Sonntag, 23. Oktober 2016

259. Akt

Die neue Lesereise geht los. Und dieses Mal starte ich in Ingolstadt. Ich muss da nicht einen Moment drüber nachdenken. In Ingolstadt fühle ich mich mittlerweile schon fast ein bisschen Zuhause. Und Zuhause ist der richtige Ort, um mit einer Reise zu beginnen. Selbst, wenn es eine Lesereise ist.
Es ist der gleiche Veranstalter, der schon die Lesung im Juli so akribisch und erfolgreich auf die Beine gestellt hat. Florian gibt auf allen Kanälen Vollgas, und ich kann mich zurücklehnen, meine sieben Sachen sortieren und warten, bis es losgeht. Fast schon paranoid checke ich vor der Abfahrt alles was ich brauche. Da wäre zum einen der Koffer mit den Büchern für den Verkauf. Dann - ganz wichtig – meine Brille. Ich fühle mich ohne zwar ein klitzekleines bisschen attraktiver, aber die Leute wollen ja, dass ich ihnen etwas vorlese und nicht, dass ich ihnen nur Maulwurfs-blind über das Buch hinweg zulächle.
Dann fehlt noch mein präpariertes Buch. Hier habe ich mit Post-its alle Geschichten markiert, die ich vorlesen werde.
Die Ingolstädter vertragen ohne weiteres Fiesigkeiten der gepfefferten Stufe. Deswegen werde ich mit einem Gedicht über Männer starten und dann vier Herren von sanfter Hand um die Ecke bringen lassen. Also rein literarisch.
Heute nehme ich zur Abwechslung mal meine Mutter mit. Das heißt, ich muss mich beim Lesen auch noch darauf konzentrieren, dass den anwesenden Gästen nicht noch von meiner Geburt, Schulzeit und allerlei Schwierigkeiten, die ich als Kind so gemacht habe, berichtet wird. Ansonsten hat meine Mutter in der Regel Mordsspaß.
Schwierig wird sie nur, wenn sie meint auf mich aufpassen zu müssen. Ausgerechnet sie, die jede Menge kreativen Blödsinn im Kopf hat. Wenn sie mit mir unterwegs ist, haut sie jedem auf die Finger, von dem sie glaubt, dass sein Interesse über meine Bücher hinaus geht. Selbst, wenn sie mir damit die ein oder andere äh... freundschaftliche Tour versaut. Das hat schon einige peinliche Momente gegeben. Zum Beispiel vor ein paar Wochen. Ich stand mit einem Verleger – wegen der Lautstärke im Raum – dichter zusammen, als es ihm ihrer Meinung nach zustand. Da kam sie kurz, grinste und meinte bloß „Schlaues Kind. Mein Kind. Finger weg!“. Dann drehte sie ab und holte sich noch einen Prosecco und lachte sich aus der Ferne schlapp, über meinen strengen Blick und seine wechselnden Gesichtsfarben. Sollte ich jemals meiner Tochter so ins Getriebe springen, dann darf sie mich gerne zur Adoption freigeben. Oder auf einer einsamen Insel aussetzen. Oder sie gewöhnt sich halt an solche Dinge, wie ich es getan habe.
Das Hotel, indem die Lesung stattfindet, hat uns eingeladen. Das finde ich cool. Aber nicht nur das. Dort wird das Verwöhnprogramm deluxe gefahren.
Es gibt ein Hammerbuffet, eine Cocktailbar und tausend Dinge, die es sonst bei Lesungen nirgends gibt. Man darf ja nicht vergessen, dass der Eintritt frei ist und ich dort nicht meine Seele als Pfand hinterlegen muss.
Jeder hat ein eigenes Zimmer. So kann ich bis zur letzten Minute meine Musik laut über Kopfhörer hören und muss mich nicht von Mutti nervös machen lassen. Und das kann sie gut.
Bist du aufgeregt?“
Nein Mutti, bin ich nicht. Ich freue mich.“
Echt nicht? Also ich wäre total aufgeregt. Sind ja viele Leute da.“
Nein Mutti, ich bin nicht aufgeregt, und ich freue mich, dass viele Leute da sind.“
Was ist eigentlich, wenn gar keiner kommt?“
Mutti, es haben rund achtzig Leute zugesagt. Es werden welche kommen.“
Und was wenn nicht? Wäre doch total peinlich, oder?“
Mutti, es kommen viele Leute.“
Du klingst schon ein bisschen nervös...“
MUUUUUUTTTIIIIIIIII!!!!“
Jeder hat ein Zimmer für sich. Sehr gut.
Als es losgeht, habe ich Brille, Vorlesebuch und mich selbst fest im Griff.
Ich habe mich für ein feuerrotes Kleid entschieden. Ziemlich, ähem... aufregend. So können die Leute – sollte irgendwas schief laufen – wenigstens sagen: „Vom Buch hab ich nix mitgekriegt, aber gut hat sie ausgesehen.“
Zwei Stunden später ist die Vorleserei vorbei. Die Leute sind begeistert. Und ich bin es auch. Die Stimmung ist kolossal. Die Ingolstädter geben derart Gas, dass ich mich kaum einkriege vor Begeisterung. Außerdem sind viele Leute extra aus München gekommen und meine Freundinnen saßen auch im Publikum. Ich mag es, wenn so viele Menschen meinen Humor teilen. Böse, böse....
Es wird viel gelacht und die meisten kaufen auch noch ein Buch oder zwei. Ich liebe meinen Job.
Mutti hat sich auch ziemlich zusammengerissen. Na ja.... bis auf die Tatsache, dass sie einem Zuhörer, der extra aus Hamburg angereist war, verbal auf die Finger geklopft hat. Ich bin total stolz, dass jemand von so weit her kommt, um mich zu hören. Sie ist der Meinung, dass er beim meet & greet zu nah an ihrer Tochter sitzt. Und macht ihm mit der Hand Zeichen, dass sie ihn im Auge behält. Zeige- und Ringfinger erst in Richtung ihrer Augen und dann zu ihm. Er muss glauben, sie ist eine Mafiapatin. Aber er ist erwachsen und kann damit umgehen. Irgendwann werde ich ihr noch beibringen, dass ich kein kleines Mädchen mehr bin. Na ja. Ich werde es versuchen. Und bis dahin werde ich sie einfach mit dem Buchverkauf ablenken. Oder sie kriegt noch zwei Cocktails.


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