Dienstag, 8. November 2016

275. Akt 

Heute habe ich meinen Laptop abtreten müssen. Der von Tochterkind hat rechtzeitig die Hufe hochgeschlagen und Kind 2.0 muss ihre Seminararbeit nun unbedingt und dringlichst auf meinem Rechner fertigstellen. Klar muss sie das. Morgen ist ja auch schon der Abgabetermin und in den letzten sechs Monaten war einfach kein Minütchen übrig, das Ganze vor (!) der zeitlichen Panikgrenze hinzukriegen. Die Panikgrenze ist allerdings nur meinerseits erreicht. Tochterkind tippt, sortiert und bebildert neben einer Tasse Tee völlig entspannt ihre wissenschaftliche Arbeit. Neben Tee und an meinem Laptop.
In der ersten Stunde vermisse ich meinen Rechner nicht weiter. Pöh, ich kann meine Zeit ja auch anders nutzen. Für die Gliederung des neuen Buchs brauch ich eh nur verschiedenfarbige Karteikarten, Tesafilm und Wolle. Im Keller klebe ich so vor mich rum und schaue, ob sich die einzelnen Episoden aneinander fügen. Zwei Stunden später checke ich Tochterkinds Fortschritt an meinem Rechner. "Das dauert noch." meint sie. Und ich befürchte, sie hat Recht.
Nach weiteren zwei Stunden fühle ich mich nackt. Hinter dem Bildschirm meines Rechners fühle ich mich immer wohlgekleidet. Aber hier, hinter meinem spirreligen Handy, fühle ich mich gänzlich unbedeckt.
Ich schaue nochmal nach. Es wird wohl noch bis zum späten Abend gehen, meint sie. Und ich habe das Gefühl, dass mein Rechner leise meinen Namen ruft.
Um kurz vor zwölf gehe ich ins Bett. Kind 2.0 ruft mir noch nach, dass sie gleich fertig ist. Ich fühle mich müde und spießig. Wenn sie es so spät in ihrem Zeitfenster hinkriegt, dann muss ich mich doch nicht aufregen. Ist ja ihre Arbeit und nicht meine. So denke ich und döse ein. Bis es an der Tür klopft. Kind 2.0 freut sich, dass sie alles fertig hat.
Dann setzt sie sich mit ihrem unschlagbaren "Du bist die allerbeste Mama der Welt"- Lächeln an meine Seite.
"Es müsste nur nochmal gegengelesen und ausgedruckt werden."
Wieder dieses entsetzlich süße Lächeln. Von wem hat sie das bloß?
Ich setze mich auf. "Okay. Bis wann muss es fertig sein?"
"Bis morgen früh um 7 Uhr."
Ich schiele auf den Wecker. Es ist schon Dienstag. Sie meint also heute. Nach einem dankbaren Knuddeln stehe ich auf und ziehe mir meinen Morgenmantel an.
"Ist wenigstens der Rechner jetzt frei?"
"Klar Mama. Dankeschön. Ich geh dann mal ins Bett."
Zack! Schon ist sie weg und ich schlurfe die Treppe ins Wohnzimmer hinunter. Mein geliebter Laptop leuchtet mir entgegen. Ich drucke die fast dreißig Seiten Text aus und beginne mit dem Lesen.
Okay, ich bin müde und eigentlich hätte ich ihr sagen müssen, dass sie mir so spät nicht mehr mit einem Arbeitsauftrag kommen muss. Aber was soll's?

Ist halt mein Kind. und außerdem fühle ich mich nachts im Bademantel an meinem Rechner gar nicht mehr nackig. Also los geht's.

1 Kommentar:

  1. *hi hi*
    hab grade ein Déjà vu -
    glaub mir, Du bist nicht die Einzige die das erlebt (hat).

    Gruß
    G.

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