240. Akt
„Nein,
du hier? Wir haben uns ja schon ewig nicht gesehen. Warst du schon
immer so groß?“
(Oh
mein Gott. Wie heißt sie noch? Wie heißt sie noch? Zu dem Gesicht,
will mir so gar keine Erkenntnis ins Hirn kommen. Ich erwidere
dennoch die Begrüßung mit einem Küsschen rechts und links.)
„Äh
ja. Stimmt. Schon lange nicht gesehen. Ja, hab kurz vor 1,80m
aufgehört zu wachsen. Schon vor vielen Jahren. Wie geht es dir?“
(Was
für ein brillanter Konter meinerseits. Das schafft Zeit und Raum, um
diese Person irgendwo aus meiner Erinnerung wieder auszukramen. Knapp
1,70 m groß, ca. vierzig Jahre alt. Nicht unsympathisch. Ein
bisschen untersetzt, aber sicher nicht unförmig.)
„Na
ja. Die Kinder werden groß und die Männer hauen ab. Ich bin wieder
alleine. Aber es ist in Ordnung. Mir geht es gut.“
(Ups...
das tut mir leid. Klingt nicht nach Erfüllung aller Lebensplanung.
Es hilft mir aber bei der Identitätsfindung der mir gegenüber
stehenden Frau nicht weiter. Mein Hirn rattert und sucht, aber es
findet sich einfach nichts. Juvenile Demenz? Keine Ahnung.)
„Wenn
es dir gut geht, dann geht es dir ja zumindest nicht schlecht.“
(So
liebe Manu. Hiermit überreiche ich dir den Preis für die dämlichste
Floskel jenseits des Millenniums. Wenn es dir gut geht, dann geht
es dir wenigstens nicht schlecht. Hab ich das wirklich gesagt?
Kann mich mal bitte kurz jemand verhauen, für diese Aussage???)
Mein
Gegenüber nickt und schaut mich mit etwas schräg gestelltem Kopf
an. Genau so schaue ich auch immer, wenn mich jemand mit
irgendwelchem Schwachsinn verblüfft.
„Was
machen deine Kinder?“ Sie steht vor mir. Ihre Körperhaltung zeigt
an, dass sie es eigentlich eilig hat und nur kurz mit mir reden kann.
Das trifft sich gut. Bei Menschen, die ich überhaupt nicht
wiedererkenne, entwickeln sich längere Gespräche in der Regel eher
peinlich. Das habe ich ja gerade schon bewiesen. Aber die Frage nach
den Kindern ist kein Hexenwerk. Ich antworte wahrheitsgemäß.
„Tja,
der Große studiert im dritten Semester und die Kleine macht im
nächsten Jahr Abi.“
„Hä?
Ich dachte, du hättest zwei Mädchen?“
Nee,
nee, nee. Da bin ich mir ganz sicher. Schon im Kreißsaal haben sie
mir gesagt: Das hier ist ein Junge. Und drei Jahre später: Das hier
ist ein Mädel. Und die müssen das wissen. Die machen das täglich.
„Nein.
Einen Sohn und eine Tochter hab ich. Und sonst so?“
(Ja,
ja. Ich hab den Bogen raus, wenn es ums Zeit schinden geht.)
„Passt
schon. Ich muss dann mal weiter.“
Uff,
ein Ende des Gespräches steht mir bevor. Das ist gut. Mir fällt
immer noch kein Name zu der Dame ein.
„Also
mach es gut, Carla. Und bis ganz bald mal wieder.“ Sie küsste mich
wieder rechts und links. Dann winkt sie kurz und zischt ab.
Carla??
Hallo? Ich heiße Manuela. Und dann wird mir auch klar, warum mir
kein Name zum Gesicht einfällt. Ganz einfach, weil wir uns noch gar
nicht vorher begegnet sind. Sie hat mich schlichtweg verwechselt.
Innerlich entspanne ich ein bisschen. Wenn die Lady nun jemanden
erzählt, dass sie einer eigenartigen Frau mit eigenartigen Floskeln
begegnet ist, dann heißt die Hauptprotagonistin nämlich Carla. Sehr
gut. Damit kann ich das Reich der peinlichen Situationen nämlich
leise und unauffällig wieder verlassen.
"Wenn es dir gut geht, dann geht es dir zumindest nicht schlecht." Ich fasse es nicht. Manchmal sollte ich einfach die Klappe halten. Oder eben gestehen, dass mich mein Erinnerungsvermögen ein bisschen hängen lässt. Ist ja auch menschlich.
"Wenn es dir gut geht, dann geht es dir zumindest nicht schlecht." Ich fasse es nicht. Manchmal sollte ich einfach die Klappe halten. Oder eben gestehen, dass mich mein Erinnerungsvermögen ein bisschen hängen lässt. Ist ja auch menschlich.
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