Montag, 13. Juni 2016

127. Akt

Es ist Sonntagmorgen und ich gehe Brötchen holen. Auf dem Weg durch eine Siedlung kurvt ein etwa Vierjähriger fröhlich auf seinem Fahrrad um den Spielplatz. Ich mag Kinder.
Ich mag die Unbeschwertheit, die ihnen dann in der Schule mühevoll abtrainiert wird und die sie sich als Erwachsene für teuer Geld beim Therapeuten wieder abholen können.
Als der Kleine vor mir stehen bleibt und mich angrinst, erinnere ich mich allerdings an das Trauma, das ein etwa Dreijähriger auslöste, als er mir aus seinem Buggy heraus „Hey, du geile Sau.“ hinterher rief.
Damals war ich drauf und dran den Buggy-schiebenden und breit grinsenden Vater ordentlich zu vertrimmen. Aber was solls? Das hätte vermutlich auch nicht korrigierend in die Erziehung eingegriffen.
Jetzt steht als dieser Kurze vor mir. Den gelben Helm ein bisschen schief auf dem Kopf. Den Lenker fest in beiden Händen und ein Grinsen, dass den ersten Wackelzahn andeutet.
„Wie heißt du denn?“
„Ich heiße Manuela. Und du?“
„Dennis.“
„Wohnst du hier?“
„Nicht hier direkt, aber zwei Straßen weiter.“
„Kann ich mitkommen?“
„Zu mir?“ Es treibt mir den Angstschweiß in den Nacken. Nicht, weil mir hier ein kleiner Junge fröhlich einen Besuch aufdrängt, sondern weil ich mir vorstelle, was passiert, wenn er die Frage einem Falschen stellt.
„Du Dennis, du darfst niemals mit fremden Leuten mitgehen.“
„Aber du bist nicht fremd. Ich weiß wie du heißt, und ich habe dich schon mal gesehen.“
Na prima. Dann können wir ja heiraten. Das sag ich natürlich nicht. Ich überlege, ob und wie ich dem Kleinen verklickern kann, dass es ziemlich gefährlich ist, was er hier macht.
„Bist du schon alt?“
„Äh... na ja. Deutlich älter als du, auf jeden Fall.“
„So alt wie meine Oma?“
„Wie alt ist denn deine Oma?“
„Die ist schon tot. Die war tot-alt.“
Ich überlege, ob das Gespräch jetzt die Wendung nimmt, nach der ich ihn vom Rad schubsen und selbiges über einen Gartenzaun schmeißen muss, aber er bleibt freundlich.
„Gehst du noch zur Schule?“
Jetzt bin ich dann doch wieder geschmeichelt.
„Nein, Dennis. Ich habe schon Kinder, die zur Schule gehen.“
Ich muss einen Moment nachdenken. Dann verzichte ich aber darauf, zu erklären, dass einer von beiden sogar schon aus der Schule raus ist und studiert.
Dennis stellt seine Füße auf die Pedale und meint: „Ich muss jetzt los.“
Klar. Der Spielplatz gehört ordentlich umrundet.
Ich verabschiede mich und laufe weiter. Eigentlich süß, denke ich mir. Und wünsche Dennis, dass es noch lange dauert, bis er seine Offenheit verliert.


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