Samstag, 23. April 2016

77. Akt

Ich freu mich. Kolossal. Der Frühling haut nicht nur mir ins Hormonsystem, nein, auch meiner höchst privaten Flora in meinem Garten hilft er auf die Sprünge. 
Um es auf den Punkt zu bringen: Mein Apfelbaum blüht.
Klingt an und für sich völlig normal und unspektakulär. In der Regel ist das ja gerade bei Obstbäumen so. Gestern Blüten. Morgen Äpfel. Oder auch Birnen, Kirschen, je nachdem, was man denn da nun gerade stehen hat.
Bei meinem Apfelbaum ist das anders. Er wurde mit Einzug vor knapp sechs Jahren gepflanzt. Der Gärtner hielt mich schon für ein bisschen gaga, dass er mir quasi schwören musste, dass es sich bei diesem Schulter hohen Zweiglein im Boden tatsächlich um einen Apfelbaum handelte. Er konnte ja nicht wissen, dass mir das so exorbitant wichtig war. Seitdem ich denken kann, wünsche ich es mir genau so. Ein kleines Haus. Weißer Gartenzaun. Holzterrasse. Und einen Apfelbaum im Garten. Spießig?
Yo! Bin ich. Ist mir aber wurscht.
Und da steht er seitdem. Der Apfelbaum. Seit fast sechs Jahren.
Und jedes Jahr im Frühling habe ich mir überlegt, ob mein elitäres kleines Bäumchen es schick findet, die Blühphase zu überspringen und mich dann im Herbst ganz einfach so mit knackigen Äpfeln zu erfreuen. Und jedes Mal stand ich im Herbst da und stellte fest: Nix!!
Nicht ein einziger Apfel. Und ja, ich habe ihn abgesucht.
Groß ist er geworden in den Jahren, aber in all der Zeit. Nicht ein einziges klitzekleines Äpfelchen.
Ich glaubte schon an eine Identitätskrise meines Bäumchens und las im Internet alles über Fremdbestäubung, Obstbaumdüngung und Hoffnung.
Nichts half.
Zu allem Überfluss trug das Apfelbäumchen vom Nachbarn gegenüber, trotz knapp überschrittener Parkuhr-Höhe in absolut jedem Jahr Äpfel. Nicht nur ein oder zwei. Nein locker zwanzig. Und dabei wurde er nach meinem Gewächs eingepflanzt. 
Ich glaube, wenn er hätte lachen können, dann hätte der Nachbarsbaum sich jedes Mal schlapp gelacht, wenn ich oben aus dem Badezimmer sehnsüchtig auf seinen opulenten Fruchtbehang gelinst habe. Sogar der Apfelbaum vorne an der Straße. Ebenfalls voller Äpfel. 
Obwohl er eher aussieht wie eine Kreuzung aus Hecke und Zahnstocher.
Den Gedanken, nachts bei den Nachbarn die Äpfel vom Baum zu klauen und zu vernichten und parallel dazu einen Träger Boskop an meinen Patienten zu hängen, habe ich mir zügig aus dem Kopf geschlagen. Hätte faktisch ja nichts geändert. Mein Baum trug nicht. War nicht trächtig. Oder wie auch immer man es nennen wollte.
Wenn meine Mutter mich so richtig auf die Palme bringen will, dann sagt sie gerne: „Na ja, dann setzen wir uns im Sommer eben in seinen Schatten." Und dabei grinst sie dann breit.
In den Baumschatten kann ich mich bestenfalls nach einem heftigen Anfall von Magersucht setzen. So hoch der Baum schon ist, den Stamm kann man fast noch mit zwei Händen umfassen. Ich war frustriert
Bis jetzt. Denn jetzt blüht er. Ich bin stolz auf ihn. Mindestens dreißig Blüten habe ich bereits zählen können. Das wird. Er hat endlich zu sich gefunden. Erkannt, dass er eine Aufgabe hat. 
Ich liebe mein Bäumchen. Und am Montag gehe ich los und kaufe schon mal einen Obstkorb.

Einen ganz, ganz großen.     

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