279. Akt
Einmal
im Jahr rückt meine Familie bei mir an. Das mag für den einen
bedrohlich klingen und andere möglicherweise in Panik versetzen. Ich
finde es hingegen immer genial.
Selbst
wenn man bei diesen Treffen merkt, wie schnell die Zeit vergeht.
Meine kleine Jenny bringt erstmalig ihren eigenen Nachwuchs mit. Und
für mich ist es immer noch ein bisschen komisch, dass meine
Schwester, mit der ich mich doch erst vor ein paar Jahren (???) durch
die Pubertät gequält habe, schon Oma ist. Hab ich ihre Tochter
Jenny nicht erst vor kurzem noch selber gewickelt?
Alle
Zimmer sind besetzt. Meine Mutter schläft im Gästezimmer im Keller,
mein Bruder im Wohnzimmer im Untergeschoss, Nichtenkind mit Mann und
Baby habe ich in meinem Schlafzimmer einquartiert, dafür gehe ich
ins Wohnzimmer im Erdgeschoss. Und der Rest übernachtet im Hotel
oder bei meiner kleinen Schwester. Für achtundvierzig Stunden wird
es hier klingen wie in einer Bahnhofshalle. Auch der Betrieb ist
ähnlich. Tochter und jüngste Nichte backen gemeinsam, während wir
anderen Geschichten erzählen, die mit „Weißt du noch...“
beginnen und mit wüstem Gelächter aufhören. Wenn meine Mutter dann
genug Amaretto hat, wird jedes begonnene Lied mit „Yesterday“ von
den Beatles beendet und einmal pro Stunde wird „Nur nicht aus Liebe
weinen“ von Zarah Leander angestimmt.
… nur
nicht aus Liebe weinen,
es
gibt auf Erden nicht nur den Einen,
es
gibt so viele auf dieser Welt,
ich
liebe jeden, der mir gefällt...
Mutti
halt. Aber zum Schluss werden wir dann immer traditionell. Die
Kinder (Okay, sie sind zwischen vierzehn und dreißig Jahre alt)
werden genötigt die Fichte im Garten zu schmücken und im Anschluss
dekorieren sie dann jedes Mal auch noch meinen Bruder. Seine
hüftlangen Dreadlocks werden mit grünen und roten Weihnachtskugeln
behängt, während er stoisch seinen Kaffee trinkt. Zum Schluss
bekommt er eine Girlande um den Hals. Manchmal auch eine
Indoor-Lichterkette. Dann wird „Christmas-Ronny“ mit seinen
Nichten und Neffen fotografiert und sagt, dass er das nie mehr
mitmachen wird. So wie in jedem Jahr. Völlig egal wie alt wir
werden, wir bleiben glücklicherweise immer der gleiche
durchgeknallte Haufen, der in den 60ern gegründet und mit den Jahren
angewachsen ist. Und jetzt hole ich schon mal die Kugeln aus dem
Keller, summe leise Last Christmas und
mach mir einen Glühwein warm.
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