148. Akt
Der Sommer soll angeblich vor
der Tür stehen. Keine Ahnung, warum ihn bisher keiner reingelassen
hat. Ist aber auch wurscht, denn nun soll er angeblich ja da sein. Es
ist also Zeit, sich das ein oder andere Sommerteilchen zuzulegen.
Kleid, Bluse, Rock, da bin ich flexibel und überhaupt nicht
kleinlich. Gerne auch von allem etwas.
Kaum habe ich mir ein paar Teile
ausgesucht und erfolgreich die Umkleiden ausgemacht, fällt es mir
wieder ein.
Ich hoffe noch, aber meine
Hoffnung zerbröselt. Vielmehr löst sie sich im höchstgradig
unvorteilhaften und grellem Licht der Umkleidekabinen auf.
Hier müssen wahrhafte Sadisten
am Werke gewesen sein. Bei der Auswahl der Beleuchtung haben sich
garantiert ein paar Leute kichernd in die Rippen gestoßen und sich
vorgestellt, wie kaufwillige Kundinnen auf dem einzigen wackligem
Hocker in der Kabine in Tränen ausbrechen.
Die Cellulitis muss noch gar
nicht das Ausmaß einer körpereigenen Murmelbahn angenommen haben.
In der Kabine sieht es aber genau so aus.
Da ich mich allein genetisch und
von Natur aus farblich von einem weißen Blatt Papier abhebe, könnte
man meinen, ich hätte hier schon mal Platzvorteil. Aber das ist
Quatsch. Meine Haut leuchtet in einem fahlen Oliv. Nix knackig braun.
Nein, eher so gräulich wie Schnecken aussehen würden, wenn sie kein
Haus hätten. Alles in allem bin ich ja ziemlich zufrieden mit mir
und meiner Optik. Aber hier in den Umkleideräumen wird selbst ein
royales Selbstbewusstsein auf Käsebrötchen-Niveau zusammengestutzt.
Während ich in Wäsche vor dem Spiegel stehe und nur noch
Produktionsfehler entdecke, glaube ich in der Nachbarkabine jemanden
weinen zu hören. Ich habe Verständnis. Die Dame, die dort
hineinging, war etwa eineinhalb Köpfe kleiner als ich, und das was
ihr an Farbe fehlte, hatte sie vielleicht an Gewicht zu viel.
Eigentlich sah sie ganz süß aus, aber nun steht sie sicher genau
wie ich vor dem Spiegel des Grauens. Ich wundere mich, dass man nicht
täglich Schlagzeilen in den Zeitungen lesen kann, die das hier
thematisieren.
„Depressionen nach Minuten
in der Ankleide. Käuferin wollte sich am Vorhang strangulieren“
oder
„Schreiend abgeführt.
Kundin verletzte sich nach Sturz in den Spiegel“
Eine
Freundin sagte mir vor kurzem, das sie nur noch nach Katalogen oder
online bestellte. Dann konnte sie in aller Ruhe zuhause, bei fröhlich
machender, angenehmer Beleuchtung anprobieren.
Ich ziehe mich wieder an. Da pfeif ich doch auf den Sommer. Wenn ich bis jetzt auf ihn warten musste, dann kann er jetzt auch darauf warten, bis Zalando liefert. Oder ich drehe künftig beim Shoppen einige Birnen in der Umkleide raus und stelle ein paar Kerzen auf. Dan braucht man nach Shopping-Tagen auch keinen Therapeuten.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen