87. Akt
Bin mal wieder unterwegs. Mein Zimmer im Hotel ist verhältnismäßig
wohl temperiert und sauber. Ich habe noch gute zwei Stunden Zeit,
bevor ich zu einem Termin muss, und beschließe am aktuellen Drehbuch
zu schleifen. Kaum habe ich den altersschwachen Akku meines
altersschwachen Rechners an die Steckdose gepinnt, beginnt im
Nachbarzimmer ein lautstarker Streit.
Eine SIE brüllt einen IHN ausgesprochen unzufrieden an und schreckt
auch vor Schimpfworten nicht zurück, die man sonst nur auf fiesen
Schulhöfen hört. Normalerweise halten sich Herren mit dem Schreien
in solchen Situationen noch ein Weilchen zurück. Nicht aber dieser
Kandidat. Auch er hat ein großes Stimmvolumen und gibt es auch
hemmungslos preis. Beide mögen altersmäßig irgendwo zwischen
dreißig und vierzig liegen. Noch nicht das Alter, um bei so einer
Konversation einen Herzinfarkt zu bekommen. Aber das haben die beiden
offenbar auch nicht vor.
Ich schließe das Fenster und stelle fest, dass das so ziemlich genau
gar nix an der Beschallung verändert.
Na prima. Ein Weilchen
schreibe ich mit und notiere, dass sie eine „blöde Schlampe“,
ein „alterndes Flittchen“ und „eine widerliche Diva“ ist. Im
Gegenzug muss er sich als „dämlicher W***ser“, „speckiger
Jammerlappen“ und „die größte Enttäuschung ihres Lebens“ bezeichnen lassen. Irgendwann knallt eine Tür und es wird ruhig. Kein Geschrei
mehr und glücklicherweise auch kein Geheule. Ich öffne das Fenster
wieder und erfreue mich des nun wieder hörbaren Vogelgezwitschers
auf den umliegenden Bäumen.
Allerdings schwant mir, dass die Ruhe nicht von langer Dauer sein
wird. Paare, die lange genug zusammen sind um sich als widerliche
Diva und größte Enttäuschung des Lebens bezeichnen, verfügen über
genug Energie und gemeinsamen Lebensweg, als dass sie nach so einem
Theater hinschmeißen.
Und Recht soll ich haben.
Etwa sechs Stunden später liege ich in meinem Bettchen und meine
schlimmste Befürchtung tritt ein. Yepp. Nach so einem heftigen
Streit kommt was? Genau! Eine heftige Versöhnung.
Abwechselnd höre ich brunftartige Schreie von der "Lebensenttäuschung" und quiekende Laute von der „blöden Schlampe“. Phasenweise
klingt es so, als ob der „speckige Jammerlappen“ das „alternde
Flittchen“ mit dem Schädel durch die Wand ballern will. Dann hört
es sich wiederum so an, als ob sie den „dämlichen W***ser“ an
seinem Gemächt durchs Zimmer schleift. Alles in allem wünsche ich
mir, dass sie das Bett ein klitzekleines bisschen von der Wand
wegschieben. Wenn das so weiter geht, dann habe ich gleich nämlich
nicht nur einen Tinnitus, sondern auch noch eine Gehirnerschütterung.
Wieso müssen in diesen Hotels die Betten immer kopfseitig an den
Trennungswänden stehen?
Ich probiere es damit, den Fernseher auf die höchste Stufe zu
drehen. Leider ist dieser aber reglementiert. Das heißt, es geht nur
minimal über Zimmerlautstärke. Von der anderen Seite des Zimmers
bollert jemand gegen die Wand und beschwert sich über die
Lautstärke. Ich bin drauf und dran rüber zu gehen und ihm oder ihr
entgegen zu brüllen, dass das nicht die Akustik meiner
Horizontalakrobatik ist. Ich bin allein und teste hier keine
afrikanischen Klopftechniken auf dem Mobiliar. Er oder sie kann sich
gerne einen Raum weiter über die übertriebene Neuvertonung von
„Josefine Mutzenbachers Abenteuer“ beschweren.
Hey, in der Regel freue ich mich, wenn Menschen glücklich sind. Egal
wobei. Aber wenn es sich so anhört, als ob sie sich gegenseitig mit
Kettensägen zerlegen und dabei indische Volksweisen rückwärts
singen, dann mache ich mir schon alleine Sorgen aus orthopädischer
Hinsicht. An der Frequenz des Wummerns an der Wand, merke ich, dass
sich Tarzan und Jane auf der Zielgeraden befinden. Endlich! Der
Countdown beginnt. 10 – 9 – 8 – 7 – 6 – 5 – 4 - 3 – 2 –
1! Fertig! Mit einem letzten Kampfschrei ist der Battle beendet. Der
Sieg nach Punkten geht an ihn. Zumindest von der Lautstärke her.
Ich verkneife mir einen Szenenapplaus an die Wand zu hämmern und
hoffe, dass sie sich ausreichend verausgabt haben, um nun endlich zur
Ruhe zu kommen.
Und sollte ich herausfinden wer das ist und ihnen morgen beim
Frühstück begegnen, dann halte ich Wertungstafeln für akustische
A- und B- Noten in die Luft und wünsche ihnen noch einen ruhigen
Tag. Oder einen heftigen Muskelkater.
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