Donnerstag, 28. April 2016

82. Akt

Ich laufe mit zwölf Zentimeter hohen Absätzen auf meinem Laufband. Hin und wieder schaue ich ein bisschen skeptisch nach, ob ich das Teil mittlerweile nicht schon perforiert habe. Wenn die beweglichen Teile aussehen, wie ein Lochstickereimuster, sollte ich vielleicht aufhören. Aber – Qualität zahlt sich aus – es sind keine Schäden erkennbar.
Das Highheel-Training ist nötig. Unbedingt.
Warum auch immer, häufen sich in diesem Jahr die Anfragen, die mich auf den Laufsteg locken wollen. Und ganz ehrlich - da muss keiner lange schwafeln. Ich liebe das. Seitdem ich mit fünf Jahren, Bambiaugen und Kampfschritt das erste Mal den Catwalk erobert habe, lasse ich diesem Teil meiner Eitelkeit gerne freien Lauf.
Es erfordert keinen hohen Anspruch, dreißig Meter geradeaus zu gehen, sich bisweilen zu drehen und dabei – je nach Designerwunsch - zu lächeln oder so zu schauen, als wäre man gerade auf dem Weg zur Post. Dafür auch noch Geld zu bekommen, rundet die Sache außerordentlich ab.
Hin und wieder werde ich gemeinsam mit meiner Tochter gebucht. Das ist klasse. Ich muss mich nur ein klitzekleines bisschen kontrollieren, dass ich mit ihr nicht vorne am Catwalk high five abklatsche oder, vor Stolz auf diese wunderschöne Person, aus den Latschen kippe.
Während ich so auf meinem Laufband mit vier Stundenkilometern an meiner Schrittlänge arbeite, erinnere ich mich daran, wie ich vor vielen Jahren mal bei so einer Sache „verunfallt“ bin. Es war eine Brautmodenschau.
Das Licht war grell und ich offenbar ein bisschen in Gedanken. Die Show war damals in einer großen Stadthalle. Ausgebucht.
Das Malheur bestand darin, dass ich dummdusselig, wie ich an diesem Abend war, den Steg um einen Schritt zu lang in Erinnerung hatte.
So rauschte ich also in schniekem Sahnebaiser-Ornat über den Catwalk hinaus und landete auf dem direkt anschließenden Tisch, zwischen einigen sehr überraschten Gästen. Der Tisch schloss allerdings höhentechnisch keineswegs an den Steg an und ich stürzte quasi mit Reifrock und Schleier gute achtzig Zentimeter bergab.
Ich war gerade siebzehn und es war mir ein bisschen peinlich. Ich kletterte wieder nach oben, lachte und lief mit den Schuhen in der Hand und winkend wieder zurück. Der Saal applaudierte und ich war professionell genug, kein großes Drama daraus zu machen (Gott, bin ich froh, dass es damals noch keine Handys und YouTube gab.)
Was mich allerdings am meisten verstörte, war, dass meine Mutter damals wie heute noch vor Lachen vom Stuhl kippt, wenn sie an diese Szene denkt. Im freien Flug vom Laufsteg höre ich immer noch ihr Lachen und das exorbitant fröhliche Gekicher.

Um den Knick im Ego wieder auszugleichen hat es viele hundert Meter Catwalk erfordert. Heute bin ich da aber lange drüber weg. Wenn mir jetzt nochmal so was passieren würde, könnte ich mich damit herausreden, dass ich Minimum doppelt so alt bin, wie die durchschnittlichen Models auf dem Runway. Fehlsichtigkeit ist somit entschuldigt. Und in meiner Kategorie ist der Begriff „gefallenes Mädchen“ dann doch eher Wunschdenken.  

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