369. Akt
Ich liege malad auf dem Sofa, mein
Tochterkind sitzt verzweifelt neben mir und sieht mich
desillusioniert an. Es ist nicht so, dass sie mir einen
Induktionsherd erklären oder Raumfahrttechnik nahe bringen muss. Es
geht um viel banaleres, aber kaum noch wegzudenkendes, es geht um
Instagram.
Nachdem ich mir habe erklären lassen
müssen, dass Facebook so ziemlich oldschool und schon fast retro
ist, setze ich mich nun seit ein paar Monaten mit Instagram
auseinander. Geht ja kaum ohne, wenn man jemanden medial erreichen
will.
„Mist“, denke ich noch. Es hat
Jahre gedauert, bis ich Facebook einigermaßen begriffen habe. Von
WhatsApp brauchen wir gar nicht erst zu reden. Die normale Nutzung
meines Samsung S 8 treibt mich bisweilen schon in den Wahnsinn.
Und nun das Posten von quadratischen
Bildern und – ja, jetzt weiß ich es auch – Beiträgen, die man
dann in meiner Story für vierundzwanzig Stunden sehen kann.
Hier gibt es Boomerangs, in denen sich
kleine Sequenzen selber immer wieder vor- und zurückbewegen, Fotos,
Filmchen und allerlei Möglichkeiten sich zu verkünsteln. Aber das
zentrale Element sind die Fotos, die jeder von sich seber macht. Mal
mit und mal ohne Stick. Ein Markt für sich, dieses Selfie-Gesumse.
Wenn ich die Sport-Selfies der
Damenwelt ansehe, dann wirken alle, als seien sie bis ins Mark
motiviert, frisch mit der neuesten Kollektion von Nike ausgestattet
und ohnehin gerade erst volljährig geworden.
Das sieht toll aus. Ich bin jedes Mal
erstaunt. Sehen doch meine Sport-Selfies so aus, als hätte ich
chronische Diarrhöe und meine Sportsachen wären vom Flohmarkt. Bin
ich eigentlich die einzige, die beim Sport schwitzt?
Und es muss noch nicht mal Sport sein.
Wenn meine Tochter einen Boomerang postet, wie sie das Haus verlässt,
könnte ich mir das Filmchen hundert Mal ansehen (Zumal sie ja –
Boomerang sei Dank, immer wieder zurück ins Haus geht, das gefällt
mir).
Möchte ich einen Boomerang machen, wie
ich das Haus verlasse, sieht man erst mal nix, weil das Handycover
immer wieder zuklappt, dann sieht man mal nur meine Haare und die Tür
und beim dritten Mal sieht man nur, wie ich verzweifelt versuche mein
Handy vorm Herabfallen zu schützen. Gäbe es beim Boomerang Ton,
würde man mich dort auch vorwärts und rückwärts fluchen hören.
So kommt es halt, dass meinen Followern eine Kurzreportage über
meinen Ausgang vorenthalten bleiben wird.
Und die ganz normalen Selfies sind auch
nicht immer besser. Also, wenn ich sie selber gemacht habe. Was ja
ein Selfie eben ausmacht.
Vergrößert diese Funktion Nasen
eigentlich generell? Sieht es immer so aus, als ob ich schiele, weil
ich erst schauen muss, wo denn nochmal das Objektiv ist? Hach, ich
werde es nie so hinkriegen, dass man bei meinen Selfies kein Mitleid
kriegt.
Aber Selfies sind ja nicht alles. Man
postet ja auch sein Essen. Nun sehen Miracoli aber halt nicht so
dolle aus. Als ich heimlich begonnen habe, die von meiner Tochter
gezauberten Mahlzeiten zu fotografieren und zu posten, hat sie mich
gerügt und ich habe demütig gelöscht.
Jetzt gehen wir halt wieder öfter
essen. Dann glauben meiner Follower wenigstens, dass ich mich gesund
ernähre.
Als Tochterkind und ich mal aus ein und
dem selben Lokal unsere medialen Verfolger wissen ließen, dass sie
einen Acai-Bowl genießt, während ich ein eigenartiges Couscous zu
mir nahm, erhielten wir beide eine Nachricht. Ein junger Mann schrieb
sowohl mich, als auch meine Tochter an und fragte nach Kontakt. Er
hatte sich wenigstens die Mühe gemacht uns nicht den identischen
Text zu schicken, aber es war klar, dass das einzige was uns
Instagram-technisch gerade verband, die Lokalisierung via Hashtag
war. Tochterkind und ich hatten beide den Namen des Restaurants
gepostet. Und schon wieder hatte ich was gelernt. Hashtag „Hier bin
ich“ ruft unerwünschte Kontakt-Honks auf den Plan. Dann poste ich
doch lieber wieder Miracoli so ganz ohne Ortsangabe. Sieht nicht so
lecker aus, aber man hat wenigstens seine Ruhe.
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