256. Akt
Ich
sitze mit meiner Tochter beim Vietnamesen im Ort und esse Nudelsuppe
und Papayasalat. Der Laden ist voll. Das freut mich, denn das Essen
ist gut, und wenn die gleich wieder pleite machen, kommt hier
vielleicht was rein, was nicht halb so gut schmeckt. Also reiner
Eigennutz.
Hinter
Kind 2.0 läuft ein Monitor. Darauf werden wunderschöne vermutlich
vietnamesische Landschaften gezeigt. Über jedem Bild erscheint ein Text. Buchstabe für Buchstabe rot unterlegt. Es ist eindeutig
ein Karaoke-Programm, was da abgespielt wird. Die Gäste befinden
sich meinerseits Karaoke-technisch nicht in Gefahr. Die Musik ist
viel zu leise und die Schriftzeichen zu weiten Teilen mit Attributen
dekoriert, dass noch nicht mal Beyonce eine Chance hätte. Okay - es
sei denn, sie kann Vietnamesisch und kennt die Melodie auswendig.
Das
mit dem Karaoke ist ja so eine Sache. Wenn ich wählen könnte,
zwischen Fugen reinigen in einer großstädtischen Herrensauna und
dem Aufenthalt in einer Karaoke-Bar, würde ich schauen, welcher
Reiniger am ergiebigsten ist.
Der
Moment in einer Karaoke-Bar, in dem einer mir das Mikrofon in die
Hand nötigt und die Menschen um mich herum allesamt den Status
„Freunde seit der Kindheit“ verlieren, verursacht schon vor
Umsetzung ein schwerwiegendes Trauma.
Wie
kommt man in so einer Situation drumherum? Also, wie vermeidet man,
dass noch Tage später alle nicken und sagen „Ja, sie meinte, sie
könnte nicht singen und sie hat sowas von recht!“?
Ich
erzähle meiner Tochter, dass ich das Mikrofon verweigern würde. Sie
meint, dass ich damit eine bekennende Spielverderberin sei.
Tja.
Schon möglich. Aber als Spielverderber werden bisweilen auch Leute
bezeichnet, die halsbrecherische Mutproben ablehnen.
„Wie,
du traust dich nicht vom 22. Stock in den 21. zu klettern?
Spielverderber!“
„Nee,
wenn du nicht hilfst den Kanaldeckel von der Straße zu rollen, bist
du ein Spielverderber.“
„Ach
du Spielverderberin, einmal ist keinmal, bleib doch über Nacht.“
Nee,
nee, nee...
Und
das kommt alles noch VOR einem Auftritt in einem Karaoke-Schuppen.
Eher werde ich Beleuchterin in einer Beate Uhse-Bar.
Mein
Papayasalat welkt über meine schwerwiegenden Gedanken in der
Schüssel vor sich hin.
Alle
Menschen, vor denen ich mich ans Mikrofon wagen würde, kennen mich
gut genug, um zu wissen, dass man mir mit manchen Aufforderungen
nichts Gutes tut.
Na
ja. Im Augenblick besteht ja keine akute Gefahr. Und hier könnte ich
mir wenigstens immer soviel Koriander in den Mund stopfen, dass ich
sagen könnte „Hmmpfwürdejahmmpfgern, aber hmmpf den Mummmpff
voll.“ und dann könnte ich flüchten. Zum Beispiel nach nebenan
zum Italiener. Bei dem läuft immer nur Fußball. Und nie Karaoke.
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