112. Akt
Jeder hat bestimmte Talente. Jeder. Garantiert! Der eine kann genial
tanzen, der andere ist handwerklich phänomenal, wieder andere können
tolle Geschichten schreiben und ganz andere können großartig
singen.
Tanzen, Handwerk und Geschichten schreiben, schrecken mich nicht.
Alles mein Bereich. Aber das mit dem Singen hat mein ganzes Leben so
ziemlich deprimierend gestaltet.
Im Schulchor – der nun wirklich nahezu jeden aufnahm – wurde ich
abgelehnt. Zack! War ich traumatisiert. Jahre später, bei der ersten
Radiostation, bei der ich arbeitete, vergaß ich mal den Regler
zuzuziehen und sang lauthals mit. Zack! Waren meine Hörer
traumatisiert. Das mit mir und der Singerei ist einfach nicht -
Achtung Wortspiel – in Einklang zu bringen.
Im ersten Semester auf der Schauspielschule, meinte einer meiner
Lehrer, dass jeder Mensch singen könne. Auch ich. Nach meinem
verzweifelten Versuch, irgendwas von den Beatles auch nur ansatzweise
wiedererkennbar von mir zu geben, sagte er überrascht: „Ja, es
gibt doch Ausnahmen. In der Tat, es gibt Ausnahmen!“
Nach der Geburt meines Sohnes, wollte ich, so wie alle anderen Mütter
auch, mein Kind in den Schlaf singen. Das Ende vom Lied war (ups,
schon wieder so ein dilettantisches Wortspiel), dass die ganze
Neugeborenen-Station brüllte, wie am Spieß. Also alle, die mich
hören konnten. Die Neu-Mütter schauten mich bittend an, und ich
stellte meinen „Der Mond ist aufgegangen“-Rap wieder ein.
In Japan gelingt es mir jedes Mal mich standhaft zu wehren, wenn man
mich in einer Karaoke-Bar auf die Bühne nötigen will. Damit habe
ich die deutsch-japanischen-Beziehungen sicherlich vor einigen
eklatanten Krisen gerettet.
Heute singe ich nur noch, wenn ich ganz, ganz, ganz sicher bin, dass
mich keiner hört.
Also im Badezimmer z.B. Mit verschlossener Badezimmer-, Flur- und
Haustür. Oder im Auto, bei 150 km/h. Mit geschlossenem Fenster.
Wenn andere anderswo mitsingen, dann wippe ich mit dem Fuß und halte
die Klappe. Damit habe ich einfach die beste Erfahrung gemacht.
Solltet ihr allerdings mal Schwierigkeiten haben, eine laue Party zu
beenden, bin ich gerne für euch da.
Spätestens nach der zweiten Strophe könnt ihr anfangen auszufegen.
Dann sind nämlich alle Gäste weg. Mit Tinnitus und Hörsturz.
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