, dass ich von vornherein hätte sagen können, dass es was kostet, überhöre ich. Vermutlich geht die Dame auch zum Bäcker und verlangt die Brötchen umsonst. Sie wird die Semmeln dann auch mit einem Lächeln im Gesicht verspeisen und alle würden sie fragen, wo sie die tollen Dinger her bekommen hat. Die Werbung für ihn wäre immens. Ja. Der Bäcker würde ihr die Semmeln wahrscheinlich an die Birne schmeißen. Aber mit meiner Kamera schmeiß´ ich nicht. Bestenfalls mit dem Objektivdeckel. Obwohl. Nee, auch das nicht.


Montag, 11. April 2016

65. Akt

Es ist Sonntagmorgen. Kurz nach sechs Uhr. Ich bin wach und auch hartnäckiges Kopf in die Kissen drücken, lässt mich nicht wieder einschlafen. Dann werden eben im Liegen schnell noch die Emails gecheckt und Facebook aktualisiert.
Hilft alles nix. Ich werde aufstehen und arbeiten. Bis mindestens 12 Uhr habe ich von Ratz und Rübe keine Kontaktaufnahme zu erwarten. Meine Kinder sind Langschläfer. Und Mutter-technisch habe ich ein paar autarke Stunden vor mir.
Unten angekommen werden erst Mal alle Rollos hoch gelassen und der Rechner angeschmissen. Bei einer ersten Tasse Kaffee, werden hier nochmals Emails und Tralala durchgeschaut. Ohne Brille im Liegen übersehe ich auf dem Handy oft die Hälfte, und im Sitzen vor dem großen Bildschirm funktioniere ich einfach besser.
Ich mache meinen Ordner mit den neuen Geschichten auf, als das Telefon klingelt. Ein bisschen früh für meine Mutter, denke ich. Dann sehe ich eine fremde Nummer auf dem Display. Okay, ich versuche es mal mit Rangehen.
Noch bevor ich meinen Namen sagen kann, werde ich begrüßt.
„Hallo Helga. Kannst du mal rüberkommen?“
„Äh.... hier ist keine Helga. Hier wohnt die Familie Thoma-Adofo. Sie müssen sich verwählt haben.“ Ich klinge nett, finde ich. Vor allem für einen frühen Sonntagmorgen.
„Nein!“
„Wie, Nein?
„Das ist Helgas Nummer!“ Die Stimme klingt nach einem Herren schon weit im Rentenalter. Vermutlich senile Bettflucht, denke ich. Bleibe aber höflich.
„Nein. Das ist meine Nummer!“ Ich muss es ja wissen. Ich hab die Nummer ja schon ein paar Jahre.
„Nein. Helga hat die 089-xxxxx977“
„Ja. Das mag sein. Aber sie haben die 089-xxx978 gewählt.“ klinge ich jetzt schon etwas gereizt? Bestenfalls minimal.
„Nein. Das habe ich nicht.“
„Doch, das haben Sie. Ich schlage vor, ich beende jetzt das Gespräch und Sie probieren es nochmal.“
„Aber...“
Klick!
Ich setze mich wieder an den Rechner und schüttle mit dem Kopf. Helga ist vermutlich ganz froh, dass sie dieser Typ nicht erreicht. Wer diese Helga wohl ist? Vermutlich pennt sie noch und kriegt gleich einen mords Hals, wenn sie so früh geweckt wird.
Wird sie aber nicht, denn das Telefon klingelt wieder. Bei mir.
Wieder der alte Herr.
„Helga?“
„Nein, nicht Helga! Thoma-Adofo. Sie haben sich schon wieder verwählt.“
„Nein, hab ich nicht. Es ist die selbe Nummer!“
„Sie haben jetzt nicht einfach bloß auf Wahlwiederholung gedrückt oder?“
„Doch. Das mach ich immer so. Das ist Helgas Nummer. Wer sind Sie überhaupt. Das darf man nicht.“
„Was darf man nicht?“ Wieder fallen mir ein paar Geschichten für das neue Buch ein.
„Anderer Leute Telefonnummern nehmen.“ der alte Herr brüllt mittlerweile ins Telefon. Ziemlich unsympathisch. Und ich weiß, was als nächstes kommt.
„Ich probiere es jetzt noch einmal. Wenn dann wieder Sie rangehen, dann rufe ich die Polizei!“ Jetzt isser aber mal in Stimmung.
Das kann lustig werden. Ich lege auf und nehme das Telefon mit an den Tisch. Keine 30 Sekunden später klingelt es erneut. Ich gehe ran.
„Helga?“ Er hat sich immer noch nicht im Griff.
„Helga schläft noch.“ Ich klinge wieder nett.
„Ja. Äh. Dann ruf ich später wieder an.“ Er legt auf.


 Ich speichere die Nummer für alle Fälle unter „Helgas Freund“. Sicher ist sicher. Wenn der Kerl irgendwann mal seine Helga erreicht, wird er ihr vermutlich erzählen, dass irgendeine Irre ihre Nummer gekapert hat. Sachen gibt’s. Und das alles vor 7 Uhr. Ich glaube ich gehe wieder ins Bett.

Sonntag, 10. April 2016

64. Akt

Wenn ich wirklich effektiv an meinen Büchern schreiben will, gehe ich in ein Café in der Stadt. Zuhause fällt mir zwischen zwei Absätzen zu oft ein, dass ich noch schnell bügeln, einkaufen, Rasen mähen oder Blumen gießen muss. Oder eines von den Kindern steht verzweifelt vor dem Kühlschrank oder sucht seine Socken.
Früher bin ich meistens ins Café Reitschule gegangen. Da kann man prima schreiben. Und wenn einem nix mehr einfällt, dann schaut man halt ein bisschen den Pferden zu und schon geht’s weiter.
Seitdem mich dort aber eine Gruppe Latte Macchiato-Mütter mit ihren Zweijährigen quasi überfallen hat, bin ich etwas vorsichtiger.
Es waren nicht die Kinder, die mich gestört haben. Die waren niedlich und lebhaft. Es war vielmehr die Tatsache, dass es für die Mütter völlig in Ordnung war, dass ihr Nachwuchs fröhlich auf meinem Computer rumhämmerte, als ich vom Klo kam. Es war für sie wiederum nicht in Ordnung, dass ich das ziemlich verstörend fand.
Hallo?? Mein Rechner stand auf dem Tisch am Fenster. Er stand nicht im Buggy von Helena oder Korbinian. Respekt kann man schon in der Krabbelgruppe lernen. Als einer von den Rangen dann unbemerkt seinen Brei in die Louis Vuitton Handtasche einer Mutter kotzte, war ich halbwegs versöhnt.
Dieses Mal sitze ich also in einem anderen Café. Es läuft und schreibt sich prima. Eine Dame in Pelz setzt sich an den Nebentisch. Wir nicken uns kurz zu. Sie lässt mich arbeiten. Ich lasse sie mit ihrem Schampus in Ruhe. Alles Bestens.
Etwa zehn Minuten später kommt eine zweite Frau hereingestürmt. Hektisch. Bestens frisiert, erlesen gekleidet. Echt schnieke. Sie verhält sich, als sei sie einem Nervenzusammenbruch nahe, und ich überlege, ob ich mir Sorgen machen muss. Sie bestellt einen Champagner und einen Cappuccino und legt los.
Ehrlich. Ich will ja gar nicht lauschen. Aber sie spricht, als muss sie einem Halbtauben in einer Bahnhofshalle den Weg erklären.
Ich traue meinen Ohren nicht, als sie ihrer Freundin von ihrem Problem berichtet. Sie muss – und ich probiere nicht zu hyperventilieren – einen Urlaub in die Karibik vorbereiten. Sie fliegt auf die Bahamas und ist fix und fertig.
Ich bestelle mir einen weiteren Kaffee. Schreiben ist Essig. Ich muss jetzt doch erst mal zuhören.
Sie heißt offensichtlich Petra und ist am Ende.
Nein! Sie muss nicht persönlich in die Karibik rudern. Sie muss diesen dämlichen Urlaub noch nicht mal selber buchen. Sie muss quasi nur ihre Termine beim Friseur und beim Nagelstudio mit den Einkäufen von Strandklamotten koordinieren.
Auf die Frage, ob sie denn wenigstens ordentlich fliege, lacht sie bloß. „Natürlich Business Class! Was glaubst du denn? Sonst hätte Klaus mich doch nie im Leben mitnehmen dürfen.“
Ich frage mich, ob dem Mann ein Urlaub ohne seine Frau nicht viel besser getan hätte.
Ich bin kein neidischer Mensch. Ich freue mich, wenn sich andere Menschen freuen. Aber wenn jemand jammert, weil ihn die Reisevorbereitungen für einen Bahamas-Trip stressen, dann möchte ich doch gerne... ähem...helfend eingreifen. Zumindest würde ich sie ganz gerne im Genick packen und ihre begradigte Nase in den Cappuccino tunken.
Ich glaube, für einen Bahamas Urlaub dieser Art würde ich ziemlich verbotene Dinge tun. Mein Urlaubs-Defizit bricht in den letzten Monaten regelmäßig durch.
Früher bin ich allein beruflich regelmäßig weit weg gewesen. Katalog-Shooting in Miami, Editorial in Barbados. Schön war´s. Heute scheitert es schon daran, dass ich bei Langstrecke entweder ein Kreislaufproblem vortäuschen muss, um ausgestreckt ein wenig im Gang zu schlafen oder eben drei Tage brauche, um wieder aufrecht gehen zu können. Für alles über Economy muss man schon sehr, sehr viele Bücher verkaufen.
Petra neben mir fliegt also Business auf die Bahamas und hat damit ein Problem. Ich überlege, ob ich ihre Organe an irgendwelche dubiosen Händler verkaufen kann und mit den Kids nach Jamaica jette. Aber vom Knast aus wird es dann wohl schwierig.
Ja, ich weiß. Das ist Jammern auf hohem Niveau. Aber ich jammer ja sonst über nix.
Also trinke ich aus, klappe meinen Rechner zu und würdige die beiden keines Blickes mehr. Petras Problemzone ist im Kopf. Eindeutig.
Auf dem Rückweg gehe ich an einem Reisebüro vorbei und hole mir zwei Kataloge. Bahamas, Hawaii, Jamaica. Und heute Abend sitze ich dann mit Tochterkind auf dem Sofa und träume.

Wobei sie gar nicht davon träumen muss. Sie fährt dieses Jahr mit ihrem Vater nach Mauritius. Sie freut sich riesig und ich mich mit ihr. Ich mache einen Umweg und kaufe ihr noch einen Bikini. Wenigstens ein klitzekleines bisschen Urlaubsfeeling löst das auch bei mir aus.