Donnerstag, 23. Juni 2016

137. Akt

Es geht immer schlimmer. Manche jammern, wenn ihnen eine Fliege ins Auge rauscht. Andere wiederum, wenn ihnen ein Vogel aufs Auto sch***t. Und dritte erst dann, wenn der Vogel, der ihnen aufs Auto macht, auch noch der Wellensittich der eigenen Tochter ist.
Aber im Prinzip – und das wissen wir alle – ist sowas alles bloß unwichtiges Tralala. Uns geht es prima. Wir sind weitgehend gesund und haben mehr als genug von allem was wir brauchen. Bei wenigen Menschen sieht das aber ganz anders aus.
Kurz vor dem Abitur habe ich die Gebärdensprache gelernt. Nicht unbedingt so gut, dass ich eine Enzyklopädie hätte übersetzen können, aber doch so gut, dass es mich durch die ein oder andere Abi-Prüfung bugsiert hat. Ich war nämlich nicht die einzige in meiner Stufe die sich wortlos verständigen konnte und ich war damals gar nicht schlecht im Gebärden. Heute ist das anders.
Sollte ich jetzt jemanden in der Gebärdensprache fragen, wo der nächste Bäcker ist, dann würde ein Taubstummer in meinen Gesten lesen, dass ich gerne seinen Chihuahua vergewaltigen möchte. Wenn man nicht dranbleibt, verlernt man Dinge eben.
Jetzt könnte man natürlich sagen, dass taubstumme Menschen sehr unter dem Fehlen dieses Sinnes leiden. Aber meine Erfahrung ist, dass jedes Fehlen eines Sinnes die anderen Sinne noch besser schult. Das Genialste, was mir ein taubstummer Freund mal gebärdet hat, war die Aussage: „Es geht mir prima. Ich muss viele Dinge nicht hören. Außerdem stell dir mal vor, ich hätte zusätzlich keine Arme. Dann ginge es mir doch erst richtig mies, oder?“ Was haben wir an dem Tag gelacht.
Seitdem bin ich mir sicher. Menschen denen ein Sinn versagt bleibt, haben wirklich besser geschulte verbliebene Sinne. Zumindest der Sinn für Humor ist hier stärker ausgeprägt als bei denen, die glauben, dass ihnen nichts fehlt.

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