Donnerstag, 17. Mai 2018


368. Akt

Schärpe hin oder her. Auch an mir nagt hin und wieder der Zahn der Zeit. Es klingt dann nur nicht mehr so knackig wie ein Biss in einen saftigen Apfel, sondern eher wie das müde Knuspern an einer entspannten Karotte. Auch, wenn meinem Titel „Miss 50 plus Germany 2018“ ein lautes „in voller Blüte stehend“ zugrunde liegt, fühle ich an ganz seltenen, dafür aber schlechten Tagen ein zartes „Na wird’s schon welk?“ Zumindest ganz, ganz leise. Und vor allem dann, wenn es mir so geht wie heute.
Vor ein paar Wochen habe ich entgegen meiner bisherigen Gewohnheiten begonnen zu trainieren. Laufen, BBP-, Step-Stunden und Hanteln. Das Welken gilt es schließlich aufzuhalten. Man kann Cellulite nicht in jeder Situation vorteilhaft ausleuchten und auch die Erdanziehungskraft fordert diverse Körperteile heraus.
Seit Montag ist aber schon wieder Essig mit Training. Mein Gang ist geschmeidig wie der von Pinocchio nach einem langen harten Winter. Ich bewege mich, als hätte ich Schmerzen. Und warum mach ich das? 
Weil ich Schmerzen habe! Ich habe die Volkskrankheit. Ich habe Rücken!
Das morgendliche Aufstehen entspricht schon einem hardcore-Workout. Es fühlt sich an, als hätte ich ein Gewinde vom Steiß bis in den Kopf.
Ich komme nicht umhin zu meinem Hausarzt zu gehen. Er und ich kennen uns schon seit gefühlt hundert Jahren, und er beherrscht das „ins-Kreuz-springen“ perfekt. Wenn es bei mir irgendwo klemmt, biegt er mich wieder gerade. 
Also hin, anmelden und im Wartezimmer stehen. Setzen geht schlecht, es würde bis zum Ende der Sprechstunde dauern, bis ich mich wieder erheben könnte. Zum Blutabnehmen muss ich mich dann doch setzen. Was soll´s?
Die Sprechstundenhilfe ist schon nervös, wenn sie mich sieht. Das Blutabnehmen gestaltet sich bei mir in der Regel zum Massaker. Ich habe nur klitzekleine Venen und dann auch noch Rollvenen, die sich ratzfatz verzischen, wenn eine Nadel droht.
Nach dem vierten (!) Versuch läuft´s endlich. Wieviel will sie eigentlich abnehmen? Vor mir liegen mindestens zehn kleine Behälter, in die ich nach und nach abgezapft werde, und ich fühle mich ein bisschen blutleer, als ich nach ein paar Minuten windschief ins Behandlungszimmer wechsle.
Der Doc kommt und wir begrüßen uns freundschaftlich. Er lacht über meine Körperhaltung, und ich mache ihn darauf aufmerksam, dass er an Körpergröße seit dem letzten Treffen sicher auch schon wieder zwei Zentimeter eingebüßt hat. Wie gesagt, wir kennen uns ewig.
Er beginnt meine Wirbelsäule zu bearbeiten und als die Sprechstundenhilfe das Zimmer betritt, muss sie den Eindruck haben wir ergänzen das Kamasutra um ein paar Kapitel. Es knackt ein bisschen, aber wirklich tun tut sich wenig. Er zuckt mit den Schultern. Dann heißt es „Ab zum MRT“.
Ich kann direkt rüber fahren, denn ich habe Glück. Ein Patient hat kurzfristig abgesagt. So ist die Wartezeit nur begrenzt und ich muss kein Lunchpaket mitnehmen, um nicht im Warteraum zu verhungern.
„Bitte einmal alles Metall ablegen. Kette, Ring, BH, Hose und Schuhe auch. Den Pulli können Sie anlassen.“ Klack, die freundliche Mitarbeiterin schließt die Tür hinter sich. Okay, ich lege ab. Als ich in Pulli und Slip vor dem Spiegel stehe, nehme ich zwei Dinge wahr. Zum einen ist die Kabine ähnlich brutal ausgeleuchtet, wie die Kabinen von H&M, das heißt, jede Delle springt einem ins Auge. Und zum anderen, meine Unterwäsche.
Wer hatte noch gesagt: Immer frische Unterwäsche anziehen, man weiß nie, ob man im Krankenhaus landet? Woody Allen ? Meine Mutter? Vermutlich beide.
Frisch aus der Maschine ist ja alles, aber warum musste ich ausgerechnet heute einen Baumwollslip aus einem Dreierpack wählen? Sowas trag ich doch sonst nur bei Spaziergängen in Zentimeter dicken Jogginghosen im Winter. Lasches Grau mit blassbeiger Spitze. Letztere löst sich sogar schon an manchen Stellen ab. Zum Glück kennt mich hier keiner.
„Ja, Miss Germany 50 plus. Ich wusste doch, dass ich den Namen kenne.“
Ich höre draußen leise die Helferinnen miteinander flüstern.
Aaaaarghhhhh!!! Sie haben mich erkannt. Und ich stehe hier in Baumwolle, mich dem Gesetz der Schwerkraft beugend, ungeschminkt und mit Schmerzen im Blick. Natürlich muss ich hier nicht sitzen, als würde ich gleich auf den Catwalk von Victorias Secret springen, aber so desolat? Ich setze mich hin und bin frustriert.
Als sich die Tür wieder öffnet, tue ich so, als hätte ich nichts mitbekommen. Was soll ich auch sagen?
 „Mit Krönchen sehe ich echt viel schärfer aus, und die Schärpe verbirgt ansonsten die schlimmsten Schwachstellen?“ 
Ich sage nichts und lächle ein bisschen gequält.
Wieder soll ein Zugang gelegt werden. Ich weise meine Arme vor, die sich an vier Stellen schon bläulich färben. Die Assistentin ist entsetzt. Und weil sie der Anblick nervös macht, braucht es dieses Mal sogar noch ein paar Versuche mehr. Ich sage nichts dazu.
Aufstehen, ab in die Röhre und Kopfhörer auf.
Wie immer komme ich zu der Erkenntnis, dass Techno-Musik von einem MRT Patienten erfunden sein muss. Es wummert, hämmert und knallt. Fehlt nur noch Scooter, der fragt, was der Fisch kostet. Ein paar Stunden später liege ich Zuhause auf meinem Sofa. Der Rücken tut immer noch weh, aber ich schaffe es schon besser ihn zu ignorieren. Meine Arme sehen aus, als hätte man mich mit einem robusten Kaktus verprügelt. Wenn ich jetzt durch die Bahnhofsgegend laufe, dann klopfen mir sogar die Junkies mitleidig auf die Schulter.
Egal. Es wird schon wieder besser. Irgendwann. Und beim nächsten Besuch in der Radiologie trage ich dann helle Spitze, Make up und ein Lächeln im Gesicht. Obwohl? Wenn ich lächeln kann, dann muss ich da auch nicht hin. Ich fass es nicht!

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