250. Akt
Als
ich vor ein paar Wochen zu meiner Geburtstagswanderung über
bayerische Kuhweiden aufbrach, hatte ich ja allerlei im Sinn. Nicht
aber, dass sich mein linkes Knie noch viel länger an diesen
Gewaltmarsch erinnern soll, als der Rest meines Körpers. Und so
kommt es, dass ich seit dieser Zeit – vor allem im Sitzen – auf
die Asymmetrie meiner Beine hinabschaue. Rechts: normales,
altersgerechtes, schmales Knie. Links: kürbisförmiges, delliges und
irgendwie unförmiges Knie.
Ich
habe mir das nun lange genug angesehen, und nachdem lediglich die Form
des Kürbisses ein wenig variiert, aber der Gesamtumfang eher an
Ballsportarten erinnert, bleibt mir nichts anderes übrig, als zum
Arzt zu gehen.
Der
Doc und ich kennen uns gut. Vor gefühlten zweihundert Jahren haben wir
gemeinsam in derselben Eishalle trainiert. Eiskunstlauf und Eistanz.
Beide damals noch mit weitgehend kürbisfreiem Körper.
Nun
sitzen wir uns gegenüber. Er grinst und fragt, was es denn dieses
Mal gibt. Na ja, eigentlich könnte ich jetzt schmollen. In seiner
Frage klingen irgendwie Begriffe wie „Ersatzteillager“,
„physischer Totalschaden“ und „jaja, das Alter“ mit.
Aber
was soll´s? Er hört von meiner Wanderung schaut sich mein
Kürbisknie an und schickt mich zum MRT.
In meinem Kopf zähle ich rasch durch, dass ich in diesem Jahr aus den
unterschiedlichsten Gründen bereits zum sechsten Mal in dieser Röhre
liege. Der Begriff “Ersatzteillager“, ist in meinem Kopf jetzt dann doch der entspannteste.
Die
Nachteile, die man als Kassenpatient in Sachen Wartezeiten hat,
gleicht ein Doc als alter Kumpel wieder aus. Um 19 Uhr soll ich
kommen. Fein. Dann kann ich gleich meine Decke und mein Kissen mit in
die Röhre nehmen. Der Tag war schließlich lang und ich bin müde.
Aber
natürlich lasse ich beides Zuhause, als ich mich auf den Weg mache.
Das
Anmeldeformular und die Hinweise auf die Risiken und so weiter kann
ich mittlerweile vermutlich in zwölf Sprachen singen. Ich fülle
trotzdem alles ordentlich aus. Wenige Minuten später holt mich eine
junge Frau in das kleine Kabuff, in dem ich alle Metalle ablegen
soll. Wie immer überlege ich, ob außer Ohrringe, Kette, Bügel-BH,
Uhr und die ein oder andere Haarspange noch etwas Magnetisierendes an
meinem Körper haftet. Ich schaue in den Spiegel. Nö. Nur noch
Baumwolle, Seide und Kürbis. Das passt.
In
der Röhre dann das selbe Spiel wie immer. Ohrstöpsel,
Notfall-Drück-Teil, Kopfhörer und Kontrastmittelzugang. Und dann
rein in das Teil.
Nebenan
höre ich ein Gerät laufen, dessen Beat ich noch nicht kenne.
„Uff!
Bämm! Uff! Bämm! Uff! Bämm!!!“
Klingt
gar nicht so übel. Ich bin kurz davor mit dem Fuß zu wippen. Da
aber mein Knie gerade ge-MRT-t werden soll, bieten sich Bewegungen
nicht wirklich an. Selbst Schnipsen mit dem Finger soll ich lassen.
Da sind sie hier ein bisschen kleinlich. Ich ignoriere also den Beat
aus dem Nebenzimmer so gut ich kann und bin froh, dass die
appetitlichen Ohrstöpsel und meine Kopfhörer den Lärm in meiner
Röhre wenigstens minimal dämpfen. Techno-Beats sind auch ohne
Kürbisknie nicht so meine Musikrichtung. Ständig versuche ich in
dem Geschepper irgendwelches Worte oder Lyrics zu erkennen. Manchmal
klingt es wie „OMA!OMA!OMA!OMA!“ Nur in laut und scheppernd. Dann
wieder nach „Hmpf-Tröt! Hmpf-Tröt!“ Alles recht schnell
hintereinander. Wieso kann es diese Dinger nicht mit einem satten
Motown-Sound geben? Irgendwas, wozu ich grinsen und wenigstens im
Takt blinzeln kann? Ich schaue durch den Raum. Die MRT-Röhre hat
eine blass-aprikose-farbene Verschalung. Irgendwoher kenne ich den
Farbton. Dann fällt es mir ein. Mein Epilierer hat dieselbe Farbe.
Ich könnte mir vor den Kopf ballern, wenn ich mich bewegen dürfte.
Natürlich kenne ich den Farbton. Beide Geräte sind ja von Philips.
Nur macht mein Epilierer glücklicherweise nicht so einen Lärm.
Wenig
Minuten später werde ich wieder rausgefahren. Ich darf aufstehen,
schmeiße die matschigen Ohrstöpsel weg und lege alles abgelegte
Metall wieder an. Und dann warte ich auf das Gespräch mit dem Arzt.
Ich hoffe, er kann mein Kürbisknie wieder auf Normalgröße
schrumpfen. Und wenn nicht, dann schmeiß ich mich mit der rechten
Seite halt mal ordentlich zu Boden. Dann sieht es wenigstens wieder
symmetrisch aus.
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