Freitag, 21. Oktober 2016

257. Akt

Tochterkind hat sich ein neues Bett gewünscht, und heute kommt es an. Ich meine ja immer noch, dass ihr das alte recht gut steht, aber sie weist mich darauf hin, dass man noch die Spuren ihres Kinderbettchen-Gitters am Rahmen erkennen kann. Okay. Ich bin überzeugt. Das Bett ist älter als ich dachte. Nun denn. Es muss also ein neues her.
Vielmehr verzichtet Tochterkind auf ein vollständiges Bett. Verzichten ist gut. Das spart fast immer Geld. Ihr reicht ein Lattenrost und Matratze. Ansonsten liebt sie es bodennah.
Die neue Liegestatt soll oben auf ihrer Galerie im Zimmer sein. Das ist prima. Dann wirkt das eigentliche Zimmer größer und passen tut es auch.
Wir haben alles vermessen. Sowohl Lattenrost, als auch entsprechend die Matratze wurden mit einer Länge von zwei Metern und einer Breite von 1,40 m bestellt. Das wird recht kuschelig, denn damit ist die volle Breite der Galerie komplett ausgereizt.
Geliefert werden beide Teile von irgendeiner Spedition. Hurra, nicht DHL. Den langhaarigen Freak mit dem ich auf Kriegsfuß stehe, möchte ich in meiner Herbststimmung nicht häufiger begegnen, als unbedingt nötig.
Wir sind gerade mit dem Mittagessen fertig, als es klingelt.
Schlau, die Matratze kommt gerollt. Das macht den Transport auf die Galerie leichter. Hochgeschoben. Folie aufgeschnitten. Ausgerollt. Das wird leicht.
Etwas anders sieht es beim Lattenrost aus. Sechsunddreißig größere und gefühlte zweitausend sehr kleine Teile befinden sich in dem Karton.
Noch bin ich zuversichtlich. Meine kleine Schwester und ich gelten global als die fixesten Ikea-Regal-und Wandschrank-Aufbauer. Da kann mich so ein mickriger Lattenrost nicht schocken.
Noch nicht zumindest.
Schnell stellen Tochterkind und ich fest, dass der Rost in zusammengebauten Zustand nicht auf die Galerie zu befördern ist. Die Aufhängung, eine Verstrebungen und nicht zuletzt die Deckenlampe werden uns die Tour auf diesem Wege vermasseln.
Okay. Dann bauen wir eben oben auf.
Vor wenigen Monaten habe ich hier oben Parkett verlegt. Gut schaut es aus.
Nach und nach reicht mir Kind 2.0 alle nötigen Teile hoch.
Akkuschrauber, Hammer, Schraubenzieher liegen auch schon bereit. Ich beginne recht zuversichtlich. Zumindest die ersten vier Teile lassen sich so leicht verbinden, dass ich mit einem Zeitaufwand von höchstens dreißig Minuten rechne.
Zwei Stunden später arbeite ich im Schweiße meines Angesichts nur noch in T-Shirt und Sporthose. Mein etwas dünner gewordenes Nervenkostüm hat darauf bestanden, alles ohne weitere familiäre Unterstützung fertigzustellen. Tochterkind ist unten, lernt für die Schule und kann sich somit rechtzeitig aus dem Gefahrenbereich meiner minütlich zunehmenden Missstimmung bringen. Während mir die einzelnen Latten immer wieder aus der Führung freudig entgegen springen, fallen mir viele neue Schimpfwörter oder lustige Wortkombinationen ein, die nicht selten mit „Sch**ß-“ anfangen.
Ich bin froh, dass Fenster und Türen geschlossen sind. Denn ich bin kurz davor auf der Galerie meiner Tochter zu, ähem... eskalieren.
Wie gesagt, wir hatten vorher nachgemessen. Der Lattenrost passt größentechnisch. Allerdings passt er eben ganz genau. Das heißt, ich baue einen Rahmen mit einer Breite von 1,40 m auf einer Fläche von 1,40 m Breite. Die Höhe ist an dieser Stelle bestenfalls 1,20 m. Zum Schlafen reicht´s. Zum Handwerkern kaum. Da ist nicht viel Spielraum. Es ist auch ein großer Vorteil, wenn man schweben kann. Kann ich aber nicht. Ich setze die einzelnen Latten in den Rahmen, in dem ich mich selber noch befinde. Nach einer weiteren halben Stunde sitze ich auf den vierzig Zentimetern Platz, die mir die Galerie am Fußende bietet. Der Lattenrost sieht endlich so aus, als ob es einer ist. Das Spannband in der Mitte ist ein wenig verrutscht, aber das ist mir egal. Tochterkind ist nicht Prinzessin auf der Erbse. Sie kann eigentlich immer und überall schlafen. Im Bus, im Auto, im Zug im Stehen. Sie wird es nicht bemerken. Und wenn doch, dann wird sie nichts dazu sagen, denn sie hat sicher meine Freudenschreie der letzten Stunden gehört und ist nicht suizidgefährdet. Im Schweiße meines Angesichts schiebe ich jetzt die Matratze hoch. Es läuft endlich mal was geschmeidig. Nach Öffnen der Folie entrollt sich die weiße Matte willig auf den zuvor montierten Lattenrost. Wie schön.
Ich bin fix und alle und lasse mich vornüberfallen. Lieber zwölf Billy-Regal und eine Eckküche auf Zeit montieren, als ein einziges weiteres Lattenrost unter diesen Bedingungen.
Während sich meine Atmung wieder normalisiert, höre ich, wie unten die Zimmertür geöffnet wird. Entweder ist sie mutig, oder sehr fahrlässig.
Du bist fertig, Mama?“
Ja, mit den Nerven. Woher weißt du, dass ich fertig bin?“
Du hast aufgehört zu fluchen und mit Sachen zu schmeißen.“
Okay. Tochterkind kennt mich gut. Ich packe meine Werkzeuge zusammen und klettere die Galerie über die Holzleiter wieder hinab.
Auf dem Weg zur Dusche überlege ich, wie alt eigentlich mein eigenes Bett ist. Ich komme auf keine Jahreszahl, aber eins ist sicher. Es ist nicht alt genug, dass es einen neuen Lattenrost braucht. Eher schlafe ich künftig auf dem Sofa.



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