Donnerstag, 3. November 2016

270. Akt

Es ist neun Uhr, und wir haben noch Zeit, bevor uns die U-Bahn zum Flughafen bringen soll. Ein bisschen müde, aber sehr zufrieden sitzen wir in unserem liebsten Frühstücks-Café, nur wenige hundert Meter entfernt vom Hotel. Tochterkind probiert sich durch die Limonaden und ich genieße den zweiten Cappuccino. Das Café ist super gemütlich eingerichtet und wir würden hier gerne noch viel länger sitzen, aber wir können uns ja nicht darauf verlassen, dass der Flieger, wie beim Herflug wieder vier Stunden Verspätung hat. Die Tür geht auf und ein junger Mann kommt herein. Er sieht aus wie die sehr junge Version von Catweazle in rot. Wirre, etwas zu lange, lockige rote Haare, passend zum roten Bart. Mit dem schnieken Anzug verliert das Ganze seine Merkwürdigkeit und sieht echt sympathisch aus.
Er setzt sich an den Tisch gegenüber, guckt nur kurz in die Karte und ab dann nur noch auf sein Smartphone.
Als die hübsche, blonde Kellnerin kommt und ihn nach seinen Wünschen fragt, schaut er nur kurz auf und lässt sich dann wieder von seinem Handy ablenken. Der Blick ist viel zu kurz, um das hübsche Lächeln der jungen Frau zu erkennen. Und so wendet sie sich ab, um seine Bestellung in die Küche weiter zu reichen. Als sie ihm den Kaffee bringt, schaut er wieder nur kurz auf. Bin ich zu romantisch, unrealistisch oder warum trifft mich seine verpasste Gelegenheit so? Ich würde am liebsten rüber gehen, geschwind seine roten Locken aus dem Blick streichen und ihn darauf hinweisen, dass die Kellnerin vielleicht genau die Frau ist, die er da hinten auf Fling oder Parship sucht. Nur eben in echt.
Die Kellnerin bedient natürlich auch andere Tische, aber immer, wenn sie an ihm vorbeiläuft, dann lächelt sie ihn an. Und er sieht es nicht.
Vielleicht bin ich emotional tatsächlich schon zu dolle auf das kommende Weihnachtsprogramm eingestellt. Drei Nüsse für Aschenbrödel und so. Vielleicht kreist auch noch der Titanic Trailer in meiner Blutbahn oder hier in London fühlt es sich zu sehr nach Romeo und Julia an.
Ich kann ja schlecht hingehen und ihm das Handy aus der Hand schlagen.
Also zahlen wir und gehen in Richtung Hotel, um unsere Koffer abzuholen und dann zum Flughafen zu fahren. Eigentlich schade, aber was soll man tun? Als Amor habe ich in diesem Jahr schon ausreichend versagt. Vielleicht sucht er bei Fling auch keine Nancy, sondern einen Gerald. Und vielleicht ist sie bloß so nett zu ihm, weil er sie an jemanden erinnert.
Ich werde es nie erfahren, aber zumindest weiß ich jetzt, dass man in öffentlichen Cafés noch viel seltener zum Handy greifen sollte. Sonst bekommt man tatsächlich nur einen Kaffee, obwohl man so viel mehr bekommen könnte.


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