82. Akt
Ich laufe mit zwölf Zentimeter hohen Absätzen auf meinem Laufband.
Hin und wieder schaue ich ein bisschen skeptisch nach, ob ich das
Teil mittlerweile nicht schon perforiert habe. Wenn die beweglichen
Teile aussehen, wie ein Lochstickereimuster, sollte ich vielleicht
aufhören. Aber – Qualität zahlt sich aus – es sind keine
Schäden erkennbar.
Das Highheel-Training ist nötig. Unbedingt.
Warum auch immer, häufen sich in diesem Jahr die Anfragen, die mich
auf den Laufsteg locken wollen. Und ganz ehrlich - da muss keiner
lange schwafeln. Ich liebe das. Seitdem ich mit fünf Jahren,
Bambiaugen und Kampfschritt das erste Mal den Catwalk erobert habe,
lasse ich diesem Teil meiner Eitelkeit gerne freien Lauf.
Es erfordert keinen hohen Anspruch, dreißig Meter geradeaus zu
gehen, sich bisweilen zu drehen und dabei – je nach Designerwunsch
- zu lächeln oder so zu schauen, als wäre man gerade auf dem Weg
zur Post. Dafür auch noch Geld zu bekommen, rundet die Sache
außerordentlich ab.
Hin und wieder werde ich gemeinsam mit meiner Tochter gebucht. Das
ist klasse. Ich muss mich nur ein klitzekleines bisschen
kontrollieren, dass ich mit ihr nicht vorne am Catwalk high five
abklatsche oder, vor Stolz auf diese wunderschöne Person, aus den
Latschen kippe.
Während ich so auf meinem Laufband mit vier Stundenkilometern an
meiner Schrittlänge arbeite, erinnere ich mich daran, wie ich vor
vielen Jahren mal bei so einer Sache „verunfallt“ bin. Es war
eine Brautmodenschau.
Das Licht war grell und ich offenbar ein bisschen in Gedanken. Die
Show war damals in einer großen Stadthalle. Ausgebucht.
Das Malheur bestand darin, dass ich dummdusselig, wie ich an diesem
Abend war, den Steg um einen Schritt zu lang in Erinnerung hatte.
So rauschte ich also in schniekem Sahnebaiser-Ornat über den Catwalk
hinaus und landete auf dem direkt anschließenden Tisch, zwischen
einigen sehr überraschten Gästen. Der Tisch schloss allerdings
höhentechnisch keineswegs an den Steg an und ich stürzte quasi mit
Reifrock und Schleier gute achtzig Zentimeter bergab.
Ich war gerade siebzehn und es war mir ein bisschen peinlich. Ich
kletterte wieder nach oben, lachte und lief mit den Schuhen in der
Hand und winkend wieder zurück. Der Saal applaudierte und ich war
professionell genug, kein großes Drama daraus zu machen (Gott, bin
ich froh, dass es damals noch keine Handys und YouTube gab.)
Was mich allerdings am meisten verstörte, war, dass meine Mutter
damals wie heute noch vor Lachen vom Stuhl kippt, wenn sie an diese
Szene denkt. Im freien Flug vom Laufsteg höre ich immer noch ihr
Lachen und das exorbitant fröhliche Gekicher.
Um den Knick im Ego wieder auszugleichen hat es viele hundert Meter
Catwalk erfordert. Heute bin ich da aber lange drüber weg. Wenn mir
jetzt nochmal so was passieren würde, könnte ich mich damit
herausreden, dass ich Minimum doppelt so alt bin, wie die
durchschnittlichen Models auf dem Runway. Fehlsichtigkeit ist somit
entschuldigt. Und in meiner Kategorie ist der Begriff „gefallenes
Mädchen“ dann doch eher Wunschdenken.
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