32. Akt
Oh! Mein! Gott!
Was ist passiert? Die Muskulatur meine Körpers fühlt sich so
geschmeidig an, wie sechs Stunden lang gegartes Rindfleisch. Die
Schwerkraft gibt mir den Rest. Ich überlege, wie ich aus dem Bett
kommen soll und entschließe mich, es erst mal mit einem sanften
Rollen nach links zu probieren. Meine Füße kommen mir unendlich
weit weg vor, und ich habe nicht das Gefühl, dass wir uns heute noch
näher kommen. Um zehn Uhr soll es wieder zum Skifahren gehen. Im
Moment habe ich nicht den Eindruck, dass ich es auch bloß bis ins
Bad schaffe. Hallo? Ich bin ausgebildete Tänzerin. Wenn auch vor
mehr als fünfundzwanzig Jahren. Ich muss hier geschmeidig aus den
Federn hopsen können. Beim Wort „Hopsen“ muss ich lachen und
stelle fest, dass auch die Bauchmuskulatur mit dem gestrigen Tag
gänzlich überfordert ist. Lachen abhaken – check! Laufen abhaken
– check! Skifahren? Ich muss wieder lachen. Ich sehe mich in meinem
schicken Skianzug oben am Berg aus den Latschen kippen. Und zwar
direkt nach dem Aussteigen aus dem Lift. Diese Bilder vor meinem
geistigen Auge lassen mich wieder lachen. Vielmehr lassen sie nichts
anderes zu, als ein desolates Grunzen. Mein Gott bin ich froh, dass
meine Kinder mich gerade nicht sehen. Sie würden sich wahrscheinlich
fünf Minuten lang um mich sorgen und dann überlegen, wer mein
Schlafzimmer nutzen darf, so lange ich in Reha bin. Mit eisernem
Willen schaffe ich es mich in eine mehr oder minder aufrechte
Position zu bringen. Ja. Tschakkaaaa! Das war schon mal ganz prima.
Jetzt noch die Füße aus dem Bett. Dieser Teil der morgendlichen
Übung ist schon mal etwas schwieriger. Nach wenigen Minuten ist auch
das geschafft. Das Anwinkeln der Beine, so dass die Füße den Boden
berühren braucht allerdings auch wieder seine Zeit. Es ist 8.30 Uhr
und ich habe noch anderthalb Stunden zum vollständigen Aufstehen,
Anziehen, Frühstücken und Skibus-Erreichen. Aber wer wäre ich,
wenn ich nicht all diese Hindernisse mit Bravour nehmen würde?
Schon 30 Minuten später gelingt es mir, mich vorwärts zu bewegen,
ohne bei jedem Schritt bemitleidenswerte Geräusche von mir zu geben.
Lässig wie Pinocchio gehe ich zum Frühstücks-Buffet. Die
freundliche Bedienung bringt den Kaffee und weist darauf hin, dass es
ein ganz wunderbarer Skitag werden wird. Ich lächle und frage mich,
wie ich es schaffen soll, die Tasse bis zum Mund zu führen. Ja, ja,
ein großartiger Skitag wird es werden. Für Leute, die im Vollbesitz
ihrer physischen Kräfte sind. Ich überlege, ob ich mich schon
direkt VOR dem Einsteigen in die Gondel mit einem kleinen fingiertem
Schwächeanfall vor den Erwartungen meines Skilehrers retten soll.
Dann siegt aber der Ehrgeiz. Wenn ich nur will, schaff ich auch
diesen Tag auf den Brettern. Und während die vernünftige Manu in
mir wieder einem Lach-Flash erliegt, bewege ich mich geschmeidig wie
eine schon seit Tagen tote Katze in Richtung Skikeller.
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