257. Akt
Tochterkind
hat sich ein neues Bett gewünscht, und heute kommt es an. Ich meine
ja immer noch, dass ihr das alte recht gut steht, aber sie weist mich
darauf hin, dass man noch die Spuren ihres Kinderbettchen-Gitters am
Rahmen erkennen kann. Okay. Ich bin überzeugt. Das Bett ist älter
als ich dachte. Nun denn. Es muss also ein neues her.
Vielmehr verzichtet Tochterkind
auf ein vollständiges Bett. Verzichten ist gut. Das spart fast immer
Geld. Ihr reicht ein Lattenrost und Matratze. Ansonsten liebt sie es
bodennah.
Die neue Liegestatt soll oben
auf ihrer Galerie im Zimmer sein. Das ist prima. Dann wirkt das
eigentliche Zimmer größer und passen tut es auch.
Wir haben alles vermessen.
Sowohl Lattenrost, als auch entsprechend die Matratze wurden mit
einer Länge von zwei Metern und einer Breite von 1,40 m bestellt.
Das wird recht kuschelig, denn damit ist die volle Breite der Galerie
komplett ausgereizt.
Geliefert werden beide Teile von
irgendeiner Spedition. Hurra, nicht DHL. Den langhaarigen Freak mit
dem ich auf Kriegsfuß stehe, möchte ich in meiner Herbststimmung
nicht häufiger begegnen, als unbedingt nötig.
Wir sind gerade mit dem
Mittagessen fertig, als es klingelt.
Schlau, die Matratze kommt
gerollt. Das macht den Transport auf die Galerie leichter.
Hochgeschoben. Folie aufgeschnitten. Ausgerollt. Das wird leicht.
Etwas anders sieht es beim
Lattenrost aus. Sechsunddreißig größere und gefühlte zweitausend
sehr kleine Teile befinden sich in dem Karton.
Noch bin ich zuversichtlich.
Meine kleine Schwester und ich gelten global als die fixesten
Ikea-Regal-und Wandschrank-Aufbauer. Da kann mich so ein mickriger
Lattenrost nicht schocken.
Noch nicht zumindest.
Schnell stellen Tochterkind und
ich fest, dass der Rost in zusammengebauten Zustand nicht auf die
Galerie zu befördern ist. Die Aufhängung, eine Verstrebungen und
nicht zuletzt die Deckenlampe werden uns die Tour auf diesem Wege
vermasseln.
Okay. Dann bauen wir eben oben
auf.
Vor wenigen Monaten habe ich
hier oben Parkett verlegt. Gut schaut es aus.
Nach und nach reicht mir Kind
2.0 alle nötigen Teile hoch.
Akkuschrauber, Hammer,
Schraubenzieher liegen auch schon bereit. Ich beginne recht
zuversichtlich. Zumindest die ersten vier Teile lassen sich so leicht
verbinden, dass ich mit einem Zeitaufwand von höchstens dreißig
Minuten rechne.
Zwei Stunden später arbeite ich
im Schweiße meines Angesichts nur noch in T-Shirt und Sporthose.
Mein etwas dünner gewordenes Nervenkostüm hat darauf bestanden,
alles ohne weitere familiäre Unterstützung fertigzustellen.
Tochterkind ist unten, lernt für die Schule und kann sich somit
rechtzeitig aus dem Gefahrenbereich meiner minütlich zunehmenden
Missstimmung bringen. Während mir die einzelnen Latten immer wieder
aus der Führung freudig entgegen springen, fallen mir viele neue
Schimpfwörter oder lustige Wortkombinationen ein, die nicht selten
mit „Sch**ß-“ anfangen.
Ich bin froh, dass Fenster und
Türen geschlossen sind. Denn ich bin kurz davor auf der Galerie
meiner Tochter zu, ähem... eskalieren.
Wie gesagt, wir hatten vorher
nachgemessen. Der Lattenrost passt größentechnisch. Allerdings
passt er eben ganz genau. Das heißt, ich baue einen Rahmen mit einer
Breite von 1,40 m auf einer Fläche von 1,40 m Breite. Die Höhe ist
an dieser Stelle bestenfalls 1,20 m. Zum Schlafen reicht´s. Zum
Handwerkern kaum. Da ist nicht viel Spielraum. Es ist auch ein
großer Vorteil, wenn man schweben kann. Kann ich aber nicht. Ich
setze die einzelnen Latten in den Rahmen, in dem ich mich selber noch
befinde. Nach einer weiteren halben Stunde sitze ich auf den vierzig
Zentimetern Platz, die mir die Galerie am Fußende bietet. Der
Lattenrost sieht endlich so aus, als ob es einer ist. Das Spannband
in der Mitte ist ein wenig verrutscht, aber das ist mir egal.
Tochterkind ist nicht Prinzessin auf der Erbse. Sie kann eigentlich
immer und überall schlafen. Im Bus, im Auto, im Zug im Stehen. Sie
wird es nicht bemerken. Und wenn doch, dann wird sie nichts dazu
sagen, denn sie hat sicher meine Freudenschreie der letzten Stunden
gehört und ist nicht suizidgefährdet. Im Schweiße meines
Angesichts schiebe ich jetzt die Matratze hoch. Es läuft endlich mal
was geschmeidig. Nach Öffnen der Folie entrollt sich die weiße
Matte willig auf den zuvor montierten Lattenrost. Wie schön.
Ich bin fix und alle und lasse
mich vornüberfallen. Lieber zwölf Billy-Regal und eine Eckküche
auf Zeit montieren, als ein einziges weiteres Lattenrost unter diesen
Bedingungen.
Während sich meine Atmung
wieder normalisiert, höre ich, wie unten die Zimmertür geöffnet
wird. Entweder ist sie mutig, oder sehr fahrlässig.
„Du bist fertig, Mama?“
„Ja, mit den Nerven. Woher
weißt du, dass ich fertig bin?“
„Du hast aufgehört zu fluchen
und mit Sachen zu schmeißen.“
Okay. Tochterkind kennt mich
gut. Ich packe meine Werkzeuge zusammen und klettere die Galerie über
die Holzleiter wieder hinab.
Auf dem Weg zur Dusche überlege
ich, wie alt eigentlich mein eigenes Bett ist. Ich komme auf keine
Jahreszahl, aber eins ist sicher. Es ist nicht alt genug, dass es
einen neuen Lattenrost braucht. Eher schlafe ich künftig auf dem
Sofa.
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