Montag, 16. Mai 2016

99. Akt

Ich bin eingeladen. Ja, okay, schon wieder essen. Aber nicht nur das. Ich begleite einen guten Freund zu einem Dinner bei einem befreundeten Ehepaar. Er ist Filmmensch, so wie mein Kumpel, und sie ist Hausfrau – was in der Regel nicht weniger gut ist, als Regisseur oder Produzent. Ich freue mich.
Als wir an das Haus kommen, habe ich den Eindruck, dass der Gärtner die Bepflanzung mit dem Geodreieck vorgenommen haben muss. Ich bekomme das Gefühl, dass alles was nicht schnurgerade und farblich passend wächst, in teuflischen Ritualen aus dem Mutterboden gerissen wurde.
Es sieht alles perfekt aus. Nicht zwingend schön, aber perfekt.
Nach dem ersten Händeschütteln höre ich den Satz, der im Laufe des abends so oder ähnlich noch ein paar Mal fällt.
Es beginnt mit.
„Hach, wenn ich gewusst hätte, dass ihr so schick kommt, dann hätte ich mir etwas Schönes angezogen. Das Kleid hier habe ich mir nur so übergeworfen, weil ich dachte, es wäre ein zwangloses Dinner.“
Äh... ja klar. Nie zuvor schließen sich die Worte „Dinner“ und „zwanglos“ derart aus, wie an diesem Abend.
Das Kleid ist von Diane von Fürstenberg und es ist alles andere als das deklarierte Fähnchen. Sowohl optisch, als auch preislich.
Die Dame des Hauses tut aber so, als ob sie gerade nackig im KIK war und nichts anderes in ihrer Größe gefunden hat.
Egal. Es wird noch besser.
Das ganze Haus – also den Teil, den ich sehe – ist fast schon aseptisch rein.
Falls ich noch einen Blinddarm hätte, würde ich ihn mir problemlos auf dem Glastisch im Wohnzimmer entfernen lassen. Das letzte Staubkorn, das dieses Haus gesehen hat, wurde vermutlich mit sieben Litern Sagrotan aus der Bude gespült. Hier war es keimfreier als im OP.
Auf dem Sofa liegt eine Vogue.
Die Hausherrin schaut auf das Sofa, als ob sich dort ein verendetes Lama befindet.
„Hach, hier sieht es wieder aus. Ich bin kaum zum Aufräumen gekommen.“
Nee, klar. Ich fühle mich auch wie in einer Messi-Anstalt.
Überall. Nichts. Also zumindest keine Unordnung.
Ich selber habe es ja gerne ordentlich und mein Tochterkind meint gerne, dass es bei mir aussieht, wie im Möbelhaus, aber das hier schießt den Vogel ab. Auch gut. Wer´s mag.
Beim Essen dann wieder das selbe.
„Seid nicht böse, ich habe nur was in die Pfanne geworfen. Es ist mir ein bisschen peinlich, aber ich habe es heute einfach nicht besser hingekriegt."
Gut. Wenn das ein B-Klasse-Essen sein soll, dann gehe ich morgen zu Schuhbeck und schreibe „Dilettant“ an die Tür.
Alles ist super lecker, und ich bin froh, dass meinerseits keine Gegeneinladung erwartet wird.
Ein Happy Meal erkennt man nämlich auch auf Porzellan.
Ich bin ein bisschen verblüfft, dass ein Mensch so unsicher sein kann. Ich halte aber meine Klappe. Bei anderen Leuten hätte ich vermutlich durchaus gesagt:
„Recht hast du. Ein Fummel, wie aus der Kleiderkammer, das Essen aus Nachbars Biotonne, und das Haus weckt einen infernalischen Juckreiz bei mir. Habt ihr Flöhe?“
Aber so. Nee. Besser nicht.
Um Mitternacht bin ich wieder Zuhause. Ich gehe ins Wohnzimmer und lege alle Sofakissen unordentlich hin. Dann geht es mir besser. Und dann mache ich mich bettfertig.
Aber eines will ich nicht versäumen:
Liebe B.! Falls du diesen Blog irgendwann mal liest, lass dir eines gesagt sein: Du bist schön, so wie du bist. Du brauchst kein Downgrading. Du ziehst dich gerne hübsch an und machst dich auch gerne hübsch zurecht. Das ist schön, dafür brauchst du keine Rechtfertigung. Dein Essen war grandios und dein Haus beinahe schon zu sauber. Der Abend war gut. Du bist gut. Aber wenn du dich und das, was du tust kleinredest, dann ist alles nur noch halb so schön und du musst dich doppelt bemühen. Also, lass einfach mal gut sein. Alles war perfekt.
Na ja... außer im Bad. Da fehlt Klopapier.
Alles Liebe.
M.


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