Freitag, 8. Juli 2016

152. Akt

Okay, man kann tun was man will.   Man kommt nicht drum herum. Es ist Fußball. Also gar nicht mal bloß Fußball-Zeit. Nein. Fußball. Überall. Auch ich hänge mit meinen Kindern vor der Glotze, als Jogi seine Aufstellung präsentiert und die Franzosen stolz aufmarschieren. Bei Facebook kollabiert gerade ohnehin alles im Taumel der EM.
Bis zuletzt habe ich versucht mit dem ganzen Trara recht entspannt umzugehen. Die schwarz-rot-goldene Deko meiner Mutter habe ich weitestgehend ignorieren können. Lediglich, als sie auf allen Toiletten schwarz-rot-goldenes Klopapier verteilt hatte, habe ich interveniert und alles wieder in neutrales Weiß ausgetauscht. Fußball kann mich in der Regel nicht wirklich oft mitreißen. So war es zumindest bis vor ein paar Tagen. Das legendäre Elfmeter-Schießen gegen Italien hat mich zwei bis drei Jahre meines Lebens gekostet. Heute soll es ruhiger werden. Ist doch nur Fußball. Also ein Gläschen Rotwein und ab vor die Flimmerkiste.
Tja... und es läuft geschmeidig. Erst geben die Franzosen mächtig Gas und Neuer wird einmal gefordert, dann gewinnen die Deutschen die Kontrolle. Bis, tja bis Schweinsteiger in der Nachspielzeit der ersten Hälfte die Kontrolle quasi um eine Armlänge übertreibt. Elfmeter für Frankreich. Und. Tor.
Mist! Auf Facebook poste ich ein betroffenes „F**K!!!!“.
Irgendwie muss ich Dampf ablassen. Ich muss was tun. Also etwas anderes, als mir die ganze Zeit den Lack von den Nägeln zu pulen. Am besten ist immer Handarbeit. Immer, wenn ich gestresst bin, muss ich was machen. Während der Abi-Zeit meines Sohnes, habe ich drei (!) Dirndl genäht. Jetzt habe ich leider keinen Stoff mehr. Aber ich entdecke Wolle und meine Häkelnadel.
Noch nen Bikini?“
Meine Tochter schüttelt mit dem Kopf. Klar! Noch einen Häkelbikini! Ich habe mal gesehen, wie man die Dinger macht. Und das Gute ist, dass so ein Teil fertigungstechnisch nur eine Halbzeit dauert. Ich habe etwa fünfzehn Stück.
Weiter geht’s und Zack muss Boateng raus. Mein Bruder im Geiste und Nachbar des Herzens. Genetisch sind wir ein ähnlicher Mix. Allein deswegen muss ich ihn mögen. Aber alles was danach kommt, ist irgendwie doof. Beim zweiten Tor der Franzosen, beginne ich die Fußballdeko aus der Zimmerpalme zu rupfen. Warum schaue ich nicht stattdessen Videos von Wasserballett oder Hallenhalma? Kostet mich weniger Nerven und nur halb so viel Rotwein. Nun denn. Das Ende vom Lied. Deutschland ist raus. Im Internet entbrennt die Diskussion, ob man Schiedsrichter aus den Nationen wählen darf, die eine der Mannschaften vorher rausgekickt hat. Als die blauen Socken des Schieris den Unparteiischen vom Herzen her als Franzosen outen, fahre ich den Rechner runter.
Wenn ich lebensmüde wäre, dann würde ich mich jetzt auf die Leopoldstraße stellen und rufen „Ist doch bloß Fußball.“

Bin ich aber nicht. Nur müde. Und da reicht es völlig, sich die schwarz-rot-goldene Blumenkette vom Hals zu nehmen und ins Bett zu gehen.

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