99. Akt
Ich bin eingeladen. Ja, okay, schon wieder essen. Aber nicht nur das.
Ich begleite einen guten Freund zu einem Dinner bei einem
befreundeten Ehepaar. Er ist Filmmensch, so wie mein Kumpel, und sie
ist Hausfrau – was in der Regel nicht weniger gut ist, als
Regisseur oder Produzent. Ich freue mich.
Als wir an das Haus kommen, habe ich den Eindruck, dass der Gärtner
die Bepflanzung mit dem Geodreieck vorgenommen haben muss. Ich
bekomme das Gefühl, dass alles was nicht schnurgerade und farblich
passend wächst, in teuflischen Ritualen aus dem Mutterboden gerissen
wurde.
Es sieht alles perfekt aus. Nicht zwingend schön, aber perfekt.
Nach dem ersten Händeschütteln höre ich den Satz, der im Laufe des
abends so oder ähnlich noch ein paar Mal fällt.
Es beginnt mit.
„Hach, wenn ich gewusst hätte, dass ihr so schick kommt, dann
hätte ich mir etwas Schönes angezogen. Das Kleid hier habe ich mir
nur so übergeworfen, weil ich dachte, es wäre ein zwangloses
Dinner.“
Äh... ja klar. Nie zuvor schließen sich die Worte „Dinner“ und
„zwanglos“ derart aus, wie an diesem Abend.
Das Kleid ist von Diane von Fürstenberg und es ist alles andere als
das deklarierte Fähnchen. Sowohl optisch, als auch preislich.
Die Dame des Hauses tut aber so, als ob sie gerade nackig im KIK war
und nichts anderes in ihrer Größe gefunden hat.
Egal. Es wird noch besser.
Das ganze Haus – also den Teil, den ich sehe – ist fast schon
aseptisch rein.
Falls ich noch einen Blinddarm hätte, würde ich ihn mir problemlos
auf dem Glastisch im Wohnzimmer entfernen lassen. Das letzte
Staubkorn, das dieses Haus gesehen hat, wurde vermutlich mit sieben
Litern Sagrotan aus der Bude gespült. Hier war es keimfreier als im
OP.
Auf dem Sofa liegt eine Vogue.
Die Hausherrin schaut auf das Sofa, als ob sich dort ein verendetes
Lama befindet.
„Hach, hier sieht es wieder aus. Ich bin kaum zum Aufräumen
gekommen.“
Nee, klar. Ich fühle mich auch wie in einer Messi-Anstalt.
Überall. Nichts. Also zumindest keine Unordnung.
Ich selber habe es ja gerne ordentlich und mein Tochterkind meint
gerne, dass es bei mir aussieht, wie im Möbelhaus, aber das hier
schießt den Vogel ab. Auch gut. Wer´s mag.
Beim Essen dann wieder das selbe.
„Seid nicht böse, ich habe nur was in die Pfanne geworfen. Es ist
mir ein bisschen peinlich, aber ich habe es heute einfach nicht
besser hingekriegt."
Gut. Wenn das ein B-Klasse-Essen sein soll, dann gehe ich morgen zu
Schuhbeck und schreibe „Dilettant“ an die Tür.
Alles ist super lecker, und ich bin froh, dass meinerseits keine
Gegeneinladung erwartet wird.
Ein Happy Meal erkennt man nämlich auch auf Porzellan.
Ich bin ein bisschen verblüfft, dass ein Mensch so unsicher sein
kann. Ich halte aber meine Klappe. Bei anderen Leuten hätte ich
vermutlich durchaus gesagt:
„Recht hast du. Ein Fummel, wie aus der Kleiderkammer, das Essen
aus Nachbars Biotonne, und das Haus weckt einen infernalischen
Juckreiz bei mir. Habt ihr Flöhe?“
Aber so. Nee. Besser nicht.
Um Mitternacht bin ich wieder Zuhause. Ich gehe ins Wohnzimmer und
lege alle Sofakissen unordentlich hin. Dann geht es mir besser. Und
dann mache ich mich bettfertig.
Aber eines will ich nicht versäumen:
Liebe B.! Falls du diesen Blog irgendwann mal liest, lass dir eines
gesagt sein: Du bist schön, so wie du bist. Du brauchst kein
Downgrading. Du ziehst dich gerne hübsch an und machst dich auch
gerne hübsch zurecht. Das ist schön, dafür brauchst du keine
Rechtfertigung. Dein Essen war grandios und dein Haus beinahe schon
zu sauber. Der Abend war gut. Du bist gut. Aber wenn du dich und das,
was du tust kleinredest, dann ist alles nur noch halb so schön und
du musst dich doppelt bemühen. Also, lass einfach mal gut sein.
Alles war perfekt.
Na ja... außer im Bad. Da fehlt Klopapier.
Alles Liebe.
M.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen