127. Akt
Es ist Sonntagmorgen und ich gehe Brötchen holen. Auf dem Weg durch
eine Siedlung kurvt ein etwa Vierjähriger fröhlich auf seinem
Fahrrad um den Spielplatz. Ich mag Kinder.
Ich mag die Unbeschwertheit, die ihnen dann in der Schule mühevoll
abtrainiert wird und die sie sich als Erwachsene für teuer Geld beim
Therapeuten wieder abholen können.
Als der Kleine vor mir stehen bleibt und mich angrinst, erinnere ich
mich allerdings an das Trauma, das ein etwa Dreijähriger auslöste, als er mir aus seinem Buggy heraus „Hey, du geile Sau.“
hinterher rief.
Damals war ich drauf und dran den Buggy-schiebenden und breit
grinsenden Vater ordentlich zu vertrimmen. Aber was solls? Das hätte
vermutlich auch nicht korrigierend in die Erziehung eingegriffen.
Jetzt steht als dieser Kurze vor mir. Den gelben Helm ein bisschen
schief auf dem Kopf. Den Lenker fest in beiden Händen und ein
Grinsen, dass den ersten Wackelzahn andeutet.
„Wie heißt du denn?“
„Ich heiße Manuela. Und du?“
„Dennis.“
„Wohnst du hier?“
„Nicht hier direkt, aber zwei Straßen weiter.“
„Kann ich mitkommen?“
„Zu mir?“ Es treibt mir den Angstschweiß in den Nacken. Nicht,
weil mir hier ein kleiner Junge fröhlich einen Besuch aufdrängt,
sondern weil ich mir vorstelle, was passiert, wenn er die Frage einem
Falschen stellt.
„Du Dennis, du darfst niemals mit fremden Leuten mitgehen.“
„Aber du bist nicht fremd. Ich weiß wie du heißt, und ich habe
dich schon mal gesehen.“
Na prima. Dann können wir ja heiraten. Das sag ich natürlich nicht.
Ich überlege, ob und wie ich dem Kleinen verklickern kann, dass es
ziemlich gefährlich ist, was er hier macht.
„Bist du schon alt?“
„Äh... na ja. Deutlich älter als du, auf jeden Fall.“
„So alt wie meine Oma?“
„Wie alt ist denn deine Oma?“
„Die ist schon tot. Die war tot-alt.“
Ich überlege, ob das Gespräch jetzt die Wendung nimmt, nach der ich
ihn vom Rad schubsen und selbiges über einen Gartenzaun schmeißen
muss, aber er bleibt freundlich.
„Gehst du noch zur Schule?“
Jetzt bin ich dann doch wieder geschmeichelt.
„Nein, Dennis. Ich habe schon Kinder, die zur Schule gehen.“
Ich muss einen Moment nachdenken. Dann verzichte ich aber darauf, zu
erklären, dass einer von beiden sogar schon aus der Schule raus ist
und studiert.
Dennis stellt seine Füße auf die
Pedale und meint: „Ich muss jetzt los.“
Klar. Der Spielplatz gehört ordentlich umrundet.
Ich verabschiede mich und laufe weiter. Eigentlich süß, denke ich
mir. Und wünsche Dennis, dass es noch lange dauert, bis er seine
Offenheit verliert.
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