62. Akt
Heute gehe ich aus. Ein Charity Event in der Stadt. Es geht um Mode.
Prima denk ich. Charity und Mode. Das bedeutet ein Win-Win Event, bei
dem ich den Prosecco gar nicht erst warm werden lasse. Dem Masseur
von gestern muss ich noch Blumen schicken. Ich gehe aufrecht und sehe
nicht so aus, als ob ich eine Eisenstange zwischen meinen Zähnen
zerbeiße. Ich muss mir seinen Namen merken.
Es sind verhältnismäßig wenige von den Frauen dabei, die sich seit
einer Woche auf das Event vorbereiten und heute ihr
„Ich-hab-mir-nur-mal-schnell-ein-
Fähnchen-übergeworfen-und-wollte-eigentlich-gar-nicht-kommen“-Gesicht
tragen. Die, die hier sind, wollen toll aussehen und stehen dazu,
dass sie mehr als nur 30 Minuten vor dem Spiegel gestanden haben.
Ich ebenfalls. Im normalen Leben ist mir mein Alter total wurscht.
Ich werde auch dann nicht jünger, wenn ich mir den Haaransatz am
Oberkopf festtackern lasse und mir Botox reinpfeife, bis man einen
Wutanfall nicht mehr von einem Lachkrampf unterscheiden kann. Aber
bei so einer Veranstaltung gebe ich mir schon große Mühe für ein
paar Stunden wenigstens optisch etwas Abstand zu meinem
„Darf-ich-eigentlich-jetzt-schon-in-die-Urne?“-Gesicht
herzustellen.
Seit Mittag habe ich mich ins Bad eingesperrt. Der Kühlschrank ist
voll, die Kinder werden nicht verhungern. Das langwierigste Make up
ist nämlich das, was aussieht, als wärst du kaum geschminkt. Also
geht man vor, wie beim Hausbau. Grobputz. Feinputz. Grundierung.
Erste Schicht. Zweite Schicht. Finish.
Bei den Haaren ist es einfacher. Mittelscheitel. Alles aus dem
Gesicht, damit man die Arbeiten im Vorderkopfbereich auch sehen und
würdigen kann. Fertig. Dann ab in den Fummel und auf´s Taxi warten.
Oha. Der Fahrer hat mich erst kürzlich zu einem anderen Event
gefahren. Ich will nicht, dass er mich für so eine Party-Tussi hält,
wie es die Leute tun , die keine Ahnung haben. Und erkläre ihm,
warum ich bisweilen mein Gesicht in diverse Kameras halte.
Er ist fix und versteht, dass das alles unter Werbung und Marketing
läuft. Danke. Der Mann hat Hirn.
Ich treffe mich mit einer Freundin vorab im Hotel Vier Jahreszeiten.
Von dort aus wollen wir gemeinsam zum Event. Während ich auf sie
warte, höre ich am Nachbartisch das Management-Team von Olli Pocher
über dessen Verfehlungen herziehen. Mann, Mann, Mann, ich habe Ohren
wie Satellitenschüsseln und würde am liebsten bei der ein oder
anderen Sache nochmal nachfragen. Offenbar stand ja nur die Hälfte
in der Bildzeitung. Aber was soll´s. Er ist ein junger Mann und soll
tun und lassen, was er für richtig hält. Ist nicht mein Bier.
Meine Freundin kommt und wir fahren los. Auf dem Weg überlegen wir,
ob wir vielleicht einen Haufen Groupies und eine zusätzliche Hand
voll Fotografen hätten kommen lassen sollen. Die könnten dann
unsere Namen schreien und hyperventilieren, wenn wir auf dem roten
Teppich stehen.
Aber es wird wohl auch ohne gehen.
Das Event ist klasse. Tolle Showacts. Gutes Essen. Und auch das
Publikum ist prima. Es reicht von „Wer ist das noch gleich?“ über
„Ja, den hab ich gestern in den Nachrichten gesehen.“ bis hin zu
„Durchgeknallt! Völlig durchgeknallt!“
Fünf Stunden später hole ich meine Ballerinas von der Garderobe ab
und bin dreizehn Zentimeter kleiner. Dafür laufe ich nun auch wieder
entspannter.
Der Abend ist Geschichte und mit einem Taxi geht es wieder heim. Und
dieses Mal kann mich der Fahrer halten für was er will. Ich bin
satt, müde und habe flache Schuhe an. Die Welt ist schön.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen