368. Akt
Schärpe hin oder her. Auch an mir nagt hin und wieder der Zahn der Zeit. Es klingt dann nur nicht mehr so knackig wie ein
Biss in einen saftigen Apfel, sondern eher wie das müde Knuspern an
einer entspannten Karotte. Auch, wenn meinem Titel „Miss 50 plus
Germany 2018“ ein lautes „in voller Blüte stehend“ zugrunde liegt, fühle ich an ganz seltenen, dafür aber schlechten
Tagen ein zartes „Na wird’s schon welk?“ Zumindest ganz, ganz
leise. Und vor allem dann, wenn es mir so geht wie heute.
Vor ein paar Wochen habe ich entgegen
meiner bisherigen Gewohnheiten begonnen zu trainieren. Laufen, BBP-, Step-Stunden und Hanteln. Das Welken gilt es schließlich
aufzuhalten. Man kann Cellulite nicht in jeder Situation vorteilhaft
ausleuchten und auch die Erdanziehungskraft fordert diverse Körperteile
heraus.
Seit Montag ist aber schon wieder Essig
mit Training. Mein Gang ist geschmeidig wie der von Pinocchio nach
einem langen harten Winter. Ich bewege mich, als hätte ich
Schmerzen. Und warum mach ich das?
Weil ich Schmerzen habe! Ich habe
die Volkskrankheit. Ich habe Rücken!
Das morgendliche Aufstehen entspricht
schon einem hardcore-Workout. Es fühlt sich an, als hätte ich ein
Gewinde vom Steiß bis in den Kopf.
Ich komme nicht umhin zu meinem
Hausarzt zu gehen. Er und ich kennen uns schon seit gefühlt hundert
Jahren, und er beherrscht das „ins-Kreuz-springen“ perfekt. Wenn es bei mir irgendwo klemmt, biegt er mich wieder gerade.
Also hin,
anmelden und im Wartezimmer stehen. Setzen geht schlecht, es würde
bis zum Ende der Sprechstunde dauern, bis ich mich wieder erheben
könnte. Zum Blutabnehmen muss ich mich dann doch setzen. Was soll´s?
Die Sprechstundenhilfe ist schon
nervös, wenn sie mich sieht. Das Blutabnehmen gestaltet sich bei mir
in der Regel zum Massaker. Ich habe nur klitzekleine Venen und dann auch noch Rollvenen, die sich ratzfatz verzischen, wenn eine
Nadel droht.
Nach dem vierten (!) Versuch läuft´s
endlich. Wieviel will sie eigentlich abnehmen? Vor mir liegen
mindestens zehn kleine Behälter, in die ich nach und nach abgezapft
werde, und ich fühle mich ein bisschen blutleer, als ich nach ein
paar Minuten windschief ins Behandlungszimmer wechsle.
Der Doc kommt und wir begrüßen uns
freundschaftlich. Er lacht über meine Körperhaltung, und ich mache
ihn darauf aufmerksam, dass er an Körpergröße seit dem letzten
Treffen sicher auch schon wieder zwei Zentimeter eingebüßt hat. Wie
gesagt, wir kennen uns ewig.
Er beginnt meine Wirbelsäule zu
bearbeiten und als die Sprechstundenhilfe das Zimmer betritt, muss
sie den Eindruck haben wir ergänzen das Kamasutra um ein paar
Kapitel. Es knackt ein bisschen, aber wirklich tun tut sich wenig. Er
zuckt mit den Schultern. Dann heißt es „Ab zum MRT“.
Ich kann direkt rüber fahren, denn ich habe Glück. Ein Patient hat kurzfristig
abgesagt. So ist die Wartezeit nur begrenzt und ich muss kein Lunchpaket mitnehmen, um nicht im Warteraum zu verhungern.
„Bitte einmal alles Metall ablegen.
Kette, Ring, BH, Hose und Schuhe auch. Den Pulli können Sie
anlassen.“ Klack, die freundliche Mitarbeiterin schließt die Tür
hinter sich. Okay, ich lege ab. Als ich in Pulli und Slip vor dem
Spiegel stehe, nehme ich zwei Dinge wahr. Zum einen ist die Kabine
ähnlich brutal ausgeleuchtet, wie die Kabinen von H&M, das
heißt, jede Delle springt einem ins Auge. Und zum anderen, meine
Unterwäsche.
Wer hatte noch gesagt: Immer frische
Unterwäsche anziehen, man weiß nie, ob man im Krankenhaus landet?
Woody Allen ? Meine Mutter? Vermutlich beide.
Frisch aus der Maschine ist ja alles, aber warum musste
ich ausgerechnet heute einen Baumwollslip aus einem Dreierpack
wählen? Sowas trag ich doch sonst nur bei Spaziergängen in Zentimeter
dicken Jogginghosen im Winter. Lasches Grau mit blassbeiger Spitze.
Letztere löst sich sogar schon an manchen Stellen ab. Zum Glück
kennt mich hier keiner.
„Ja, Miss Germany 50 plus. Ich wusste
doch, dass ich den Namen kenne.“
Ich höre draußen leise die
Helferinnen miteinander flüstern.
Aaaaarghhhhh!!! Sie haben mich erkannt.
Und ich stehe hier in Baumwolle, mich dem Gesetz der Schwerkraft
beugend, ungeschminkt und mit Schmerzen im Blick. Natürlich muss ich
hier nicht sitzen, als würde ich gleich auf den Catwalk von
Victorias Secret springen, aber so desolat? Ich setze mich hin und
bin frustriert.
Als sich die Tür wieder öffnet, tue
ich so, als hätte ich nichts mitbekommen. Was soll ich auch sagen?
„Mit Krönchen sehe ich echt viel schärfer aus, und die Schärpe
verbirgt ansonsten die schlimmsten Schwachstellen?“
Ich sage nichts
und lächle ein bisschen gequält.
Wieder soll ein Zugang gelegt werden.
Ich weise meine Arme vor, die sich an vier Stellen schon bläulich
färben. Die Assistentin ist entsetzt. Und weil sie der Anblick
nervös macht, braucht es dieses Mal sogar noch ein paar Versuche
mehr. Ich sage nichts dazu.
Aufstehen, ab in die Röhre und
Kopfhörer auf.
Wie immer komme ich zu der Erkenntnis,
dass Techno-Musik von einem MRT Patienten erfunden sein muss. Es
wummert, hämmert und knallt. Fehlt nur noch Scooter, der fragt, was
der Fisch kostet. Ein paar Stunden später liege ich Zuhause auf
meinem Sofa. Der Rücken tut immer noch weh, aber ich schaffe es
schon besser ihn zu ignorieren. Meine Arme sehen aus, als hätte man
mich mit einem robusten Kaktus verprügelt. Wenn ich jetzt
durch die Bahnhofsgegend laufe, dann klopfen mir sogar die Junkies
mitleidig auf die Schulter.
Egal. Es wird schon wieder besser.
Irgendwann. Und beim nächsten Besuch in der Radiologie trage ich
dann helle Spitze, Make up und ein Lächeln im Gesicht. Obwohl? Wenn
ich lächeln kann, dann muss ich da auch nicht hin. Ich fass es
nicht!
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