106. Akt
Oha. Es besteht ein großer Unterschied, etwas über Menschen zu
wissen, und darin, etwas mit eigenen Augen gesehen zu haben.
In diesem speziellen Falle ist es ein Foto auf Facebook. Aber von
vorne.
Eine meiner Freundinnen hat mir vor geraumer Zeit erzählt, dass sie
und ihr Lebensgefährte regelmäßig ganz besondere Fetischpartys
besuchen.
Ich musste mich erst ein bisschen informieren, bis ich wusste, dass
das so ziemlich genau gar nix mit Swingertreffen oder schmutzigem Sex
in schmuddeligen Kellern zu tun hat. In edlen Outfits wird sich dort
getroffen, bestaunt, promeniert und unterhalten. Und oft bestehen
diese Outfits eben aus Lack, Latex oder Leder. Ich fand das
hochinteressant.
Abgesehen davon, dass diese Frau für mich ohnehin ein wildes,
fröhliches, umwerfend attraktives und zusätzlich schwäbisches
Ausbund an Leben ist, konnte ich mir nichts weiter vorstellen.
Nun hat sie aber ein Foto bei Facebook gepostet, welches sie in
vollem Ornat zeigt. Ihre wunderschönen feuerroten Haare hochgesteckt
zu einer Frisur, die sie Minimum auf 2,10m aufragen lässt, dazu ein
Latex-Dress in schwarz und rot.
Ich habe erst Mal eine halbe Stunde hyperventiliert, bevor ich das
Bild mit einem satten Kompliment kommentieren konnte.
Die Haare, das Outfit, die Maske. Wahnsinn! Und das ist meine
Freundin, auf deren Couch man so lässig Tee trinken, quatschen und
lachen kann?
Bei dem Gedanken, mich in Latex zu kleiden, bekomme ich
klaustrophobische Gefühle. Ich müsste aus dem zweiten Stock
springen, um mich komplett in solch einen Anzug unterzubringen. Und
dann würde ich mir vermutlich, in einem Akt von Selbstironie,
„Bridgestone“ auf die Stirn schreiben. Ich bin definitiv zu
unerwachsen für so etwas. Denke ich. Und dennoch.
Ich finde das alles sehr aufregend und frage mich, was passieren
würde, wenn ich ein solches Bild von mir posten würde.
Würden sich meine Kinder freiwillig zur Adoption freigeben? Meine
Mutter würde sicher vor Lachen vom Stuhl fallen. Vielleicht würde
sie einfach nur nicken. „Yo. Die kenne ich. Wir besuchen die selben
Partys.“
Ich hatte ja schon gesagt. Meine Mutter ist ein ausgesprochen
lebhafter und kreativer Mensch.
Bevor jetzt einige Freunde panisch werden. Ganz ruhig. Ehe ich das
hier von mir gebe, frage ich natürlich nach, ob ich unter Umständen
irgendwas oute, was noch gar nicht raus ist. Natürlich tue ich das
nicht. Meine Freundin hat gesagt, dass es völlig okay ist, wenn ich
meine Entdeckung der, ähem... glänzenden Seite ihres Lebens hier
beschreibe. Und das beste ist, sie hat mich gefragt, ob ich sie im
Sommer zu einem ähnlichen Event begleite.
Und ich habe nicht „Nein“ gesagt. So!
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