39. Akt
Früher, als ich noch regelmäßig auf Sport- oder Modemessen
gearbeitet habe, war die Abendgestaltung immer klar. After-Show-Party
mit lauter Musik, Stimmung, Tanz und Tralala. Sogar schon am Abend
vor den Messen.
Aber auf der Leipziger Buchmesse? Sitzt man dort zusammen im
Messe-Club und ruft sich gegenseitig Buchtitel zu? Kleiner Stuhlkreis
in Halle 3 gefällig? Das Lektorat auf dem Prüfstand oder die
„Ich-bin-ein-Rebell-und-bleibe-bei-der-alten-Rechtschreibung“-Exzesse
in Halle 5? Ich werde es erfahren. Morgen. Dann wird es nämlich
losgehen.
Die heutige Anreise war recht entspannt. Klar, ich habe ja auch
wieder den ganzen Flug nach Leipzig verschlafen. Bei der Betrachtung
der Landschaft kurz vor der Landung musste ich dann feststellen, dass
die Gegend hier auch von oben ein klitzekleines bisschen brauner
wirkt, als in Bayern oder dem Rest von Deutschland. Aber was soll´s.
In Leipzig bin ich geboren. Leipzig ist cool.
Ich habe ein kleines günstiges Hotel in der Nähe der Messe gebucht.
Wobei „günstig“ eher relativ ist. Zu Messe-Zeiten meinen alle
Hotels immer, sie seien das Adlon. Zumindest preistechnisch.
Am Abend sitze ich in der Region, die sie „Bar“ nennen. Ich nenne
es „Rückseite der Rezeption“. Denn genau das ist es auch. Bloß
mit Getränken. Ich tippe in meinen Computer, trinke Weißburgunder
und bereite mich auf die Messe vor. Auf einmal wird es schattig vor
mir.
„Hallo du süßer Hase!“
Äh... hat der Typ, der mir gerade das Licht zum Schreiben nimmt, mich
gerade „süßer Hase“ genannt???
Mir gegenüber lässt sich ein Kerl in blassblauem Anzug nieder und –
Achtung, eigentlich ein Todesurteil – er schließt meinen Laptop
mit einem Lächeln, dass sexy sein soll und einem Finger, den ich ihm
jetzt gerne abhacken möchte. Zum Glück, habe ich kurz vorher alle
Daten gesichert, sonst wäre die Arbeit der letzten Stunde den Bach
runter gegangen.
„Jetzt ist mal Schluss mit Arbeiten.“ grinst er und bemerkt
nicht, dass ich kurz davor bin zu hyperventilieren. Da ich nicht
reagiere, ihn nur mit großen, entsetzen Augen ansehe und meinen
Rechner hektisch wieder aufklappe, versucht er es in Englisch.
Glücklicherweise nicht mit „Hello you sweet rabbit.“ Sondern mit
einem „Speak English?“
Ich bekomme meine Atmung wieder in den Griff und gebe ihm zu verstehen, dass ich durchaus des Deutschen mächtig bin. Der Typ ist so attraktiv wie Danny de Vito nach 24 Stunden
Sonnenbank, animalisch wie Kermit und sexy wie Müsli. Altes Müsli.
Sehr altes Müsli.
Er ruft die Kellnerin (ja, sie macht auch die Rezeption) zu sich und
fragt mich, was ich trinken möchte. Ich atme ein und atme aus. Dann
nehme ich die Karte. Ich suche mir den teuersten Cocktail aus, den
dieses Haus hat. Und bestelle ihn. Gleich zwei Mal.
Gerd, wie er sich nennt, schwafelt mich zu. Ich habe beschlossen ihm
nicht eine Sekunde zuzuhören. Ich habe mich mit "Helga" vorgestellt.
Als die Cocktails kommen bezahlt er und versucht dabei keine Miene zu
verziehen. Ich nippe kurz an einem Glas. Dann fahre ich meinen
Rechner wieder runter. Nö, schmeckt nicht. „Gute Nacht Gerd!“
Ich packe meinen Rechner zusammen, nehme mein Glas Weißburgunder in
die Hand und gehe zielstrebig in Richtung mein Zimmer. Gerd guckt
blöd, aber ich schaue nicht lange hin. Ich wünsche ihm noch viel
Erfolg für heute Abend. Kann aber nicht glauben, dass er das noch
bei irgendeiner hinkriegt. Kann mir wurscht sein. Das einzige, was
mich beunruhigt ist, dass ich gesehen habe, dass auch er zur Messe
gehört. Also irgendwie. Seine Akkreditierung baumelte ihm nämlich
gleich neben seiner scheußlichen Krawatte um den faltigen Hals.
Na ja. Schauen wir mal. Die Messe ist groß und wenn ich Glück habe,
dann begegne ich ihm weder dort, noch morgen früh im Frühstücksraum.
Kein Problem.
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