Montag, 29. Februar 2016

22. Akt 

Ich fass es nicht! Wie erbärmlich nachlässig kann ich bloß sein? Gerade hab ich mich hingesetzt, um mich zum beinahe vollständigen Wiedereinzug zu beglückwünschen und befinde mich quasi in einem Moment der Konzentrationsschwäche. Schon lange habe ich mit diesen Satz rechnen müssen und dennoch treffen mich die Worte meiner Tochter aus heiterem Himmel. Zu spät um Krankheit, Insolvenz oder Tiefschlaf zu simulieren. Stattdessen antworte ich völlig tiefenentspannt mit einem nachlässigen „Ja, ist okay!“ Und zwar auf die Frage:
„Können wir mal zum IKEA fahren?“
Mit einem „Supi! Ich zieh mir schon mal Schuhe an“ dreht sich Tochterkind um und holt ihre Jacke.
Ganz sanft dämmert mir, worauf ich mich gerade einlasse. IKEA? Bedeutet das nicht, wir schauen nach einem Regal – und letztendlich kommt man mit diversen Bambuspflanzen, Kerzen, Schalen und einem rotglänzendem Couchtisch namens LACK wieder nach Hause? Hat mir IKEA schon mal Spaß gemacht, seit die Kinder zu groß für´s Smalland waren, in dem sie  fröhlich das Bällebad sortierten, während Mami eine große Portion Köttbullar bestellte?
Gibt es noch einen Ausweg?
Ich trotte Tochterkind leise in den Flur hinterher. „Was brauchst du denn?" Tochterkind weicht geschickt aus. „Nur mal so. Jetzt wo mein Zimmer so schön aufgeräumt ist könnten wir vielleicht mal nach einen Teppich schauen. Und vielleicht nach einem neuen Regal.“
Ich suche nach Gegenargumenten. „Wozu ein Regal? Du hast doch die hübsche Kommode.“
„Mama, können wir die Kommode nicht verkaufen?“
Mich trifft fast der Schlag. Die Kommode ist doch quasi noch neu. Denke ich und sage ich auch.
„Mama, das ist mein Wickeltisch!“
Okay, dann ist die Kommode eben nicht mehr ganz so neu. Angesichts der Tatsache, dass Tochterkind nächstes Jahr Abitur macht, hat das Möbelstück schon mehr Zeit hinter sich gebracht, als ich dachte. Gut, dann soll es eben so sein. Ich bin ja nicht doof, denk ich mir. Ich kann ja immer noch "Nein" sagen im schwedischen Möbelhaus. Die vernünftige Manu in mir kriegt gerade einen Lachflash. Ich ziehe meinen Mantel an.
Kurz bevor wir losfahren macht Tochterkind noch eine Entdeckung. „Wir sollten erst die Leergut-Kisten aus dem Kofferraum räumen.“
„Warum?“ (Ich glaube ich klinge gerade ein bisschen verzweifelt.)
„Weil, der Kofferraum leer sein sollte, wenn wir zum IKEA fahren.“

Aaaaarghhhhhhhhhhhhh!!!!!                    

Sonntag, 28. Februar 2016

21. Akt

 Heute Abend werde ich das letzte Mal im Hotelbett liegen. Ich gehe davon aus, dass ich spätestens in einer Woche den Salsa-Kurs unter mir vermissen werde. Vielleicht bestell ich mir ja eine Trainings-CD gegen den Entzug.
Man gewöhnt sich schon ziemlich fix an veränderte Umstände, denke ich mir. Wenn ich den Kindern sagen würde, dass wir noch rasch ein halbes Jahr dranhängen, würden sie nicken und mir ihre Wäsche zum Waschen rüber bringen. 
Mittlerweile weiß ich genau, wie viele Schritte es von Hoteltür bis zum Haus sind. Wenn ich am Tengelmann vorbeilaufe sind es 845. Beim Edeka lang sind es 45 Schritte mehr. Hinter der Kirche längs, sind es nochmal lässige 60 Schritte zusätzlich.
Als Olga und ihr Team gestern das Haus verließen, war ich komplett geplättet. So blitzeblank hat es noch nicht mal ausgesehen, als wir eingezogen sind. Vielleicht sollte ich Plexiglas-Sperr-Platten an den Türrahmen anbringen, wie man sie in Museen sieht. Dann darf man immer nur in die Räume hineinschauen, sie aber nicht betreten. Alles bliebe so fantastisch sauber und keiner könnte versehentlich die Wände berühren, um zu horchen, wie sie klingen.
Der „Wiedereinzug“ wird sich spaßig gestalten. Am Anfang haben wir ja noch strukturiert unsere Möbel, Kartons und den ganzen Kleinkram im Erdgeschoss und im Keller verteilt. Irgendwann wurden wir dann aber nachlässig. Es wird Wochen dauern, bis alle Sachen wieder aufgetaucht und am richtigen Platz sind. Aber was soll´s? Wider Erwarten haben wir alles innerhalb der zwei Wochen über die Bühne gebracht.

Ich summe „five-six-seven-Mambooo“ und fange schon mal an zu sortieren.

Samstag, 27. Februar 2016

20. Akt

 Unterschätzt mir mal die Olga nicht. Motiviert bis unter die Gummihandschuhe lässt sie sich das Haus zeigen. Sie spricht von Fenster putzen, Grundreinigen und Teppich shampoonieren. Und sie sagt das alles ohne das klitzekleinste bisschen „Oh Gott, oh Gott, das schaff ich nie!“ in der Stimme. Olga wirkt so, als ob man ihr zutrauen könnte, die anderen Häuser der Siedlung auch noch bis 12 Uhr fertig zu haben. Auf dem Weg die Treppe runter, frage ich sie, ob sie nicht noch einen Kaffee haben möchte. Lecker mit Milch und Zucker. Olga verneint und geht zur Tür. Dann dreht sie sich um und meint: „Ich hole dann mal meine Leute.“
Tja, hätte ich aus dem Fenster in Olgas Auto geguckt, dann hätte ich es gesehen. Dort liegen nicht nur Sauger, Eimer und Schrubber, da sitzen gleich noch drei Leute. Und alle sind bereit, hier reinigend einzugreifen. Ich platze fast vor Zuversicht. Tschakkaaaaaaa!!!


19. Akt 

Wo zum Teufel habe ich diese verflixten Schlüssel hin getan? Bevor diese ganze Arbeiterei hier losging, habe ich wohlweislich und mit Bedacht, alle Schränke abgesperrt und die Schlüssel weggeräumt. Warum? Ganz einfach! Damit sie nicht verloren gehen. Ich habe sie irgendwohin geräumt, wo ich sie garantiert wiederfinde. Wo ich einfach nur hin greife und „zack!“ da sind sie. Und dann hab ich vergessen, wo dieser ominöse hundertprozentig unvergessliche Ort ist. Alle meine Standardverstecke hab ich schon dreimal durch. Wenn ich nur nicht so verflixt kreativ wäre in solchen Dingen. Überall auf dem Planeten finde ich anderer Leute Sachen. Wo ist meine Brille? Na dort! Wo ist meine Brieftasche? Schau mal hier! Wo ist meine Freundin? Guck mal in dem Schuhgeschäft da hinten! Anderer Leute Sachen finde ich sofort. Selber Verstecktes taucht frühestens dann auf, wenn ich mal wieder was verstecken will. Ostern gehörte für meine Kinder wahrhaft zu den deprimierendsten Festen des Jahres.
Egal! Ich werde später weitersuchen. In ein paar Minuten muss das Reinigungsteam auftauchen. Drei, vier Kaffeetassen stehen schon neben der Maschine. Gute Laune und Koffein bei der Arbeit sorgen für Durchhaltevermögen.
Ich setze mich einen Moment auf das Sofa und versuche mich daran zu erinnern, wie ich drauf war, als ich die Schlüssel von den Schränken zog. In einem kurzen Impuls schaue ich in den Kamin und unter den Holzstapel. Nee, auch nicht. Wäre ja zu einfach. Es klingelt.
Fröhlich reiße ich die Tür auf. Das Reinigungsteam ist da.
Sie heißt Olga!





Freitag, 26. Februar 2016

18. Akt 

Mittlerweile hab ich eine Schneise zwischen Hotel und Haus gelaufen. Mein Auto hab ich auch schon mehrfach verlegt. Früh morgens vom Hotel ins Haus. Was vergessen und wieder zurück. Doch nix vergessen und fix umgekehrt. Unterwegs noch schnell frische Brötchen, ein Bund Radieschen und frischen Kaffee. Ins Haus und anfeuern oder für ordentlichen Pinselstrich loben. Nochmal schnell zurück ins Hotel, weil Tochterkind die Turnschuhe vergessen hat. Informiert werden, dass die Turnschuhe im Auto sind. Feststellen, dass man keine Ahnung hat, wo man den Wagen zuletzt geparkt hat.
All das soll nun ein Ende haben. Vor zehn Minuten hab ich meine Maler mit drei großen Schachteln MERCI im Haus zurückgelassen und mich nochmal auf den Weg gemacht, mein Auto zu suchen. Die Mannschaft packt Leiter, Gerüste, Eimer und Zeug auf den Hänger und ich laufe die kleine Sackgasse hinaus und überlege, wo mein Wagen denn verloren gegangen sein kann. Die Idee, einen von den Jungs erst mal als Pfand in den Keller zu sperren, hab ich mir verkniffen. Ich weiß, wo der Chef wohnt, und wenn was nicht mit der Farbe passt, dann komm ich zu Besuch. Vielleicht hätte ich vorhin auch noch mal durch alle Zimmer gehen sollen und schauen ob alles passt. Aber das hätte so vertrauenslos gewirkt. Ich will ja auch nicht für den skeptischen Kontrollfreak gehalten werden, der ich gerade bin.
Ich bin froh, dass ich nicht mitten in der Stadt wohne. Die Straßen, in denen ich mein Auto verlegt haben könnte sind begrenzt und schnell durchkämmt. Wieder Zuhause stelle ich fest, dass alle Arbeiten picobello erledigt sind. Vorerst also keine Handwerker mehr im Haus. Morgen schickt die Bauleitung ein Reinigungsteam, dass sich mit dem frisch gewonnenem Putzstaub-Mörtel-Farbspritzern auseinandersetzt. Dann können wir wieder einziehen. Alle Wände prima. Klasse! Tja... und dann sehe ich, dass irgendwer eklatante Macken ins Parkett gedonnert hat.

Ich glaube, ich muss mal telefonieren...

Donnerstag, 25. Februar 2016

 17. Akt

Da sind sie wieder. Pünktlich wie die Maurer. Die Maler. Sie haben ihr eigenes Radio mitgebracht und hören Musik bei der Arbeit. Salsa ist es nicht. Macht nix. Sie diskutieren über dies und das und - sie unterhalten sich über Frauen.
Es ist ja nicht so, dass ich lausche, aber wenn ich mit meinem Laptop direkt hinter der Tür sitze, habe ich eben den besten Empfang.

Sie sind offenbar alle Singles. Zumindest mental. Im Geiste gehe ich den Bedarf einiger Ü-30-Freundinnen durch. Dann höre ich den Satz: „Über 20 kannst du sowieso nix mehr mit ihnen anfangen.“ Die anderen beiden widersprechen. Ich frage mich, ob ich mal kurz rausgehen und die Bremse vom Gerüst lockern soll, aber ich lass es. Sie streichen gerade die Decke und ich möchte nicht, dass alles wieder dreckig wird. Vielleicht hab ich mich ja auch verhört und Lang Lang 2 meinte: „Nach 20 Uhr kannst du nix mehr mit ihnen anfangen.“ Vielleicht geht er ja einfach nur früh zu Bett. Ist auch wurscht. Sie weißeln die Bude und meine Freundinnen versorgen sich ohnehin am besten selber. Morgen soll hier alles fertig sein. Da möchte ich nicht noch mit einem Monolog über die Frau jenseits der 30, 40 oder 50 von der Arbeit abhalten. Ich setze mich wieder an meinen Tisch. Ist ja nicht so, dass ich da überhaupt keinen Empfang hab.     

Mittwoch, 24. Februar 2016

16. Akt

7.30 Uhr und es klingelt an der Tür. Schnucki 2. Ich widerstehe dem Impuls high-five mit ihm abzuklatschen und kurz zu knuddeln und lasse ihn rein, bevor er es sich nochmal anders überlegen kann. Gleich nach ihm kommen zwei weitere Maler. Schnucki 1 ist nicht dabei. Den größeren der beiden anderen taufe ich Lang Lang. Nicht weil er Asiate ist oder wahnsinnig musikalisch aussieht, sondern weil er mit seinen gut 2.05 m einfach riesig ist. Er sieht aus, als könne er die Zimmerwände im knien streichen. Den anderen nenne ich kurzerhand Lang Lang 2. Er ist Asiate. Ob er Musik macht, frage ich ihn nicht. Alle drei sind nett. Das Gerüst ziehen sie in Windeseile hoch. Jetzt sehe ich auch, wie es aussieht, wenn es gerade steht. Hübsch.
Ich glaube, meine Mutter würde sofort beginnen, es zu dekorieren, wenn sie dürfte. Ich verzichte darauf.
Kurz erzähle ich ihnen die Geschichte von der Ankunft des armen, einsamen Horst. Sie lachen. Ich glaube sie kennen ihn nicht. Aber sie können sich anhand der großen grauen Flecken an der Wand vorstellen, was „Überforderung“ bedeutet. Jetzt streichen sie. Schnell, motiviert, kompetent und zügig. Und ich geh Brötchen, Wurst, Käse und Radieschen kaufen. Und Kuchen und Torte. Mindestens.

Dienstag, 23. Februar 2016

15. Akt

Jaaaaa! Yeaaaaahhh!! Yesss!!! Soeben wurde ich von zwei jungen Männern beglückt. Unfassbar kompetent und erfreulich.
Die Maler waren da. Zwei Kerle wie ein Baum. Bzw. eben zwei Bäume. Motiviert und einsatzbereit. Sie betraten das Haus, liefen durch alle Räume und sprachen die magischen Sätze: „Kein Problem!“, „Kriegen wir hin!“ und „Bis Freitag sind wir fertig!“
Ich hätte ihnen am liebten noch ein Glas Wein, das „Du“ und eine Fußmassage angeboten, aber all das war gar nicht nötig. Der Satz „Wir fangen dann morgen um 7.30 Uhr an.“ klang zwar nicht halb so schön, wie ein „Los geht’s!“ Aber ich bin höchst zufrieden.
Sie kommen auch gleich zu dritt und wissen wie man das Gerüst so aufbaut, dass es nicht aussieht, wie ein Mobile ohne Aufhängung. Die leichte Restfeuchte an den Wänden stört sie nicht. Und ich bin froh, dass sie nicht gesehen habe, wie ich im Zimmer meiner Tochter dann doch noch ein bisschen geföhnt habe. Ich war halt verzweifelt.
Ich denke, ich bleibe bei der Namensgebung nach Optik und benenne sie geistig in Schnucki 1 und Schnucki 2. Und morgen kommen sie zu dritt und streichen mein Haus. Das Leben ist schön.
Wenn heute Abend wieder einer „five-six-seven -Mamboooo!“ ruft, dann geh ich runter und werde denen mal zeigen, was ein Baustellen-Salsa ist. Ich bin in Stimmung. Alles wird gut.  

Montag, 22. Februar 2016

14. Akt

8 Uhr. Im Haus riecht es immer noch wie in einer Sandkiste nach Starkregen. Kein Wunder. Ich kann den neuen Putz ja nicht trocken föhnen. Eigentlich sollten heute schon die Maler anfangen. Vor 10 Minuten kam die Nachricht, dass sie erst morgen starten werden. Vielleicht besser so. Ich reiße alle Fenster auf um den Sauerstoffanteil im Haus ein klitzekleines bisschen zu erhöhen und etwas von der Feuchtigkeit nach draußen zu blasen. Hier drin beschlägt meine Lesebrille. Ich muss nachdenken.
Die üppige Nahrungsmittelaufnahme von gestern randaliert in meinem Körper. Wieso heißt Ritter Sport eigentlich Ritter SPORT?? Irgendwer hat sich bei der Namensgebung sicherlich scheckig gelacht und ist im Anschluss gefeuert worden. Ich gehe in den Keller, ziehe mich um und schwing mich auf mein Laufband. Ich weiß, dass es besser ist in der freien Natur zu laufen. Aber ich bin nicht multitasking-fähig. Entweder Sport oder Nachdenken. Hier ist der einzige Ort, an dem ich mich in meinem Zustand nicht verlaufe. Das Laufband hat mich in meiner zu 100 % zuverlässigen Orientierungslosigkeit nie hängen lassen. Wenn ich vor lauter Nachdenkerei stehen bleibe, dann bleibt es auch stehen und knallt mich nicht, fröhlich surrend, in das Bücherregal hinter der Lauffläche. Danke Laufband!
Die dunklen Stellen an der Wand sagen mir jetzt schon, dass die Maler unter Umständen ein wenig unwillig ans Werk gehen könnten. Was kann ich tun? Lüften? Mach ich schon! Dreimal am Tag reiße ich alle Fenster auf. Im Saturn Markt schnell noch zwanzig Heizlüfter kaufen? Quatsch! Also? Keine Ahnung. Schon wieder.
Eine Stunde lauf ich noch.
Ich verlasse das Haus, nachdem ich nochmal alles mit Frischluft geflutet habe.

Ist der Fleck da im Treppenhaus nicht schon mindestens zwei, drei Zentimeter im Umfang geschrumpft? Sieht doch schon viel trockener aus, oder? Vielleicht doch nachher nochmal mit dem Föhn??? Ich ziehe die Tür hinter mir zu und schließe ab.   

Sonntag, 21. Februar 2016

13. Akt

Diese Form des Hotellebens bekommt mir nicht. Während die Kinder sich ganz hervorragend in dem „hier-hab-nur-ich-den-Schlüssel“-Ambiente zurechtfinden, drifte ich einem mental-desolatem Zustand zu. Mein Haus und die damit verbundene Hausarbeit fehlt mir. Na ja, ich denke zumindest, dass es das ist. Im Hotel hab ich einfach zu wenig zu tun. Und Handwerker zu terrorisieren ist ja nun auch kein Fulltime-Job.
Ich liege im Bett und esse Süßigkeiten. Mein Wochenvorrat bestand aus zwei Tafeln Ritter Sport Mandel, zwei Riegel Nougat mit Marzipan und einer großen Tüte Karamell-Bonbons. Gekauft, heute um 14 Uhr an der Tanke. In spätestens fünf Minuten kann ich die leere Tüte in den Mülleimer schmeißen. Zu der Verpackung von der Ritter Sport und dem Papier der beiden Nougat-Marzipan-Riegel. Es ist 18 Uhr und mir ist ein wenig schlecht.
Gegen die Übelkeit grübel ich ein bisschen an.
Was, wenn morgen nicht ein Malerteam kommt, sondern wieder nur ein Mensch mit Leiter?
Würden Horst und seine Burschen gemeinsam mit der Bauleitung grinsend hinter irgendeiner Hecke hocken und beobachten, wie ich durchdrehe? High-five?

Gibt es eigentlich eine Selbsthilfegruppe für Fälle wie mich? Ich sollte mal googeln....         

Samstag, 20. Februar 2016

12. Akt

Seit zwei Stunden putze ich mein Haus. Staubsaugen, Staub wischen, Wischen und das Ganze von vorn. Wohin kann sich von den Wänden geklopfter Putz denn überall verziehen? Und vor allem, wie lange kann er das? Auf und in jedem Schrank findet sich so viel von dem Zeug, dass ich damit glatt wieder eine ganze Wand aufhübschen könnte.
Horst und die Jungs sind weg. Vermutlich verputzen sie gerade nur halb so leidenschaftlich irgendeinen Neubau. Irgendwie fehlt mir Horsts leidender Blick in der Frühe. Vielleicht sollte ich ihn bei Facebook adden. Obwohl... schwierig, ohne Namen. Ich versuche mir sein Facebookprofil vorzustellen. Wahrscheinlich hat er als Titelbild eine Leiter und auf seinem Profilbild die üblichen weißen Sprenkler auf seiner Brille. Kontakte? Klar, Bernhard, Dimitrij, Mustafa und die anderen Jungs der Putzer-Innung. War schon ein Netter, der Horst.

Ich denke nach, putze und versuche, die schöngemachten Wände nicht zu berühren. Nicht, weil ich den jungfräulichen Putz nicht verkratzen will, sondern aus ganz einem anderen Grund. Was wäre, wenn ich mit dem Ellbogen an die Wand stoße und es klingt hohl? Wie lange würde es dauern, bis ich von der Frau hinter dem Besen in Hulk mutiere? Vermutlich würden die tief verborgenen italienischen Gene einen mafiösen Impuls auslösen. Es wäre eine Frage von wenigen Stunden, bis Horst und sein Team mit Betonstiefeln in der Isar dümpeln. Warum Betonstiefel? Weil Putz zu sehr bröselt. Ganz einfach!!!

Freitag, 19. Februar 2016

11. Akt

Tennisbälle an die Wand zu dreschen klingt immer gleich. Egal ob massiv oder mit Teller großen Hohlflächen unterm Putz. Ich beschließe, ganz fest davon überzeugt zu sein, dass die Wand jetzt in einem 1A Zustand ist. Weitere Lippenstifte oder gar Schraubenzieher an die Wand zu schmeißen, hätte meine Putzerkolonne nur unnötig irritiert. Die frisch verputzte Wand ist in Ordnung. Basta.

Meine Freundin Nicole hat mich aufgefordert bei der nächsten Salsa-Stunde nach unten zu gehen und einfach mitzumachen. Äh...ja... normalerweise wäre ich da auch sofort dabei. Unter den gegebenen Umständen bin ich aber schon froh, dass ich geradeaus aus den Augen schauen kann und das mit dem Ein- und Ausatmen problemlos hinkriege. Sie hat mich zum Kaffee eingeladen. Ich werde hingehen und versuchen nicht mit dem Kopf rhythmisch auf die Tischplatte zu schlagen. Und ich werde mich bemitleiden lassen. That´s what friends are for. 
 Horst sagt, sie werden heute fertig. Ich kann´s noch gar nicht glauben.     

Donnerstag, 18. Februar 2016

10. Akt

7.50 Uhr
Ach nee??? Die Schlafzimmerwand, die angeblich nur klitzekleine Hohlräume haben sollte, ist komplett neu bekleidet. Alles runter, alles neu drauf. War wohl doch etwas mehr Luft zwischen Wand und Putz. Vielleicht wollen sie mich aber auch nur bei Laune halten. Oder Kaffee und Käse-Wurst-Radieschen-Brotzeit. Oberflächlich betrachtet sieht alles schon wieder recht ordentlich aus. Es muss noch abgeschliffen werden. Dann kommt der Feinputz drauf. Ich gehe Brötchen holen. Die Peitsche kann wieder weg. Heute werde ich nett sein.

13 Uhr
Panik kommt auf. Sie bauen das – etwas windschiefe – Gerüst im Flur ab. Abgesehen davon, dass es so klingt, als bemühten sie sich dabei auch noch die Mehrzahl der Fliesen im Flur zu zerstören, sehe ich ein anderes Problem. Kein Gerüst, kein Klopftest. Mei, sind die raffiniert! Aber ich bin raffinierter. Ich suche im Keller und werde fündig. Vor gefühlten hundert Jahren habe ich die Kinder zum Tennisunterricht genötigt. Das Interesse blieb durch die Bank steigerungsfähig und wir brachen diese Form der sportlichen Betätigung schon bald ab. Aber etwas Gutes hat es gebracht: Tennisbälle im Haus! Das ultimative, Lippenstiftsparende Prüfungsgerät. So denke ich zumindest.

Und wenn die Jungs hier nachher wieder raus sind, werde ich in Angelique Kerber Manier die Wand akustisch auf letzte Hohlstellen untersuchen. Nee, nee, nee... ich lass mich doch nicht austricksen. Ich bleibe quasi am Ball. Ätsch!!!
9. Akt

Wie oft findet denn dieser eigenartige Salsa-Kurs da unten statt? Das hier ist ein Hotel und keine Tanzschule. Denke ich. Na ja, ich denke auch, dass man in meinem Haus wohnen kann, ohne von Quadratmeter großen Putzbrocken erschlagen zu werden. 
Jetzt liege ich in meinem Hotelbett und starre an die Decke.
Ob sich die Schallwellen wohl negativ auf die Bausubstanz des Hotels auswirken? Gründlich sucht mein Blick die Wände nach Rissen ab. Ich finde nix. Ist auch egal. Reicht mir völlig, wenn die Bude hält, bis die Kinder und ich hier wieder raus sind. Sind ja nur noch ein paar Tage. Denke ich. Ich glaube ich denke zu viel! 
Eine Freundin fragt mich noch per WhatsApp, ob ich tatsächlich zur Zeit im Hotel lebe. Ich schicke ihr ein Foto von meinen Füßen, der interessanten Hoteleinrichtung und dem Fernseher. Mir ist nicht mehr nach vielen Worten.
Im Fernsehen verteilt der Bachelor gerade seine Rosen. „Schniekes Kerlchen“, kommt mir noch in den Sinn. Den könnte man sich gut in die Vitrine setzen. Da kann man ihn dann angucken und hört ihn nicht sabbeln. Dann döse ich ein.
Five-six-seven-Mambooooo.....
Ich sehe Horst und die Putzer-Crew in ihren weißen Latzhosen. Zu einem Salsa-Mix von Beyonce lassen sie die Hüften kreisen, dass es nur so staubt. Mustafa lacht, Dimitrij wedelt mit den Armen, Bernhard macht Spagat und Horst twirkt. Ich stehe am Mischpult und dirigiere alle mit dem Schraubenzieher. Horst tanzt eindeutig am besten, finde ich.

Nach der Renovierung werde ich wohl einen Therapeuten brauchen.     

Mittwoch, 17. Februar 2016

8. Akt
...wie gesagt, Horst ist pünktlich. Er kommt mit seiner Leiter, seiner Brille und erstmals mit einem Lächeln. Bis er mich sieht. Es verbleiben also noch Leiter und Brille. Ich frage freundlich(?), ob denn heute noch Putz abgeschlagen wird. Horst sagt „Nein“.
Ich sage „Ja!“. Horst meint, ab jetzt würde nur noch verputzt werden. Ich meine, dass Horst sich irrt.
Es tut mir leid, dass es immer ihn trifft, aber die anderen sind ja noch nicht da. Sonst hätte ich meine Stimmung auf alle Vier verteilt. Auf dem Weg nach oben sieht er den Lippenstiftfleck an der Wand. Sieht ein bisschen aus wie Blut. „Passt!“ denke ich. Horst sagt nix. Oben angekommen zeige ich ihm die neue Kreuz-in-Kreis-Wanddeko. Er fragt, wer denn die Löcher in die Wand gemacht habe. Ich sage „Ich!“.
Dann gehen wir gemeinsam von Kokosnuss zu Kokosnuss. Horst gibt mir ein klitzekleines bisschen recht. Vielleicht, weil er den hohlen Ton auch hört, vielleicht, weil er den Schraubenzieher noch in meiner Nähe vermutet. Egal.
Er versucht mir zu erklären, dass die hohlen Stellen in der Wand vermutlich nur winzig klein seien. Dann denkt er wohl wieder an den Schraubenzieher. Und dass die Löcher in der Wand nicht von großer Ausgeglichenheit oder zartem Umgang mit dem Werkzeug zeugen. Er verspricht mir, alle Wände noch einmal zu überprüfen. „Schön!“ sage ich „Besser ist`s!“.
An der Tür klingelt es. Ich gehe hinunter und lasse Bernhard, Mustafa und Dimitrij rein. Sie sagen „Guten Morgen“. Ich sage:“Horst will mit euch reden!“
Sie wissen, wen ich meine, auch wenn der arme Kerl da oben vermutlich nicht Horst heißt.

Jetzt höre ich sie arbeiten. Hammer und Meißel. Ja. Runter mit dem Zeug! Und Kaffee gibt es erst wieder, wenn garantiert keine Kokosnüsse mehr im Haus sind. 
Der Schraubenzieher liegt neben meinem Computer. Wenn sie nachher abzischen, werde ich wieder hochgehen. Ich werde klopfen und horchen. Und dann werde ich warten. Morgen kommen sie wieder. Und ich auch.  
7. Akt

Horst ist pünktlich. Und ich auch. Und ich bin in Stimmung! Den Schraubenzieher, mit dem ich gestern Abend Löcher in die Wand gerammt habe, hab ich ebenso wieder verstaut, wie den Edding, mit dem ich Kreise gezogen habe. Kreise mit großem, schwarzen Kreuz drin.
Nachdem mich mein Hammer und Meißel-Team gestern staubig und sanft hoffend zurückließ, kam ich ins Nachdenken. Waren da nicht auffallend große, noch verputzte Stellen in Bereichen der Wand, wo das Arbeiten weniger Spaß bereitete??
Wieso war da noch ein völlig unbemeißelter Riss im Treppenhaus? Dort, wo das Gerüst nicht hinreichte? Eine ganze Wand im Schlafzimmer war geradezu jungfräulich unberührt von Putzerhand. Die Hoffnung löste sich langsam im grauen Staub auf. 
Ich begann erst zaghaft, dann zunehmen unfröhlich die Wände abzuklopfen.
Was ich bisher gelernt hatte war deutlich. Klingt die Wand nach Wand - alles okay. Klingt sie nach Kokosnuss - nicht okay.
Mit jeder Kokosnuss, die ich fand, wuchs meine Lust Horst, Bernhard, Mustafa und Dimitrij ganz böse Dinge anzutun. So böse, dass ich ihr Ende noch nicht einmal für eines meiner Bücher hätte verwenden können. Bei jeder Kokosnuss malte ich nun mit einem dicken, schwarzen Stift einen Kreis mit einem großen Kreuz.
An die Wand zwei Meter oberhalb des Gerüstes im Flur warf ich, mangels Armlänge einen Lippenstift. Wenn ich dort  Überlebende zurücklasse, werde ich der Firma das Teil in Rechnung stellen. Jeder Fleck, der noch zu bearbeiten war, wurde nun markiert. Edding oder Lippenstift. Scheißegal! Und weil ich schon in Stimmung war, holte ich mir den größten Schraubenzieher, den ich finden konnte.
Jetzt war Kokosnuss-Öffnungszeit!
In jede meiner Markierungen rammte ich ein Loch in den bröselnden Putz. Ja ja... die Jungs sollten ruhig erkennen, dass ich von ihrer Arbeit nicht ganz so begeistert war. 
Aber das war gestern.



Dienstag, 16. Februar 2016

6. Akt

11.15 Uhr.
Das Gerüst wurde geliefert. Im Flur sieht es aus, als hätte gerade jemand eine Abteilung bei Ikea gesprengt. Der Anblick der ganzen Metallstangen und Ebenen irritiert mich nicht. Was mich viel mehr verstört, ist die Art, wie Horst, Bernhard, Mustafa und Dimitrij sich ansehen. Als säßen sie vor einem 10.000 Teile Puzzle, das den Meeresspiegel abbildet. Ich gehe zurück ins Wohnzimmer an meinen Computer. Und ich höre vor der geschlossenen Wohnzimmertür Flüche in dreierlei Sprachen.
Ob ich vielleicht schon mal nach einer Bauanleitung googeln soll??? Das Gerüst kommt von einer Fremdfirma. So viel habe ich verstanden. Aber ich hoffe, dass sie es hinkriegen. Sonst mach ich es eben selbst, wenn sie nachher Mittag machen.

12.30 Uhr
Das Gerüst sieht beinahe stabil aus. Die eigenartigen Haken, liegen aber noch in der Ecke. Na ja... ich hatte die Dinger für Sicherungsbolzen gehalten, aber wenn es auch so geht – prima!
Ich denke, ich kann die Nummer vom Notarzt jetzt aus meinem Kurzwahlspeicher entfernen.

Fast drei Stunden, eine Brotzeit und zwei Liter Kaffee (Dimitrij wollte dann doch welchen) später.

Einige meiner Wände im Obergeschoss liegen nackt und rein, wie der Maurer sie schuf, vor mir. Der Putz hat sich in großen und kleinen Brocken und jeder Menge Staub im ganzen Haus verteilt. So soll es sein. Die Wurst- und Käsebrötchen, die ich ihnen mit Radieschen-Deko und Cocktailtomaten kredenzt habe, wurden mit Freude empfangen. Ja, Jungs. Erzählt es euren Kollegen und kommt morgen zu acht. Ich mach dann Brötchen für alle. Meine Hoffnung wächst. Sie werden es schaffen. Vielleicht.
5. Akt

Es ist 7.50 Uhr, als ich das Haus aufschließe. Die Nacht im Hotel war kurz. Anfangs dachte ich, es sei die Kneipe unter mir, die mich mit lauter Musik beglückte. Aber es war ein Salsa-Kurs, der noch bis 23 Uhr dauerte. Das „five-six-seven-Mamboooooo“ klang mir noch bis weit nach Mitternacht im Ohr. Egal. Ich mag Musik. Auch in laut. Auch dann, wenn ich ein klitzekleines bisschen gereizt bin.
Ein komplettes Neubau-Feeling kommt auf. Ich lasse die Jalousien hoch und habe nach den drei Metern bis zum Wohnzimmer schon eine leichte Staubschicht auf den Armen. Was soll´s?

8.05 Uhr. Die „Putzerkolonne“ kommt. Er ist allein. Schon wieder! Ist das Panik in seinem Blick, als ich an ihm vorbei nach den erwarteten Kollegen schaue? Er geht zielstrebig nach oben, um seine Arbeit fortzusetzen. Zwei Minuten später bringe ich ihm einen Kaffee. Ich will ja nicht, dass er Angst hat. Gestern hat er mir seinen Namen genannt. Ich habe ihn vergessen. Geistig nenne ich ihn Horst.
9.15 Uhr. Sie sind da. Drei weitere Männer. Insgesamt also vier. Einer mehr als versprochen. Ich würde sie am liebsten alle umarmen. Aber ich befürchte, sie haben schon von meinem Wutausbruch gestern gehört und würden es als Angriff werten und womöglich fliehen. Ich frage sie nicht nach ihrem Namen und benenne sie in Gedanken Bernhard, Mustafa und Dimitrij. Bernhard und Mustafa  bekommen einen Kaffee. Dimitrij will keinen. Oder er hat meine Frage nicht verstanden. Egal. Sie gehen hoch zu Horst. Horst freut sich. Glaube ich.


Oben scheppert, klopft und hämmert es. Musik in meinen Ohren. Es geht voran. Five-six-seven-Mambooooo!!!!!

Montag, 15. Februar 2016

4. Akt

… Heute. Der 15. Februar. Ein Tag nach Valentinstag.
Da durch die anstehenden Arbeiten ziemlich viel Dreck und Lärm verursacht werden würde, haben die Kinder und ich alle Zimmer wieder weitgehend leer geräumt. Und wir sind ins Hotel gezogen. „Wirklich nur 14 Tage?“ Mein Sohn schien sich von meiner positiven Einstellung nicht anstecken zu lassen. „Ja! Wirklich nur 14 Tage!“ Mama weiß schließlich wovon sie spricht.
Zwei Wochen lang soll nun bei uns im Haus geschuftet werden. Der ganze Putz runter. Neuer Putz rauf. Die Maler würden alles neu streichen. Und dann könnten wir quasi wieder einziehen. Schon wieder! Okay. Alles halb so wild. In zwei Wochen würden wir die Sachen wieder in die richtigen Räume schleppen und uns an ebenen Wänden ohne seltsame Spaltbildung erfreuen. Kein Problem. Positiv denken und lächeln.
Die Putzerkolonne kam und der erste Begriff, der mir einfiel war „Einsamkeit“!
Die Putzerkolonne bestand aus genau einem Mann. 
Mit einem Eimer. Und einer Leiter. Einer kleinen Leiter.
Der Herr stand vor mir, und als er auf meine Nachfrage hin sagte, dass kein Kollege mehr käme und er die Arbeiten alleine durchführen werde, dachte ich, ich blute gleich aus den Augen.
Selbst wenn er der Superman unter allen Putzern dieser Welt war, das war nicht zu schaffen!
Ich hoffte, ich irrte und erklärte ihm nochmals die Sachlage. Ein ganzes Geschoss. Putz raus. Putz drauf. Und rechtzeitig fertig sein, damit die Maler nächste Woche kommen können. Sein Kommentar:“Das ist nicht zu schaffen!“
Ich hoffte gar nix mehr. Ich verzweifelte. Nix mehr mit guter Miene zu bösem Spiel. Mir gelang auch mein „Alles halb so schlimm, das wird schon“-Lächeln nicht mehr. Im Grunde wollte ich diesen kleinen Mann, der da mit Eimer und weißer Latzhose vor mir stand, am Genick packen und mit seiner Brille die Risse, die sich in der Zwischenzeit neu gebildet haben, auskratzen. Aber was dann? Dann hätte ich überhaupt keinen Handwerker mehr. Außerdem konnte der Mann ja nun auch nix dafür. Er wurde mit einem – na ja, „mangelhaftem“ Auftrag geschickt und fiel nun selber aus allen Wolken. Beim Anblick auf die etwa fünf Meter hohe Wand im Flur, die es zu „entputzen“ galt zeigte er nur stumm auf die Holzleiter die mittlerweile an der Haustür lehnte.
Ich faselte mit ca. 120 Dezibel (ist das noch „faseln“?) von Gewährleistungspflicht und brachte mein „nun-fühle-ich-mich-doch-ein-kleines-bisschen-verarscht“-Gefühl zum Ausdruck. Ein hektisches Telefonieren begann. Er mit seinem Vorgesetzten, ich mit der Bauleitung. Gedanklich ging ich die noch im Haus befindlichen Beruhigungsmittel durch. Es wurde beschlossen, dass er erst einmal alle Räume mit Vlies auslegt (Ja! Soweit waren wir schon mal) und dann behutsam beginnt, an den Wänden, bei denen bereits breite Risse und Löcher in der Wand waren, den verbliebenen Putz abzuschlagen. Und das tat er dann auch. Bis gerade eben. Jetzt ist er weg. Weiß und staubig. Armer Kerl. Nach weiteren Telefonaten wurde mir fest zugesagt, dass morgen ein Gerüst geliefert werde. Und zwei Kollegen von dem netten, kleinen Putzer würden ebenfalls noch auf die Baustelle, die mein Haus ist, einberufen. Ganz sicher.
Das wird schon. Sicher. Vermutlich. Vielleicht. Wir werden sehen.

Aaaaaaaaarghhhhhh.....    
3. Akt

… Es kam der Gutachter. Genauer gesagt, es kamen gleich zwei. Die wenigen im Zimmer anwesenden Möbel standen immer noch weitgehend in der Raummitte, und nur die wieder zurückgebrachten Matratzen verrieten, dass die Zimmer bewohnt waren. Wobei „bewohnt“ so gar nicht das passende Wort war. Beschlafen war besser. Denn wohnen taten die Kinder und ich dort, wo sich der Rest der Möbel befand. Im Erdgeschoss und im Keller. Die Verwunderung war groß, dass sich die Risse nur im ersten Stock befanden. Im Erdgeschoss aber nicht. Das sprach eigentlich gegen den klassischen Setzriss. Noch größer war aber die Verwunderung über die Reaktion der Wände auf Berührung. Anfassen. Nachgeben. Bröseln.

Der „Ernst der Lage“ offenbarte sich, als dem größeren der beiden Gutachter die Mess-Schablone herabfiel. An der Wand. Hinter den Putz. Bis auf den Boden. Er schüttelte mit dem Kopf und musste zugeben, dass er so etwas auch noch nicht erlebt habe. Sein Kollege, der extra Werkzeug aus dem Auto geholt hatte, um Proben vom bindungsunwilligen Putz zu nehmen, verzichtete auf Hammer und Meißel und brach sich die gewünschten Materialstücke völlig entspannt von der Wand. Es wurde protokolliert, aufgeschrieben, auf Diktiergeräte gesprochen und notiert. Dann gingen sie wieder fort. Die beiden Gutachter. Gemeinsam mit der Bauleitung. Alle drei ein bisschen irritiert über die Risse, die mittlerweile zu großen Löchern geworden sind. Und ließen mich zurück. Mit freier Aussicht auf mattrote Ziegel und dem Hinweis, dass bald eine Putzerkolonne anrücken sollte, die den gesamten(!) losen Putz im Obergeschoss abschlagen sollte. Dann müsse natürlich neu verputzt werden. Nun gut. Alles wird schon. Dachte ich . Ich irrte....
2. Akt

... Es sollte nun soweit sein. Über die letzten drei Tage hatten meine beiden Kinder und auch ich, alle Möbel und den entsprechenden Inhalt ins Untergeschoss verfrachtet oder in die Raummitte geschoben. Matratzen wurden in den Keller gebracht. Und zähneknirschend wurden Computeranlagen abgebaut und verkartoniert. Es sah aus, als ob wir dabei waren auszuziehen. Aber wir waren guter Hoffnung. Bald wäre unser Haus rissfrei und würde nicht mehr aussehen, als hätte es bröselnde Krampfadern. Vier junge Männer von einer Malerfirma kamen. Sie waren pünktlich, begannen alle Räume mit Vlies abzudecken, bauten Gerüste auf und schlugen in den ein oder anderen Riss.

Dann bauten sie unter meinem ungläubigen Blicken alles wieder ab. Mit jedem Schlag trennte sich die Wand nur allzu bereitwillig in großen Platten vom aufliegenden Putz. Es bröselte nunmehr nicht mehr. Es bröckelte auch nicht. Kuchenteller große Putzstücke flogen völlig bindungslos zu Boden. Dies war nun nicht mehr ein Fall für die Maler. Nein! Eine Putzerkolonne sollte kommen und sich um dieses Desaster kümmern. Aber vorher, sollte noch der ein oder andere Sachverständige drauf schauen. War ja nun offensichtlich ein völlig neues Problem. Aber immer noch eine Katastrophe. Unsere haustechnisch völlig private Katastrophe...                   
1. Akt

Tja... seit fünfeinhalb Jahren wohnen wir nun in diesem schönen, kleinen Haus vor den Toren Münchens. Mein Traumhaus. Zwei Geschosse, Holzterrasse, spießiger weißer Gartenzaun. Ich liebe es.
Dass wir vor gut viereinhalb Jahren diese eigenartigen Risse in den Wänden gesehen haben, hat uns nicht weiter beunruhigt. Setzrisse. So was passiert. Völlig normal. Wird in ein, zwei Jahren überstrichen und gut ist.
Nun denn. Gemeldet hatten wir es der Bauleitung aber trotzdem gleich. Sicher ist sicher. Das Haus war ja schließlich nagelneu und man ist ja auch stolz drauf. Und ein bisschen besorgt ist man auch.
Menschen kamen, schauten, sagten Dinge wie: „Nicht schlimm, das beobachten wir ein bisschen und dann nehmen wir die Dinge in die Hand.“ und gingen wieder.
Zwei weitere Jahre später wurden dann sogenannte Rissmonitore an die heftigsten Risse geklebt, denn mittlerweile bröselte der Putz bisweilen schon hörbar auf das Sidebord im Schlafzimmer und wir konnten uns die Risse weder als dekorativ schönreden, noch mit Bildern verhängen. Zu viele Bilder machen so einen Raum dann doch etwas unwohnlich. Die Rissmonitore fotografierte ich dann im zwei-Wochen-Takt ab und schickte die Bilder an die Baufirma.
Dort kamen sie auch an und man (also die Baufirma und wir, die Bewohner des Hauses) waren uns einig, dass sich nur noch wenig tut. Die Risse bröselten leiser.
Aber es kamen auch welche hinzu.
Da uns langsam die Zeit davonlief und wir angesichts der eigenartigen Muster in der Wand dann zunehmend verstört wurden, riefen wir einen Gutachter zu Hilfe. Ein sehr netter Mensch. Super kompetent. Pünktlich. Qualifiziert. 
Und exorbitant teuer. Aber was soll´s. Es ging ja nicht um einen neuen Rasenmäher, sondern um ein Haus.
Die Statik wurde begutachtet, Materialien geprüft, vermessen, markiert und protokolliert.
Ergebnis: Keine Setzrisse, sondern Spannung vom Dach. Vermutlich.
Ich glaube, ich habe noch kein „Vermutlich“ so teuer bezahlt, wie das „Vermutlich“ vom Gutachter.

Nun denn. Das Gutachten wurde weitergegeben und man kam zum Schluss "Das etwas passieren muss!" 
Da wir zeitlich aus der Gewährleistungsfrist zu rutschen drohten, musste noch das ein oder andere Schreiben geschickt und festgenagelt werden und so schafften wir uns zeitlich ein wenig Raum. Für diesen, und nicht nur diesen Zweck, war es von Vorteil, den Anwalt gleich in der Familie zu haben. 
Und dann harrten wir den Dingen, die schon wenige Wochen später kommen sollten...