270. Akt
Es
ist neun Uhr, und wir haben noch Zeit, bevor uns die U-Bahn zum
Flughafen bringen soll. Ein bisschen müde, aber sehr zufrieden
sitzen wir in unserem liebsten Frühstücks-Café, nur wenige hundert
Meter entfernt vom Hotel. Tochterkind probiert sich durch die
Limonaden und ich genieße den zweiten Cappuccino. Das Café ist
super gemütlich eingerichtet und wir würden hier gerne noch viel
länger sitzen, aber wir können uns ja nicht darauf verlassen, dass
der Flieger, wie beim Herflug wieder vier Stunden Verspätung hat.
Die Tür geht auf und ein junger Mann kommt herein. Er sieht aus wie
die sehr junge Version von Catweazle in rot. Wirre, etwas zu lange,
lockige rote Haare, passend zum roten Bart. Mit dem schnieken Anzug
verliert das Ganze seine Merkwürdigkeit und sieht echt sympathisch
aus.
Er
setzt sich an den Tisch gegenüber, guckt nur kurz in die Karte und
ab dann nur noch auf sein Smartphone.
Als
die hübsche, blonde Kellnerin kommt und ihn nach seinen Wünschen
fragt, schaut er nur kurz auf und lässt sich dann wieder von seinem
Handy ablenken. Der Blick ist viel zu kurz, um das hübsche Lächeln
der jungen Frau zu erkennen. Und so wendet sie sich ab, um seine
Bestellung in die Küche weiter zu reichen. Als sie ihm den Kaffee
bringt, schaut er wieder nur kurz auf. Bin ich zu romantisch,
unrealistisch oder warum trifft mich seine verpasste Gelegenheit so?
Ich würde am liebsten rüber gehen, geschwind seine roten Locken aus
dem Blick streichen und ihn darauf hinweisen, dass die Kellnerin
vielleicht genau die Frau ist, die er da hinten auf Fling oder
Parship sucht. Nur eben in echt.
Die
Kellnerin bedient natürlich auch andere Tische, aber immer, wenn sie
an ihm vorbeiläuft, dann lächelt sie ihn an. Und er sieht es nicht.
Vielleicht
bin ich emotional tatsächlich schon zu dolle auf das kommende
Weihnachtsprogramm eingestellt. Drei
Nüsse für Aschenbrödel
und so. Vielleicht kreist auch noch der Titanic
Trailer in meiner Blutbahn oder hier in London fühlt es sich zu sehr
nach Romeo
und Julia
an.
Ich
kann ja schlecht hingehen und ihm das Handy aus der Hand schlagen.
Also
zahlen wir und gehen in Richtung Hotel, um unsere Koffer abzuholen
und dann zum Flughafen zu fahren. Eigentlich schade, aber was soll
man tun? Als Amor habe ich in diesem Jahr schon ausreichend versagt.
Vielleicht sucht er bei Fling auch keine Nancy, sondern einen Gerald.
Und vielleicht ist sie bloß so nett zu ihm, weil er sie an jemanden
erinnert.
Ich
werde es nie erfahren, aber zumindest weiß ich jetzt, dass man in
öffentlichen Cafés noch viel seltener zum Handy greifen sollte.
Sonst bekommt man tatsächlich nur einen Kaffee, obwohl man so viel
mehr bekommen könnte.
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