Sonntag, 20. März 2016

43. Akt 

Mal wieder im Zug. Auf dem Weg zu einem Termin fällt mir auf, dass Ferien begonnen haben müssen und stelle fest: Ja, es sind Osterferien in Bayern. Der Zug ist rappelvoll und ich sitze in einem Abteil mit einem älteren Paar und einer dreiköpfigen Familie. Der etwa neunjährige Sohn gehört der Sorte Kind an, dem offensichtlich sein ganzes Leben lang eingebläut wurde, dass er in jedem Moment ganz zauberhaft ist und jeder sich zu aller Zeit über alles(!) was er tut freut. Ich mag Kinder. Ich mag sie sogar so sehr, dass ich mir selber zwei von ihnen angeschafft habe. Ich nenne sie gern Kind 1.0 und Kind 2.0, aber ich rufe sie in der Regel bei ihrem Namen und ich würde für ihr Wohlbefinden über Leichen gehen.
Dieser Junge hier – Dennis heißt er, wie ich schon nach dreißig Sekunden erfahre – gehört zur Sorte „Mir gehört die Welt und deine Sachen auch“.
Ich sitze zwischen dem alten Herrn und Dennis Mutter. Der Junge beschimpft gerade seinen Vater, der offensichtlich vergessen hat, das Aufladegerät für seinen iPad einzupacken. Es fallen Schimpfworte, bei denen ich meinen Kindern vermutlich bis zur Rente das Taschengeld gestrichen hätte. Das alte Paar schaut aus dem Fenster. Sie sprechen kein Deutsch. Das habe ich schon mitbekommen. Ich frage mich, wo sie wohl herkommen, aber da steht auch schon Dennis vor mir. „Hast du Spiele auf deinem Handy?“
Ich bin etwas verblüfft. Mit neun Jahren haben die Kinder die Verwendung von der Anrede „Sie“ eigentlich ganz gut im Griff. Aber egal. Es ist ein Kind und ich bejahe die Frage. Dummerweise. Das Handy in meiner Hand fühlt sich zunehmend warm an. „Kann ich mal?“
Ich verneine und sage, das ich das Telefon selber brauche und füge noch hinzu, dass es für mich ein Arbeitsgerät ist. Ich lache.
„Die Dame gibt es dir bestimmt, wenn sie nicht mehr arbeiten muss, Dennis.“ Jetzt lach ich nicht mehr. Hat die ein Rad ab? Seit wann haben fremde Mütter Verfügungsgewalt über mein Equipment? Ich erspare mir einen Kommentar und tippe gebannt auf meinem Telefon rum. Dann reicht es mir irgendwann und ich packe es in meine Handtasche. Prompt steht Dennis wieder vor mir. „Kann ich es jetzt dann mal haben??“ Es ist weniger eine Frage, als eine konkrete Aufforderung. Ich lächle ihn an und sage laut und deutlich „Nein!“ Einen Moment habe ich das Gefühl, der Zug müsste auf der Stelle stehen bleiben. „Nein“ ist offenbar eines der Worte, die Dennis in seinem Leben viel zu wenig gehört hat. Abgesehen davon, dass ihm auch die Verwendung der Worte „Bitte“ und „Danke“ vollständig abgeht.
„Spinnst du? Du hast gesagt, dass ich es gleich haben kann!“ Dem Jungen scheint gleich die Halsschlagader zu platzen. Er fasst nach meiner Tasche und ich ziehe sie von ihm weg. Er dreht sich um und schreit seine Mutter an. Ich denke nach. Wie kann man diesen Eltern helfen? Dennis passt garantiert nicht mehr in die Babyklappe. Eindeutig zu groß.
Dann spricht mich die Mutter an und fragt mich allen Ernstes, ob Dennis jetzt mal kurz mit meinem Handy spielen darf.

Ich fass es nicht. Erneut verneine ich und ernte von beiden Elternteilen böse Blicke. Bevor Dennis jetzt vollständig in die Luft geht, fragt ihn die Mutter, ob er mal mit ihr nach ganz vorne gehen mag. Da wo man manchmal den Zugführer sehen kann. Mir wird flau. Ich hoffe, der Zugführer hat feste abgeschlossen. Dennis streckt mir die Zunge raus und während Mutter und Sohn das Abteil verlassen, höre ich sie noch sagen: „Die Frau mag bestimmt keine Kinder, die ist doof.“ Dennis lacht und ich würde beide am liebsten bei voller Fahrt Kontakt mit dem Gleisbett schließen lassen. Der Vater bleibt stumm sitzen und tut so, als ob er in einem Buch liest. „Angewandte Psychologie“. Ich würde es ihm am liebsten rektal einführen, damit er weiß, was sie da erziehungstechnisch murksen. In Innsbruck steigt die Familie dann endlich aus. Ich schließe die Augen, atme ein und atme aus. Die alte Dame gegenüber beginnt zu kichern. Dann spricht sie mich an. Auf Bayerisch. „Ihr Gemüt hätte ich gerne. Der Junge war ja ein Ausbund an schlechter Erziehung.“ Von links spricht der ältere Herr. „Ich habe mir überlegt, wer von den Dreien am meisten eine Watschn verdient hätte. Letztendlich hätte ich mich für die Mutter entschieden.“ Mir bleibt die Spucke weg. Die beiden haben die ganze Zeit so getan, als ob sie kein Deutsch sprächen. Nur damit sie von dem kleinen Familienrudel verschont bleiben. Wie geschickt ist das denn?? Als der Service kommt, lade ich die beiden zu einem Glas Wein ein. Ab jetzt wird die Fahrt deutlich entspannter. Und beim nächsten mal mach ich es ganz genau so. „Sorry, nix verstehn.“     

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