Donnerstag, 31. Mai 2018


370. Akt

Urlaub. Herrlich! Job. Ebenfalls genial! Beides zu verbinden? Nicht zu toppen!
Noch viel besser ist es, wenn man diesen Urlaub auch noch gewonnen hat. So wie ich. Bei meiner Auszeichnung zur Miss 50 plus Germany 2018 stand nämlich genau selbiges auf meiner Gewinn-Liste. Ich durfte mir (Achtung! Völlig gerechtfertigte Schleichwerbung) einen der herrlichen TUI Magic Life Clubs aussuchen und die Condor sponsorte auch noch den Flug. Die Wahl fiel auf den Cala Pada Club. Ich liebe Wahlen. Urlaubsort-Wahlen. Miss Wahlen. Danke an dieser Stelle nochmal an die MGC Miss Germany Corporation.
Und so sitze ich hier auf Ibiza. Schreibe an meinen Büchern, lasse mich von einem der besten Fotografen für verschiedene Firmen ablichten und habe Spaß. Und ach ja – ich esse.
Das bringen Cluburlaube ja gerne mit sich. Fantastisches Essen rund um die Uhr. Man muss es sich nur holen. Selbst das Abdecken der leeren Teller erfolgt dann von einer freundlichen Person, die einem das Gefühl vermittelt, dass sie gerade ohnehin nichts lieber täte als mein Geschirr wegzuräumen. Die ersten 48 Stunden habe ich dann immer ein schlechtes Gewissen, dann freue ich mich drüber. Ist der Gang zum Büffett doch in der Tat schon anstrengend genug.
Was bei dieser Ganztags-Futterei nicht ausbleiben darf, ist der Kontersport. Irgendwie möchte man ja auch wieder auf einem Sitz ohne Überbreite irgendwann nach Hause kommen. Also mache ich hier auch noch Sport. Von 9.30 Uhr bis 10.15 Uhr Aerobic, Fatburner oder etwas anderes Schweißtreibendes, was einen hohen Kalorienverbrauch verspricht.
Das Ganze immer unter Anleitung von jungen, motivierten Menschen, die mich glauben lassen, in ihrem Frühstück muss mehr drin sein, als nur Müsli. Dann noch laute Musik und ich habe sogar Spaß dabei. Also nach einer Weile, denn jedes Mal wenn ich mit den ersten Schritten beginne, jault mir mein innerer Schweinehund von der Seite der Übungsfläche entgegen und will wieder ins Bett. Aber ich halte durch. Sogar die anschließende Stunde Pilates oder Yoga nehme ich noch mit. Selbst, wenn ich mich dann schon gedanklich beim Mittagsbuffet befinde.
Ganz besonders spaßig finde ich es aber auch, unabhängig von den Sportstunden im Fitnessoutfit einfach nur am Pool oder den Bars langzulaufen. Nachdem mir eine Dame entgegengeranzt hat, dass ich ihr damit ein schlechtes Gewissen mache und den Appetit versaue, habe ich diese böse Seite an mir entdeckt. Immer ein bischen verschwitzt, aber fröhlich schauend mit eingezogenem Bauch am Eisstand vorbei und zack! meldet sich Mutti online im heimischen Fitness-Studio an.
Es gibt aber auch Sportarten, die sind in ihrer Ausführung ein bisschen befremdlich. Tennis zum Beispiel. Neben unserem Appartement befindet sich einer der hübsch gestalteten Tennisplätze. Und wenn ich auf der Terrasse sitze und an meinem aktuellen Buch schreibe, dann trainiert dort eine junge Frau. Sie hat große Ähnlichkeit mit der früheren Spitzenspielerin Monica Seles. Also nicht optisch. Nur stimmlich. Sie klingt, als würde sie zwischen Vor- und Rückhand immer irgendwie ausgepeitscht werden. Wenn man ihr Stöhnen während einer Trainingsstunde aufnehmen würde, dann hätte man sicher genügend akustisches Material um drei pornographische Filme zu vertonen.
Aber was soll´s. Vielleicht macht auch sie das nur, um andere Leute zu ärgern. Und überhaupt. Ich muss mal nachsehen, ob sie da unten überhaupt Tennis spielt.   

Freitag, 18. Mai 2018


369. Akt

Ich liege malad auf dem Sofa, mein Tochterkind sitzt verzweifelt neben mir und sieht mich desillusioniert an. Es ist nicht so, dass sie mir einen Induktionsherd erklären oder Raumfahrttechnik nahe bringen muss. Es geht um viel banaleres, aber kaum noch wegzudenkendes, es geht um Instagram.
Nachdem ich mir habe erklären lassen müssen, dass Facebook so ziemlich oldschool und schon fast retro ist, setze ich mich nun seit ein paar Monaten mit Instagram auseinander. Geht ja kaum ohne, wenn man jemanden medial erreichen will.
„Mist“, denke ich noch. Es hat Jahre gedauert, bis ich Facebook einigermaßen begriffen habe. Von WhatsApp brauchen wir gar nicht erst zu reden. Die normale Nutzung meines Samsung S 8 treibt mich bisweilen schon in den Wahnsinn.
Und nun das Posten von quadratischen Bildern und – ja, jetzt weiß ich es auch – Beiträgen, die man dann in meiner Story für vierundzwanzig Stunden sehen kann.
Hier gibt es Boomerangs, in denen sich kleine Sequenzen selber immer wieder vor- und zurückbewegen, Fotos, Filmchen und allerlei Möglichkeiten sich zu verkünsteln. Aber das zentrale Element sind die Fotos, die jeder von sich seber macht. Mal mit und mal ohne Stick. Ein Markt für sich, dieses Selfie-Gesumse.
Wenn ich die Sport-Selfies der Damenwelt ansehe, dann wirken alle, als seien sie bis ins Mark motiviert, frisch mit der neuesten Kollektion von Nike ausgestattet und ohnehin gerade erst volljährig geworden.
Das sieht toll aus. Ich bin jedes Mal erstaunt. Sehen doch meine Sport-Selfies so aus, als hätte ich chronische Diarrhöe und meine Sportsachen wären vom Flohmarkt. Bin ich eigentlich die einzige, die beim Sport schwitzt?
Und es muss noch nicht mal Sport sein. Wenn meine Tochter einen Boomerang postet, wie sie das Haus verlässt, könnte ich mir das Filmchen hundert Mal ansehen (Zumal sie ja – Boomerang sei Dank, immer wieder zurück ins Haus geht, das gefällt mir).
Möchte ich einen Boomerang machen, wie ich das Haus verlasse, sieht man erst mal nix, weil das Handycover immer wieder zuklappt, dann sieht man mal nur meine Haare und die Tür und beim dritten Mal sieht man nur, wie ich verzweifelt versuche mein Handy vorm Herabfallen zu schützen. Gäbe es beim Boomerang Ton, würde man mich dort auch vorwärts und rückwärts fluchen hören. So kommt es halt, dass meinen Followern eine Kurzreportage über meinen Ausgang vorenthalten bleiben wird.
Und die ganz normalen Selfies sind auch nicht immer besser. Also, wenn ich sie selber gemacht habe. Was ja ein Selfie eben ausmacht.
Vergrößert diese Funktion Nasen eigentlich generell? Sieht es immer so aus, als ob ich schiele, weil ich erst schauen muss, wo denn nochmal das Objektiv ist? Hach, ich werde es nie so hinkriegen, dass man bei meinen Selfies kein Mitleid kriegt.
Aber Selfies sind ja nicht alles. Man postet ja auch sein Essen. Nun sehen Miracoli aber halt nicht so dolle aus. Als ich heimlich begonnen habe, die von meiner Tochter gezauberten Mahlzeiten zu fotografieren und zu posten, hat sie mich gerügt und ich habe demütig gelöscht.
Jetzt gehen wir halt wieder öfter essen. Dann glauben meiner Follower wenigstens, dass ich mich gesund ernähre.
Als Tochterkind und ich mal aus ein und dem selben Lokal unsere medialen Verfolger wissen ließen, dass sie einen Acai-Bowl genießt, während ich ein eigenartiges Couscous zu mir nahm, erhielten wir beide eine Nachricht. Ein junger Mann schrieb sowohl mich, als auch meine Tochter an und fragte nach Kontakt. Er hatte sich wenigstens die Mühe gemacht uns nicht den identischen Text zu schicken, aber es war klar, dass das einzige was uns Instagram-technisch gerade verband, die Lokalisierung via Hashtag war. Tochterkind und ich hatten beide den Namen des Restaurants gepostet. Und schon wieder hatte ich was gelernt. Hashtag „Hier bin ich“ ruft unerwünschte Kontakt-Honks auf den Plan. Dann poste ich doch lieber wieder Miracoli so ganz ohne Ortsangabe. Sieht nicht so lecker aus, aber man hat wenigstens seine Ruhe.


Donnerstag, 17. Mai 2018


368. Akt

Schärpe hin oder her. Auch an mir nagt hin und wieder der Zahn der Zeit. Es klingt dann nur nicht mehr so knackig wie ein Biss in einen saftigen Apfel, sondern eher wie das müde Knuspern an einer entspannten Karotte. Auch, wenn meinem Titel „Miss 50 plus Germany 2018“ ein lautes „in voller Blüte stehend“ zugrunde liegt, fühle ich an ganz seltenen, dafür aber schlechten Tagen ein zartes „Na wird’s schon welk?“ Zumindest ganz, ganz leise. Und vor allem dann, wenn es mir so geht wie heute.
Vor ein paar Wochen habe ich entgegen meiner bisherigen Gewohnheiten begonnen zu trainieren. Laufen, BBP-, Step-Stunden und Hanteln. Das Welken gilt es schließlich aufzuhalten. Man kann Cellulite nicht in jeder Situation vorteilhaft ausleuchten und auch die Erdanziehungskraft fordert diverse Körperteile heraus.
Seit Montag ist aber schon wieder Essig mit Training. Mein Gang ist geschmeidig wie der von Pinocchio nach einem langen harten Winter. Ich bewege mich, als hätte ich Schmerzen. Und warum mach ich das? 
Weil ich Schmerzen habe! Ich habe die Volkskrankheit. Ich habe Rücken!
Das morgendliche Aufstehen entspricht schon einem hardcore-Workout. Es fühlt sich an, als hätte ich ein Gewinde vom Steiß bis in den Kopf.
Ich komme nicht umhin zu meinem Hausarzt zu gehen. Er und ich kennen uns schon seit gefühlt hundert Jahren, und er beherrscht das „ins-Kreuz-springen“ perfekt. Wenn es bei mir irgendwo klemmt, biegt er mich wieder gerade. 
Also hin, anmelden und im Wartezimmer stehen. Setzen geht schlecht, es würde bis zum Ende der Sprechstunde dauern, bis ich mich wieder erheben könnte. Zum Blutabnehmen muss ich mich dann doch setzen. Was soll´s?
Die Sprechstundenhilfe ist schon nervös, wenn sie mich sieht. Das Blutabnehmen gestaltet sich bei mir in der Regel zum Massaker. Ich habe nur klitzekleine Venen und dann auch noch Rollvenen, die sich ratzfatz verzischen, wenn eine Nadel droht.
Nach dem vierten (!) Versuch läuft´s endlich. Wieviel will sie eigentlich abnehmen? Vor mir liegen mindestens zehn kleine Behälter, in die ich nach und nach abgezapft werde, und ich fühle mich ein bisschen blutleer, als ich nach ein paar Minuten windschief ins Behandlungszimmer wechsle.
Der Doc kommt und wir begrüßen uns freundschaftlich. Er lacht über meine Körperhaltung, und ich mache ihn darauf aufmerksam, dass er an Körpergröße seit dem letzten Treffen sicher auch schon wieder zwei Zentimeter eingebüßt hat. Wie gesagt, wir kennen uns ewig.
Er beginnt meine Wirbelsäule zu bearbeiten und als die Sprechstundenhilfe das Zimmer betritt, muss sie den Eindruck haben wir ergänzen das Kamasutra um ein paar Kapitel. Es knackt ein bisschen, aber wirklich tun tut sich wenig. Er zuckt mit den Schultern. Dann heißt es „Ab zum MRT“.
Ich kann direkt rüber fahren, denn ich habe Glück. Ein Patient hat kurzfristig abgesagt. So ist die Wartezeit nur begrenzt und ich muss kein Lunchpaket mitnehmen, um nicht im Warteraum zu verhungern.
„Bitte einmal alles Metall ablegen. Kette, Ring, BH, Hose und Schuhe auch. Den Pulli können Sie anlassen.“ Klack, die freundliche Mitarbeiterin schließt die Tür hinter sich. Okay, ich lege ab. Als ich in Pulli und Slip vor dem Spiegel stehe, nehme ich zwei Dinge wahr. Zum einen ist die Kabine ähnlich brutal ausgeleuchtet, wie die Kabinen von H&M, das heißt, jede Delle springt einem ins Auge. Und zum anderen, meine Unterwäsche.
Wer hatte noch gesagt: Immer frische Unterwäsche anziehen, man weiß nie, ob man im Krankenhaus landet? Woody Allen ? Meine Mutter? Vermutlich beide.
Frisch aus der Maschine ist ja alles, aber warum musste ich ausgerechnet heute einen Baumwollslip aus einem Dreierpack wählen? Sowas trag ich doch sonst nur bei Spaziergängen in Zentimeter dicken Jogginghosen im Winter. Lasches Grau mit blassbeiger Spitze. Letztere löst sich sogar schon an manchen Stellen ab. Zum Glück kennt mich hier keiner.
„Ja, Miss Germany 50 plus. Ich wusste doch, dass ich den Namen kenne.“
Ich höre draußen leise die Helferinnen miteinander flüstern.
Aaaaarghhhhh!!! Sie haben mich erkannt. Und ich stehe hier in Baumwolle, mich dem Gesetz der Schwerkraft beugend, ungeschminkt und mit Schmerzen im Blick. Natürlich muss ich hier nicht sitzen, als würde ich gleich auf den Catwalk von Victorias Secret springen, aber so desolat? Ich setze mich hin und bin frustriert.
Als sich die Tür wieder öffnet, tue ich so, als hätte ich nichts mitbekommen. Was soll ich auch sagen?
 „Mit Krönchen sehe ich echt viel schärfer aus, und die Schärpe verbirgt ansonsten die schlimmsten Schwachstellen?“ 
Ich sage nichts und lächle ein bisschen gequält.
Wieder soll ein Zugang gelegt werden. Ich weise meine Arme vor, die sich an vier Stellen schon bläulich färben. Die Assistentin ist entsetzt. Und weil sie der Anblick nervös macht, braucht es dieses Mal sogar noch ein paar Versuche mehr. Ich sage nichts dazu.
Aufstehen, ab in die Röhre und Kopfhörer auf.
Wie immer komme ich zu der Erkenntnis, dass Techno-Musik von einem MRT Patienten erfunden sein muss. Es wummert, hämmert und knallt. Fehlt nur noch Scooter, der fragt, was der Fisch kostet. Ein paar Stunden später liege ich Zuhause auf meinem Sofa. Der Rücken tut immer noch weh, aber ich schaffe es schon besser ihn zu ignorieren. Meine Arme sehen aus, als hätte man mich mit einem robusten Kaktus verprügelt. Wenn ich jetzt durch die Bahnhofsgegend laufe, dann klopfen mir sogar die Junkies mitleidig auf die Schulter.
Egal. Es wird schon wieder besser. Irgendwann. Und beim nächsten Besuch in der Radiologie trage ich dann helle Spitze, Make up und ein Lächeln im Gesicht. Obwohl? Wenn ich lächeln kann, dann muss ich da auch nicht hin. Ich fass es nicht!

Mittwoch, 16. Mai 2018

367. Akt

Äh.. ja... da bin ich wieder.
Allzu lange habe ich meinen schönen Blog ruhenlassen. Aber er ist ja kein Hefeteig und manchmal setzen Texte Staub an.
Also, es ist viel passiert in der Zwischenzeit. Manche Menschen haben mein Leben verlassen – im schlimmsten Fall sogar das ihre – und manche sind hinzugekommen. So befinde ich mich jetzt immer noch mit Kind 1.0 und 2.0 in dem schönen Häuschen am Rande der Stadt, habe mein Leben allerdings um eine Handvoll Menschen ergänzt. Eigentlich könnte alles rosarot sein, wenn, ja wenn nicht der ganze Alltagskram sich immer wieder vor einem aufstauen würde und dann niedergeschrieben gehört. Und so soll es nun weitergehen. Und immer noch kann ich an vielen Stellen sagen:
Ich fasse es nicht!
Manche Dinge lassen sich ja nicht vermeiden. Viele lassen sich nicht verdrängen und einige lauern geradezu darauf zu passieren. Bei jedem. Und bei mir natürlich auch. Dabei muss es sich jetzt nicht um ernsthaft Grausiges handeln. Lediglich sanft Beängstigendes reicht da völlig. Und so schleppte ich das Wissen über das was anstand lange mit mir herum.
Und wann immer mich eine Freundin oder ein Bekannter nach meinem Alter fragte, überlegte ich, ob ich nun lügen, aggressiv werden, lässig abwinken oder es einfach ignorieren sollte.
Wie gesagt, mein Problem war nichts weltbewegendes.
Es war mein 50. Geburtstag.
Natürlich war mir klar, dass ich nicht über Nacht die Farbe wechseln würde oder schlagartig Mariannengraben tiefe Falten ins Gesicht gemeißelt bekäme. Auch würde keiner kommen, aus Sicherheitsgründen bei meinen Highheels die Absätze abbrechen und mir einen schnieken Rollator in den Flur stellen. Es war einfach nur so eine große Zahl. 50. Halbvoll oder halbleer? An guten Tagen war es mir wurscht, an schlechten war mir eher nach randvoll. Aber Prosecco und Cocktails halten den Lauf der Zeit ja nun nachweislich auch nicht auf.
Wie machten es denn die anderen? Also nicht die, die prinzipiell das Alter ihrer Kinder von dem ihren abzogen?
Meine ältere Schwester ist glaub ich locker rübergerutscht. Mein Bruder war schon nervöser. Mein Freund hatte fünf Monate vor mir diese Schallgrenze überschritten, ohne sich wesentlich zu verändern und bei einigen Bekannten änderte sich das Geburtsdatum und somit das Alter ohnehin quasi wöchentlich.
Während ich so meinen Gedanken nachging, legte mir meine von der fünfzig noch exorbitant weit entfernte Tochter lachend ein schwarzrotgoldenes Band vor. Genau genommen war es kein Band, sondern eine Schärpe.
"Mama, Du warst 3. Miss Germany 1986/87???"
"Tja...Äh ja. War ich!" Einen Moment überlegte ich, ob das nun rückwirkend meine Erziehung versaut, entschied mich aber dagegen.
Und schlagartig hatte ich eine Idee, wie ich mich von so unkomischen Gedanken wie dem Älterwerden ablenken könnte.
"Du Mausi, was hältst du denn davon, dass Du jetzt da mal teilnimmst? Einfach so. Ist ne gute Schule und macht echt Spaß." Dass so ein Wahlenparcours für mich eine angenehme Zerstreuung sein könnte, sagte ich nicht.
Tochterkind lachte. Hatte sie doch gerade angefangen zu studieren und sah sich damit wie alle Erstsemester völlig ausgelastet. Sie brachte meine Schärpe zurück in den Erinnerungskarton im Keller und verzog sich kichernd in ihr Zimmer. Kurz danach kam sie wieder runter und machte mir einen Vorschlag, der meine Altersverschreckte Perspektive völlig verschob.
"Die Wahl gibt es übrigens auch noch für Senioren." - Hatte sie da wirklich Senioren gesagt? War es schon so weit? - "Also es gibt da die Wahl zur Miss 50 plus Germany. Ist der selbe Veranstalter. Wär doch was für dich oder?"
Ich zuckte mit den Schultern. War das was für mich? Ich recherchierte im Internet. Tatsächlich. Miss 50 plus. Veranstaltet von der Miss Germany Corporation Oldenburg. Genau wie meine Miss Wahl damals. Zwischen einer halbleeren Tasse Kaffee und vor einem randvollen Glas Prosecco reifte die Idee. Nicht vor dem Unausweichlichen ausweichen, sondern es feiern.
"Hurra, ich werde 50!"
Nach einem weiteren Glas Prosecco konnte ich das schon beinahe laut sagen. Und es brauchte auch kein drittes mehr, bis ich das Formular ausgefüllt und die Bilder verschickt hatte.
Ja! Party statt Panik.
Am 9. September war es dann soweit. Über Nacht verlor ich die Vier. Aber ansonsten verlor ich nix. Das Happy Birthday-Gesinge klang genau so schräg wie in den Jahren zuvor und keiner nahm Maß oder pflanzte eine Eiche, um mir in unferner Zukunft eine Holzkiste zu bauen. Alles war lässig und schon kurz danach erfolgte eine Einladung mit dem Casting für die Top 20 der Miss 50 plus Germany Wahl. Dann würde es jeder wissen. Tolle Frauen waren bei dem Casting. Alle Ü 50 und keine saß weinend in der Ecke oder schnippelte an ihrem Ausweis herum. Ein paar Wochen später traf man sich dann erneut. Wer hier dran teilnimmt, darf kein Problem damit haben, dass andere einen jünger schätzen. Ü50 heißt Ü50. Da wird nix mehr verschönert oder runtergerechnet. Und schon in der Nacht zum 26. November wusste ich, dass ich alles richtig gemacht hatte. Statt zu heulen oder irgendwelche Zahlen von meinem Alter abzuziehen, habe ich es laut herausgebrüllt.
Jippieh!!! Ich bin 50 und ich bin es gern. Und während das Krönchen neben der Siegerschärpe auf meinem Hotelnachtkästchen glitzerte war ich mir sicher, dass es kein schärferes Alter geben konnte. 50 ist nämlich nicht das neue 40, sondern einfach nur eine Zahl. Und ich mache das Beste draus.
Und ab jetzt, lasse ich auch wieder daran teilhaben.
Ich fass es nicht!

Sonntag, 2. Juli 2017

366. Akt 

Nein Mama!!! Deine Farbwahl liegt im Bereich schwarz, grau, beige oder sonstwas anderes dezentes.“
Irgendwie interpretiert mein Tochterkind meinen fragenden Blick vor dem Kleiderschrank als gefährdend.
Ja, okay, es ist ihr Abi-Ball, aber so wirkt es, als ob sie ihr Ansehen unter den Mit-Abiturienten durch eine eventuelle Kleiderwahl ihrer Mutter stark bedroht sieht.
Naja... ich hatte mal mit einem Rihanna-Auftritt im Latex-Outfit angekündigt. Aber ich will ja nicht als durchgeknallte Autorin in den örtlichen Medien landet. Insofern war nicht wirklich damit zu rechnen.
Ich muss kurz grinsen. „Ist das rote bodenlange Paillettenkleid overdressed?“
Es ist nicht nur overdressed, es ist ausgeschlossen!“ Okay, sie scheint ein bisschen gereizt. Ich schließe einige meiner „Ich könnte da ja mal ein für Stimmung sorgen“-Kleider aus.
Letztendlich entscheide ich mich für ein unfassbar dezentes Outfit mit schwarzem Spitzenrock und beiger Bluse. Knielang und verhältnismäßig hoch geschlossen. Ich lasse es mir im „Kannst-du-mir-schnell-die-Haare-aufdrehen“-Stress von Tochterkind abnehmen. Sie nickt.
Dann kommt noch ihre Frage „Hohe oder flache Schuhe?“
Angesichts der Tatsache, dass dieser mittägliche Abi-Ball ein paar Stunden dauern wird, entscheide ich mich für mittelhoch. Sie findet es okay. Prima.
Kaum am Festort angekommen, passiert etwas, womit ich nicht so ganz gerechnet habe.
Der Anblick der ganzen wunderbaren jungen Menschen in Abendkleid und Anzug haut mich um. Haben wir die nicht erst gestern erst eingeschult? Bei wie viel von denen habe ich noch auf Kniehöhe Tränen getrocknet?
Und jetzt? Das werden die Anwälte, Ärzte, Unternehmer und U-Bahn-Fahrer von Morgen. Gestern Kreißsaal - morgen Uni. Es ist der Wahnsinn, und ich verbrauche schon mein drittes Tempotaschentuch. Im Laufe der Veranstaltung treffe ich mich immer wieder mit einigen Müttern zum gerührten Heulen auf dem Klo. Hin und wieder auftauchende Abiturientinnen flüchten meist direkt wieder erschrocken.
Dann bei dem Auftritt und der Zeugnisübergabe kommt der nächste Hammer. Was für verteufelt smarte Typen haben die denn in diesem Jahrgang?
Wenn ich nur zwanzig oder gute dreißig Jahre jünger wäre (Minimum), dann hätte ich mich an diesen rosa Ballons festhalten müssen, die im Foyer aufgeblasen wurden. So viele schöne Menschen.
Und eine von ihnen ist mein Tochterkind. Im langen blau-weißen Abendkleid, hohen Schuhen und schön frisiert. Ich könnte sie die ganze Zeit knuddeln.
Obwohl... eher würde sie das rote Paillettenkleid durchgehen lassen, als eine Mutter, die vor lauter Stolz und Nostalgie wie eine Statement-Kette an ihrem Hals hängt.
Also deswegen nur nochmal kurz auf diesem Wege, allen Abiturienten der letzten Jahre, der Gegenwart und der Zukunft: Herzlichen Glückwunsch!

Und allen Eltern: Das haben wir super hingekriegt! Ich bin stolz auf uns.   

Dienstag, 27. Juni 2017

365. Akt

Ich fahre Rad. Nicht, dass ich damit die einzige bin, aber es ist verhältnismäßig selten, so dass ich immer gerne mal drauf hinweise.
Ich will nur schnell mal die zehn Kilometer zu meiner Freundin Anja nach Vaterstetten fahren. Also keine große Tour, die Radlerwäsche bedarf. Stattdessen bloß eine Jeansshort und ein T-Shirt. Schließlich hat es draußen etwas über dreißig Grad.
Ich radel los und bin guter Dinge. Bis sich mir wieder etwas bestätigt, was ich schon ein paarmal erlebt habe. Ein Anzugträger in einer dunkelgrauen S-Klasse fährt langsam ein bisschen neben mir her, hupt und winkt mir fröhlich zu, bevor er mir eine Kusshand zuwirft und einäugig blinzelt. Okay, vielleicht ist ihm durch das geöffnete Fenster auch bloß eine Fliege ins Auge geflogen und er hat gar nicht geblinzelt. Aber die Kusshand ließ wenig Interpretationsspielraum.
Als ich nicht reagiere hupt er erneut und fährt dann Vollgas davon.
Ja, ja, denke ich mir. Wenn zu niedrig eingestellte Klimaanlagen auf heiße Außentemperaturen treffen, dann verursacht das bei dem ein oder anderen einen kolossalen Hormon-Flash. Nicht weiter wild.
Ich radel weiter.
Nur zwei Kreuzungen später muss ich stehen bleiben. Rot gilt auch für Radler. Neben mir signalisiert ein LKW-Fahrer, wie toll er die rasante Bedienung seines Schaltgetriebes beherrscht. Offenbar hat er den raschen rauf und runter-Wechsel vom ersten in den zweiten Gang und zurück derart gut geübt, dass er es mir nun zeigen muss. Anders lässt sich diese Handbewegung kaum erklären.
Egal. Ich fahre weiter. Sind ja nur noch vier Kilometer.
Auf einer langen Geraden rollen dann zwei Jungs auf einer Vespa neben mir her. Sie tragen lustige Helme und sehen aus, als ob sie gerade die Mittlere Reife hinter sich haben. Als sie auch noch beginnen lustige Dinge zu sagen, weise ich sie darauf hin, dass ich alterstechnisch sicher ihre Mutter sein könnte. Dementsprechend verabschieden sie sich dann auch mit dem eigenartigen Kompliment „Traum-Milf“ von mir und sausen davon.
Ich schaue an mir herunter. Kann es sein, dass ich unterwegs mein T-Shirt verloren habe? Irre ich mich und ich fahre gar nicht in Shorts, sondern in Wäsche und mit Victorias Secrets Flügelchen auf dem Rücken durch die Botanik? Mache ich bei hohen Temperaturen irgendwelche obszönen, kreisenden Bewegungen mit der Zunge, um mich abzukühlen? Nee? Alles nicht.
Okay, dann muss es an der Strecke liegen. Denn so scharf ist mein klappriges, altes Kettler Fahrrad nun auch wieder nicht.


Montag, 26. Juni 2017

364. Akt 

An das Paar, das es auf der Flughafentoilette in der Kabine neben mir getrieben hat, als gäbe es kein Morgen mehr:

1. Die Trennwände sind - auch, wenn sie euch noch irgendwie standhalten - nicht aus Backstein oder Granit. Wenn ich müde mit dem Kopf an der Wand gelehnt hätte, wäre mir eine Gehirnerschütterung nicht erspart geblieben.

2. Die Akustik in öffentlichen Toiletten entspricht in etwa der einer gut beschallten Stadthalle in klein.

3. Die Kabine ist so winzig. Seid ihr Akrobaten? Schlangenmenschen? Humanes Tetris? Man kommt ja alleine kaum aus seiner Jacke raus. Vor allem, wenn einem der Trolley schon vor den Kniescheiben hängt.
Und zu guter Letzt:
Wie zum Teufel kann man noch erotische Gefühle bekommen, wenn man sich gegenseitig als geile Qualle und scharfes Bärchen bezeichnet?

Ich bin vor Lachen fast von der Schüssel gefallen.
Also nichts für ungut, aber ihr habt gerade mindestens vier Toilettenbenutzerinnen mit euren Sprüchen bespaßt und zu stillen Lachtränen gerührt. 
Wir wünschen euch einen guten Flug und künftig ein bisschen mehr Platz. Sonst werdet ihr noch orthopädische Notfälle.