Montag, 31. Oktober 2016

267. Akt

MUC – LHR 2472 - Abflug 9.20 Uhr - Landung 10.30 Uhr Ortszeit. Eigentlich...
Super. Dann haben wir noch lässige sechs Stunden Zeit bis zum Fitting.
Eigentlich...
Als die Boardingzeit um 8.55 Uhr erreicht ist, wird mitgeteilt, dass sich der Abflug geringfügig verschieben wird. Uns ist das schnuppe.
Tochterkind und ich gehen in die Lounge und genießen noch einen Kaffee und einen O-Saft. Alles kein Problem. Eine Stunde sitzen wir locker ab. Wir sind entspannt, freuen uns, und ich spiele eine Runde Candy Crush.
Auf dem Weg zurück zum Gate, hören wir, dass sich die Abflugzeit nochmal um eine weitere Stunde verzögert. Jetzt also 11.15 Uhr. Tja, das ist doof. Aber sicher noch lange kein Beinbruch. Unser Zeitfenster ist groß genug.
Tochterkind macht Fotos und ich, äh ja, ich spiele noch eine Runde Candy Crush.
Yeah... kurz vor 11. Läuft doch. Das Boarden beginnt. Endlich.
Am Gate neben uns steht die 2474. Das ist die Nachfolgemaschine. Sie starten gleich. Na ja. Sei´s drum. Dann landen die halt noch vor uns, wenn´s blöd läuft. Egal. Hauptsache wir sind jetzt an Bord. Und der Typ da vorne schmeißt gleich mal die Motoren an. Kind 2.0 und ich sitzen in der Reihe 25 E und F. Ich sitze am Fenster und überlege, ob ich noch ein bisschen auf dem Handy spielen soll, aber mein Akku schwächelt, und ich schlafe stattdessen ein. Fast eine Stunde später werde ich wach. In München(!!!).
Der Grund für mein Aufwachen ist eine Durchsage. Der Abflug verzögert sich um eine weitere Stunde. Also ab jetzt gerechnet. Das summiert sich somit auf vier Stunden Verzögerung. Ich rufe das Team in London an. Mein Akku schreit nach dem Aufladekabel. Weitere Handyspiele erübrigen sich somit. Die Niederbayern hinter uns werden mit Bier ruhiggestellt. Im Laufe der Zeit sollen es in der Reihe 26 insgesamt fünf Flaschen Bier, ein Rot- und ein Weißwein werden. Pro Person. Das macht die sechs Herren ungemein lustig und im Verhalten für den Rest der Gäste beinahe unerträglich.
Ich trommle geschmeidig mit den Nägeln nervös auf dem ausgeklappten Tisch vor mir. Einatmen. Ausatmen.
Mittlerweile lässt sich die Crew und auch der Kapitän von einigen gereizten Passagieren gepflegt anblöken. Außer von den Niederbayern. Die sind jetzt schon so hacke, dass ihnen eh alles wurscht ist. Und das bringen sie mit Kotztüten-artiger Wiesn-Stimmung auch laut zum Ausdruck.
Ich bitte die Stewardess nun auch um einen Wein. Alternativ könnte ich vielleicht auch mal den Kapitän anbrüllen. Aber was hab ich davon, wenn der nachher da vorne heult und überhaupt nicht mehr hoch will?
Ich lass es bleiben. Tochterkind hat immer noch gute Laune. Das hilft.
Etwa 58 Minuten nach der letzten Durchsage wird der nun doch frühzeitige Start angekündigt. Also deswegen frühzeitig, weil zur vollen Stunde noch ganze zwei Minuten fehlen.
Mein Akku schmollt bei acht Prozent, als wir losrollen. Unser Zeitfenster ist um komplette vier Stunden geschmolzen, aber es reicht aus.

Tochterkind und ich freuen uns auf die nächsten Tage. Auf die Jobs in London und eine tolle gemeinsame Zeit. Das Leben ist schön. Auch mit Verspätung.         

Sonntag, 30. Oktober 2016

266. Akt

Die Koffer sind wieder mal gepackt. Erfreulicherweise kann ich in den nächsten Tagen ein paar meiner Lieblingsthemen zusammenbringen. Als da wären „Reisen“, „Fotoshootings“ und „die pädagogische Einflußnahme auf die Erziehung meiner Tochter“. Letzteres ist natürlich Käse, aber es fühlte sich einen Moment lang gut an, diesen Ansatz niederzuschreiben.
Morgen fliegen Kind 2.0 und ich nach London. Gleich in der Früh geht es los. Nach der Landung in Heathrow bringt uns ein Shuttle in unser Hotel ins Stadtzentrum. Das mit dem frühen Aufstehen ist morgen so schwer nicht. Heute Nacht werden die Uhren zurückgestellt. Das heißt wir brauchen nicht vollständig auf den Nachtschlaf zu verzichten. Ich überlege ein bisschen, ob sich mit der Umstellung auf die Winterzeit, an exakt diesem Tag, für uns überhaupt irgendetwas verschiebt. England ist ja schließlich ohnehin eine Stunde zurück. Eigentlich müsste doch... ach egal. Ich bin ja schon froh, dass ich nach all den Jahren raus habe, in welche Richtung es im Frühling und im Herbst zeitlich überhaupt geht.
Ich packe ein paar Basics ein. Eigentlich ist für uns beide alles vor Ort. Hair- und Make up Artist, Stylist und so weiter. Aber da bin ich vorsichtig.
Seitdem vor ein paar Jahren ein italienischer Stylist die Angabe meiner deutsche Konfektionsgröße 38 für eine italienische gehalten hatte, bin ich etwas traumatisiert. Er hatte nicht bedacht, dass eine deutsche Konfektion mit der italienischen keineswegs konform geht oder auch nur ähnlich groß ist. So sah ich mich dann lauter hübschen Dingen in der deutschen Größe 34 gegenüber. Das heißt, dass ich in die Kleider durchaus hineinpasste. Allerdings nur mit einem Bein. Das soll mir nicht nochmal passieren.

Meinen Computer nehme ich natürlich auch mit. Ich kann´s ja nicht drauf ankommen lassen, dass sich meine Leser in einer Blog-freien Zeit völlig entwöhnen. Nee, das kann ich wirklich nicht riskieren. Und nun off to Great Britain. Das mit dem Brexit können die ja dann machen, wenn wir wieder weg sind.

Samstag, 29. Oktober 2016

265. Akt 

Heute ist: Tadaaaa! Wieder Lesung. Allerdings kann ich dieses Mal meine Brille und den Bücherkoffer Zuhause lassen. Mein Kollege Francisco Jacob präsentiert nämlich sein Buch. Also keine 33 Grausamkeiten in rotem oder schwarzen Einband, sondern einen Krimi mit dem Namen "Tod in der Höhle".
Eigentlich stehe ich nicht so auf Titel, die gleich mal ansagen wo denn nun gestorben wird, aber hier passt es einfach. Vor ein paar Wochen habe ich das Buch unter der mallorquinischen Sonne gelesen. Und heute höre ich es mir eben an.
Ich kenne Autoren, die es einfach nicht ertragen, wenn Kollegen etwas gut oder gar besser machen. Damit habe ich glücklicherweise kein Problem. Francisco hat und macht nämlich Ortsbeschreibungen in seinem Buch, die ihresgleichen suchen. Er beschreibt eine Stelle in Asturien und, Zack! hat man das Gefühl, man steht neben den Protagonisten und schaut, mit Sonne im Nacken, auf den Tatort. Das ist - zumindest in meinem Kurzgeschichten-Bänden - etwas anders. Aber wer möchte schon gefühlsmäßig mit am Esstisch sitzen, wenn ein Ehepaar am Gasofen seinen letzten Atemzug tut, oder sich im Graben neben einer sich in Schändung befindlichen Leiche wiederfinden? Dann lieber Asturien in all seinen Facetten.
Die heutige Lesung findet in den Räumen einer Schuhmanufaktur statt. Bevor es losgeht, sorge ich mich, ob die anderen Zuhörer ähnlich Schuh-affin sind wie ich und die Lesung dadurch beeinträchtigt wird. Aber Francisco hat alles im Griff. Die rund fünfzig Zuhörer verfolgen die Geschichte gebannt und auch ich schaffe es, das durchaus ansprechende Schuhwerk für die nötige Zeit zu ignorieren. Nach dem Vortrag geht es noch auf ein paar Drinks in eine Bar. Die Gruppe hat sich deutlich verkleinert, aber die Stimmung ist prima. Da sag einer nochmal, dass Bücher langweilig und Autoren dröge sind. Alles Käse. Ich freue mich über den Erfolg meines Kollegen.
Und wer weiß, was die Zeit bringt. Vielleicht schreiben wir irgendwann mal gemeinsam was mit dem Titel "33 Grausamkeiten in der Höhle" und lesen dann abwechselnd. Wie auch immer. Ich liebe Bücher und Lesungen. Und zwar auch dann, wenn es nicht meine eigenen sind.


Freitag, 28. Oktober 2016

264. Akt

Ich fass es nicht. Vor allem fass ich es nicht, dass es mir schon zum zweiten Mal passiert. Ich spiele mittlerweile selten, aber höchst fortschrittlich online, aber zu übersehen ist es auch ohne Papierschein nicht. Das Lotto-Debakel. Ich hätte quasi sechs Richtige. Hätte. Wenn ich alle Kreuze eine Position weiter links gemacht hätte.
Genau dasselbe ist mir schon vor ein paar Jahren passiert. Mann, war ich deprimiert.
Alle meine monitär erwerbbaren Wünsche rücken damit eine Stelle nach links und somit aus meinem Sichtfeld.
So. Und was soll ich jetzt machen? Stets drei Lottoschein ausfüllen? Einen mit den eigentlichen Wunschzahlen und dann noch zwei mit jeweils einer nach rechts und links versetzten Variante? Abgesehen davon, dass ich dann bald nen Kredit aufnehmen muss, um das Gedöns so lange weiter zu treiben, bis es kein "weiter rechts" oder "weiter links" mehr gibt, wird das eh nix. Außerdem vergeht mir dann der Spaß. Dann artet die Kreuzerei nämlich in Arbeit aus. Und mit Arbeit verdiene ich ohnehin mein Geld. Wo bleibt denn dann die Überraschung und der Nervenkitzel?

Ich glaube, ich höre jetzt mal wieder auf mit dem Glücksspiel. Also zumindest für ein paar Wochen. Oder eben bis Samstag. Da klappt es dieses Mal nämlich garantiert. Hoffe ich.

Donnerstag, 27. Oktober 2016

263. Akt

Ist mir völlig wurscht, ob jemand sagt, ich sei selber schuld. Ich will die modernen, kabellosen Dinger nicht. Wenn man sie benutzt, dann sieht man immer ein bisschen ferngesteuert aus. Und benutzen muss man sie. Zumindest beim Auto fahren. Ich rede natürlich von Headsets. Meines neigt stets, immer und überall dazu, sich gnadenlos zu verheddern. Mir ist klar, dass die kabellosen Geräte mich auf Anhieb von meinem Problem befreien würden, aber ich ich mag es nicht. Hat so was Terminator-mäßiges. Fehlt nur noch die verspiegelte Brille und ein etwas abgehackter Gang. Und zack! Alles Humanoide ist flöten.
Im Gegensatz dazu, kann ich beim mobilen Telefonieren immer mit dem Kabel spielen, bzw. darauf deuten, wenn jemand sich fälschlicherweise angesprochen fühlt. Wenn ich auf mein Kabel weise, dann wissen alle „Aha, sie telefoniert.“
Wenn ich während des Telefonierens aber auf ein verschwindend kleines Gerät in meinem Ohr tippe, dann meinen alle, ich habe einen Vollschatten, ein Problem mit meinem Hörgerät oder ich würde ihnen einen Vogel zeigen.
So lange ich das Kabel spüre, ist mir bewusster, dass ich telefoniere. Das muss man nicht verstehen, ist aber so. Ohne Kabel würde ich in Gesprächspausen vermutlich vergessen, dass ich gerade noch kommuniziere und mich immer wieder erschrecken, wenn das Gespräch fortgesetzt wird.
Der Nachteil vom verkabelten Telefonieren ist allerdings das Kabel selbst.
Ich kann mein Headset völlig entwirrt und sanft aufgewickelt in meine Handtasche legen. Wenn ich es nur dreißig Sekunden später wieder herausnehme, sieht es aus, als hätte jemand versucht, eine Mausefalle daraus zu klöppeln. In meiner Handtasche. Mit dünnem, weißen Kabel.
Meine Handtasche ist in der Regel nicht bewohnt und dennoch wird, ohne mein Zutun, Copperfield-mäßig, ein kaum zu entwirrendes Kunstwerk aus meinem Headset gebastelt.
Manchmal schmeiße ich das Ding rein, lasse die Tasche offen und schaue, was passiert. Stets werde ich enttäuscht. Erst, wenn ich die Tasche für einen Moment schließe oder – noch viel besser - wenige Meter transportiere, geschieht das Phänomen. Ein kleiner, weißer Klumpen liegt dort, wo gerade noch ein zartes Kabel sich zwischen Kopfhörern und Stecker spann.
Aber was soll´s? Ich betrachte es mittlerweile als Beschäftigungstherapie und plane vor Telefonaten eben zwei Minuten Vorbereitungszeit ein.
Oder ich halte das Gerät, völlig oldschool, direkt ans Ohr.
Allerdings nicht beim Autofahren.


Mittwoch, 26. Oktober 2016

262. Akt

Wer hat gepetzt? Ich kriege zur Zeit auffällig häufig Werbung für Treppenlifte und Produkte, die mir das Leben im Alter erleichtern sollen.
Schicke Rollatoren und Pflegeprodukte für den Menschen jenseits der "ich bau ein Haus, pflanz´ nen Baum und Zeug ein Kind-Grenze".
Sogar auf die Möglichkeit, selbst jetzt noch eine Versicherung abzuschließen, die meine Bestattung nach meinen Wünschen abdeckt, werde ich hingewiesen.
Das ist nicht schlimm. Immerhin halb so irritierend wie die Angebote für Mittel, die mir helfen sollen, meine Erektion länger halten zu können.
So Zeug bekam ich nämlich ebenfalls vor nicht allzu langer Zeit.
Irgendwann habe ich spaßeshalber zurückgeschrieben, dass das mit meiner Erektion einfach nix wird. Ich könnte schlucken was ich will, da regt sich nichts. Selbst in den engsten Leggings würde sich nichts abzeichnen.
Irgendein Mensch, der sich mit meinem Problem befassen musste, hörte nicht auf mir Mut zu machen. Ich habe mich gar nicht mehr eingekriegt.
Zum Schluss habe ich überlegt, ob ich mit einem „Socken-in-der-Hose“-Foto für Beruhigung sorgen sollte. Alternativ hätte es auch ein Aubergine oder Riesenzucchini getan. Allerdings hätten sie die kopflos-Bilder dann womöglich für Werbezwecke verwendet, und das wäre nun für alle echten Interessenten eine böse Enttäuschung geworden.
Nun soll es also der Lifta-Treppenlift sein. Der soll mich sicher und bequem nach oben in den ersten Stock bringen, wenn ich es nicht mehr selber hinkriege.
Im großen und ganzen völlig unnötig. Selbst auf vierzehn Zentimeter-Absätzen schaffe ich hier noch Bestzeiten. Vermutlich würde ich nachts nur in schlaftrunkenem Zustand über den ausgeklappten Sitz fliegen und mir dann beide Beine brechen. Ja, dann bräuchte ich natürlich so ein Ding.
Aber ich verzichte dann doch lieber im vornherein.
Bettschutzeinlagen und faltbare (!) Gehstöcke werden mir ebenfalls vorgeschlagen. Und Sitzerhöhungskissen, die vermeiden sollen, dass ich so tief auf meinem Sofa einsinke, dass ich ohne fremde Hilfe nicht von meiner Couch komme.
Mann, mann, mann... wie unterhaltsam und altersgerecht war es, als täglich irgendwelche afrikanischen oder arabischen Prinzessinnen, amerikanische Offiziere oder reiche ausländische Anwälte auf meine Hilfe in Sachen Millionen-Transfers angewiesen waren?
Haben die irgendwo mein Geburtsdatum falsch gespeichert? Mein Geschlecht? Meine vollständige Identität?
Die zahlreichen Angebote lassen mich kopfschüttelnd auf „alle Nachrichten löschen“ drücken.
Wobei... so einen Treppenlift könnte ich ja auch für Lasten oder Wäschekörbe benutzen.

Und zu guter Letzt könnte ich damit dann wenigstens behaupten, dass ich Dank der modernen Technik quasi problemlos „einen hoch gebracht hätte.“ 

Dienstag, 25. Oktober 2016

261. Akt 

Ich bin im Auto unterwegs. Das bin ich gern, oft und meist problemlos.
Es ist nach Mitternacht, und ich bin ein bisschen müde. Kurz vor dem Prinzregententunnel sehe ich zwei Streifenwagen. Mir wird kurz ein bisschen heiß. Nicht, weil ich auf Uniformen stehe, nein, irgendwie habe ich noch den selben Respekt vor der Polizei, wie als Neunjährige. Wann immer ich angehalten werde, bekomme ich einen Schweißausbruch und werde ein bisschen hektisch. Selbst dann, wenn der Beamte mich nur nach der Zeit oder meiner Handynummer fragen will. Alles schon passiert. Auf der Suche nach Führer- und Fahrzeugschein fällt mir dann gerne mal alles runter oder ich begreife nicht, was gemeint ist, wenn gefragt wird, wo ich herkomme.
In der Regel wollen sie ja nur wissen, wo man GERADE herkommt. So viel habe ich ja mittlerweile raus. Früher habe ich da immer ein bisschen ausgeholt. Also nach dem Motto: „Mein Vater kommt aus Ghana und meine Mutter aus Deutschland. Geboren bin ich aber in Leipzig. Eingeschult wurde ich...“ Spätestens dann wird immer erklärt, dass sich die Frage auf den Startort dieser Fahrt bezieht.
Die beiden Polizeiwagen biegen nach rechts ab, und ich kriege das rhythmische Ein- und Ausatmen wieder hin. Der Abend geht mir durch den Kopf. Ich hatte eine Freundin besucht. Wir haben stundenlang Probleme gewälzt. Aber auch viel gelacht. Und jeder hat ein Glas Wein getrunken. Mehr nicht.
Ich verlasse die Autobahn und fahre weiter. Ab hier muss ich nur noch zwei Mal abbiegen, dann bin ich Zuhause. Und da seh ich ihn. Während ich nach links einschere, kommt mir ein hübscher BMW entgegen. Zwei Männer sitzen drin. Beide Herren schauen rüber. Ich grinse zurück. Und dann fällt mir die Deko des Wagens auf. „Polizei“ steht drauf. Ich muss schlucken.
Manchmal spürt man ganz genau, was passieren wird. Es sind nur noch etwa zweihundert Meter, bis ich in meine heimatliche Sackgasse einbiegen kann. Vorsichtig schaue ich in den Rückspiegel.
Yepp! Sie wenden. Was soll ich tun? Vollgas links rein, ab in die Garage und Tor zu? Und dann warten, bis sie wieder weg sind?
Blöde Idee. Zum einen muss ich einmal rangieren, um in die Garage zu kommen und zum anderen brennt da immer noch recht lange ein verräterisches Licht. Und warum sollte ich überhaupt verschwinden? Ich fahre doch keinen Fluchtwagen.
Zum Zurücksetzen komme ich gar nicht mehr, denn der BMW steht nun direkt hinter mir.
Klar, denke ich. Die müssen denken, dass ich vor ihnen abhauen wollte und deswegen in die nächste Straße gebogen bin.
Ein junger Mann kommt zum Auto. Einatmen. Ausatmen. Vielleicht doch bloß die Handynummer???
Er fragt nach meinem Führerschein. Versehentlich gebe ich ihm erst mal meinen Presseausweis. Er macht mich darauf aufmerksam und ich laufe vor Scham rot an. Okay, das wird er kaum erkennen. Ist mitternächtlich finster draußen und seine Lampe ist schwach.
Ich gebe ihm den Führerschein. Dann fragt er, wo ich herkomme. Einen Moment denke ich über meinen Stammbaum nach. Dann antworte ich aber klug und richtig mit „Aus der Stadt“. Die nächste Frage liegt auf der Hand. „Haben sie was getrunken?“
Auch hier könnte ich ausholen und erklären, wie viel man trinken muss, wenn man was für seine Nieren tun will. Aber ich glaube nicht, dass er das wissen will.
Ehrlich antworte ich mit „Ein Glas Wein. Zirka 200 Milliliter. Vor zweieinhalb Stunden.“ Ja! Ich bin halt explizit.
Dürfen wir einen Alkoholtest machen?“
Wollen Sie denn?“ Nun muss ich etwas grinsen. Mir fielen jetzt zwanzig blöde Sprüche ein, die ich machen könnte. Aber der Beamte ist vielleicht müde und nicht ganz so gut drauf.
Ja!“
Kein Problem.“
Während er das Blase-Dingens holt überlege ich, ob ich wirklich nur ein Glas Wein hatte. Was wenn ich mich irre und unterwegs noch eine halbe Flasche Wodka und drei Cocktails zu mir genommen habe und nun bloß zu betrunken bin, um mich zu erinnern?
Ach Quatsch. Der Mann reicht mir das Gerät und puste tapfer hinein.
Er schaut auf die Anzeige. Einatmen.
Alles okay.“ sagt er.
Ausatmen und lächeln. Ich bin beruhigt. Kein temporärer Gedächtnisausfall auf den letzten Kilometern.
Wohnen Sie hier?“
Klar!“ sage ich. Siehste, die dachten ich wollte abhauen und bin versehentlich in dieser Sackgasse gelandet.
Er schaut auf´s Haus, dann wieder zu mir, wünscht mir einen schönen Abend und geht zurück zum Auto. Kaum sind sie losgefahren setze ich zurück um den Wagen in die Garage zu bugsieren. Da hält der BMW wieder an und der Mann steigt aus.
Uff. Wieder Schweißausbruch. Was ist passiert? Hat sich die Anzeige im Wagen noch verändert und ich bin in Wirklichkeit komplett fahruntüchtig??
Er lächelt und reicht mir meinen Führerschein.
Den hab ich vergessen.“
Einatmen. Ausatmen.
Danke schön.“
Dann sind sie weg.

Montag, 24. Oktober 2016

260. Akt

Mädels, fragt mich niemals, ob ich nicht einen passenden Mann für euch hätte. Weder einen für die Nacht von Mittwoch auf Donnerstag, noch für den Rest eures Lebens. Wenn ihr euch aber mal so richtig unglücklich machen wollt, dann bin ich sicherlich in diesen Beratungsdingen die Richtige. Alles, was ich anbahne hat eine Überlebenszeit von einer Nacktschnecke im Salzbad. Ich bin ein lausiger Amor und eigentlich dürfte ich am Valentinstag noch nicht mal mein Zimmer verlassen. Und dennoch begehe ich hin und wieder den Fehler zu glauben, dass Person A vielleicht doch ganz wunderbar mit Person Ü zusammenpassen könnte.
So auch dieses Mal. Ich werde über WhatsApp angefunkt. Da schreibt ein mir bekannter Mann, dass er eine Freundin von mir gesehen hätte. Er schreibt so ehrlich und nett, dass ich tatsächlich glaube, er meint es ehrlich und nett. Während mein Hirn schreit: „Nein! Manu! Lass es bleiben! Du kennst ihn nicht gut genug!!!“, geht mein Herzchen in den Amor-Modus.
Ich schreibe zurück, dass es sich bei der Frau um einen wundervollen Menschen handelt. Innen und außen schön, liebenswert, fröhlich und einfach toll.
Er schreibt ein bisschen geknickt zurück, dass er wohl keine Chancen sieht sie kennenzulernen. Und Zack! Stehe ich mit beiden Beinen im Beton. Ich telefoniere mit ihr, schreibe mit ihm und stelle den Kontakt her. Ihm gebe ich noch recht unverblümt mit auf den Weg, was ich mit ihm mache, wenn er krumme Dinger plant. Wörtlich klingt das so „Brich ihr das Herz und ich brech dir deinen Hals!“ Er lacht und beschwört seine Aufrichtigkeit. Sie beginnen miteinander zu telefonieren, lernen sich über mehrere Tage hinweg kennen und ich denke mir „Läuft! Wo ist mein Brautjungfernkleid?“
Dann bekomme ich eine Nachricht von meiner Freundin. Nach all den schönen Momenten meldet er sich nicht mehr. Ich frage, ob er vielleicht gerade komatös im Krankenhaus, eingeäschert auf dem Friedhof oder entführt in irgendeinem dunklen Keller liegt. Irgendetwas, das sein Verhalten erklären könnte. Aber nein. Alles auf seiner Seite scheint wie gewohnt zu laufen. Außer, dass er von jetzt auf gleich kein Interesse mehr an Anstand und Charakter zeigt. Also an seinem eigenen Anstand und Charakter. Meine Freundin erklärt mir, wie die letzten Tage und Nachrichten und Telefonate gelaufen sind. Alles bestens. Außer, dass er gleich nach seiner letzten Liebesnachricht und dem Wunsch sie noch viel näher kennenzulernen den Kontakt eingestellt hat.
Ich bin fassungslos. Das hätte ich im Leben nicht gedacht.
Kein „Sorry, aber ich habe mich geirrt“ oder ein „Bin wieder bei meiner Ex-/ meiner Freundin/meiner Lebensberaterin“. Noch nicht mal die flache und völlig hirnrissige „Es liegt an mir und nicht an dir“-Phrase wird mitgeteilt. Er liest ihre Nachrichten nicht mal mehr. Er spielt das Opossum und stellt sich tot.
Das Ende vom Lied. Er hält sich geschlossen und zieht begattungsfreudig weiter durchs Land, sie ist enttäuscht und verletzt, und ich bin stinksauer. Wie hatte ich ihm doch eingangs gesagt? „Wenn du ihr weh tust, dann brech ich dir das Genick.“?
Tja. Da hält mich ja sogar meine Freundin zurück. Das ist strafbar und befriedigt mich nur sehr kurzfristig, sagt sie. Und da hat sie leider Recht. Noch nicht mal versehentlich auf´s Gas treten darf ich, sagt sie. Also lass ich es sein.
Als Amor habe ich wieder mal kläglich versagt.

Ich habe meine Pfeile jetzt eingemottet und den Bogen an die Nachbarskinder verschenkt. Wenn irgendwann mal wieder ein Kerl ums Eck kommt und sich für eine meiner Freundinnen interessiert, bloß weil er was für sein schmächtiges Ego braucht, dann brauch ich keinen Amorbogen. Dann langt ein Kleinkaliber.

Sonntag, 23. Oktober 2016

259. Akt

Die neue Lesereise geht los. Und dieses Mal starte ich in Ingolstadt. Ich muss da nicht einen Moment drüber nachdenken. In Ingolstadt fühle ich mich mittlerweile schon fast ein bisschen Zuhause. Und Zuhause ist der richtige Ort, um mit einer Reise zu beginnen. Selbst, wenn es eine Lesereise ist.
Es ist der gleiche Veranstalter, der schon die Lesung im Juli so akribisch und erfolgreich auf die Beine gestellt hat. Florian gibt auf allen Kanälen Vollgas, und ich kann mich zurücklehnen, meine sieben Sachen sortieren und warten, bis es losgeht. Fast schon paranoid checke ich vor der Abfahrt alles was ich brauche. Da wäre zum einen der Koffer mit den Büchern für den Verkauf. Dann - ganz wichtig – meine Brille. Ich fühle mich ohne zwar ein klitzekleines bisschen attraktiver, aber die Leute wollen ja, dass ich ihnen etwas vorlese und nicht, dass ich ihnen nur Maulwurfs-blind über das Buch hinweg zulächle.
Dann fehlt noch mein präpariertes Buch. Hier habe ich mit Post-its alle Geschichten markiert, die ich vorlesen werde.
Die Ingolstädter vertragen ohne weiteres Fiesigkeiten der gepfefferten Stufe. Deswegen werde ich mit einem Gedicht über Männer starten und dann vier Herren von sanfter Hand um die Ecke bringen lassen. Also rein literarisch.
Heute nehme ich zur Abwechslung mal meine Mutter mit. Das heißt, ich muss mich beim Lesen auch noch darauf konzentrieren, dass den anwesenden Gästen nicht noch von meiner Geburt, Schulzeit und allerlei Schwierigkeiten, die ich als Kind so gemacht habe, berichtet wird. Ansonsten hat meine Mutter in der Regel Mordsspaß.
Schwierig wird sie nur, wenn sie meint auf mich aufpassen zu müssen. Ausgerechnet sie, die jede Menge kreativen Blödsinn im Kopf hat. Wenn sie mit mir unterwegs ist, haut sie jedem auf die Finger, von dem sie glaubt, dass sein Interesse über meine Bücher hinaus geht. Selbst, wenn sie mir damit die ein oder andere äh... freundschaftliche Tour versaut. Das hat schon einige peinliche Momente gegeben. Zum Beispiel vor ein paar Wochen. Ich stand mit einem Verleger – wegen der Lautstärke im Raum – dichter zusammen, als es ihm ihrer Meinung nach zustand. Da kam sie kurz, grinste und meinte bloß „Schlaues Kind. Mein Kind. Finger weg!“. Dann drehte sie ab und holte sich noch einen Prosecco und lachte sich aus der Ferne schlapp, über meinen strengen Blick und seine wechselnden Gesichtsfarben. Sollte ich jemals meiner Tochter so ins Getriebe springen, dann darf sie mich gerne zur Adoption freigeben. Oder auf einer einsamen Insel aussetzen. Oder sie gewöhnt sich halt an solche Dinge, wie ich es getan habe.
Das Hotel, indem die Lesung stattfindet, hat uns eingeladen. Das finde ich cool. Aber nicht nur das. Dort wird das Verwöhnprogramm deluxe gefahren.
Es gibt ein Hammerbuffet, eine Cocktailbar und tausend Dinge, die es sonst bei Lesungen nirgends gibt. Man darf ja nicht vergessen, dass der Eintritt frei ist und ich dort nicht meine Seele als Pfand hinterlegen muss.
Jeder hat ein eigenes Zimmer. So kann ich bis zur letzten Minute meine Musik laut über Kopfhörer hören und muss mich nicht von Mutti nervös machen lassen. Und das kann sie gut.
Bist du aufgeregt?“
Nein Mutti, bin ich nicht. Ich freue mich.“
Echt nicht? Also ich wäre total aufgeregt. Sind ja viele Leute da.“
Nein Mutti, ich bin nicht aufgeregt, und ich freue mich, dass viele Leute da sind.“
Was ist eigentlich, wenn gar keiner kommt?“
Mutti, es haben rund achtzig Leute zugesagt. Es werden welche kommen.“
Und was wenn nicht? Wäre doch total peinlich, oder?“
Mutti, es kommen viele Leute.“
Du klingst schon ein bisschen nervös...“
MUUUUUUTTTIIIIIIIII!!!!“
Jeder hat ein Zimmer für sich. Sehr gut.
Als es losgeht, habe ich Brille, Vorlesebuch und mich selbst fest im Griff.
Ich habe mich für ein feuerrotes Kleid entschieden. Ziemlich, ähem... aufregend. So können die Leute – sollte irgendwas schief laufen – wenigstens sagen: „Vom Buch hab ich nix mitgekriegt, aber gut hat sie ausgesehen.“
Zwei Stunden später ist die Vorleserei vorbei. Die Leute sind begeistert. Und ich bin es auch. Die Stimmung ist kolossal. Die Ingolstädter geben derart Gas, dass ich mich kaum einkriege vor Begeisterung. Außerdem sind viele Leute extra aus München gekommen und meine Freundinnen saßen auch im Publikum. Ich mag es, wenn so viele Menschen meinen Humor teilen. Böse, böse....
Es wird viel gelacht und die meisten kaufen auch noch ein Buch oder zwei. Ich liebe meinen Job.
Mutti hat sich auch ziemlich zusammengerissen. Na ja.... bis auf die Tatsache, dass sie einem Zuhörer, der extra aus Hamburg angereist war, verbal auf die Finger geklopft hat. Ich bin total stolz, dass jemand von so weit her kommt, um mich zu hören. Sie ist der Meinung, dass er beim meet & greet zu nah an ihrer Tochter sitzt. Und macht ihm mit der Hand Zeichen, dass sie ihn im Auge behält. Zeige- und Ringfinger erst in Richtung ihrer Augen und dann zu ihm. Er muss glauben, sie ist eine Mafiapatin. Aber er ist erwachsen und kann damit umgehen. Irgendwann werde ich ihr noch beibringen, dass ich kein kleines Mädchen mehr bin. Na ja. Ich werde es versuchen. Und bis dahin werde ich sie einfach mit dem Buchverkauf ablenken. Oder sie kriegt noch zwei Cocktails.


Samstag, 22. Oktober 2016

258. Akt

Bei Facebook gibt es ja zur Zeit allerlei hübsche Sachen wie „Dein persönlicher Spruch“, „Was bringt dir die Zukunft?“ , „Was bedeutet dein Name auf Hindukustanuinitisch?“ und „wie siehst du in fünfzig Jahren aus?“
Bei den Sprüchen ist das ja noch so eine Sache. Alle klingen recht weise und die lässt man sich natürlich gerne zuordnen. Bisher habe ich zumindest noch bei keinem meiner Facebookfreunde als persönlichen Spruch gelesen:“Eigner Herd ist Goldes wert“ oder „Du hättest die Suppe der Weisheit nicht mit der Gabel essen sollen“.
Wenn es darum geht, wie man in fünfzig Jahren aussieht, werden sich die meisten Männer 2066 wundern, dass so viele „George Clooney 2016 lookalikes“ rumlaufen. Bei uns Frauen ist das nicht anders. Wenn ich den Test machen würde, müsste ich mich vielleicht sogar damit abfinden über die Jahrzehnte zu einer dreißigjährigen Paris Hilton zu mutieren. Wohlgemerkt in fünfzig Jahren.
Beim Namenstest bekommt jeder einen angenehmen Begriff wie „Dein Name bedeutet Danke/Liebe/Erfüllung/Zuversicht“ mit auf den Weg. Kein Name bedeutet „Gesprungene Kloschüssel“ oder „Das tote grüne Tier dahinten auf der Autobahn“. Eigentlich komisch.
Am besten sind aber die Fragen nach dem, was man im vorherigen, vorvorherigen oder gar vorvorvorherigen Leben war.
Es ist ein bisschen so, wie bei den Leuten, die sich bei Hellsehern in schlecht beleuchteten Zelten aus der Hand lesen lassen. Allesamt sind nämlich Reinkarnationen von Göttern oder Pharaonen. Zumindest aber Wiedergeburten von Königen und Prinzessinnen.
Hey, gab es damals soviel, bzw. ausschließlich Adel und Götter? Wenn ich mir das vorstelle, dann hat´s zumindest recht schnieke und pompös ausgesehen. Keiner postet, dass er der verlauste siebzehnte Sohn eines geschlechtskranken Bauern war. Oder Marktweib auf einem Stand für kaputte Keramik.
Erst wenn ich mal irgendwo lese, dass der Name eines Facebookfreundes oder einer Freundin „Hinkende Hyäne“ bedeutet oder er/sie im vorherigen Leben das dreibeinige Warzenschwein in einem Wanderzirkus war, werde ich auch mal so einen Test machen. Bis dahin befürchte ich, dass einzig und allein mein Name „Die Frau die in den Igel trat“ bedeutet und ich im letzten Leben Regenwurm im Hühnerkäfig war. Und das will ja keiner lesen.


Freitag, 21. Oktober 2016

257. Akt

Tochterkind hat sich ein neues Bett gewünscht, und heute kommt es an. Ich meine ja immer noch, dass ihr das alte recht gut steht, aber sie weist mich darauf hin, dass man noch die Spuren ihres Kinderbettchen-Gitters am Rahmen erkennen kann. Okay. Ich bin überzeugt. Das Bett ist älter als ich dachte. Nun denn. Es muss also ein neues her.
Vielmehr verzichtet Tochterkind auf ein vollständiges Bett. Verzichten ist gut. Das spart fast immer Geld. Ihr reicht ein Lattenrost und Matratze. Ansonsten liebt sie es bodennah.
Die neue Liegestatt soll oben auf ihrer Galerie im Zimmer sein. Das ist prima. Dann wirkt das eigentliche Zimmer größer und passen tut es auch.
Wir haben alles vermessen. Sowohl Lattenrost, als auch entsprechend die Matratze wurden mit einer Länge von zwei Metern und einer Breite von 1,40 m bestellt. Das wird recht kuschelig, denn damit ist die volle Breite der Galerie komplett ausgereizt.
Geliefert werden beide Teile von irgendeiner Spedition. Hurra, nicht DHL. Den langhaarigen Freak mit dem ich auf Kriegsfuß stehe, möchte ich in meiner Herbststimmung nicht häufiger begegnen, als unbedingt nötig.
Wir sind gerade mit dem Mittagessen fertig, als es klingelt.
Schlau, die Matratze kommt gerollt. Das macht den Transport auf die Galerie leichter. Hochgeschoben. Folie aufgeschnitten. Ausgerollt. Das wird leicht.
Etwas anders sieht es beim Lattenrost aus. Sechsunddreißig größere und gefühlte zweitausend sehr kleine Teile befinden sich in dem Karton.
Noch bin ich zuversichtlich. Meine kleine Schwester und ich gelten global als die fixesten Ikea-Regal-und Wandschrank-Aufbauer. Da kann mich so ein mickriger Lattenrost nicht schocken.
Noch nicht zumindest.
Schnell stellen Tochterkind und ich fest, dass der Rost in zusammengebauten Zustand nicht auf die Galerie zu befördern ist. Die Aufhängung, eine Verstrebungen und nicht zuletzt die Deckenlampe werden uns die Tour auf diesem Wege vermasseln.
Okay. Dann bauen wir eben oben auf.
Vor wenigen Monaten habe ich hier oben Parkett verlegt. Gut schaut es aus.
Nach und nach reicht mir Kind 2.0 alle nötigen Teile hoch.
Akkuschrauber, Hammer, Schraubenzieher liegen auch schon bereit. Ich beginne recht zuversichtlich. Zumindest die ersten vier Teile lassen sich so leicht verbinden, dass ich mit einem Zeitaufwand von höchstens dreißig Minuten rechne.
Zwei Stunden später arbeite ich im Schweiße meines Angesichts nur noch in T-Shirt und Sporthose. Mein etwas dünner gewordenes Nervenkostüm hat darauf bestanden, alles ohne weitere familiäre Unterstützung fertigzustellen. Tochterkind ist unten, lernt für die Schule und kann sich somit rechtzeitig aus dem Gefahrenbereich meiner minütlich zunehmenden Missstimmung bringen. Während mir die einzelnen Latten immer wieder aus der Führung freudig entgegen springen, fallen mir viele neue Schimpfwörter oder lustige Wortkombinationen ein, die nicht selten mit „Sch**ß-“ anfangen.
Ich bin froh, dass Fenster und Türen geschlossen sind. Denn ich bin kurz davor auf der Galerie meiner Tochter zu, ähem... eskalieren.
Wie gesagt, wir hatten vorher nachgemessen. Der Lattenrost passt größentechnisch. Allerdings passt er eben ganz genau. Das heißt, ich baue einen Rahmen mit einer Breite von 1,40 m auf einer Fläche von 1,40 m Breite. Die Höhe ist an dieser Stelle bestenfalls 1,20 m. Zum Schlafen reicht´s. Zum Handwerkern kaum. Da ist nicht viel Spielraum. Es ist auch ein großer Vorteil, wenn man schweben kann. Kann ich aber nicht. Ich setze die einzelnen Latten in den Rahmen, in dem ich mich selber noch befinde. Nach einer weiteren halben Stunde sitze ich auf den vierzig Zentimetern Platz, die mir die Galerie am Fußende bietet. Der Lattenrost sieht endlich so aus, als ob es einer ist. Das Spannband in der Mitte ist ein wenig verrutscht, aber das ist mir egal. Tochterkind ist nicht Prinzessin auf der Erbse. Sie kann eigentlich immer und überall schlafen. Im Bus, im Auto, im Zug im Stehen. Sie wird es nicht bemerken. Und wenn doch, dann wird sie nichts dazu sagen, denn sie hat sicher meine Freudenschreie der letzten Stunden gehört und ist nicht suizidgefährdet. Im Schweiße meines Angesichts schiebe ich jetzt die Matratze hoch. Es läuft endlich mal was geschmeidig. Nach Öffnen der Folie entrollt sich die weiße Matte willig auf den zuvor montierten Lattenrost. Wie schön.
Ich bin fix und alle und lasse mich vornüberfallen. Lieber zwölf Billy-Regal und eine Eckküche auf Zeit montieren, als ein einziges weiteres Lattenrost unter diesen Bedingungen.
Während sich meine Atmung wieder normalisiert, höre ich, wie unten die Zimmertür geöffnet wird. Entweder ist sie mutig, oder sehr fahrlässig.
Du bist fertig, Mama?“
Ja, mit den Nerven. Woher weißt du, dass ich fertig bin?“
Du hast aufgehört zu fluchen und mit Sachen zu schmeißen.“
Okay. Tochterkind kennt mich gut. Ich packe meine Werkzeuge zusammen und klettere die Galerie über die Holzleiter wieder hinab.
Auf dem Weg zur Dusche überlege ich, wie alt eigentlich mein eigenes Bett ist. Ich komme auf keine Jahreszahl, aber eins ist sicher. Es ist nicht alt genug, dass es einen neuen Lattenrost braucht. Eher schlafe ich künftig auf dem Sofa.



Donnerstag, 20. Oktober 2016

256. Akt

Ich sitze mit meiner Tochter beim Vietnamesen im Ort und esse Nudelsuppe und Papayasalat. Der Laden ist voll. Das freut mich, denn das Essen ist gut, und wenn die gleich wieder pleite machen, kommt hier vielleicht was rein, was nicht halb so gut schmeckt. Also reiner Eigennutz.
Hinter Kind 2.0 läuft ein Monitor. Darauf werden wunderschöne vermutlich vietnamesische Landschaften gezeigt. Über jedem Bild erscheint ein Text. Buchstabe für Buchstabe rot unterlegt. Es ist eindeutig ein Karaoke-Programm, was da abgespielt wird. Die Gäste befinden sich meinerseits Karaoke-technisch nicht in Gefahr. Die Musik ist viel zu leise und die Schriftzeichen zu weiten Teilen mit Attributen dekoriert, dass noch nicht mal Beyonce eine Chance hätte. Okay - es sei denn, sie kann Vietnamesisch und kennt die Melodie auswendig.
Das mit dem Karaoke ist ja so eine Sache. Wenn ich wählen könnte, zwischen Fugen reinigen in einer großstädtischen Herrensauna und dem Aufenthalt in einer Karaoke-Bar, würde ich schauen, welcher Reiniger am ergiebigsten ist.
Der Moment in einer Karaoke-Bar, in dem einer mir das Mikrofon in die Hand nötigt und die Menschen um mich herum allesamt den Status „Freunde seit der Kindheit“ verlieren, verursacht schon vor Umsetzung ein schwerwiegendes Trauma.
Wie kommt man in so einer Situation drumherum? Also, wie vermeidet man, dass noch Tage später alle nicken und sagen „Ja, sie meinte, sie könnte nicht singen und sie hat sowas von recht!“?
Ich erzähle meiner Tochter, dass ich das Mikrofon verweigern würde. Sie meint, dass ich damit eine bekennende Spielverderberin sei.
Tja. Schon möglich. Aber als Spielverderber werden bisweilen auch Leute bezeichnet, die halsbrecherische Mutproben ablehnen.
Wie, du traust dich nicht vom 22. Stock in den 21. zu klettern? Spielverderber!“
Nee, wenn du nicht hilfst den Kanaldeckel von der Straße zu rollen, bist du ein Spielverderber.“
Ach du Spielverderberin, einmal ist keinmal, bleib doch über Nacht.“
Nee, nee, nee...
Und das kommt alles noch VOR einem Auftritt in einem Karaoke-Schuppen. Eher werde ich Beleuchterin in einer Beate Uhse-Bar.
Mein Papayasalat welkt über meine schwerwiegenden Gedanken in der Schüssel vor sich hin.
Alle Menschen, vor denen ich mich ans Mikrofon wagen würde, kennen mich gut genug, um zu wissen, dass man mir mit manchen Aufforderungen nichts Gutes tut.

Na ja. Im Augenblick besteht ja keine akute Gefahr. Und hier könnte ich mir wenigstens immer soviel Koriander in den Mund stopfen, dass ich sagen könnte „Hmmpfwürdejahmmpfgern, aber hmmpf den Mummmpff voll.“ und dann könnte ich flüchten. Zum Beispiel nach nebenan zum Italiener. Bei dem läuft immer nur Fußball. Und nie Karaoke.     

Mittwoch, 19. Oktober 2016

255. Akt 

Es ist 17.30 Uhr, ich sitze am Computer und bin deprimiert. Alles um mich wird finster. Die Dunkelheit senkt sich langsam aber sicher über mein Gemüt und meine Verfassung. Dann fällt mir auf, dass ich nicht wirklich deprimiert bin. Es wird lediglich tatsächlich finster. Der Sommer ist halt eindeutig rum. Rummer geht nicht. Keine morgendlichen Sonnenstrahlen, die durch ein nicht ganz geschlossenes Rollo auf mein Kissen prallen und mein sommerliches Herzchen erheitern. Keine Vögel, die zwitschern, als hätten sie einen Hauch zu viel am Koks-Topf einer internationalen Schickimicki-Party genascht.
Ich schaue hinaus und überlege, ob ich der frühen Dunkelheit etwas abgewinnen kann. Hmm... ich könnte den Kamin anmachen. (Hebt meine Stimmung nur marginal, denn mir fällt ein, dass ich versäumt habe ausreichend Holz nachzukaufen. Ich werde haushalten müssen.) Ich kann wieder meine schönen Strickkleider anziehen. (Ja, klar mit dicken Strumpfhosen. Aaaarghhh.... ich hasse Strumpfhosen.) Die Leute kaufen im Winter mehr Bücher als im Sommer. (Tja, okay. Das lass ich mal gelten.)
Bei dem Gedanken, dass in weniger als zwei Wochen die Sommer- auf Winterzeit umgestellt wird, werde ich wieder trübsinnig. Dann ist nämlich um 17.30 Uhr nicht nur dämmerig, sondern gleich mal kolossal finster.
Die eine Stunde, die wir dann „geschenkt“ bekommen, reißt es auch nicht raus. An die hat man sich ratzfatz gewöhnt. Außerdem kriegt man sie auch nicht geschenkt. Die wird einem im Frühjahr gleich mal wieder gemopst.
Ich stehe auf und mache das Licht an. Nicht, dass das meine Stimmung ebenfalls illuminiert, allerdings kann ich jetzt halt wieder was sehen. Was soll´s? Gejammert wird nicht. Herbst und Winter sind auch ganz sexy (okay, bis auf die Wollstrumpfhosen). Und wenn es unbedingt sein muss, habe ich genügend Meilen angesammelt, um nochmal irgendwohin zu fahren, wo es ein bisschen sonniger ist. Und zur Not langt es für´s Solarium allemal.


Dienstag, 18. Oktober 2016

254. Akt

So... was haben wir denn so alles gelernt in unserem Leben im Allgemeinen und unserem Leben als Frau im Speziellen?
Da wird es doch weit mehr geben, als die Erkenntnis, dass man jenseits der Vierzig nur noch mit fest geschlossenen Beinen niest.
Da gibt es zum Beispiel die unerklärliche Leichtigkeit des Seins. Genauer gesagt, die Leichtigkeit mit der man die Veränderungen des Körpers akzeptiert. Man hatte bis Mitte zwanzig noch eine knackige Figur, konnte diese aber nicht genießen, weil die Arbeitskollegin eine noch viel knackigere Figur hatte? Alles Geschichte. 
Frauenkörper sind einfach nicht dafür gemacht, bis zur eigenen Bestattung mit einer prallen 75 DD und drahtigen Oberarmen zu beeindrucken. Frauen bekommen Kinder oder auch nicht. Aber was sie definitiv bekommen ist schwächelndes Bindegewebe. Alle. Ohne Ausnahme. Manche früher, andere später. Die eine stärker, die andere schwächer. Keine Frau fühlt sich jenseits der vierzig so (an), wie sie es mit zwanzig tat. Und das ist gut so. Denn wenn physische Veränderung mit der dazugehörigen Akzeptanz einhergeht, dann sind Frauen über vierzig absolut unschlagbar. Sie sind weicher, weiblicher. Sie werfen sich nicht mehr in jeden Battle mit anderen Frauen, bei dem sie nur verlieren können, und wenn es bloß die eigene Würde ist. Sie betrachten andere Frauen nicht mehr als unmittelbare Konkurrenz, denn sie wissen, dass sie selbst, konkurrenzlos sind.
Ihr Selbstbewusstsein macht sie viel sexier, als es jede thigh gap, jeder aufgeworfene Schmollmund es je könnte. Die zurückliegenden Jahre verleihen ihrem Blick etwas Wissendes, Geheimnisvolles.
Das alberne Rumgestakse auf zu hohen Plateaus ist schon lange einem Gang gewichen, der selbst in Gummistiefeln erotischer und selbstbewusster wirkt.
Ein gutes Glas Wein geht genauso wie ein großes Weißbier. Ständig wechselnde Trendgetränke sind für Anfänger, die eben noch nicht wissen, was sie wollen und was ihnen schmeckt. Über verschmierten Lippenstift einer anderen Frau wird nicht gelacht, sondern es wird ihr mit einem Lächeln mitgeteilt. Das gilt auch für Laufmaschen, Klopapier am Absatz und der Tatsache, dass der Typ an ihrer Seite ein Honk ist, der alle seine Aufrisse in die Welt hinaustratscht.
Generell freut man sich nicht mehr über jeden Kerl, der äußert, dass er einen ganz schrecklich scharf findet, sondern wendet sich häufiger mal amüsiert ab und ist sich zügig darüber im Klaren, was man nicht will. Und vor allem wen. Nicht jede Krise ist ein Weltuntergang und wenn es doch einer ist, dann wissen wir, welcher Wein am besten dazu schmeckt.
Mit sechzehn dachte ich, dass mein Leben jenseits der dreißig vorbei ist und ich ab vierzig nur noch mit anderen Pre-Rentnerinnen auf den Wechsel der Jahreszeiten warte. Oder meinen Kindern Geld biete, damit sie mich beim Stützstrumpfkauf begleiten. Alles Käse.
Heute bin ich neugieriger, spannender, gespannter, interessierter und interessanter als je zuvor.
Mit den Jahren habe ich gelernt, dass es etwas gibt, das besser ist als „noch viel besser“. Und das ist schlicht und ergreifend „gut“. Wenn mir „gut“ gefällt, wird alles besser. Wenn ich immer nur dem „besser“ hinterherjage, wird mir alles „Gute“ nicht reichen. Eigentlich frustrierend, oder?
Wenn ich jetzt morgens aufstehe, dann merke ich hin und wieder mein Knie oder meinen Nacken. Manchmal entdecke ich auch ein neues graues Haar. Und dann denke ich: “Hab ich nicht geile Knie und einen Nacken zum Niederknien? Ich finde mich toll! Und für das graue Haar gibt´s günstige Ansatzfarbe.“ Alles kein Problem, wenn man erwachsen ist.
Und dann frage ich mich. Wenn die Vierziger schon so geil sind, wie genial müssen denn dann die Fünfziger werden?

Montag, 17. Oktober 2016

253. Akt

Heute ist Frauenfrühstück. Auf dem Weg dorthin sammle ich zwei weitere Teilnehmerinnen an der S-Bahnstation ein. Ich bin zehn Minuten zu früh, setze mich auf eine Bank und warte.
Frauenfrühstück. Ja, das ist genau so ein Treffen, vor dem viele Männer Angst haben. Völlig unbegründet.
Ein Herr fragte mich vor nicht allzu langer Zeit, ob wir dann zusammensäßen und uns drei Stunden lang über ihn und seine Artgenossen lustig machen. Meine Antwort hat ihn fast zu Tode erschreckt und sein Ego für sechs Wochen in den Keller geschickt.
Es sei nämlich noch viel schlimmer, habe ich gesagt. Was wir dort über das männliche Geschlecht erzählen, würde ihn bis ins Mark erschrecken.
Er stand mit großen Augen neugierig vor mir und scharrte mit den Füßen, als ob er gleich zum Sprint ansetzte.
Dann sagte ich. „Nix!“
Wie Nix?“
Einfach nix. Männer sind beim Frauenfrühstück kein Thema. Absolut null und gänzlich völlig unwichtig. Wir Frauen finden uns dort so interessant und spannend, dass wir die überflüssigen und nebensächlichen Themen einfach auslassen.“
Mein Gegenüber schien ein kleines bisschen in sich zusammenzubröseln.
So völlig nichts? Kein bisschen Zickengeläster?“
Nein, nichts dergleichen.“
Dann aber Beautykram!“
Nein, auch nicht.“
Ja, was denn sonst?“ Langsam wurde er ungehalten. Weder Ego noch Neugierde schienen hier einen Hauch von Befriedigung zu erhalten. Ich war froh, dass ich ihm nur ziemlich selten begegne. Typen, deren Horizont in Frauendingen mit Geläster über Männer und Beautysachen schon ausgereizt ist, haben meines Erachtens ohnehin keinen großen Anspruch.
Wir reden über alles, was uns wichtig ist.“
Ich glaube, das waren dann auch die Worte, die ich sagte, bevor er sich abwendete und ging. Tja. Da hab ich wohl wieder für Zulauf bei einem Therapeuten gesorgt. Ist aber nicht mein Problem.
Ich schaue auf die Uhr. Die S-Bahn hätte vor einer Minute kommen sollen. Komisch. Es kam gar keine Ansage.
Dann gucke ich mich um. Ja. Genau 9.45 Uhr. Die Uhr geht richtig.
Eigenartig. Jetzt fällt mein Blick auf eine andere Anzeige. „Baldham“ steht dort. Baldham??? Äh, ich sollte Dagmar und Alexis doch in Vaterstetten abholen. Das ist leider nur fast hier. Genau genommen ist es exakt eine Station weiter. Während ich zum Auto sause, schreibe ich Dagmar noch schnell eine Nachricht. „Bin gleich da!“
Und fünf Minuten später habe ich die beiden dann auch tatsächlich im Auto und wir fahren zum Frauenfrühstück. Genau dorthin, wo heute nix anderes wichtig ist, als das, was eben genau UNS wichtig ist.