281. Akt
Ich
habe schon die ersten fünf Geschichten für mein neues Buch „33
Grausamkeiten III“ fertig. Bei der sechsten hänge ich ein
bisschen. Es geht um eine zwischenmenschliche Beziehung. Na ja,
letzten Endes geht es eher darum, wie diese Beziehung kaltblütig
beendet wird. Aber erst mal muss es einen zwischenmenschlichen
Kontakt geben. Via Internet.
Ich
möchte etwas über Fling schreiben. Kontakte weltweit. Aber wie auch
immer, lande ich bei Tinder. Keine Ahnung warum. Die App bietet mir
an mich mit Facebook anzumelden, aber das ist mir zu gefährlich.
Zack! Und schon bleibt meine Recherche nicht im Verborgenen, sondern
wird gleich mal mit über tausend Kontakten geteilt. Jedem dann zu
schreiben, dass ich das ganze Dingens nur brauche, um eine Geschichte
zu konstruieren, wäre sehr aufwendig und würde vermutlich von
vielen nicht wirklich ernst genommen werden. Ich starte motiviert,
bremse aber schon nach kurzem ab.
Große
Panik. Was mache ich, wenn ich einem bekannten Gesicht begegne? Einem
Nachbarn? Meinem Gynäkologen? Nicht auszudenken.
Ich
habe selbst nach einer Stunde nicht begriffen, in welche Richtung ich
„swipen“ muss, um der virtuellen Liebe meiner männlichen
Hauptfigur zu begegnen. Irgendwann heißt es auf einmal, dass ich
keine weiteren Vorschläge erhalten werde. Zumindest für heute. Hä?
Warum? Mein suchender Kandidat kann doch so übel nicht sein? Foto
und Agenda sind überaus ansprechend. Die Fotos die ich bisher
gesehen habe, waren ja auch nicht hässlich. Aber alles in allem kann
man meines Erachtens nicht oberflächlicher an der Dating-Grenze
surfen, als bei dieser virtuellen Plattform. Viele Frauen scheinen
sich über ihre sekundären Geschlechtsmerkmale zu definieren.
Zumindest zeigen die Bilder mehr Brüste, als lächelnde Gesichter.
Liegt das an der Uhrzeit. Mir ist schon klar, dass ich nachher das
Ganze mal andersherum probieren müsste. Also, als Frau nach einem
männlichen Protagonisten suchen.
Allein
der Gedanke daran, was mir dann optisch an primären
Geschlechtsorganen blüht, lässt mich ein wenig Abstand von der Idee
zur Story nehmen.
Das
Ende vom Lied ist, dass ich vorerst auf die Geschichte verzichten
werde. Vielmehr werde ich nochmal überdenken, ob der Protagonist
seine Liebste (nächste Leiche) wirklich über Tinder kennenlernen
muss. Vielleicht wäre es besser, ihn auf dem Bahnhof zu verkuppeln.
Oder im Supermarkt. Ich deinstalliere die App und bin froh, niemandem
Tinder-technisch begegnet zu sein, dem oder der ich beim Brötchen
holen begegnen kann. Vielleicht bin ich zu romantisch oder einfach
nur zu naiv. Wenn es mir noch nicht mal gelingt, die Figuren in
meinen Geschichten so herzlos zu verkuppeln, dann sollte ich noch mal
über den Buchtitel nachdenken. Oder ich schreibe vor den nächsten
fiesen Kurzgeschichten mal was Nettes.
Ach
Quatsch! Morgen recherchiere ich auf dem Bahnhof oder Flughafen.
Irgendwie bringe ich meine Hauptfigur noch an sein Opfer. Auf keinen
Fall wird aus „33 Grausamkeiten III“ so etwas wie ein Rosamunde
Pilcher-Lovestory-Aufguss. Nicht, dass die Autorin oder ihre Bücher
schlecht sind (keine Ahnung, ich bin leider noch nicht dazu gekommen,
was von ihr zu lesen), aber Grausamkeiten bleiben Grausamkeiten. Wer
mich in „nett“ will, der muss warten, bis ich mal gewaltig vor
´ne Laterne laufe. Vielleicht klappt das mit den romantischen
Romanen ja, wenn ich kreisende Sternchen sehe. Aber so rechte
Hoffnung möchte ich hierfür keinem machen.
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