41. Akt
Die Nacht ist rum und die Messe steht an. Mit dem Hotel-Shuttle fahre
ich erst mal ins Presse-Zentrum. Weil – genau – da gibt es
Kaffee! Auf dem Weg in die erste Halle stolpere ich über ein
Fabelwesen. Vor mir steht ein Junge (?) mit blassem Gesicht, grauem
Haar, schwarzem Zaubererhut und feuerroten Kontaktlinsen. Er läuft
gemächlich in Richtung der unteren Eingänge und ich frage mich, ob
das Schlafdefizit schon mal solch exorbitante Auswirkungen auf mich
hatte. Ein Blick über die Brüstung zeigt mir, dass sich vor dem
Eingang weitere dieser eigenartig gekleideten Gestalten befinden.
Rosa Perücken, Flügel, groß geschminkte Augen, Besucher männlichen
und weiblichen Geschlechts im japanischen Schulmädchen-Look. Langsam
dämmert es mir. Im Rahmen der Buchmesse findet hier die
Manga-Comic-Con statt. Das heißt rudelweise fallen die meist
jugendlichen Besucher in den ausgeflipptesten Outfits ein. Da sag mal
einer der Osten ist nicht bunt. Auf dem Weg zu meinem ersten Gespräch
muss ich die auf Einlass wartende Menge einmal komplett durchqueren.
Ich überlege, was ich tun würde, wenn meine Kinder sich hier
befänden, bin froh, dass sie es nicht tun und beschließe ihr
Taschengeld zu erhöhen.
Ich treffe meinen Literaturagenten und stelle fest, dass ich bereits
meinen fünften Kaffee trinke. Wenn das so weiter geht, blute ich
nachher aus den Augen und meine Interviews werden nur noch in
Zeitlupe verständlich sein. Jenseits der Manga-Halle wirken die
Besucher dann wieder blass und farblos wie zuvor. Kleidung in den
grauesten Graustufen bestimmen das Bild. Mit meiner roten Bluse und
der Lederjacke komme ich mir exotischer vor, als die Manga-kids
vorhin. Ich besuche Podiumsdiskussionen, diverse Radiostationen und
Journalisten, die mich zum Gespräch eingeladen haben.
Als ich alle meine Termine durch hab, setze ich mich noch in eine
Diskussionsrunde. Einer der Zuschauer fragt, warum in der Literatur
ständig Mord und Totschlag thematisiert werde. Alles sei so grausam
geworden. Ich schleiche mich still und leise aus dem Publikum. Mit
einem Titel der „33 Grausamkeiten“ heißt und einem Roman, wo
einer mit einem Aufzug getötet wird, fühle ich mich zu unausgeschlafen, um
diese Diskussion zu verfolgen. Zwei Stunden vor der Zeit fahre ich
zum Flughafen. So wie es aussieht, werde ich mit dem Einschlafen dieses Mal schon vor dem Boarding beginnen. Also stelle ich mir einen Wecker.
Sicher ist sicher.
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