77. Akt
Ich freu mich. Kolossal. Der Frühling haut nicht nur mir ins
Hormonsystem, nein, auch meiner höchst privaten Flora in meinem
Garten hilft er auf die Sprünge.
Um es auf den Punkt zu bringen: Mein Apfelbaum blüht.
Klingt an und für sich völlig normal und unspektakulär. In der
Regel ist das ja gerade bei Obstbäumen so. Gestern Blüten. Morgen
Äpfel. Oder auch Birnen, Kirschen, je nachdem, was man denn da nun
gerade stehen hat.
Bei meinem Apfelbaum ist das anders. Er wurde mit Einzug vor knapp
sechs Jahren gepflanzt. Der Gärtner hielt mich schon für ein
bisschen gaga, dass er mir quasi schwören musste, dass es sich bei
diesem Schulter hohen Zweiglein im Boden tatsächlich um einen
Apfelbaum handelte. Er konnte ja nicht wissen, dass mir das so
exorbitant wichtig war. Seitdem ich denken kann, wünsche ich es mir
genau so. Ein kleines Haus. Weißer Gartenzaun. Holzterrasse. Und
einen Apfelbaum im Garten. Spießig?
Yo! Bin ich. Ist mir aber wurscht.
Und da steht er seitdem. Der Apfelbaum. Seit fast sechs Jahren.
Und jedes Jahr im Frühling habe ich mir überlegt, ob mein elitäres
kleines Bäumchen es schick findet, die Blühphase zu überspringen
und mich dann im Herbst ganz einfach so mit knackigen Äpfeln zu
erfreuen. Und jedes Mal stand ich im Herbst da und stellte fest:
Nix!!
Nicht ein einziger Apfel. Und ja, ich habe ihn abgesucht.
Groß ist er geworden in den Jahren, aber in all der Zeit. Nicht ein
einziges klitzekleines Äpfelchen.
Ich glaubte schon an eine Identitätskrise meines Bäumchens und las
im Internet alles über Fremdbestäubung, Obstbaumdüngung und
Hoffnung.
Nichts half.
Zu allem Überfluss trug das Apfelbäumchen vom Nachbarn gegenüber,
trotz knapp überschrittener Parkuhr-Höhe in absolut jedem Jahr
Äpfel. Nicht nur ein oder zwei. Nein locker zwanzig. Und dabei wurde er nach meinem Gewächs eingepflanzt.
Ich glaube,
wenn er hätte lachen können, dann hätte der Nachbarsbaum sich
jedes Mal schlapp gelacht, wenn ich oben aus dem Badezimmer
sehnsüchtig auf seinen opulenten Fruchtbehang gelinst habe. Sogar
der Apfelbaum vorne an der Straße. Ebenfalls voller Äpfel.
Obwohl
er eher aussieht wie eine Kreuzung aus Hecke und Zahnstocher.
Den Gedanken, nachts bei den Nachbarn die Äpfel vom Baum zu klauen
und zu vernichten und parallel dazu einen Träger Boskop an meinen
Patienten zu hängen, habe ich mir zügig aus dem Kopf geschlagen.
Hätte faktisch ja nichts geändert. Mein Baum trug nicht. War nicht
trächtig. Oder wie auch immer man es nennen wollte.
Wenn meine Mutter mich so richtig auf die Palme bringen will, dann
sagt sie gerne: „Na ja, dann setzen wir uns im Sommer eben in seinen Schatten." Und dabei grinst sie dann breit.
In den Baumschatten kann ich mich bestenfalls nach einem heftigen
Anfall von Magersucht setzen. So hoch der Baum schon ist, den Stamm
kann man fast noch mit zwei Händen umfassen. Ich war frustriert
Bis jetzt. Denn jetzt blüht er. Ich bin stolz auf ihn. Mindestens
dreißig Blüten habe ich bereits zählen können. Das wird. Er hat
endlich zu sich gefunden. Erkannt, dass er eine Aufgabe hat.
Ich
liebe mein Bäumchen. Und am Montag gehe ich los und kaufe schon mal
einen Obstkorb.
Einen ganz, ganz großen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen