165. Akt
Es ist früh am Morgen und ich
bin mehr oder minder wachen Schrittes auf dem Weg zum Brötchen
holen. Es regnet leicht. Ja klar. Ist ja Sommer 2016. Auf dem Rückweg
sehe ich zwei herumliegende, leere Zigarettenschachteln und eine
Papiertüte. Der nächste Mülleimer ist nur ein paar Schritte
entfernt, also hebe ich das Zeug auf und schmeiße es in den Kübel.
Ich finde es doof, wenn Leute eine derartige Schwäche überfällt,
dass sie alles fallen und auf der Straße liegen lassen. Als ich
weiter gehe höre ich eine Stimme hinter mir rufen.
„Fräulein, Fräulein!“
Bei Fräulein fühle ich mich in
der Regel nicht unbedingt angesprochen, aber es klingt immer noch
besser als „Hey du Schnitte“ oder ähnliches.
„Hallo, Fräulein. Sie haben
hier was vergessen“.
Ich drehe mich um und sehe einen
älteren Herrn mit Karoschirm auf dem Gehweg stehen. Um ihn besser zu
verstehen, gehe ich ein paar Schritte zurück. Da steht er mit seiner
Brille, strengem Blick und deutet auf ein Gebüsch. „Das da haben
Sie vergessen.“
Ich schaue, was er meint und
entdecke eine leere Plastiktüte.
„Äh... warum soll ich die
vergessen haben? Die ist doch gar nicht von mir.“
„Ja, aber jetzt können Sie
die ja wegräumen.“
Ich fass es nicht ganz und frage
nach, was er damit meint. Der alte Herr antwortet, dass er gesehen
hätte, wie ich Müll einsammle und entsorge. Die Tüte hätte ich
übersehen und könnte sie ja jetzt ebenfalls wegräumen.“
„Mein lieber Herr, ich räume
Müll anderer Menschen weg, weil ich es unschön finde, wenn die
Dinge hier so rumliegen. Ich räume Müll weg, den ich sehe. Diese
Tüte haben SIE gesehen. Wie wäre es, wenn SIE die nehmen und in den
Mülleimer dahinten schmeißen?“
Der Mann läuft rot an. „Das
ist ja eine Unverschämtheit! Ich bin doch nicht für den Unrat
fremder Menschen zuständig. Unverschämt!“
Dann wendet er sich ab und zieht
mit seinem Karoschirm von dannen.
Ich atme tief durch. Ich
verabscheue Gewalt und würde dem Herrn nur ungern zeigen, wie
schwer sich ein Schirm entfernen lässt, wenn ich ihm den rektal
eingeführt habe. Geöffnet!
Mit angemessenem Schritt gehe
ich weiter. Und die Wut im Bauch versickert wie der Regen im
müllfreien Gelände. Wenn die Tüte morgen immer noch daliegt, dann
werde ich sie vielleicht tatsächlich wegräumen. Ganz einfach weil
sie hässlich ist in dem schönen Gebüsch. Und falls ich mal einen
Rentner mit Karoschirm in einer Hecke finde, dann werde ich ihn
geflissentlich übersehen. Dann hat wohl seine Frau den Müll
entsorgt.
Ich habe die Situation live mit erlebt... Ich liebe Dein Spiel mit Worten und Emotionen, weiter so!
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