277. Akt
Ich
bin mitten in der Durchführung und Orga meiner Lesereise und freue
mich riesig auf die Lesungen in meinem näheren Umfeld. Mittlerweile
werde ich schon an vielen Stellen angesprochen, denn mein Konterfei,
nebst dem aktuellen Buch, findet sich zur Zeit immer wieder in
irgendwelchen Zeitungen. Vom Ortsblättchen bis hin zur Süddeutschen
Zeitung wurde für das „schaurig-schöne Hör- und Lesevergnügen“
geworben. Ich finde es cool und bin stolz wie Bolle. Der einzige
Nachteil ist, dass ich im Moment das Haus gar nicht mehr ungeschminkt
verlassen kann. Ich will ja schließlich, dass die Leute auch
erkennen, dass ich die Dame auf dem Foto bin.
Im
Getränkemarkt treffe ich eine Frau, die ich noch aus meiner Zeit im
Elternbeirat kenne. Mittlerweile wohnt sie nicht mehr hier im Ort,
aber zum Einkaufen kommt sie wohl noch gerne her. Alte Gewohnheiten
eben. Da bin ich nicht anders.
Sie
spricht mich direkt auf meine Arbeit an und erklärt, dass sie zur
nächsten Lesung kommen werde.
„Ich
bringe meinen Florian mit.“ meint sie, während sie die gefühlt
hundertste Limoflasche in den Leergut-Automaten schiebt.
Ich
überlege kurz. In ihrem Umfeld kenne ich nur einen Florian und das
ist ihr jüngster Sohn. Und der ist erst acht Jahre alt.
„Äh...
Du weißt schon, dass die Lesung für Kinder nicht geeignet ist?“
„Das
macht nichts. Flo ist ein ruhiges Kind. Er wird nicht stören.“
„Da
bin ich mir sicher.“ sage ich, obwohl mir der Junge nie in
irgendeiner Weise als ruhig in Erinnerung geblieben ist. „Aber
darum geht es nicht. Die Geschichten sind, tja... schwarzhumorig,
bissig, erotisch und ziemlich unkindgerecht. Es werden Leute ins
Jenseits befördert und das nicht immer sehr nett...“ zitiere ich den Pressetext zum Buch.
„Ja,
aber solche Geschichten wirst du ja nicht vorlesen, wenn Kinder dabei
sind, oder?“
Jetzt
bleiben mir ein bisschen die Worte weg.
„Die
Lesung dreht sich um mein neues Buch 33 Grausamkeiten. Da
stehen nur solche Geschichten drin.“
„Ja,
dann lies halt die harmloseren vor. Die, mit denen Kinder halt besser
umgehen können.“
„Hallo?
Ich präsentiere mein Buch extra mit dem Hinweis, dass Kinder
da nicht gut aufgehoben sind, und dann soll ich nur noch die
Seitenzahlen vortragen, weil dein Florian mit dabei ist. Das geht
nicht. Die Gäste kommen ja wegen der Geschichten.“
„Ich
finde, dass du deine Einstellung überdenken solltest. Zum Vorlesen
für Kinder ist sowas jedenfalls nichts.“
„Ja,
sag ich doch!“
Der
Automat hat mittlerweile all ihre Leergut-Flaschen verschluckt und
einen kleinen weißen Zettel ausgespuckt.
Sie
verabschiedet sich mit den Worten, dass sie Florian natürlich nicht
mitbringen werde, wenn er nicht erwünscht sei. Aber dass sie selbst
dann eigentlich auch kein großes Interesse mehr habe.
„Ist
okay,“ sage ich. „Ich habe aber auch Kindersachen geschrieben.
Das weißt du schon, oder?“
Sie
bleibt stehen „Ja, dann lies doch die, nächste Woche.“
Ich
gebe es auf und schüttle mit dem Kopf.
Ich
könnte ihr vorschlagen mit ihrem Junior um 23.30 Uhr in eine
Zombie-Film-Premiere zu gehen und den Vorführer zu bitten, die für
Kinder ungeeigneten Stellen zu überspringen. Aber ich lass es
bleiben. Vielleicht war sie ja nur mit dem Leergut überfordert und
hat gar nicht gemerkt, was sie da von mir wollte.
Sollte
sie den kleinen Flo mit zur Lesung bringen, dann kriegt er von mir
nen Lolli, ne Kotztüte, ein Abo für den Therapeuten und ein mildes
Schlafmittel für die folgenden Nächte. Und sie kriegt nichts.
Außer
ein Kind, das noch Monate später Fragen über verschiedene Mordarten
stellt.
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