Donnerstag, 9. Juni 2016

123. Akt

Nach der Reiserei in der letzten Zeit bin ich mal wieder ein paar Tage Zuhause. Nach einem kleinen hormonellen ich-muss-hier-mal-gründlich-sauber-machen-Exzess muss ich in die Stadt. Ich sehe zwei Terminen und einem ebenfalls hormonell bedingten Schuhkauf-Flash entgegen.
Gerade auf die A94 aufgebogen stelle ich fest, dass ich mein Handy habe liegen lassen. Vermutlich auf der Kommode im Flur. Zuhause.
Pöh, denke ich. Kein Problem. Den Luxus gönne ich mir. Muss ja nicht immer und überall erreichbar sein. Wann und wo meine Termine sind, hab ich auch so im Kopf. Und wann und wo ich nach Schuhen schauen will, die ich garantiert noch nicht habe und lebensnotwendig brauche, kriege ich ebenfalls ohne Handy und Internet gebacken.
Ich fahre also weiter. Wäre ja gelacht, wenn ich einer dieser Freaks wäre, die jetzt komplett durchdrehen und sich völlig von der Welt abgenabelt sehen. Ist ja lächerlich.
Schon eine Auffahrt weiter überlege ich, was passiert, wenn mir gerade jetzt einer meiner beiden Termine eine Absage, zeitliche Verschiebung oder Ortsänderung durchgeben will.
Der vernünftige Pragmatismus in mir antwortet besonnen:
„Dann wird dieser Termin eben platzen. Ist ja nicht die Welt. Zum Einen wurde noch nie irgendwas verschoben und zum Anderen kann ich eine Veränderung auch nicht bestätigen. Also nicht meine Schuld.“
Ich ahne, was passiert, und schon geht es los. Dieser grässliche innere Dialog, der mich auf die Palme treibt.
„Und was ist, wenn die Kinder etwas brauchen, ihnen etwas fehlt oder sie dich unbedingt erreichen müssen?“
„Die beiden sind mit 16 und 19 alt genug, um den Kühlschrank alleine zu finden oder sechs Stunden bis sechs Wochen ohne ihre Mutter auszukommen.“
„Schlechte Mutter!“
„Ist mir wurscht. Lass mich in Ruhe, du lausiges mieses Gewissen.“
„Okay, okay. Aber schon mal an deine Freunde gedacht? Was, wenn genau jetzt z.B. XYZ von ihrer großen Liebe verlassen wird und nun deine Schulter zum Anlehnen und dein Ohr zum Zuhören braucht?“
„Na dann hat XYZ gute sechs Stunden Zeit, um sich ihre Situation mit Prosecco hübsch zu trinken oder ihre große Liebe wieder einzurenken. Ohne meine Hilfe.“
„Miese Freundin bist du!“
„Mieses Gewissen. Kannst mich mal. Ich drehe jetzt nicht um und hole dieses vermaldeite Telefon.“
So geht das noch eine ganze Weile, und ich weiß, genau so muss sich Entzug anfühlen. Kaum, dass ich die Termine und eine deprimierende Schuhauswahl hinter mir habe, fahre ich schwitzend nach Hause.
Noch von der Tür aus sehe ich mein Telefon. Meine Tochter begrüßt mich im Vorbeigehen und mein Sohn ist noch in der Uni. Okay, die Beiden haben es also überlebt.
Ich klappe mein Telefon auf. Und sehe:
Vier Anrufe in Abwesenheit, von denen ich zwei ohnehin nicht angenommen hätte, ein paar Emails, die ich heute Abend bei einem Glas Wein beantworten werde und drei Einladungen zu Candy Crush.
Keiner durchgedreht, weil ich nicht sofort am Telefon war. Die Welt dreht sich tatsächlich weiter, wenn das Handy mal aus- oder Zuhause bleibt.

Morgen probiere ich es nochmal. Vielleicht fange ich aber mit kleineren Zeiteinheiten an. So ein halbes Stündchen beim Rasen mähen oder beim Einkaufen. Ich kriege das ganz sicher hin. Wäre ja gelacht, wenn ich derart abhängig von meine Telefon wäre. Aber jetzt muss ich weg. Es klingelt.        

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