296. Akt
Tja,
da sind Tochterkind und ich nach Köln zu diesem Casting eingeladen
und wir freuen uns drauf. Damit es am Tag keinen Stress gibt, reisen
wir schon am Vorabend an und beziehen unser Zimmer in dem Hotel, in
dem das Ganze stattfinden soll. Wir sind gut drauf und pfeifen uns
vor lauter guter Laune noch einen abendlichen Tapas-Teller und den
besten Pina Colada der letzten zehn Jahre rein. Früh geht’s mit
Gekicher und dem Supertalent im TV ins Bett. Wir können ausschlafen.
Das gefällt uns sehr. Blöd nur, dass bei Tochterkind der Alarm
ihres iPads in aller Herrgottfrühe anschlägt. Sie hört es nicht,
aber dafür stehe ich im Bett. Was soll´s? Kein Problem.
Um
zwölf stellen wir uns in die lange Schlange derer, die das
Hotelzimmer, so wie wir, bis zur letzten Minute ausreizen. Wir sind
nett gerichtet und frisiert und gespannt auf das, was uns erwartet.
Ist ja nicht das erste Mal, dass wir einzeln oder gemeinsam bei sowas
aufschlagen. Das Casting wird von der Firma Lambertz veranstaltet und
ich spekuliere auf Dominosteine ohne Ende. Herrliche Aussichten.
Als
wir den Veranstaltungssaal finden, klatschen wir nochmal ab. Wir sind
gut drauf und wurden schließlich aus einer Menge Leute ausgewählt.
Gleich
nach Betreten des Raums vermuten wir uns im falschen Film. Ich frage
bei den beiden jungen Frauen, die hier das ganze leiten nach. Doch,
doch wir seien richtig, heißt es.
Schön,
schön.
Am
Boden sitzen nämlich fünfzehn bis zwanzig junge Frauen im Spagat,
mit dem Fuß hinterm Kopf oder anderen Dehnungspositionen. Bildhübsche Hardcore-Highclass-Tänzerinnen. Es befinden sich nun also
Profi-Tänzerinnen im Raum und ein Mutter und Tochterteam, das beim
Versuch eines Querspagates ärztliche Nachsorge bräuchte.
Nach
und nach kommen allerdings noch einige Nicht-Proftänzerinnen. Supersüße
Mädels, Kleidergröße 32 bis 34 und ähnlich überraschtem Blick
wie der von Tochterkind und mir. Zum Glück wirklich angenehme junge Frauen und keine Zicken-Terroristen. Ich frage erneut nach.
Doch, doch,
wir sind richtig. Gleich kommt dann noch der Choreograph und studiert
mit uns eine Choreographie ein. Nichts schlimmes. Alles easy. So
heißt es.
Der
Choreograph heißt Fidel. Das klingt nach Lateinamerika. Das klingt
nicht nach Tanzlehrer Heinz-Gerd, der uns mit ein paar Discofox
Schritten etwas rasch Nachvollziehbares beibringen soll.
Choreographen, die Fidel heißen, klingen nicht nach eins-zwei-Tepp!
Die klingen nach Zack! Zack! Zack! Up-Tempo und trotzdem lässig. Wir
warten bis Fidel kommt und ich gönne mir noch ein Hand voll
Dominosteine.
Als
wir ihn sehen, verabschieden wir uns von Blüschen und Jeans und
retten uns in die Sportsachen, die wir glücklicherweise mit dabei
haben. Fidel baut nun innerhalb von wenigen Minuten eine Choreo auf,
die Lady Gaga röchelnd in die Garderobe treiben würde. Wir geben
uns größte Mühe, kommen ganz gut mit und ich schwitze wie ein
Elch. Noch schnell eine weitere Hand voll Dominosteine.
Während
es bei den Profitänzerinnen schon echt genial aussieht, kann ich
stolz behaupten, dass die Choreo auch bei uns sitzt. Nach spätestens
einer Woche Training würde das dann auch bei mir recht geschmeidig
aussehen. Aber wir haben nur dreißig Minuten, dann kommt das
Catwalk-Training. Das macht keine Probleme. Das mach ich schon ewig.
Allerdings vergesse ich in dieser Zeit das ein oder andere Element
der Choreo. Noch Dominosteine irgendwo?
Dann
wird die Stimmung ein wenig angespannt. Lambertz-Chef Herr Dr.
Bühlbecker kommt mit einem Gefolge weiterer Menschen. Sie schauen
sich die Choreographie an und dann jeden einzelnen von uns. Fühlt
sich komisch an. Ich fühle mich wie die Mutter der Kompanie. Lässig
doppelt so alt, wie die meisten Mädels hier. Mindestens. Wieso haben
die mich eigentlich eingeladen??
Tochterkind
und ich lachen uns an. Wir fühlen uns ein wenig deplaziert, aber ich
habe noch ein weiteres Tablett mit Dominosteinen gefunden. Alles gut.
Zum Schluss wird uns mitgeteilt, dass die Jury sich noch berät. Wir
würden in den nächsten Tagen Bescheid bekommen. Na ja, so recht mit
einem „Juhu! Hurra! Ihr seid dabei!“ rechnen wir nicht ernsthaft.
Es
wird wohl eher eine große Kiste mit lecker Lebkuchen sein, die bei
uns eingeht. Nicht das ursprüngliche Ziel, aber auch schön. Bei
einem abschließenden Selfie mit Dr. Bühlbecker stelle ich fest,
dass er zu den Menschen gehört, die einem auch dann ins Gesicht
schauen, wenn sie nur einen Moment Zeit haben. Das mag ich und
schätze ich hoch. Ich erkläre ihm, dass wir das einzige
Mutter-Tochter-Team im Saal seien. Er ist kurz beeindruckt.
Beziehungsweise – er nimmt es zur Kenntnis. Dann packen
Tochterkind und ich zusammen. Noch einen Cocktail mit breitem Grinsen
an der Hotelbar. Ups, das ist ja mal alles anders verlaufen als
erwartet. Ab zum Flughafen und wieder heim.
In
der Folgenacht träume ich von LKWs, die mich in den kommenden Wochen
mit Süßigkeiten versorgen.
Und
von Fidel, der mich mit eins-zwei-Tepp! im Printenkostüm durch die
Hotelhalle jagt.
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