137. Akt
Es
geht immer schlimmer. Manche jammern, wenn ihnen eine Fliege ins Auge
rauscht. Andere wiederum, wenn ihnen ein Vogel aufs Auto sch***t. Und
dritte erst dann, wenn der Vogel, der ihnen aufs Auto macht, auch
noch der Wellensittich der eigenen Tochter ist.
Aber
im Prinzip – und das wissen wir alle – ist sowas alles bloß
unwichtiges Tralala. Uns geht es prima. Wir sind weitgehend gesund
und haben mehr als genug von allem was wir brauchen. Bei wenigen
Menschen sieht das aber ganz anders aus.
Kurz
vor dem Abitur habe ich die Gebärdensprache gelernt. Nicht unbedingt
so gut, dass ich eine Enzyklopädie hätte übersetzen können, aber
doch so gut, dass es mich durch die ein oder andere Abi-Prüfung
bugsiert hat. Ich war nämlich nicht die einzige in meiner Stufe die sich wortlos verständigen konnte und ich
war damals gar nicht schlecht im Gebärden. Heute ist das anders.
Sollte
ich jetzt jemanden in der Gebärdensprache fragen, wo der nächste
Bäcker ist, dann würde ein Taubstummer in meinen Gesten lesen, dass
ich gerne seinen Chihuahua vergewaltigen möchte. Wenn man nicht
dranbleibt, verlernt man Dinge eben.
Jetzt
könnte man natürlich sagen, dass taubstumme Menschen sehr unter dem
Fehlen dieses Sinnes leiden. Aber meine Erfahrung ist, dass jedes
Fehlen eines Sinnes die anderen Sinne noch besser schult. Das
Genialste, was mir ein taubstummer Freund mal gebärdet hat, war die
Aussage: „Es geht mir prima. Ich muss viele Dinge nicht hören.
Außerdem stell dir mal vor, ich hätte zusätzlich keine Arme. Dann
ginge es mir doch erst richtig mies, oder?“ Was haben wir an dem Tag gelacht.
Seitdem bin ich mir sicher. Menschen denen ein Sinn versagt bleibt,
haben wirklich besser geschulte verbliebene Sinne. Zumindest der
Sinn für Humor ist hier stärker ausgeprägt als bei denen, die
glauben, dass ihnen nichts fehlt.
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