Mittwoch, 30. November 2016

296. Akt

Tja, da sind Tochterkind und ich nach Köln zu diesem Casting eingeladen und wir freuen uns drauf. Damit es am Tag keinen Stress gibt, reisen wir schon am Vorabend an und beziehen unser Zimmer in dem Hotel, in dem das Ganze stattfinden soll. Wir sind gut drauf und pfeifen uns vor lauter guter Laune noch einen abendlichen Tapas-Teller und den besten Pina Colada der letzten zehn Jahre rein. Früh geht’s mit Gekicher und dem Supertalent im TV ins Bett. Wir können ausschlafen. Das gefällt uns sehr. Blöd nur, dass bei Tochterkind der Alarm ihres iPads in aller Herrgottfrühe anschlägt. Sie hört es nicht, aber dafür stehe ich im Bett. Was soll´s? Kein Problem.
Um zwölf stellen wir uns in die lange Schlange derer, die das Hotelzimmer, so wie wir, bis zur letzten Minute ausreizen. Wir sind nett gerichtet und frisiert und gespannt auf das, was uns erwartet. Ist ja nicht das erste Mal, dass wir einzeln oder gemeinsam bei sowas aufschlagen. Das Casting wird von der Firma Lambertz veranstaltet und ich spekuliere auf Dominosteine ohne Ende. Herrliche Aussichten.
Als wir den Veranstaltungssaal finden, klatschen wir nochmal ab. Wir sind gut drauf und wurden schließlich aus einer Menge Leute ausgewählt.
Gleich nach Betreten des Raums vermuten wir uns im falschen Film. Ich frage bei den beiden jungen Frauen, die hier das ganze leiten nach. Doch, doch wir seien richtig, heißt es.
Schön, schön.
Am Boden sitzen nämlich fünfzehn bis zwanzig junge Frauen im Spagat, mit dem Fuß hinterm Kopf oder anderen Dehnungspositionen. Bildhübsche Hardcore-Highclass-Tänzerinnen. Es befinden sich nun also Profi-Tänzerinnen im Raum und ein Mutter und Tochterteam, das beim Versuch eines Querspagates ärztliche Nachsorge bräuchte.
Nach und nach kommen allerdings noch einige Nicht-Proftänzerinnen. Supersüße Mädels, Kleidergröße 32 bis 34 und ähnlich überraschtem Blick wie der von Tochterkind und mir. Zum Glück wirklich angenehme junge Frauen und keine Zicken-Terroristen. Ich frage erneut nach. 
Doch, doch, wir sind richtig. Gleich kommt dann noch der Choreograph und studiert mit uns eine Choreographie ein. Nichts schlimmes. Alles easy. So heißt es.
Der Choreograph heißt Fidel. Das klingt nach Lateinamerika. Das klingt nicht nach Tanzlehrer Heinz-Gerd, der uns mit ein paar Discofox Schritten etwas rasch Nachvollziehbares beibringen soll. Choreographen, die Fidel heißen, klingen nicht nach eins-zwei-Tepp! Die klingen nach Zack! Zack! Zack! Up-Tempo und trotzdem lässig. Wir warten bis Fidel kommt und ich gönne mir noch ein Hand voll Dominosteine.
Als wir ihn sehen, verabschieden wir uns von Blüschen und Jeans und retten uns in die Sportsachen, die wir glücklicherweise mit dabei haben. Fidel baut nun innerhalb von wenigen Minuten eine Choreo auf, die Lady Gaga röchelnd in die Garderobe treiben würde. Wir geben uns größte Mühe, kommen ganz gut mit und ich schwitze wie ein Elch. Noch schnell eine weitere Hand voll Dominosteine.
Während es bei den Profitänzerinnen schon echt genial aussieht, kann ich stolz behaupten, dass die Choreo auch bei uns sitzt. Nach spätestens einer Woche Training würde das dann auch bei mir recht geschmeidig aussehen. Aber wir haben nur dreißig Minuten, dann kommt das Catwalk-Training. Das macht keine Probleme. Das mach ich schon ewig. Allerdings vergesse ich in dieser Zeit das ein oder andere Element der Choreo. Noch Dominosteine irgendwo?
Dann wird die Stimmung ein wenig angespannt. Lambertz-Chef Herr Dr. Bühlbecker kommt mit einem Gefolge weiterer Menschen. Sie schauen sich die Choreographie an und dann jeden einzelnen von uns. Fühlt sich komisch an. Ich fühle mich wie die Mutter der Kompanie. Lässig doppelt so alt, wie die meisten Mädels hier. Mindestens. Wieso haben die mich eigentlich eingeladen??
Tochterkind und ich lachen uns an. Wir fühlen uns ein wenig deplaziert, aber ich habe noch ein weiteres Tablett mit Dominosteinen gefunden. Alles gut. Zum Schluss wird uns mitgeteilt, dass die Jury sich noch berät. Wir würden in den nächsten Tagen Bescheid bekommen. Na ja, so recht mit einem „Juhu! Hurra! Ihr seid dabei!“ rechnen wir nicht ernsthaft.
Es wird wohl eher eine große Kiste mit lecker Lebkuchen sein, die bei uns eingeht. Nicht das ursprüngliche Ziel, aber auch schön. Bei einem abschließenden Selfie mit Dr. Bühlbecker stelle ich fest, dass er zu den Menschen gehört, die einem auch dann ins Gesicht schauen, wenn sie nur einen Moment Zeit haben. Das mag ich und schätze ich hoch. Ich erkläre ihm, dass wir das einzige Mutter-Tochter-Team im Saal seien. Er ist kurz beeindruckt. Beziehungsweise – er nimmt es zur Kenntnis. Dann packen Tochterkind und ich zusammen. Noch einen Cocktail mit breitem Grinsen an der Hotelbar. Ups, das ist ja mal alles anders verlaufen als erwartet. Ab zum Flughafen und wieder heim.
In der Folgenacht träume ich von LKWs, die mich in den kommenden Wochen mit Süßigkeiten versorgen.

Und von Fidel, der mich mit eins-zwei-Tepp! im Printenkostüm durch die Hotelhalle jagt.    

Dienstag, 29. November 2016

295. Akt

An den Herrn im karierten Hemd vor mir. Ja, ich weiß, Darmgrimmen kann schrecklich sein. Es rumort und drückt und fühlt sich nicht wirklich gut an. Aber können Sie sich vorstellen, was Ihr erfreutes Luft Ablassen für andere Menschen bedeutet? Tochterkind und ich wollten bei der Stewardess schon nach Fallschirmen fragen.  Woher ich mir so sicher bin, dass Sie das waren? Kurz bevor die nächste olfaktorisch unerträgliche Dunstwolke zu uns nach hinten schwappte,  neigten Sie sich stets nach rechts und leicht nach vorne. Dazu kam dann ein glücklicher Seufzer und ein entsetzter Blick vom bedauernswerten Passagier zu Ihrer Linken. Oh mein Gott! Was für ein Fassungsvermögen haben Sie eigentlich?
Das nahm von Boarding bis zum Aussteigen überhaupt kein Ende.

Und nur dass Sie es wissen: Nein! Meine Tochter und ich haben auf dem 45 Minuten dauernden Flug nicht geschlafen. Wir waren bewusstlos! Ich bitte Sie künftig auf stark blähende Speisen vor dem Abflug zu verzichten. Wenn sich Zwiebelkuchen und Bohnensuppe tatsächlich nicht vermeiden lassen, dann wäre vielleicht ein Löffelchen Lefax zum "Abgasen", wie es so schön heißt, vor (!!!) dem Betreten des Flugzeug ganz angenehm. Nicht nur für Sie, sondern auch für die anderen Passagiere. Das Problem ist nämlich, dass wir Gasmasken nicht durch die Security kriegen. Und Vakuumverpackungen für wild blähende Passagiere sind vermutlich noch nicht erfunden.

Sonntag, 27. November 2016

294. Akt

Oh! Mein! Gott!!!
Mein Leben barg nun ja schon den einen oder anderen Moment der Peinlichkeit. Aber heute habe ich dann wohl den Vogel abgeschossen. Es wird ein bisschen dauern, bis ich wieder unter dem Teppich vorkomme, aber selbst dann, werde ich in bestimmten Regionen nur noch mir angeklebtem Bart und Trenchcoat herumlaufen.
Und das kommt so:
Tochterkind hat in einer Werbung eine bestimmte Art Schuh gesehen. Bei Schuhgröße 42 springt man auf alles, was verfügbar ist. Das kenne ich von mir selbst ja auch. Ich also, nett wie ich bin, ab ins Auto und zu dem Schuhladen. Ich hab noch genau den Wunsch meiner Tochter im Ohr und latsche direkt zur Verkäuferin.
Und frage sie nach den „Strap-ons“ in Leodruck.
Sie sagt, dass sie sowas nicht hätten. Eine andere Verkäuferin wendet sich grinsend ab und geht fort. Vermutlich ins Lager.
Na, das kann ich ja leiden. Erst die Leute mit Werbung in den Laden locken und dann die Ware nicht verfügbar haben. Ich frage erneut nach, ob sie tatsächlich keine Strap-ons in irgendeiner Größe im Geschäft haben.
Sie wird rot und verneint erneut.
Nee, nee, nee, nicht mit mir.
Da schickt mich meine Tochter nach Ihrer aktuellen (!) Werbung hierher, um ihr diese Dinger zu besorgen und sie haben keine da?!“
Sie suchen für Ihre Tochter?“ Nun wechselt die Dame die Farben in einer Geschwindigkeit, die mir fremd ist. Hektisch kramt sie nach der aktuellen Werbung. Dann zeigt sie mir den Prospekt.
Ja, genau die!“ Stolz und bestätigt deute ich auf ein Paar Schuhe mit weißer Sohle.
Das sind Slip-ons.“ Ihr Farbwechsel beruhigt sich.
Ja, sag ich doch!?“
Äh, nein. Aber ich zeige ihnen gerne die Ware.“
Sie führt mich zu den Schuhen und ich werde tatsächlich in der 42 fündig. Kein Leoprint, stattdessen Zebra. Zur Not geht es bestimmt als monochromer Tiger durch. Auch ne Raubkatze. Wird schon passen.
Dann fahre ich heim. Im Kopf gehe ich immer wieder das Missverständnis durch. So lange, bis ich diesen anderen Begriff mal google.
Strap-ons sind. Äh.. tja... anschnallbare künstliche Geschlechtsteile. Also männliche. Soll es auch in allen Größen geben. Vermutlich auch in der unmenschlichen 42.
Tja, und seitdem sitze ich hier und leuchte in sattem Rot. Mein Kopf sieht aus wie eine fulminante Weihnachtskugel, aber egal. Tochterkind hat ihre Schuhe und ich werde sicher bald meine natürliche Gesichtsfarbe zurückbekommen. Hoffe ich.


Samstag, 26. November 2016

293. Akt

Pfeif auf was in der Weltgeschichte passiert. Es gibt Wichtigeres. Immer!
Erdogan und Israel? Langweilig. Es gibt doch weitaus eklatantere Themen, mit denen man sich beschäftigen muss.
Da sind zum Beispiel Sarah und Pietro L.
Die beiden Kinder, die vom „Rammeln, Titten, Lallen“-Sender (Danke, lieber Freezer) seit ihrem ersten Auftauchen vor die Kameras gezerrt wurden, und seitdem nur noch unter Flutlicht leben.
Kann mal einer die beiden beiseite nehmen und erklären, dass es Dinge gibt, die man niemals, niemals, niemals sagt oder tut, wenn eine Kamera dabei ist? Und dieses eherne Grundgesetz wird auch nicht ausgehebelt, wenn ein Redakteur sagt: „Doch das musst du jetzt machen, sonst ist deine Karriere im Ar***.“
Ja, klar in und durch die Medien kann man einen Haufen Geld verdienen. Aber dann gleich Eisprung, Hausbau, Fremdgehen via Instagram und Facebook zu publizieren, kreide ich in allen Farben den Eltern der beiden an. Ich bin nun wahrlich keine zwanzig mehr, aber wenn ich vorhätte, die Flecken in meinem Bett mit der ganzen Welt zu teilen, dann würde mich meine Mutter mit Beton-Stiefeln in die Isar zum Schwimmen schicken. Und zwar bevor (!) ich so etwas mache. Meine Kinder würden vermutlich noch kopfschüttelnd irgendwelche Vorwürfe auf die Betonstiefel pinseln. Und womit? Mit Recht!
Aber das soll´s auch schon gewesen sein, von den beiden.
Früher sagte man in ähnlichen Situationen, dass man seine Seele an den Teufel verkauft habe. Aber wer braucht denn heute noch den gehörnten Honk mit dem Dreizack? Wir haben das private TV und genügend Leute, die so lange medial auf einen drauf hauen, bis man vor die Hunde geht. Das wiederum ist dann auch prima. Dann kann man nämlich grandios aufheulen und sich gleichzeitig am Untergang belustigen und darüber entsetzt sein.
Als ich vor vielen (sehr, sehr, sehr vielen) Jahren als erste „dunkelhäutige“ Miss Germany Finalistin von der BILD-Zeitung liebevoll und tröstend übers Haupt gestrichen bekam, lief bereit ein Rudel weiterer Journalisten übers Land, um Freund, Bekannte und Kollegen nach ein paar Nacktfotos von mir anzuhauen. Ich danke noch heute meiner juvenilen Prüderie und der Verschwiegenheit einiger Leute, dass ich nicht morgens aufgewacht bin mit einer Titelseite, auf der meine sekundären Geschlechtsorgane abgebildet waren. Und damals – Hurra – waren die Privaten noch in den Baby-Schuhen.
Ich oute mich und gebe zu, dass ich Sendungen wie das Dschungel-Camp oder Promi-Big-Brother liebe. Dort, wo sich Menschen (wissentlich um das Fiasko,welches sie unter Umständen aus ihrem Privatleben machen) treffen.
Zwischen Fremdschämen und lieb gewinnen finde ich dort meine komplette emotionale Spannbreite.
Meine Tochter hat mal gefragt, ob ich mir einen Aufenthalt im Dschungel-Camp vorstellen könnte. Dann fiel ihr aber ein, dass ich noch nicht mal bei hochgelassenen Jalousien ins Bad gehe, wenn es draußen finster wird und ich das Licht einschalten muss. Im schlimmsten Fall bin ich prüde oder spießig. Im besten Fall retro, vintage oder oldschool. Aber für mich gibt es Dinge, die man nicht vor so vielen Leuten tut.
Es sei denn man befindet sich auf einer drehenden Scheibe in St. Pauli und kriegt mordsviel Geld dafür.

Und man hat keine Mutter mit Betonmischer.      

Freitag, 25. November 2016

292. Akt 

Es ist wieder an der Zeit. Föhnige 19 Grad Ende November und George Michaels „Last Christmas“ lassen keine Zweifel aufkommen. Es wird wieder geweihnachtet was der Lebkuchen hergibt und der Spekulatius bröselt. Eigentlich mag ich diese Zeit.
Überall sieht man nun Menschen mit ständig ansteigender Verzweiflung im Blick, auf der Jagd nach dem passenden Geschenk. Und die Weihnachtsmärkte verkaufen fast mehr Prosecco als Glühwein. Einfach herrlich diese sanft konsumgeschwängerte Stimmung in Coca-Cola-Rot.
Und auch dieses Jahr werde ich wieder scheitern. Ich hatte nun viele Jahre Zeit zum Üben, aber ich kriege es immer noch nicht hin.
Die ansprechende, herzerwärmende Dekoration meiner Räumlichkeiten passend zur Jahreszeit.
Was diesen Sinn angeht, wurde in meiner Familie offensichtlich eine Generation übersprungen.
Nämlich meine. Meine Mutter ist eine begnadete Dekorateurin. Meine Tochter ebenfalls. Wenn die beiden ein paar Zweige auf den Tisch werfen und Kerzen drapieren, dann kommt sofort Weihnachtsstimmung auf. Wenn ich dasselbe mache, dann nadeln lediglich ein paar Zweige auf dem Tisch und den Wachs kriege ich kaum noch von der Platte. Es ist echt gemein. Selbst wenn ich mich exakt nach den Jahreszeiten-Seiten von Schöner Wohnen richte oder die Dekoabteilung aus den besten Möbelhäusern kopiere, sieht es immer so aus, als ob gleich einer kommt und sagt „Musst auch mal wieder aufräumen, ne?“
Das gleiche gilt übrigens für jede Form von Deko und für jedes zu dekorierende Fest. Zu Halloween habe ich noch letztes Jahr mit den Kindern Kürbisse geschnitzt. Die sahen cool aus und konnten wenigstens kurzfristig über meinen ausgeprägte Dilettantismus in diesem Bereich hinwegtäuschen.
Aber Ostern könnte ich auch einfach ne Packung Eier von freilaufenden Hühnern vor den Kamin stellen. Ich kriege es einfach nicht besser hin.
Na ja. Zumindest haben sich meine Kinder daran gewöhnt. Am kommenden Montag hat meine Tochter Geburtstag. So wie alle Jahre, werde ich die zwei Mickey Mouse „Happy-Birthday“-Girlanden an Gardinenstange und Lampe anbringen und auf weitere Deko verzichten. Ich lenke einfach mit schönen Geschenken ab. Dann schaut keiner mehr, ob es hier aussieht wie immer. Und der Vorteil vom Nicht-Dekorieren ist, dass ich hinterher auch nix wegräumen muss. Ja! Genau. Alles hat auch Vorteile. Selbst mein Versagen als Dekorateuse.


Donnerstag, 24. November 2016

291. Akt

Oh! Mein! Gott!
Tochterkind und ich haben uns total fahrlässig beworben und nun werden wir nach Köln eingeladen. So weit so gut. Allerdings haben wir uns in den letzten Wochen unserer Weihnachtsform angenähert. Nichtsahnend, dass wir unsere super-Sommershape-Figur noch einmal benötigen.
Klar freuen wir uns riesig, aber die Wahrscheinlichkeit innerhalb der nächsten vier Tage noch auf Größe 36 zu kommen ist verhältnismäßig gering. Zumal allein die Einladung schon exorbitante Gelüste weckt. Es geht nämlich zur Hammer-Modenschau der Lambertz Gruppe. Also Dominosteine, Lebkuchen, lecker Kekse und allerlei mehr. Vermutlich werde ich das erste Model sein, was nackig läuft, weil es sein Kostüm in einem Fress-Flash aufgefuttert hat.
Tochterkind ist da disziplinierter. Aber die hat es eh leichter. In dem Alter muss man nur mal fünf Minuten über Diät nachdenken und hat gleich drei Kilo runter. Im Gegensatz dazu, muss mir nur einen Moment lang eine Sachertorte in den Sinn kommen und ich habe drei Kilo drauf.
Fair ist das nicht.
Für die nächsten Tage aufs Laufband zu ziehen bringt es auch nicht. Wenn jetzt noch schnell vier Kilo runter sollen, dann müsste ich mich von einem Körperteil verabschieden.
Aber so viel ist es gar nicht. Lediglich eine seichte winterliche „Schwammigkeit“ gilt es in den Griff zu kriegen. Klingt leicht. Ist es aber nicht.
Heute Abend bin ich zum Beispiel bei einer Freundin eingeladen. Sie hat ganz lieb geschrieben, dass sie uns was zu Essen richten will. Ich habe darum gebeten darauf zu verzichten. Ich nehm dann mal ein Wasser. Auch lecker.

Aber sobald das Ganze rum ist, werde ich mir mal wieder zu einer großen Pommes rot-weiß mit Currywurst im Bergwolf antreten. Aber bis dahin vielleicht doch noch aufs Laufband.

Mittwoch, 23. November 2016

290. Akt 

Der Schlüssel dreht sich im Schloss und ich bin ein bisschen irritiert. Tochterkind kommt aus der Schule? Ist doch eigentlich viel zu früh. Sie kommt zu mir ins Büro und sieht traurig aus. Das mag ich nicht. Albern? Ist okay! Fröhlich? Ist prima! Genervt? Lässt sich auch ertragen! Aber traurig, nee, das mag ich nicht. Dann zeigt sie mir ihr Telefon.
Ich habe es ja nicht mit Technik. Weder mit Android noch mit Apple, aber ein geborstenes Display kann auch ich erkennen. Sieht nicht wirklich gut aus.
Dann erzählt sie, was passiert ist. Kurz vorm Gymnasium wurde sie von einem Radfahrer über den Haufen gefahren. Von hinten. Ich fass es nicht! Dem Typen hat es wohl nichts weiter ausgemacht. Kurz angehalten, umgedreht, wieder in den Sattel und weg war er. Blöd nur, dass Tochterkind dadurch zu Fall kam. Und ihr Handy ebenfalls.
Ihr ist glücklicherweise weiter nichts passiert, aber ihr Telefon hat den Kontakt mit dem Bürgersteig weit weniger gut weggesteckt.
Sie beschreibt den Radler als grauhaarigen Mann über fünfzig, auf einem silbernen Fahrrad. Ja, über fünfzig ist relativ und silberne Fahrräder nicht wirklich selten. Und dennoch. Mein erster Reflex ist sofort loszuziehen und jeden in Frage kommenden Radfahrer im Genick zu packen und für eine Gegenüberstellung nach Hause zu schleifen. Aber glücklicherweise setzt dann mein Verstand ein und weist mich auf die strafrechtlichen Konsequenzen einer entsprechenden Handlung hin. Ich frage mehrfach nach, ob sie wirklich nicht und nirgends verletzt sei. Aber so wie es aussieht, hat Tochterkind keine weiteren Beschädigungen davongetragen. Wenn sie auch nur eine Schramme hätte, würde ich nicht einen Moment zögern und diesen dämlichen Vollpfosten ausfindig machen. Unter Umständen müsste ich mal ein paar Tage vor der Schule warten, um zu schauen, ob es sich um seine Stammstrecke handelt. Für den Fall, dass es so ist, würde ich dafür sorgen, dass er künftig und lange ohne Sattel fährt. Im Gelände. Ohne Schmerzmittel!
Anzeigen lohnt nicht. Viel zu wenig Informationen. Die Anzeige würde im Sande verlaufen und mich nur unnötige Energie und Lebenszeit kosten.

Okay... jetzt ist erst mal Schluss mit arbeiten. Ich packe Kind 2.0 ein und wir fahren zu Apple. Sie hat sich das Telefon zu weiten Teilen hart erspart. Auch wenn ich das Geld nicht wirklich selber drucke und selber nur ein altes Samsung habe, kann ich sie mit dieser Bröselscheibe und den weiteren Defekten nicht einfach so alleine lassen. Und falls sie mir auf dem Weg den Radfahrer zeigt, der sie vorhin über den Haufen gemangelt hat, könnte es dann doch passieren, dass ich ein bisschen schneller agiere, als es mein Verstand gebietet. Ein plötzliches Türöffnen, wenn man sich auf selber Höhe befindet, wäre dann schon mal eine Maßnahme, die meiner momentanen Laune entspricht. Allerdings nur, wenn sie sich ganz sicher ist. dass er der Super-Honk ist. Und wenn keiner guckt.         

Dienstag, 22. November 2016

289. Akt

Mir ist nach Umgestalten. Jeden Tag sitze ich an meinem Platz hinter dem Computer und schaue nach vorne auf das Sofa. Es ist ein schönes Sofa, ohne Zweifel. Die Lampe über dem Glastisch schwebt wie ein Ufo. Die zehn rechteckigen Bilder an der Wand habe ich im ersten Jahr nach dem Einzug fotografiert und rahmen lassen. Alles ganz prima, wohnlich und gemütlich und dennoch möchte ich etwas verändern, was über einen Wechsel meiner Jeans oder der Hausschuhe hinausgeht. Unbedingt. Die Kreativität tropft mir schon fast aus dem Gesicht. Na ja, vielleicht ist es auch bloß der Sinn nach was Neuem. Für ein neues Sofa ist es noch zu früh. Es ist noch erstklassig und wenn ich an den Preis denke, den wir damals dafür bezahlt haben, müsste es eigentlich noch über zwei Generationen hinweg benutzt und besessen werden. Das Parkett muss auch noch bleiben. Viel zu viel Aufwand und letztendlich würde ich vermutlich genau das Gleiche wieder wählen. Auch der Kamin ist schön genug, als dass er umgestylt werden muss. Mein Blick schweift weiter. Vielleicht die Gardinen? Nee, auch nicht. Der Creme-Ton ist angenehm für´s Auge und passt eigentlich perfekt. Esstisch und Stühle? Hallo? Was will ich denn hier verbessern? Sieht doch echt prima aus.
So ganz offensichtlich fällt mir nichts ein, was ich tatsächlich ändern sollte oder will. Ich schaue noch ein bisschen rum, dann zuck ich mit den Schultern. Na ja.... vielleicht doch bloß zwei neue Kissen für´s Sofa und ein Paar neue Hausschuhe. Obwohl? Kissen hab ich eigentlich auch schon genug. Egal. Dann lackier ich mir halt die Nägel.

Montag, 21. November 2016

288. Akt 

Heute wurde ich angeschrieben. Ich hätte ja so schrecklich viele Kontakte. Ob ich nicht mal darüber nachdenken möchte vertrieblich tätig zu werden. Es geht um Kosmetika. Pflanzlich, unfassbar innovativ und einfach nicht von dieser Welt. Ein Produkt, welches man mir schon in wenigen Monaten verzweifelt aus den Händen reißen wird. Mein Erfolg wäre sicherlich extraordinär. Und mein Einkommen auch. 
Vor gar nicht allzu langer Zeit wurde ich auch gebeten, über den Vertrieb von Nahrungsergänzungsmitteln nachzudenken. Ich könne mich dumm und dämlich verdienen, hieß es.
Nun ja, viel Geld verdienen ist ja so schlecht nicht, allerdings werde ich per se ein bisschen skeptisch, wenn mir das Gefälle zwischen einem Haufen schnell verdienten Geldes im Verhältnis zu geringem Arbeitseinsatz und völliger Ahnungslosigkeit zu groß ist.
Abgesehen davon, dass ich Menschen nur sehr ungern etwas aufschwatzen möchte, wovon ich nicht überzeugt oder gar begeistert bin, kann man mich vertrieblich ohne zu zögern, als die größte Pfeife des Planeten bezeichnen.
Es liegt mir einfach nicht zu verkaufen. Immer, wenn jemandem etwas gefällt, dann bin ich geneigt vor lauter Mitfreude alles einfach herzugeben. Zumindest aber einen guten Preis zu machen. Gut für den Käufer. Nicht für mich. Ähnlich verhält es sich auch in die andere Richtung.
Ja, klar kann ich shoppen wie ein Berserker. So lange all die schönen Schuhe, Taschen und Kleider ein Preisschild haben, weiß ich wie es funktioniert. Aber sobald ich handeln muss, bin ich verloren.
Tochterkind verzweifelte unlängst mit mir, als wir einen Flohmarkt besuchten. Der Händler wollte für ein paar hübsche Hornknöpfe achtzehn Euro. So sagte er. Ich gab ihm zwanzig. Es waren wirklich außerordentlich schöne Knöpfe. Ich freute mich und verstand nicht, warum sich Tochterkind mit der flachen Hand vor den Kopf schlug und der Verkäufer so komisch grinste. Seit diesem Moment gebot mir Kind 2.0 auf dem Flohmarkt nur noch dezent auf Dinge zu verweisen, die mir gefielen und ihr und nur ihr(!) zu sagen, wie viel ich dafür zu zahlen bereit bin.
So verfuhren wir dann an den Ständen mit den schönen Borten und Spitzen. Verflixt! Wie machte sie das nur? Als wir am Ende abrechneten, stellte sich heraus, dass sie fast die Hälfte von dem bezahlt hatte, was ich sonst – beglückt über den erfolgreichen Kauf – über den Tresen geschoben hätte.
Also nein, handeln und verkaufen ist nichts für mich. Nicht auf dem Flohmarkt und auch nicht für das tollste Kosmetikprodukt oder Kraftfutter auf der Welt. Ich tue mich sogar schwer damit Verkaufsempfehlungen auszusprechen. Klingt immer ein bisschen eigenartig. Außer bei:
Leute lest! Kauft Bücher! Meine Bücher!
Obwohl... selbst das klingt komisch.


Sonntag, 20. November 2016

287. Akt 

Heute bin ich ja sowas von organisiert, high-class-logistisch aufgestellt und überhaupt gänzlich auf Zack. In Windeseile schreibe ich Zuhause einen Einkaufszettel, so dass ich nicht eine Minute zu lange im Tengelmann zwischen Gemüse und Tiefkühlware cruisen muss.
Der Euro für den Einkaufswagen liegt gut platziert in der Mittelkonsole meines Autos. Also muss ich nicht erst umständlich wühlen oder wechseln. Den Karton, um nachher alles ins Haus zu tragen, stelle ich in den Einkaufswagen. Und los geht’s. Die Gänge werden abgelaufen, als hätte ich vorher ausgiebig über die kürzeste Strecke gegrübelt.
Ich rausche durch Obst und Gemüse, hinüber zu den Marmeladen, husche noch zügig bei Spaghetti, Wein, Milch, Zucker und Mehl vorbei. Dort ein schneller Griff zu den Küchentüchern, hier noch fix die Kekse für Kind 1.0 eingepackt. Jaaaaa... es läuft auf eine Bestzeit hinaus.
An der Kasse dann nur noch Mitleid übrig, für die, die nochmal umkehren müssen oder falsch sortieren. Yessss!!! Heute bin ich die Heldin am Einkaufswagen! Miss Tengelman 2016! Liebling der genervten Kassiererinnen! Ich hab´s halt drauf!
Sobald die Dame hinter der Kasse meine Ware über den Scanner geschoben hat, sind Spaghetti, Eier, Milch, Mehl schon im Karton verstaut, so dass ich ihn nachher nur fertiggepackt aus dem Wagen ins Auto heben muss. Bin ja nicht blöd und packe draußen erst alles ein. Es regnet ja. Innerlich klopfe ich mir auf die Schulter. Einkaufswagen-Tetris-Deluxe. Vorsortieren auf dem Kassenband ist halt die halbe Miete.
Es fehlt nur noch die Fanfare, als ich den Laden verlasse. Was für eine kollossale Spitzenleistung. Mit einem Druck auf den Autoschlüssel möchte ich den Kofferraumdeckel hochschweben lassen, aber irgendwie klappt das nicht. Ich suche in meinen Manteltaschen und in meiner Jeans nach dem Schlüssel. Ich suche und wühle. Und dann fällt es mir wieder ein. Den hatte ich versehentlich beim Betreten des Ladens in den Karton geschmissen. Und dort liegt er jetzt. Eingebaut zwischen Milch, Mehl, Zucker,Wein und Küchentüchern. Ganz langsam sortiere ich die Ware wieder aus dem Karton in den Korb. Doch keine Medaille für´s schnellste Einkaufen. Schön, dass es jetzt aufgehört hat zu nieseln. Als wollte es mich ärgern schüttet es jetzt nämlich richtig.


Samstag, 19. November 2016

286. Akt

Okay, manchmal reicht auch ein Platz im Halteverbot. Tochterkind und ich stehen vorm Oberpollinger. Wie Ernst kann man eigentlich die Baustellen-Halteverbote nehmen? Wenn vor mir noch drei andere Fahrzeuge stehen, bin ich dann nur die Viertschlimmste? Egal. Alles ist besser, als die breiten Parkplätze weiter hinten. Da steht nämlich „Nur für Einsatzfahrzeuge der Polizei“ dran. Wer sich dort hinstellt, kann schon wenig später Verstecken spielen. Die Polizei mag es nämlich gar nicht, wenn Yuppie-Mutti dort aus Bequemlichkeit ihren Cayenne platziert, um nur kurz auf der Dachterrasse des Bayrischen Hofes mit ihrer Yuppie Freundin eine Latte Macchiato zu genießen. Schwupp! Ist die Schleuder weg. Und womit? Mit Recht. Steht ja extra dran. „Nur für Einsatzfahrzeuge“. Entsprechend stehe ich, wie gesagt, bloß im mobilen absoluten Halteverbot. Ja, ich liebe die Spannung. Ein Ticket ziehe ich mir aber trotzdem. So völlig rebellisch bin ich nun auch wieder nicht.
Tochterkind und ich betreten den Laden. Die Aufgabenstellung ist klar definiert. Ich suche eine rote Hose. Lang, schmal, Stoff. Kein Vermögen kostend und möglichst in meiner Größe. Ach ja. Ich sagte Rot. Nicht Bordeaux, Rose, Burgunder oder was auch immer. Rot. Basta!
Kaum im zweiten Stock angekommen sehe ich etwas Rotes, was mir gefällt. Ich steuere direkt darauf zu. Es ist schön rot. Allerdings ist es eine Bluse und kein Rock. Tochterkind macht mich darauf aufmerksam und ich wende mich von der Bluse ab. Wenige Schritte weiter wieder „Rot“. Und dazu noch flauschig. Kind 2.0 verdreht die Augen.
Mama, das ist ein Pulli. Du wolltest eine Hose.“
Okay, recht hat sie. Sah ja auch nicht wirklich wie eine Hose aus. Auch wenn der Pulli recht schön... aber lassen wir das.
Ein paar Kleider, Pullis und Röcke in sattem Rot weiter, packt mich Tochterkind bei der Hand.
Du musst doch nicht erst auf eine Fashion-Schule gehen, um eine Hose zu erkennen??“
Sie zieht mich zielstrebig zu Hosen hin und von anderen Dingen weg. Die einzigen roten Hosen die wir finden, sind entweder aus Kunstleder, in sieben-achtel-Länge (sieht bei mir immer aus, als hätte der Stoff nicht gereicht) oder einfach nicht rot genug.

Wir verlassen den Laden wieder. Gänzlich unerfolgreich und ein bisschen angespannt, wegen des Halteverbots. Uff! Der Wagen ist noch da und kein Strafzettel dran. Autotechnisch eine Win-Win-Situation. Wenigstens ein Erfolg. Als wir im Wagen sitzen fällt mir kein weiterer Laden ein, in dem ich noch suchen mag. Die Riem-Arcaden und PEP habe ich schon durch. Was soll´s, fahren wir halt wieder heim. An einer Kreuzung meint Tochterkind, ich sollte doch mittlerweile Rot von Grün unterscheiden können. „Klar!“ sage ich ihr. „Und die Ampel gerade war ganz sicher nicht rot. Bestenfalls schon ein bisschen länger gelb. Aber das suche ich ja gerade nicht.“     

Freitag, 18. November 2016

285. Akt 

Es geht nach Hause. Am Flughafen läuft ausnahmsweise alles mal völlig reibungslos. Kurz war ich ein bisschen nervös, denn irgendwo war in der Buchung ein Namensdreher. Auf meiner Bordkarte steht unter Vorname nämlich Manuela-Thoma und bei Nachname steht Adofo.
Alles halb so wild... eigentlich. Allerdings wurde ich bei der Reise nach Italien schon von einem eifrigen Beamten darauf hingewiesen, dass das bei der Ausreise Probleme geben könnte. Er hätte kein Problem mit dem „falschen“ Namen, aber wenn die Italiener keine Lust haben, dann würden sie mich mit so einer Bordkarte nicht fliegen lassen.
Wie gesagt, letztendlich hätte auf meiner Bordkarte auch „Haus-und-Hof-Knalltüte-von-und-zu-Thoma-ist-mir-doch-wurscht“ stehen können, ich darf einsteigen und damit ist alles prima.
An Bord werde ich von einem ganz bezaubernden italienischen Steward begrüßt, dessen Augenbrauen akkurater gezupft und nachgezogen sind, als die von Lady Gaga. Hinter ihm steht eine Kollegin, die mich mit breitem Lächeln ebenfalls begrüßt.
Huch, sind die heute alle gut drauf, denke ich mir, und suche meinen Platz..
Ich bin noch nicht mal angeschnallt, da kommt die Dame in dem Air Dolomiti Kostüm und reicht mir ein Kissen.
Planen die was? Bin ich bei Versteckte Kamera? Soviel Freundlichkeit macht mich nervös. Zumal die anderen Fluggäste alle schnöde auf ihre Sitze verwiesen werden.
Es ist ja nicht so, dass die Dame beängstigend aussieht. Nein, ganz sicher nicht. Vielleicht 1,65 m groß, brünett mit hellen Strähnchen. Vielleicht einen Hauch zu viel Augen Make up, aber alles in allem ganz angenehm.
Komisch bloß, dass sie mir bei jedem Vorbeigehen fröhlich zublinzelt.
Als sie die Getränke bringt, streift ihre Hand die meine. Und zwar sowohl beim stillen Mineralwasser, als auch beim Prosecco. Zufall? Keine Ahnung.
Als sie meinen Becher abholt, um ihn in den Müll zu werfen, wird es dann ziemlich deutlich. Das ist ja kaum noch „Hand streifen“, das ist vollumfänglicher und unbestreitbarer komplett-Handflächenkontakt. Jedes Mal mit einem so tiefen Blick, der mich fürchten lässt, dass die Baumwolle meines Pullis Feuer fängt.
Was kommt als nächstes? Wirft sie mir gleich Kusshände zu? Macht sie eine Durchsage, dass sie soeben die Liebe ihres Lebens auf Platz 16 F gefunden hat? Oder will sie mich bloß für eine Nacht? Man hat ja so viel gehört über Flugbegleiterinnen.
Kurz erinnere ich mich daran, dass ich Anfang zwanzig auch fast bei der Lufthansa gelandet wäre.
Als wir zur Landung ansetzen wird mir heiß und kalt. Und das, obwohl alles recht geschmeidig läuft.
Aufsetzen, bremsen, zum Platz rollen, an dem der Bus auf die Passagiere wartet. Ich greife nach meinem Handgepäck und habe ein unverbindliches „Buona serata“ auf den Lippen.
Ich bin schon fast vorbei, als ich einen kleinen Zettel in die Hand gedrückt bekomme.
Die Schritte zum Bus scheinen ewig lang. Kaum schließen sich die Türen schaue ich nach.

Okay, ich habe jetzt ihren Namen und ihre Nummer. Aber was soll ich damit, liebe Laura? Die Zeiten, in denen ich Flugangst hatte sind schon lange vorbei. Und wenn ich mit meinem charmanten Eindösen am Flugzeug-Fenster das Herz gebrochen habe, dann tut es mir leid. Also weiterhin guten Flug und nein, ich bin keine Frau für Kurzstrecke.   

Donnerstag, 17. November 2016

284. Akt

Es gibt ja Vieles was ich verstehe. Natürlich tue ich mich bei anderen Dingen wiederum schwer. Aber eines werde ich in hundert Jahren nicht kapieren. Wieso zum Teufel, stehen manche Männer auf Zicken?
Also die Frauen, die nur eines höchstprofessionell beherrschen, und zwar das völlig grundlose Schmollen, Nörgeln und alles doof Finden.
Ein sehr guter Freund von mir zum Beispiel. Er ist sehr erfolgreich im Filmgeschäft (nein, nicht vor der Kamera), außerordentlich attraktiv (tja, auch als gute Freundin habe ich Augen im Kopf), integer, witzig, intelligent und wirtschaftlich überdurchschnittlich etabliert. Und total vernagelt, wenn es um Frauen geht.
Die aktuelle Freundin (sowie ihre Vorgängerinnen, die mir bekannt sind) erfüllt sicherlich alle Voraussetzungen an jeden optischen Anspruch. Und damit bin ich schon am Ende, in der Aufzählung ihrer Vorzüge. Gut, vermutlich muss sie Qualitäten in Bereichen haben, die mir persönlich im Umgang mit ihr nie bekannt werden. Allerdings müssen diese Qualitäten derart exorbitant und nicht von dieser Welt sein, dass sie dieses ständige Gezicke überlagern. Egal, was mein Freund macht, es gibt etwas dran auszusetzen. Am Essen, an der Kleidung, am ausgewählten Lokal, an seinem Umgang (hehe... da gehöre ich dann wohl dazu) und sogar an seinen Geschenken. Er bringt ihr Blumen, sie sagt „Wo soll ich denn nun hin damit? Außerdem mag ich keine Rosen.“ Er schenkt ihr Ohrringe, sie sagt, „Weißgold ist sowas von gestern.“. Er lädt sie zu einem super Wochenende in ein fünf Sterne Haus mit allem drum und dran ein, und sie nörgelt, dass sie nichts zum Anziehen habe. Selbstverständlich braucht er auch nichts zum Anziehen zu kaufen, denn alles ist zu weit, zu kratzig, zu old-fashioned oder einfach nur doof. Und nicht nur das. Viel schlimmer, als das verbale Genörgel ist der dazugehörige Gesichtsausdruck. Wie ein sechs Monate altes Baby, bei dem die Stillzeit um eine Stunde überschritten wurde, schiebt sie dann ihre Unterlippe vor und verdreht die Augen. Während ich sie dann gerne im Genick packen und mit dem Gesicht in ihren Salat drücken möchte, schmilzt mein Freund wie Butter in der Mikrowelle, nimmt ihre Hand und tut so, als ob er gerade versehentlich Bambi überfahren hätte.
Ich kapiere es einfach nicht. Genau dieses Verhalten habe ich (mit Entsetzen) schon bei einigen männlichen Bekannten festgestellt. Da laufen hunderte kompetente, charmante, witzige, intelligente und schöne Single-Frauen durch die Welt und die tollsten Männer greifen gerne mit Anlauf ganz tief in die „Bloß die nicht!“-Tonne.
Vielleicht sollte ich es mal genau so probieren. Im Nörgel-Ton die Unterlippe vorschieben, dass es reinregnen könnte, die Augen verdrehen und alles Sch***e finden.
Allein bei dem Gedanken stellen sich meine Nackenhaare auf. Und dann schaue ich mich bei meinen Freundinnen um und bin einfach nur froh, dass sie echt und authentisch sind, ohne so eine dämliche Show abzuziehen. Dann lieber unbemannt im Orbit kreisen, als sich derart doof zu gebärden.

Mädels, bleibt lieber Single als Dumpfbacke. Ihr seid wunderbar. 

Mittwoch, 16. November 2016

283. Akt

Ich trage Rot. Also bei meinen aktuellen Lesungen. Rotes Buch, roter Fummel. Bei den Lesungen zu dem Vorgängerbuch trug ich schwarz.  Passend zum Buch. Das nächste Cover des letzten Teils der „33 Grausamkeiten“ wird von der Grundfarbe her weiß sein. Ich schaue in meinen Kleiderschrank, ob ich außer meinen Brautkleidern (Ja, manchmal ist es nicht schlecht, wenn man Auswahl hat), sonst noch was in weiß habe. Ich werde fündig. Nicht unbedingt viel, aber durchaus mehr, als dass ich in meinem plüschigen, weißen Frottee-Bademantel vors Publikum muss. Eigentlich eine Spinnerei. Also das mit den passenden Klamotten zum Buch. Aber ich habe ja nie behauptet, dass ich zu täglicher und andauernder Seriösität neige. Bei der letzten Lesung wies ich mit einem Wikipedia Eintrag darauf hin, dass sich meine Zuhörer nicht rausreden könnten, sie seien nicht gewarnt gewesen. Rot ist neben Gelb nämlich die ultimative Warnfarbe. Ätsch! Wenn ich also in einem roten Rock, rotem Pulli und einem roten Buch in der Hand vor meinem Publikum stehe und sie bleiben entspannt, dann gehe ich davon aus, dass sie wissen, was es geschlagen hat.
Schnell google ich noch mal nach, wofür die Farbe „Weiß“ so alles steht.
Okay, bevor nun die „Weiß ist eigentlich gar keine Farbe“-Informationen auflaufen – das ist mir schon klar. Und es ist mir wurscht. Viel interessanter ist, dass Weiß für Jungfräulichkeit, Reinheit, Unschuld und Unendlichkeit steht. Also zumindest im westlichen Kulturkreis.
Ich komme ins Grübeln. Wie soll ich denn meinen Zuhörern hier einen Zusammenhang erklären, wenn es so weit ist? Wenn ich dann im weißen Kleidchen vor ihnen stehe und ein Buch mit dem Titel „33 Grausamkeiten III“ in der Hand halte, wird es schwierig. Dann erzeugen Worte wie Unschuld, Reinheit und Jungfräulichkeit eher schallendes Gelächter. Egal. Mir wird schon was einfallen, was ich dann sage.

Da habe ich es in Rot im Moment einfach besser. Und letztendlich könnte ich ja auch im Skunk-Kostüm mit Bunny-Öhrchen und Schwimmflossen an den Füßen vorlesen. Ist ja mein Buch. Und mein Publikum. Und meine Macke.        

Dienstag, 15. November 2016

282. Akt

Okay... die Hoffnung war groß, aber nun hat sie sich erneut verabschiedet. Meine Stimme. Zumindest alles, was sich im normalen Bereich abspielt. Wenn ich rede, dann klingt es – wenn man überhaupt etwas hört - wie ein Chorknabe mit viel zu engen Hosen und wie Jango, der knallharte Cowboy. Sopran und Bass, aber gleichzeitig. Und trotzdem Mono-Sound.
Als ich um 6 Uhr aufstehe, merke ich es selber noch gar nicht. Ich halte selten Selbstgespräche vor dem ersten Kaffee. Als ich allerdings um 6.30 Uhr meine Tochter wecken will, kommt kein fröhliches „Guten Morgen. Aufstehen. Schule.“ meinerseits. Sondern bloß etwas das klingt, wie eine Waschmaschine mit ausgehängter Trommel. Eine sehr alte Waschmaschine. Ich krächze und versuche noch deutlicher und lauter zu sprechen, aber das einzige Ergebnis ist ein mitleidiger Blick meiner Tochter. Sie schaut von ihrer Schlaf-Galerie herab und schüttelt mit dem Kopf.
Das klingt nicht gut. Leg dich besser wieder hin.“
Tja, leichter gesagt als getan. Ich muss los. Brötchen holen und einkaufen. Hoffentlich begegne ich keinem, denke ich. Leider vergeblich. Ich begegne allen, denen ich um diese Zeit begegnen kann. Bei den meisten reicht ein freundliches Nicken und ein angedeutetes „Guten Morgen“. So kann ich mich ohne eigenartige Blicke und mitleidige Lachanfälle durchlavieren. Schwierig wird es nur, wenn mich jemand direkt anspricht. In der Regel erfolgt immer eine Nachfrage und dann der Satz: „Klingt nicht gut. Erkältet?“
Was soll ich darauf sagen? „Ich arbeite an einer versoffenen Version von Bonnie Tyler.“? Glaubt mir doch eh keiner.
Im Tengelmann treffe ich eine ehemalige Nachbarin. Sie nutzt die Chance und quasselt mir ein Ohr ab. Ich bin hilflos. Kann ja nicht antworten. Zumindest nicht so, dass man es hört oder gar versteht. Irgendwann brumme ich nur irgendwas, lächle und wende mich ab. Mann, bin ich froh, als ich wieder Zuhause bin.
Mein Sohn meint, dass ich den Tag über nicht weiter reden soll. Es würde meiner Stimme überhaupt nicht guttun, wenn ich weiterhin Menschen mit meinen Geräuschen belustige. Als er hört, dass ich am Nachmittag in die Stadt muss, lacht er sich schlapp. Nicht weil ich das vorhabe, sondern weil ich dort zu einer Besprechung hin will. Bei dem Wort fällt er vor Lachen aufs Sofa.
Besprechung???“ Er rollt zwischen den Kissen. „Was willst du denn sagen? Und vor allem wie? Gebärdensprache? Wirfst du ihm Zettel zu?“ Kichernd verzieht er sich in sein Zimmer.
Ich habe vor einen befreundeten Fotografen zu treffen. Ich halte viel von ihm und seiner Arbeit. Wir wollen gemeinsame Projekte besprechen. Aber das könnte in der Tat schwierig werden.
Einen Moment überlege ich, ob ich nicht tatsächlich den kleinen Block mit den bunten Zetteln mitnehmen soll.
Was, wenn er mich nicht versteht und wir von vollständig unterschiedlichen Projekten reden? Ich befürchte, dass ich absagen muss.
Von weitem sehe ich den DHL Wagen nahen. Ich bin froh, dass er vorbei fährt. Wenn heute der falsche Bote an der Tür kommt, dann hätte er erstmals gute Karten. Auf seinen Schwachsinn nicht laut und deutlich antworten zu können, würde mir schon fast physisch wehtun.
Ich nehme eine weitere Tablette, die mir helfen soll, meine Stimme recht zeitnah zurückzuerhalten. Aber es hilft einfach nix. Keine Tabletten, kein Ingwer, keine leises Summen. Ich kann nicht sprechen.

Ich sag meinem Freund und Kollegen für den Nachmittag ab. Es hat keinen Sinn. Heute gibt es keine Gespräche oder gar Telefonate. Nur freundliches Grinsen, Nicken oder Kopfschütteln. Und dann koche ich mir noch einen Tee mit Honig.  

Montag, 14. November 2016

281. Akt 

Ich habe schon die ersten fünf Geschichten für mein neues Buch „33 Grausamkeiten III“ fertig. Bei der sechsten hänge ich ein bisschen. Es geht um eine zwischenmenschliche Beziehung. Na ja, letzten Endes geht es eher darum, wie diese Beziehung kaltblütig beendet wird. Aber erst mal muss es einen zwischenmenschlichen Kontakt geben. Via Internet.
Ich möchte etwas über Fling schreiben. Kontakte weltweit. Aber wie auch immer, lande ich bei Tinder. Keine Ahnung warum. Die App bietet mir an mich mit Facebook anzumelden, aber das ist mir zu gefährlich. Zack! Und schon bleibt meine Recherche nicht im Verborgenen, sondern wird gleich mal mit über tausend Kontakten geteilt. Jedem dann zu schreiben, dass ich das ganze Dingens nur brauche, um eine Geschichte zu konstruieren, wäre sehr aufwendig und würde vermutlich von vielen nicht wirklich ernst genommen werden. Ich starte motiviert, bremse aber schon nach kurzem ab.
Große Panik. Was mache ich, wenn ich einem bekannten Gesicht begegne? Einem Nachbarn? Meinem Gynäkologen? Nicht auszudenken.
Ich habe selbst nach einer Stunde nicht begriffen, in welche Richtung ich „swipen“ muss, um der virtuellen Liebe meiner männlichen Hauptfigur zu begegnen. Irgendwann heißt es auf einmal, dass ich keine weiteren Vorschläge erhalten werde. Zumindest für heute. Hä? Warum? Mein suchender Kandidat kann doch so übel nicht sein? Foto und Agenda sind überaus ansprechend. Die Fotos die ich bisher gesehen habe, waren ja auch nicht hässlich. Aber alles in allem kann man meines Erachtens nicht oberflächlicher an der Dating-Grenze surfen, als bei dieser virtuellen Plattform. Viele Frauen scheinen sich über ihre sekundären Geschlechtsmerkmale zu definieren. Zumindest zeigen die Bilder mehr Brüste, als lächelnde Gesichter. Liegt das an der Uhrzeit. Mir ist schon klar, dass ich nachher das Ganze mal andersherum probieren müsste. Also, als Frau nach einem männlichen Protagonisten suchen.
Allein der Gedanke daran, was mir dann optisch an primären Geschlechtsorganen blüht, lässt mich ein wenig Abstand von der Idee zur Story nehmen.
Das Ende vom Lied ist, dass ich vorerst auf die Geschichte verzichten werde. Vielmehr werde ich nochmal überdenken, ob der Protagonist seine Liebste (nächste Leiche) wirklich über Tinder kennenlernen muss. Vielleicht wäre es besser, ihn auf dem Bahnhof zu verkuppeln. Oder im Supermarkt. Ich deinstalliere die App und bin froh, niemandem Tinder-technisch begegnet zu sein, dem oder der ich beim Brötchen holen begegnen kann. Vielleicht bin ich zu romantisch oder einfach nur zu naiv. Wenn es mir noch nicht mal gelingt, die Figuren in meinen Geschichten so herzlos zu verkuppeln, dann sollte ich noch mal über den Buchtitel nachdenken. Oder ich schreibe vor den nächsten fiesen Kurzgeschichten mal was Nettes.
Ach Quatsch! Morgen recherchiere ich auf dem Bahnhof oder Flughafen. Irgendwie bringe ich meine Hauptfigur noch an sein Opfer. Auf keinen Fall wird aus „33 Grausamkeiten III“ so etwas wie ein Rosamunde Pilcher-Lovestory-Aufguss. Nicht, dass die Autorin oder ihre Bücher schlecht sind (keine Ahnung, ich bin leider noch nicht dazu gekommen, was von ihr zu lesen), aber Grausamkeiten bleiben Grausamkeiten. Wer mich in „nett“ will, der muss warten, bis ich mal gewaltig vor ´ne Laterne laufe. Vielleicht klappt das mit den romantischen Romanen ja, wenn ich kreisende Sternchen sehe. Aber so rechte Hoffnung möchte ich hierfür keinem machen.


Sonntag, 13. November 2016

280. Akt

Super, das Krächzen aus meiner Stimme ist gestern Mittag endlich verschwunden. Blöd nur, dass es meine Stimme gleich mitgenommen hat. Normalerweise nicht weiter schlimm, in dem Fall allerdings schon ein bisschen doof. Eine Lesung steht nämlich ins Haus. Seit heute Morgen geht es ein bisschen besser. Also stimmlich zumindest. Dass sich die Körpertemperatur nicht an die üblichen siebenunddreißig Grad hält, ist mir wurscht. Aber mein Kreislauf nervt. Läuft noch nicht ganz rund. Auch nicht gut. Theoretisch könnte ich ja ins Bett gehen, allerdings trifft die heutige Lesung auf unser traditionelles jährliche Familienfest. Das heißt, unten in Wohnzimmer, Küche und Esszimmer tummeln sich meine Mutter, meine Schwestern, mein Bruder mitsamt ihrer Kinder und mittlerweile auch schon Enkel. Ganz schöner Betrieb. Ich liebe es und wünsche mir, dass ich irgendwie recht fix ein bisschen fitter werde.
Meine Nichte versorgt mich laufend mit irgendwelchen Vitaminpräparaten. Sie ist Ökotrophologin, sie kennt sich aus. Außerdem ist sie eben meine Nichte, also verlass ich mich einfach auf sie.
Ganz falsch scheint es auch nicht zu sein. Eine Stunde bevor ich zur Lesung gehe, merke ich, dass sich Körpertemperatur und Kreislauf für ein Weilchen auf eine Normalfunktion geeinigt haben. Für den Notfall habe ich auch schon einen Lösungsansatz gefunden. Für den Fall nämlich, dass ich unerwarteter Weise krankheitsbedingt die Hufe hochschlage, reiche ich das Buch an meinen Autorenkollegen Ulli Radermacher weiter. Er ist auch im Publikum. Dadurch, dass er selber auch Lesungen veranstaltet, würde er es problemlos hinkriegen, während ich im Nebenraum wieder auf die Beine komme. Er wird nicht so gut in mein rotes Kostümchen passen wie ich, aber was soll´s. In erster Linie geht es ja um das Buch.
Im Café des Pflegeheims ist für sechzig Personen bestuhlt. Und schnell stellen wir fest, dass wir gut vierzig weitere Stühle benötigen. Der Hausmeister bleibt ruhig. Er baut seitlich und nach vorne hin an, so dass alle Gäste einen Platz finden. Mein Neffe Marc hat die Versorgung mit den Getränken im Griff. Zwischendurch lässt er mal nachfragen, ob es okay ist, dass sich eine der Patientinnen schon das fünfte Glas Gratis-Prosecco abholt. Ich finde es okay. Wenn sie Spaß hat, dann freut es mich. Sie nimmt ja schließlich keine Kiste Sekt auf ihrem Rollator mit in ihr Zimmer. Tochterkind macht mit ihrem besten Freund Philipp den Bücherverkauf. Und jeder, der sie schon mal kennengelernt hat, begrüßt meine Mutter mit einem herzlichen „Hallo Mutti“. Selbst sie hat schon einen eigenen Fanclub und Tochterkind meint, sie bräuchte bald eine eigene Fan-Seite bei Facebook. Alles läuft prima. Mit unserem Kampfschrei „Auf die Familie“ sind alle anwesenden Gäste vorgewarnt, dass ich heute mit großer Besetzung anrücke.
Beim Blick ins Publikum bin ich ziemlich stolz. Meine Freundinnen aus der Stadt sind da. Meine liebsten Pflegerinnen aus dem Seniorenheim ebenfalls. Wie erwähnt, meine Familie und viele Menschen, die mir im Laufe der Zeit sehr ans Herz gewachsen sind.

Ein Prosecco noch und dann geht’s los. „33 Grausamkeiten II“ - Noch schnell die Brille auf und neunzig Minuten Spaß. Ich liebe meinen Job.  

Samstag, 12. November 2016

279. Akt 

Einmal im Jahr rückt meine Familie bei mir an. Das mag für den einen bedrohlich klingen und andere möglicherweise in Panik versetzen. Ich finde es hingegen immer genial.
Selbst wenn man bei diesen Treffen merkt, wie schnell die Zeit vergeht. Meine kleine Jenny bringt erstmalig ihren eigenen Nachwuchs mit. Und für mich ist es immer noch ein bisschen komisch, dass meine Schwester, mit der ich mich doch erst vor ein paar Jahren (???) durch die Pubertät gequält habe, schon Oma ist. Hab ich ihre Tochter Jenny nicht erst vor kurzem noch selber gewickelt?
Alle Zimmer sind besetzt. Meine Mutter schläft im Gästezimmer im Keller, mein Bruder im Wohnzimmer im Untergeschoss, Nichtenkind mit Mann und Baby habe ich in meinem Schlafzimmer einquartiert, dafür gehe ich ins Wohnzimmer im Erdgeschoss. Und der Rest übernachtet im Hotel oder bei meiner kleinen Schwester. Für achtundvierzig Stunden wird es hier klingen wie in einer Bahnhofshalle. Auch der Betrieb ist ähnlich. Tochter und jüngste Nichte backen gemeinsam, während wir anderen Geschichten erzählen, die mit „Weißt du noch...“ beginnen und mit wüstem Gelächter aufhören. Wenn meine Mutter dann genug Amaretto hat, wird jedes begonnene Lied mit „Yesterday“ von den Beatles beendet und einmal pro Stunde wird „Nur nicht aus Liebe weinen“ von Zarah Leander angestimmt.
nur nicht aus Liebe weinen,
es gibt auf Erden nicht nur den Einen,
es gibt so viele auf dieser Welt,
ich liebe jeden, der mir gefällt... 
Mutti halt. Aber zum Schluss werden wir dann immer traditionell. Die Kinder (Okay, sie sind zwischen vierzehn und dreißig Jahre alt) werden genötigt die Fichte im Garten zu schmücken und im Anschluss dekorieren sie dann jedes Mal auch noch meinen Bruder. Seine hüftlangen Dreadlocks werden mit grünen und roten Weihnachtskugeln behängt, während er stoisch seinen Kaffee trinkt. Zum Schluss bekommt er eine Girlande um den Hals. Manchmal auch eine Indoor-Lichterkette. Dann wird „Christmas-Ronny“ mit seinen Nichten und Neffen fotografiert und sagt, dass er das nie mehr mitmachen wird. So wie in jedem Jahr. Völlig egal wie alt wir werden, wir bleiben glücklicherweise immer der gleiche durchgeknallte Haufen, der in den 60ern gegründet und mit den Jahren angewachsen ist. Und jetzt hole ich schon mal die Kugeln aus dem Keller, summe leise Last Christmas und mach mir einen Glühwein warm.

Freitag, 11. November 2016

278. Akt

Tochterkind ist glücklich. Die Sache mit der Seminararbeit hat sie endlich hinter sich. Gemeinsam mit einer Freundin sitzt sie bei mir am Esstisch. Beide Mädels tragen ihre Superhelden-Kostüme. Denn das Thema zur Abgabe-Party heißt Superhelden und Superschurken. Der Trichter in der Küche zeigt mir, dass sie die „Getränke“ für die spätere Party schon angemischt haben. Zwei Flaschen. Sie sehen aus wie aus dem Laden.
Mir ist klar, dass sich in den beiden Limo-Flaschen nicht nur Limonade befindet, aber ich mach da kein Theater. Mir ist tausend Mal lieber, ich bin informiert, was da drin ist, als dass ich glaube, ein Verbot durchgesetzt zu haben und dann doof und unwissend daneben stehe.
Ich wünsche den Kids eine tolle Party und weiß, dass ich um halb drei noch mal los muss Kind 2.0, und unter Umständen ein kleines Rudel anderer Jugendlicher, nach Hause zu shuttlen.
Soweit ist eigentlich alles problemlos. Stunden später liegt Tochterkind zufrieden und ausgefeiert in ihrem Bettchen.
Am nächsten Tag sitze ich am Rechner. Tochterkind hat es tatsächlich geschafft ohne Murren aufzustehen und zur Schule zu gehen. Übernächtigt und verkatert, aber ohne zu jammern. Mein Kind halt.
Ich sitze hinter dem Bildschirm und arbeite. Kaffee hatte ich schon zwei, also schaue ich, was der Kühlschrank noch so hergibt.
Oh, wie lieb. Tochterkind hat nicht die ganze Limonade für die Party vermischt, sondern eine halbe Flasche im Ursprungszustand zurückgelassen. Supi, dann ist das jetzt meine. Die Plörre ist ein bisschen süß, aber schmecken tut es trotzdem. Bei uns darf nur aus der Flasche getrunken werden, wenn man selbige auch vollständig leert. Also nicht sofort, aber schon in absehbarer Zeit. Also steht die Flasche neben mir. Es ist nur noch eine kleine Pfütze drin. Komisch. Irgendwie lecker. Anders, aber lecker.
Ich höre Tochterkind an der Tür. Und sie kommt zu mir an den Tisch, während ich gerade begonnen habe, meinen Text viel lustiger zu finden, als er eigentlich ist.
Du gibst es dir aber schon ziemlich früh, Mama.“
Mein Kind steht vor mir und weist auf die Limo-Flasche.
Ich komme ins Grübeln.
Da ist doch nicht? Du hast doch alle mitgenommen? War da jetzt...?“
Ja, Mama. Ich habe doch gesagt, dass man es kaum schmeckt. Du hast nicht wirklich die halbe Flasche alleine, oder...?“
Ach was soll´s ich klappe meinen Rechner zu. Mir ist blümerant und ich glaube, es ist besser, mich eine Stunde hinzulegen. Ich bin ja schon froh, dass ich das Zeug nicht mit ins Auto genommen habe, wie ich es manchmal mache. Von Ampel zu Ampel wird das Rot dann nämlich roter und das Grün recht frühlingshaft. Ich rieche nochmal am Rest der Limonade. Da merkt man nix, nix, nix. Und fast aus einem Reflex leere ich das letzte bisschen kichernd aus der Flasche. Tochterkind schüttelt mit dem Kopf.
Schon mal was von Vorbildfunktion gehört?“ Sie grinst.

Ach ist mir doch gerade wurscht. Die Seminararbeit ist fertig. Hurra. Ich feiere einfach mit den Abiturienten mit. Später. Jetzt geht es aber erst mal ins Bett.