152. Akt
Okay, man kann tun was man will. Man kommt nicht drum herum. Es ist Fußball. Also gar nicht mal bloß
Fußball-Zeit. Nein. Fußball. Überall. Auch ich hänge mit meinen
Kindern vor der Glotze, als Jogi seine Aufstellung präsentiert und
die Franzosen stolz aufmarschieren. Bei Facebook kollabiert gerade
ohnehin alles im Taumel der EM.
Bis zuletzt habe ich versucht
mit dem ganzen Trara recht entspannt umzugehen. Die
schwarz-rot-goldene Deko meiner Mutter habe ich weitestgehend
ignorieren können. Lediglich, als sie auf allen Toiletten
schwarz-rot-goldenes Klopapier verteilt hatte, habe ich interveniert
und alles wieder in neutrales Weiß ausgetauscht. Fußball kann mich
in der Regel nicht wirklich oft mitreißen. So war es zumindest bis
vor ein paar Tagen. Das legendäre Elfmeter-Schießen gegen Italien
hat mich zwei bis drei Jahre meines Lebens gekostet. Heute soll es
ruhiger werden. Ist doch nur Fußball. Also ein Gläschen Rotwein und
ab vor die Flimmerkiste.
Tja... und es läuft
geschmeidig. Erst geben die Franzosen mächtig Gas und Neuer wird
einmal gefordert, dann gewinnen die Deutschen die Kontrolle. Bis, tja
bis Schweinsteiger in der Nachspielzeit der ersten Hälfte die
Kontrolle quasi um eine Armlänge übertreibt. Elfmeter für
Frankreich. Und. Tor.
Mist! Auf Facebook poste ich ein
betroffenes „F**K!!!!“.
Irgendwie muss ich Dampf
ablassen. Ich muss was tun. Also etwas anderes, als mir die ganze
Zeit den Lack von den Nägeln zu pulen. Am besten ist immer
Handarbeit. Immer, wenn ich gestresst bin, muss ich was machen.
Während der Abi-Zeit meines Sohnes, habe ich drei (!) Dirndl genäht.
Jetzt habe ich leider keinen Stoff mehr. Aber ich entdecke Wolle und
meine Häkelnadel.
„Noch nen Bikini?“
Meine Tochter schüttelt mit dem
Kopf. Klar! Noch einen Häkelbikini! Ich habe mal gesehen, wie man
die Dinger macht. Und das Gute ist, dass so ein Teil
fertigungstechnisch nur eine Halbzeit dauert. Ich habe etwa fünfzehn
Stück.
Weiter geht’s und Zack muss
Boateng raus. Mein Bruder im Geiste und Nachbar des Herzens.
Genetisch sind wir ein ähnlicher Mix. Allein deswegen muss ich ihn
mögen. Aber alles was danach kommt, ist irgendwie doof. Beim zweiten
Tor der Franzosen, beginne ich die Fußballdeko aus der Zimmerpalme
zu rupfen. Warum schaue ich nicht stattdessen Videos von
Wasserballett oder Hallenhalma? Kostet mich weniger Nerven und nur
halb so viel Rotwein. Nun denn. Das Ende vom Lied. Deutschland ist
raus. Im Internet entbrennt die Diskussion, ob man Schiedsrichter aus
den Nationen wählen darf, die eine der Mannschaften vorher
rausgekickt hat. Als die blauen Socken des Schieris den
Unparteiischen vom Herzen her als Franzosen outen, fahre ich den
Rechner runter.
Wenn ich lebensmüde wäre, dann
würde ich mich jetzt auf die Leopoldstraße stellen und rufen „Ist
doch bloß Fußball.“
Bin ich aber nicht. Nur müde.
Und da reicht es völlig, sich die schwarz-rot-goldene Blumenkette
vom Hals zu nehmen und ins Bett zu gehen.
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