Samstag, 12. November 2016

279. Akt 

Einmal im Jahr rückt meine Familie bei mir an. Das mag für den einen bedrohlich klingen und andere möglicherweise in Panik versetzen. Ich finde es hingegen immer genial.
Selbst wenn man bei diesen Treffen merkt, wie schnell die Zeit vergeht. Meine kleine Jenny bringt erstmalig ihren eigenen Nachwuchs mit. Und für mich ist es immer noch ein bisschen komisch, dass meine Schwester, mit der ich mich doch erst vor ein paar Jahren (???) durch die Pubertät gequält habe, schon Oma ist. Hab ich ihre Tochter Jenny nicht erst vor kurzem noch selber gewickelt?
Alle Zimmer sind besetzt. Meine Mutter schläft im Gästezimmer im Keller, mein Bruder im Wohnzimmer im Untergeschoss, Nichtenkind mit Mann und Baby habe ich in meinem Schlafzimmer einquartiert, dafür gehe ich ins Wohnzimmer im Erdgeschoss. Und der Rest übernachtet im Hotel oder bei meiner kleinen Schwester. Für achtundvierzig Stunden wird es hier klingen wie in einer Bahnhofshalle. Auch der Betrieb ist ähnlich. Tochter und jüngste Nichte backen gemeinsam, während wir anderen Geschichten erzählen, die mit „Weißt du noch...“ beginnen und mit wüstem Gelächter aufhören. Wenn meine Mutter dann genug Amaretto hat, wird jedes begonnene Lied mit „Yesterday“ von den Beatles beendet und einmal pro Stunde wird „Nur nicht aus Liebe weinen“ von Zarah Leander angestimmt.
nur nicht aus Liebe weinen,
es gibt auf Erden nicht nur den Einen,
es gibt so viele auf dieser Welt,
ich liebe jeden, der mir gefällt... 
Mutti halt. Aber zum Schluss werden wir dann immer traditionell. Die Kinder (Okay, sie sind zwischen vierzehn und dreißig Jahre alt) werden genötigt die Fichte im Garten zu schmücken und im Anschluss dekorieren sie dann jedes Mal auch noch meinen Bruder. Seine hüftlangen Dreadlocks werden mit grünen und roten Weihnachtskugeln behängt, während er stoisch seinen Kaffee trinkt. Zum Schluss bekommt er eine Girlande um den Hals. Manchmal auch eine Indoor-Lichterkette. Dann wird „Christmas-Ronny“ mit seinen Nichten und Neffen fotografiert und sagt, dass er das nie mehr mitmachen wird. So wie in jedem Jahr. Völlig egal wie alt wir werden, wir bleiben glücklicherweise immer der gleiche durchgeknallte Haufen, der in den 60ern gegründet und mit den Jahren angewachsen ist. Und jetzt hole ich schon mal die Kugeln aus dem Keller, summe leise Last Christmas und mach mir einen Glühwein warm.

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