Freitag, 14. Oktober 2016

250. Akt

Als ich vor ein paar Wochen zu meiner Geburtstagswanderung über bayerische Kuhweiden aufbrach, hatte ich ja allerlei im Sinn. Nicht aber, dass sich mein linkes Knie noch viel länger an diesen Gewaltmarsch erinnern soll, als der Rest meines Körpers. Und so kommt es, dass ich seit dieser Zeit – vor allem im Sitzen – auf die Asymmetrie meiner Beine hinabschaue. Rechts: normales, altersgerechtes, schmales Knie. Links: kürbisförmiges, delliges und irgendwie unförmiges Knie.
Ich habe mir das nun lange genug angesehen, und nachdem lediglich die Form des Kürbisses ein wenig variiert, aber der Gesamtumfang eher an Ballsportarten erinnert, bleibt mir nichts anderes übrig, als zum Arzt zu gehen.
Der Doc und ich kennen uns gut. Vor gefühlten zweihundert Jahren haben wir gemeinsam in derselben Eishalle trainiert. Eiskunstlauf und Eistanz. Beide damals noch mit weitgehend kürbisfreiem Körper.
Nun sitzen wir uns gegenüber. Er grinst und fragt, was es denn dieses Mal gibt. Na ja, eigentlich könnte ich jetzt schmollen. In seiner Frage klingen irgendwie Begriffe wie „Ersatzteillager“, „physischer Totalschaden“ und „jaja, das Alter“ mit.
Aber was soll´s? Er hört von meiner Wanderung schaut sich mein Kürbisknie an und schickt mich zum MRT.
In meinem Kopf zähle ich rasch durch, dass ich in diesem Jahr aus den unterschiedlichsten Gründen bereits zum sechsten Mal in dieser Röhre liege. Der Begriff “Ersatzteillager“, ist in meinem Kopf jetzt dann doch der entspannteste.
Die Nachteile, die man als Kassenpatient in Sachen Wartezeiten hat, gleicht ein Doc als alter Kumpel wieder aus. Um 19 Uhr soll ich kommen. Fein. Dann kann ich gleich meine Decke und mein Kissen mit in die Röhre nehmen. Der Tag war schließlich lang und ich bin müde.
Aber natürlich lasse ich beides Zuhause, als ich mich auf den Weg mache.
Das Anmeldeformular und die Hinweise auf die Risiken und so weiter kann ich mittlerweile vermutlich in zwölf Sprachen singen. Ich fülle trotzdem alles ordentlich aus. Wenige Minuten später holt mich eine junge Frau in das kleine Kabuff, in dem ich alle Metalle ablegen soll. Wie immer überlege ich, ob außer Ohrringe, Kette, Bügel-BH, Uhr und die ein oder andere Haarspange noch etwas Magnetisierendes an meinem Körper haftet. Ich schaue in den Spiegel. Nö. Nur noch Baumwolle, Seide und Kürbis. Das passt.
In der Röhre dann das selbe Spiel wie immer. Ohrstöpsel, Notfall-Drück-Teil, Kopfhörer und Kontrastmittelzugang. Und dann rein in das Teil.
Nebenan höre ich ein Gerät laufen, dessen Beat ich noch nicht kenne.
Uff! Bämm! Uff! Bämm! Uff! Bämm!!!“
Klingt gar nicht so übel. Ich bin kurz davor mit dem Fuß zu wippen. Da aber mein Knie gerade ge-MRT-t werden soll, bieten sich Bewegungen nicht wirklich an. Selbst Schnipsen mit dem Finger soll ich lassen. Da sind sie hier ein bisschen kleinlich. Ich ignoriere also den Beat aus dem Nebenzimmer so gut ich kann und bin froh, dass die appetitlichen Ohrstöpsel und meine Kopfhörer den Lärm in meiner Röhre wenigstens minimal dämpfen. Techno-Beats sind auch ohne Kürbisknie nicht so meine Musikrichtung. Ständig versuche ich in dem Geschepper irgendwelches Worte oder Lyrics zu erkennen. Manchmal klingt es wie „OMA!OMA!OMA!OMA!“ Nur in laut und scheppernd. Dann wieder nach „Hmpf-Tröt! Hmpf-Tröt!“ Alles recht schnell hintereinander. Wieso kann es diese Dinger nicht mit einem satten Motown-Sound geben? Irgendwas, wozu ich grinsen und wenigstens im Takt blinzeln kann? Ich schaue durch den Raum. Die MRT-Röhre hat eine blass-aprikose-farbene Verschalung. Irgendwoher kenne ich den Farbton. Dann fällt es mir ein. Mein Epilierer hat dieselbe Farbe. Ich könnte mir vor den Kopf ballern, wenn ich mich bewegen dürfte. Natürlich kenne ich den Farbton. Beide Geräte sind ja von Philips. Nur macht mein Epilierer glücklicherweise nicht so einen Lärm.

Wenig Minuten später werde ich wieder rausgefahren. Ich darf aufstehen, schmeiße die matschigen Ohrstöpsel weg und lege alles abgelegte Metall wieder an. Und dann warte ich auf das Gespräch mit dem Arzt. Ich hoffe, er kann mein Kürbisknie wieder auf Normalgröße schrumpfen. Und wenn nicht, dann schmeiß ich mich mit der rechten Seite halt mal ordentlich zu Boden. Dann sieht es wenigstens wieder symmetrisch aus.                     

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