Donnerstag, 21. Juli 2016

165. Akt

Es ist früh am Morgen und ich bin mehr oder minder wachen Schrittes auf dem Weg zum Brötchen holen. Es regnet leicht. Ja klar. Ist ja Sommer 2016. Auf dem Rückweg sehe ich zwei herumliegende, leere Zigarettenschachteln und eine Papiertüte. Der nächste Mülleimer ist nur ein paar Schritte entfernt, also hebe ich das Zeug auf und schmeiße es in den Kübel. Ich finde es doof, wenn Leute eine derartige Schwäche überfällt, dass sie alles fallen und auf der Straße liegen lassen. Als ich weiter gehe höre ich eine Stimme hinter mir rufen.
Fräulein, Fräulein!“
Bei Fräulein fühle ich mich in der Regel nicht unbedingt angesprochen, aber es klingt immer noch besser als „Hey du Schnitte“ oder ähnliches.
Hallo, Fräulein. Sie haben hier was vergessen“.
Ich drehe mich um und sehe einen älteren Herrn mit Karoschirm auf dem Gehweg stehen. Um ihn besser zu verstehen, gehe ich ein paar Schritte zurück. Da steht er mit seiner Brille, strengem Blick und deutet auf ein Gebüsch. „Das da haben Sie vergessen.“
Ich schaue, was er meint und entdecke eine leere Plastiktüte.
Äh... warum soll ich die vergessen haben? Die ist doch gar nicht von mir.“
Ja, aber jetzt können Sie die ja wegräumen.“
Ich fass es nicht ganz und frage nach, was er damit meint. Der alte Herr antwortet, dass er gesehen hätte, wie ich Müll einsammle und entsorge. Die Tüte hätte ich übersehen und könnte sie ja jetzt ebenfalls wegräumen.“
Mein lieber Herr, ich räume Müll anderer Menschen weg, weil ich es unschön finde, wenn die Dinge hier so rumliegen. Ich räume Müll weg, den ich sehe. Diese Tüte haben SIE gesehen. Wie wäre es, wenn SIE die nehmen und in den Mülleimer dahinten schmeißen?“
Der Mann läuft rot an. „Das ist ja eine Unverschämtheit! Ich bin doch nicht für den Unrat fremder Menschen zuständig. Unverschämt!“
Dann wendet er sich ab und zieht mit seinem Karoschirm von dannen.
Ich atme tief durch. Ich verabscheue Gewalt und würde dem Herrn nur ungern zeigen, wie schwer sich ein Schirm entfernen lässt, wenn ich ihm den rektal eingeführt habe. Geöffnet!
Mit angemessenem Schritt gehe ich weiter. Und die Wut im Bauch versickert wie der Regen im müllfreien Gelände. Wenn die Tüte morgen immer noch daliegt, dann werde ich sie vielleicht tatsächlich wegräumen. Ganz einfach weil sie hässlich ist in dem schönen Gebüsch. Und falls ich mal einen Rentner mit Karoschirm in einer Hecke finde, dann werde ich ihn geflissentlich übersehen. Dann hat wohl seine Frau den Müll entsorgt.


1 Kommentar:

  1. Ich habe die Situation live mit erlebt... Ich liebe Dein Spiel mit Worten und Emotionen, weiter so!

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