Dienstag, 3. Mai 2016

87. Akt

Bin mal wieder unterwegs. Mein Zimmer im Hotel ist verhältnismäßig wohl temperiert und sauber. Ich habe noch gute zwei Stunden Zeit, bevor ich zu einem Termin muss, und beschließe am aktuellen Drehbuch zu schleifen. Kaum habe ich den altersschwachen Akku meines altersschwachen Rechners an die Steckdose gepinnt, beginnt im Nachbarzimmer ein lautstarker Streit.
Eine SIE brüllt einen IHN ausgesprochen unzufrieden an und schreckt auch vor Schimpfworten nicht zurück, die man sonst nur auf fiesen Schulhöfen hört. Normalerweise halten sich Herren mit dem Schreien in solchen Situationen noch ein Weilchen zurück. Nicht aber dieser Kandidat. Auch er hat ein großes Stimmvolumen und gibt es auch hemmungslos preis. Beide mögen altersmäßig irgendwo zwischen dreißig und vierzig liegen. Noch nicht das Alter, um bei so einer Konversation einen Herzinfarkt zu bekommen. Aber das haben die beiden offenbar auch nicht vor.
Ich schließe das Fenster und stelle fest, dass das so ziemlich genau gar nix an der Beschallung verändert. 
Na prima. Ein Weilchen schreibe ich mit und notiere, dass sie eine „blöde Schlampe“, ein „alterndes Flittchen“ und „eine widerliche Diva“ ist. Im Gegenzug muss er sich als „dämlicher W***ser“, „speckiger Jammerlappen“ und „die größte Enttäuschung ihres Lebens“ bezeichnen lassen. Irgendwann knallt eine Tür und es wird ruhig. Kein Geschrei mehr und glücklicherweise auch kein Geheule. Ich öffne das Fenster wieder und erfreue mich des nun wieder hörbaren Vogelgezwitschers auf den umliegenden Bäumen.
Allerdings schwant mir, dass die Ruhe nicht von langer Dauer sein wird. Paare, die lange genug zusammen sind um sich als widerliche Diva und größte Enttäuschung des Lebens bezeichnen, verfügen über genug Energie und gemeinsamen Lebensweg, als dass sie nach so einem Theater hinschmeißen.
Und Recht soll ich haben.
Etwa sechs Stunden später liege ich in meinem Bettchen und meine schlimmste Befürchtung tritt ein. Yepp. Nach so einem heftigen Streit kommt was? Genau! Eine heftige Versöhnung.
Abwechselnd höre ich brunftartige Schreie von der "Lebensenttäuschung" und quiekende Laute von der „blöden Schlampe“. Phasenweise klingt es so, als ob der „speckige Jammerlappen“ das „alternde Flittchen“ mit dem Schädel durch die Wand ballern will. Dann hört es sich wiederum so an, als ob sie den „dämlichen W***ser“ an seinem Gemächt durchs Zimmer schleift. Alles in allem wünsche ich mir, dass sie das Bett ein klitzekleines bisschen von der Wand wegschieben. Wenn das so weiter geht, dann habe ich gleich nämlich nicht nur einen Tinnitus, sondern auch noch eine Gehirnerschütterung. Wieso müssen in diesen Hotels die Betten immer kopfseitig an den Trennungswänden stehen?
Ich probiere es damit, den Fernseher auf die höchste Stufe zu drehen. Leider ist dieser aber reglementiert. Das heißt, es geht nur minimal über Zimmerlautstärke. Von der anderen Seite des Zimmers bollert jemand gegen die Wand und beschwert sich über die Lautstärke. Ich bin drauf und dran rüber zu gehen und ihm oder ihr entgegen zu brüllen, dass das nicht die Akustik meiner Horizontalakrobatik ist. Ich bin allein und teste hier keine afrikanischen Klopftechniken auf dem Mobiliar. Er oder sie kann sich gerne einen Raum weiter über die übertriebene Neuvertonung von „Josefine Mutzenbachers Abenteuer“ beschweren.
Hey, in der Regel freue ich mich, wenn Menschen glücklich sind. Egal wobei. Aber wenn es sich so anhört, als ob sie sich gegenseitig mit Kettensägen zerlegen und dabei indische Volksweisen rückwärts singen, dann mache ich mir schon alleine Sorgen aus orthopädischer Hinsicht. An der Frequenz des Wummerns an der Wand, merke ich, dass sich Tarzan und Jane auf der Zielgeraden befinden. Endlich! Der Countdown beginnt. 10 – 9 – 8 – 7 – 6 – 5 – 4 - 3 – 2 – 1! Fertig! Mit einem letzten Kampfschrei ist der Battle beendet. Der Sieg nach Punkten geht an ihn. Zumindest von der Lautstärke her. Ich verkneife mir einen Szenenapplaus an die Wand zu hämmern und hoffe, dass sie sich ausreichend verausgabt haben, um nun endlich zur Ruhe zu kommen.

Und sollte ich herausfinden wer das ist und ihnen morgen beim Frühstück begegnen, dann halte ich Wertungstafeln für akustische A- und B- Noten in die Luft und wünsche ihnen noch einen ruhigen Tag. Oder einen heftigen Muskelkater.             

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