Mittwoch, 23. November 2016

290. Akt 

Der Schlüssel dreht sich im Schloss und ich bin ein bisschen irritiert. Tochterkind kommt aus der Schule? Ist doch eigentlich viel zu früh. Sie kommt zu mir ins Büro und sieht traurig aus. Das mag ich nicht. Albern? Ist okay! Fröhlich? Ist prima! Genervt? Lässt sich auch ertragen! Aber traurig, nee, das mag ich nicht. Dann zeigt sie mir ihr Telefon.
Ich habe es ja nicht mit Technik. Weder mit Android noch mit Apple, aber ein geborstenes Display kann auch ich erkennen. Sieht nicht wirklich gut aus.
Dann erzählt sie, was passiert ist. Kurz vorm Gymnasium wurde sie von einem Radfahrer über den Haufen gefahren. Von hinten. Ich fass es nicht! Dem Typen hat es wohl nichts weiter ausgemacht. Kurz angehalten, umgedreht, wieder in den Sattel und weg war er. Blöd nur, dass Tochterkind dadurch zu Fall kam. Und ihr Handy ebenfalls.
Ihr ist glücklicherweise weiter nichts passiert, aber ihr Telefon hat den Kontakt mit dem Bürgersteig weit weniger gut weggesteckt.
Sie beschreibt den Radler als grauhaarigen Mann über fünfzig, auf einem silbernen Fahrrad. Ja, über fünfzig ist relativ und silberne Fahrräder nicht wirklich selten. Und dennoch. Mein erster Reflex ist sofort loszuziehen und jeden in Frage kommenden Radfahrer im Genick zu packen und für eine Gegenüberstellung nach Hause zu schleifen. Aber glücklicherweise setzt dann mein Verstand ein und weist mich auf die strafrechtlichen Konsequenzen einer entsprechenden Handlung hin. Ich frage mehrfach nach, ob sie wirklich nicht und nirgends verletzt sei. Aber so wie es aussieht, hat Tochterkind keine weiteren Beschädigungen davongetragen. Wenn sie auch nur eine Schramme hätte, würde ich nicht einen Moment zögern und diesen dämlichen Vollpfosten ausfindig machen. Unter Umständen müsste ich mal ein paar Tage vor der Schule warten, um zu schauen, ob es sich um seine Stammstrecke handelt. Für den Fall, dass es so ist, würde ich dafür sorgen, dass er künftig und lange ohne Sattel fährt. Im Gelände. Ohne Schmerzmittel!
Anzeigen lohnt nicht. Viel zu wenig Informationen. Die Anzeige würde im Sande verlaufen und mich nur unnötige Energie und Lebenszeit kosten.

Okay... jetzt ist erst mal Schluss mit arbeiten. Ich packe Kind 2.0 ein und wir fahren zu Apple. Sie hat sich das Telefon zu weiten Teilen hart erspart. Auch wenn ich das Geld nicht wirklich selber drucke und selber nur ein altes Samsung habe, kann ich sie mit dieser Bröselscheibe und den weiteren Defekten nicht einfach so alleine lassen. Und falls sie mir auf dem Weg den Radfahrer zeigt, der sie vorhin über den Haufen gemangelt hat, könnte es dann doch passieren, dass ich ein bisschen schneller agiere, als es mein Verstand gebietet. Ein plötzliches Türöffnen, wenn man sich auf selber Höhe befindet, wäre dann schon mal eine Maßnahme, die meiner momentanen Laune entspricht. Allerdings nur, wenn sie sich ganz sicher ist. dass er der Super-Honk ist. Und wenn keiner guckt.         

1 Kommentar:

  1. Die schönsten Geschichten schreibt das Leben und Du weißt diese zu formulieren😍

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