Montag, 30. Mai 2016

113. Akt

Ich bin ein Stalker. Und ich bin es gern. Also so ganz diskret und unauffällig. Aber neugierig wie Bolle.
Manchmal wache ich morgens auf und habe Namen und Gesichter aus meinen zurückliegenden Jahren im Kopf. Und da die Erinnerung ja meist gnädig mit anderen, aber etwas ungehalten mit mir selbst ist, frage ich mich dann, was aus diesen Menschen geworden ist.
Dieser Markus M. aus der 2a. Definitiv die Liebe meines damals siebenjährigem Lebens. Was macht der eigentlich? Und auch die Silke aus der Parallelklasse, die ihn mir herz- und gnadenlos ausgespannt hat? Na ja, sie hat ihn nicht wirklich ausgespannt. Sie hat lediglich dafür gesorgt, dass ich nicht zu seinem Geburtstag eingeladen werde. Mieses Stück, mieses.
Ich stehe auf und schaue, was das Internet hergibt. Bei Silke werde ich schon am Nachnamen scheitern, denke ich. Die hat bestimmt 15 Mal geheiratet. Aber Markus M. werde ich finden. Ob er noch immer so lange dichte Haare...
Ups!
Ich finde Markus. Von Haare kann keine Rede mehr sein. Sieht eher nach Glanzpolitur oberhalb der Augenbrauen aus. Das niedliche Lächeln ist irgendwelchen Furchen gewichen. Wir können doch unmöglich ein Jahrgang sein? Tja. Der Zahn der Zeit. Hättest du mich damals eingeladen, dann wäre alles ganz anders geworden und... oder auch nicht. Heute würde ich nicht mehr zu deinem Geburtstag kommen. Ätsch!
Und wo ich hier schon mal dabei bin, gehe ich noch ein paar andere Gestalten durch, die ich mal toll, blöd oder einfach nur bemerkenswert fand.
In den meisten Fällen freue ich mich riesig. Manches ist aber auch traurig. Aber alles in allem ist das Stöbern in anderer Leute Leben (so viel das Internet eben hergibt) absolut spannend. Auf einem Papier notiere ich mir, dass ich zwei oder drei Leute einfach mal persönlich anrufen muss. Das halte ich für noch besser als virtuelles Stalking.
Silke habe ich übrigens auch gefunden. Sie ist Ordensschwester und setzt sich in der Jugendhilfe ein. Ich freue mich. Zum Einen finde ich toll, was sie macht und zum Anderen scheine ich auf dem Geburtstag damals nichts Weltveränderndes verpasst zu haben.
Zum Abschluss google ich mich selber. Ganz einfach, um zu sehen, wie andere Menschen aus meiner Vergangenheit mir virtuell begegnen.

Okay. Ich bin keine Ordensschwester geworden und ich habe noch nahezu alle meine Haare. Ein paar Kilo, Jahre, Kinder, Erfahrungen mehr als früher. Aber alles in allem noch grob erkennbar. Ich bin zufrieden.           

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