Donnerstag, 10. November 2016

277. Akt

Ich bin mitten in der Durchführung und Orga meiner Lesereise und freue mich riesig auf die Lesungen in meinem näheren Umfeld. Mittlerweile werde ich schon an vielen Stellen angesprochen, denn mein Konterfei, nebst dem aktuellen Buch, findet sich zur Zeit immer wieder in irgendwelchen Zeitungen. Vom Ortsblättchen bis hin zur Süddeutschen Zeitung wurde für das „schaurig-schöne Hör- und Lesevergnügen“ geworben. Ich finde es cool und bin stolz wie Bolle. Der einzige Nachteil ist, dass ich im Moment das Haus gar nicht mehr ungeschminkt verlassen kann. Ich will ja schließlich, dass die Leute auch erkennen, dass ich die Dame auf dem Foto bin.
Im Getränkemarkt treffe ich eine Frau, die ich noch aus meiner Zeit im Elternbeirat kenne. Mittlerweile wohnt sie nicht mehr hier im Ort, aber zum Einkaufen kommt sie wohl noch gerne her. Alte Gewohnheiten eben. Da bin ich nicht anders.
Sie spricht mich direkt auf meine Arbeit an und erklärt, dass sie zur nächsten Lesung kommen werde.
Ich bringe meinen Florian mit.“ meint sie, während sie die gefühlt hundertste Limoflasche in den Leergut-Automaten schiebt.
Ich überlege kurz. In ihrem Umfeld kenne ich nur einen Florian und das ist ihr jüngster Sohn. Und der ist erst acht Jahre alt.
Äh... Du weißt schon, dass die Lesung für Kinder nicht geeignet ist?“
Das macht nichts. Flo ist ein ruhiges Kind. Er wird nicht stören.“
Da bin ich mir sicher.“ sage ich, obwohl mir der Junge nie in irgendeiner Weise als ruhig in Erinnerung geblieben ist. „Aber darum geht es nicht. Die Geschichten sind, tja... schwarzhumorig, bissig, erotisch und ziemlich unkindgerecht. Es werden Leute ins Jenseits befördert und das nicht immer sehr nett...“ zitiere ich den Pressetext zum Buch.
Ja, aber solche Geschichten wirst du ja nicht vorlesen, wenn Kinder dabei sind, oder?“
Jetzt bleiben mir ein bisschen die Worte weg.
Die Lesung dreht sich um mein neues Buch 33 Grausamkeiten. Da stehen nur solche Geschichten drin.“
Ja, dann lies halt die harmloseren vor. Die, mit denen Kinder halt besser umgehen können.“
Hallo? Ich präsentiere mein Buch extra mit dem Hinweis, dass Kinder da nicht gut aufgehoben sind, und dann soll ich nur noch die Seitenzahlen vortragen, weil dein Florian mit dabei ist. Das geht nicht. Die Gäste kommen ja wegen der Geschichten.“
Ich finde, dass du deine Einstellung überdenken solltest. Zum Vorlesen für Kinder ist sowas jedenfalls nichts.“
Ja, sag ich doch!“
Der Automat hat mittlerweile all ihre Leergut-Flaschen verschluckt und einen kleinen weißen Zettel ausgespuckt.
Sie verabschiedet sich mit den Worten, dass sie Florian natürlich nicht mitbringen werde, wenn er nicht erwünscht sei. Aber dass sie selbst dann eigentlich auch kein großes Interesse mehr habe.
Ist okay,“ sage ich. „Ich habe aber auch Kindersachen geschrieben. Das weißt du schon, oder?“
Sie bleibt stehen „Ja, dann lies doch die, nächste Woche.“
Ich gebe es auf und schüttle mit dem Kopf.
Ich könnte ihr vorschlagen mit ihrem Junior um 23.30 Uhr in eine Zombie-Film-Premiere zu gehen und den Vorführer zu bitten, die für Kinder ungeeigneten Stellen zu überspringen. Aber ich lass es bleiben. Vielleicht war sie ja nur mit dem Leergut überfordert und hat gar nicht gemerkt, was sie da von mir wollte.
Sollte sie den kleinen Flo mit zur Lesung bringen, dann kriegt er von mir nen Lolli, ne Kotztüte, ein Abo für den Therapeuten und ein mildes Schlafmittel für die folgenden Nächte. Und sie kriegt nichts.
Außer ein Kind, das noch Monate später Fragen über verschiedene Mordarten stellt.


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