113. Akt
Ich bin ein Stalker. Und ich bin es gern. Also so ganz diskret und
unauffällig. Aber neugierig wie Bolle.
Manchmal wache ich morgens auf und habe Namen und Gesichter aus
meinen zurückliegenden Jahren im Kopf. Und da die Erinnerung ja
meist gnädig mit anderen, aber etwas ungehalten mit mir selbst ist,
frage ich mich dann, was aus diesen Menschen geworden ist.
Dieser Markus M. aus der 2a. Definitiv die Liebe meines damals
siebenjährigem Lebens. Was macht der eigentlich? Und auch die Silke
aus der Parallelklasse, die ihn mir herz- und gnadenlos ausgespannt
hat? Na ja, sie hat ihn nicht wirklich ausgespannt. Sie hat
lediglich dafür gesorgt, dass ich nicht zu seinem Geburtstag
eingeladen werde. Mieses Stück, mieses.
Ich stehe auf und schaue, was das Internet hergibt. Bei Silke werde
ich schon am Nachnamen scheitern, denke ich. Die hat bestimmt 15 Mal
geheiratet. Aber Markus M. werde ich finden. Ob er noch immer so
lange dichte Haare...
Ups!
Ich finde Markus. Von Haare kann keine Rede mehr sein. Sieht eher
nach Glanzpolitur oberhalb der Augenbrauen aus. Das niedliche Lächeln
ist irgendwelchen Furchen gewichen. Wir können doch unmöglich ein
Jahrgang sein? Tja. Der Zahn der Zeit. Hättest du mich damals
eingeladen, dann wäre alles ganz anders geworden und... oder auch
nicht. Heute würde ich nicht mehr zu deinem Geburtstag kommen.
Ätsch!
Und wo ich hier schon mal dabei bin, gehe ich noch ein paar andere
Gestalten durch, die ich mal toll, blöd oder einfach nur
bemerkenswert fand.
In den meisten Fällen freue ich mich riesig. Manches ist aber auch
traurig. Aber alles in allem ist das Stöbern in anderer Leute Leben
(so viel das Internet eben hergibt) absolut spannend. Auf einem
Papier notiere ich mir, dass ich zwei oder drei Leute einfach mal
persönlich anrufen muss. Das halte ich für noch besser als
virtuelles Stalking.
Silke habe ich übrigens auch gefunden. Sie ist Ordensschwester und
setzt sich in der Jugendhilfe ein. Ich freue mich. Zum Einen finde
ich toll, was sie macht und zum Anderen scheine ich auf dem
Geburtstag damals nichts Weltveränderndes verpasst zu haben.
Zum Abschluss google ich mich selber. Ganz einfach, um zu sehen, wie
andere Menschen aus meiner Vergangenheit mir virtuell begegnen.
Okay. Ich bin keine Ordensschwester geworden und ich habe noch nahezu
alle meine Haare. Ein paar Kilo, Jahre, Kinder, Erfahrungen mehr als
früher. Aber alles in allem noch grob erkennbar. Ich bin zufrieden.
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