Donnerstag, 26. Mai 2016

109. Akt

Vor gefühlten 253 Jahren habe ich mal als kleine, niedliche Reporterin beim Privatradio angefangen. Es war eine geniale Zeit und ja, bei uns wurden sogar noch Schallplatten aufgelegt. Ich erinnere mich an Schnittplätze mit klassischen Tonbandgeräten, elektrische Schreibmaschinen und Reportage-Rekorder, die hatten Akkus in Form und Größe von Beate Uhse Handgeräten.
Wir hatten großartige Tontechniker/innen, versierte Sekretärinnen, - wie gesagt - niedliche, kleine Reporterinnen und Moderatoren, denen man abnahm, was sie sagten. Es war eine Zeit, in der Radio noch ein klitzekleines bisschen anders war, als heute.
Nun ist es nicht so, dass ich Radio heute blöde finde und sobald jemand das Sabbeln anfängt, die Hauptsicherung rausdrehe oder mein Auto verlasse.
Aber es gibt einfach Stimmen, auf die reagiere ich ein bisschen allergisch. Ich bin sicher, dass sich hinter all diesen Stimmen wahrscheinlich herzensgute, freundliche, kompetente und liebenswerte Menschen verstecken und dennoch machen mich diese Stimmen wahnsinnig.
Wenn ich diese süßliche Flüssig-Kandis-Akustik höre, habe ich den Eindruck, dass ich bereits zwei Schritte näher an einer Diabetes bin, als vorher. Mit einer „ich bin so süß und niedlich wie eine kleine Miezekatze und ein süßer Hundewelpe zusammen“-Stimme werden die schlimmsten Meldungen verkauft. Flugzeugabstürze, Zugunglücke, Wahlergebnisse, Unfallbeschreibungen. Alles Sachen, bei denen man im besten Fall nachdenklich werden oder sich im schlimmsten Fall aus dem fahrenden Auto erbrechen müsste.
Und weil man ja so super cool und süß ist, schließt man die Meldung mit einem Satz wie:
„Das ist ja alles ganz traurig, aber dafür haben wir hier die beste und neueste Musik für euch!“
Ich komm da manchmal nicht ganz mit. Natürlich will ich nicht, dass mir ein Moderator Horrormeldungen ins Ohr heult und dann depressiv aus dem Studiofenster springt oder vor lauter Betroffenheit seinen Job hinschmeißt. Aber so ein klitzekleines bisschen den „Wow, wir sind die Coolsten“-Modus kann man doch schon mal anpassen. Denke ich. Manchmal.




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