Montag, 14. November 2016

281. Akt 

Ich habe schon die ersten fünf Geschichten für mein neues Buch „33 Grausamkeiten III“ fertig. Bei der sechsten hänge ich ein bisschen. Es geht um eine zwischenmenschliche Beziehung. Na ja, letzten Endes geht es eher darum, wie diese Beziehung kaltblütig beendet wird. Aber erst mal muss es einen zwischenmenschlichen Kontakt geben. Via Internet.
Ich möchte etwas über Fling schreiben. Kontakte weltweit. Aber wie auch immer, lande ich bei Tinder. Keine Ahnung warum. Die App bietet mir an mich mit Facebook anzumelden, aber das ist mir zu gefährlich. Zack! Und schon bleibt meine Recherche nicht im Verborgenen, sondern wird gleich mal mit über tausend Kontakten geteilt. Jedem dann zu schreiben, dass ich das ganze Dingens nur brauche, um eine Geschichte zu konstruieren, wäre sehr aufwendig und würde vermutlich von vielen nicht wirklich ernst genommen werden. Ich starte motiviert, bremse aber schon nach kurzem ab.
Große Panik. Was mache ich, wenn ich einem bekannten Gesicht begegne? Einem Nachbarn? Meinem Gynäkologen? Nicht auszudenken.
Ich habe selbst nach einer Stunde nicht begriffen, in welche Richtung ich „swipen“ muss, um der virtuellen Liebe meiner männlichen Hauptfigur zu begegnen. Irgendwann heißt es auf einmal, dass ich keine weiteren Vorschläge erhalten werde. Zumindest für heute. Hä? Warum? Mein suchender Kandidat kann doch so übel nicht sein? Foto und Agenda sind überaus ansprechend. Die Fotos die ich bisher gesehen habe, waren ja auch nicht hässlich. Aber alles in allem kann man meines Erachtens nicht oberflächlicher an der Dating-Grenze surfen, als bei dieser virtuellen Plattform. Viele Frauen scheinen sich über ihre sekundären Geschlechtsmerkmale zu definieren. Zumindest zeigen die Bilder mehr Brüste, als lächelnde Gesichter. Liegt das an der Uhrzeit. Mir ist schon klar, dass ich nachher das Ganze mal andersherum probieren müsste. Also, als Frau nach einem männlichen Protagonisten suchen.
Allein der Gedanke daran, was mir dann optisch an primären Geschlechtsorganen blüht, lässt mich ein wenig Abstand von der Idee zur Story nehmen.
Das Ende vom Lied ist, dass ich vorerst auf die Geschichte verzichten werde. Vielmehr werde ich nochmal überdenken, ob der Protagonist seine Liebste (nächste Leiche) wirklich über Tinder kennenlernen muss. Vielleicht wäre es besser, ihn auf dem Bahnhof zu verkuppeln. Oder im Supermarkt. Ich deinstalliere die App und bin froh, niemandem Tinder-technisch begegnet zu sein, dem oder der ich beim Brötchen holen begegnen kann. Vielleicht bin ich zu romantisch oder einfach nur zu naiv. Wenn es mir noch nicht mal gelingt, die Figuren in meinen Geschichten so herzlos zu verkuppeln, dann sollte ich noch mal über den Buchtitel nachdenken. Oder ich schreibe vor den nächsten fiesen Kurzgeschichten mal was Nettes.
Ach Quatsch! Morgen recherchiere ich auf dem Bahnhof oder Flughafen. Irgendwie bringe ich meine Hauptfigur noch an sein Opfer. Auf keinen Fall wird aus „33 Grausamkeiten III“ so etwas wie ein Rosamunde Pilcher-Lovestory-Aufguss. Nicht, dass die Autorin oder ihre Bücher schlecht sind (keine Ahnung, ich bin leider noch nicht dazu gekommen, was von ihr zu lesen), aber Grausamkeiten bleiben Grausamkeiten. Wer mich in „nett“ will, der muss warten, bis ich mal gewaltig vor ´ne Laterne laufe. Vielleicht klappt das mit den romantischen Romanen ja, wenn ich kreisende Sternchen sehe. Aber so rechte Hoffnung möchte ich hierfür keinem machen.


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