282. Akt
Okay...
die Hoffnung war groß, aber nun hat sie sich erneut verabschiedet.
Meine Stimme. Zumindest alles, was sich im normalen Bereich abspielt.
Wenn ich rede, dann klingt es – wenn man überhaupt etwas hört -
wie ein Chorknabe mit viel zu engen Hosen und wie Jango, der
knallharte Cowboy. Sopran und Bass, aber gleichzeitig. Und trotzdem
Mono-Sound.
Als
ich um 6 Uhr aufstehe, merke ich es selber noch gar nicht. Ich halte
selten Selbstgespräche vor dem ersten Kaffee. Als ich allerdings um
6.30 Uhr meine Tochter wecken will, kommt kein fröhliches „Guten
Morgen. Aufstehen. Schule.“ meinerseits. Sondern bloß etwas das
klingt, wie eine Waschmaschine mit ausgehängter Trommel. Eine sehr
alte Waschmaschine. Ich krächze und versuche noch deutlicher und
lauter zu sprechen, aber das einzige Ergebnis ist ein mitleidiger
Blick meiner Tochter. Sie schaut von ihrer Schlaf-Galerie herab und
schüttelt mit dem Kopf.
„Das
klingt nicht gut. Leg dich besser wieder hin.“
Tja,
leichter gesagt als getan. Ich muss los. Brötchen holen und
einkaufen. Hoffentlich begegne ich keinem, denke ich. Leider
vergeblich. Ich begegne allen, denen ich um diese Zeit begegnen kann.
Bei den meisten reicht ein freundliches Nicken und ein angedeutetes
„Guten Morgen“. So kann ich mich ohne eigenartige Blicke und
mitleidige Lachanfälle durchlavieren. Schwierig wird es nur, wenn
mich jemand direkt anspricht. In der Regel erfolgt immer eine
Nachfrage und dann der Satz: „Klingt nicht gut. Erkältet?“
Was
soll ich darauf sagen? „Ich arbeite an einer versoffenen Version
von Bonnie Tyler.“? Glaubt mir doch eh keiner.
Im
Tengelmann treffe ich eine ehemalige Nachbarin. Sie nutzt die Chance
und quasselt mir ein Ohr ab. Ich bin hilflos. Kann ja nicht
antworten. Zumindest nicht so, dass man es hört oder gar versteht.
Irgendwann brumme ich nur irgendwas, lächle und wende mich ab. Mann,
bin ich froh, als ich wieder Zuhause bin.
Mein
Sohn meint, dass ich den Tag über nicht weiter reden soll. Es würde
meiner Stimme überhaupt nicht guttun, wenn ich weiterhin Menschen
mit meinen Geräuschen belustige. Als er hört, dass ich am
Nachmittag in die Stadt muss, lacht er sich schlapp. Nicht weil ich
das vorhabe, sondern weil ich dort zu einer Besprechung hin will. Bei
dem Wort fällt er vor Lachen aufs Sofa.
„Besprechung???“
Er rollt zwischen den Kissen. „Was willst du denn sagen? Und vor
allem wie? Gebärdensprache? Wirfst du ihm Zettel zu?“ Kichernd
verzieht er sich in sein Zimmer.
Ich
habe vor einen befreundeten Fotografen zu treffen. Ich halte viel von
ihm und seiner Arbeit. Wir wollen gemeinsame Projekte besprechen.
Aber das könnte in der Tat schwierig werden.
Einen
Moment überlege ich, ob ich nicht tatsächlich den kleinen Block mit
den bunten Zetteln mitnehmen soll.
Was,
wenn er mich nicht versteht und wir von vollständig
unterschiedlichen Projekten reden? Ich befürchte, dass ich absagen
muss.
Von
weitem sehe ich den DHL Wagen nahen. Ich bin froh, dass er vorbei
fährt. Wenn heute der falsche Bote an der Tür kommt, dann hätte er
erstmals gute Karten. Auf seinen Schwachsinn nicht laut und deutlich
antworten zu können, würde mir schon fast physisch wehtun.
Ich
nehme eine weitere Tablette, die mir helfen soll, meine Stimme recht
zeitnah zurückzuerhalten. Aber es hilft einfach nix. Keine
Tabletten, kein Ingwer, keine leises Summen. Ich kann nicht sprechen.
Ich
sag meinem Freund und Kollegen für den Nachmittag ab. Es hat keinen
Sinn. Heute gibt es keine Gespräche oder gar Telefonate. Nur
freundliches Grinsen, Nicken oder Kopfschütteln. Und dann koche ich
mir noch einen Tee mit Honig.
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