109. Akt
Vor gefühlten 253 Jahren habe ich mal als kleine, niedliche
Reporterin beim Privatradio angefangen. Es war eine geniale Zeit und
ja, bei uns wurden sogar noch Schallplatten aufgelegt. Ich erinnere
mich an Schnittplätze mit klassischen Tonbandgeräten, elektrische
Schreibmaschinen und Reportage-Rekorder, die hatten Akkus in Form
und Größe von Beate Uhse Handgeräten.
Wir hatten großartige Tontechniker/innen, versierte Sekretärinnen,
- wie gesagt - niedliche, kleine Reporterinnen und Moderatoren, denen
man abnahm, was sie sagten. Es war eine Zeit, in der Radio noch ein
klitzekleines bisschen anders war, als heute.
Nun ist es nicht so, dass ich Radio heute blöde finde und sobald
jemand das Sabbeln anfängt, die Hauptsicherung rausdrehe oder mein
Auto verlasse.
Aber es gibt einfach Stimmen, auf die reagiere ich ein bisschen
allergisch. Ich bin sicher, dass sich hinter all diesen Stimmen wahrscheinlich herzensgute, freundliche, kompetente und liebenswerte
Menschen verstecken und dennoch machen mich diese Stimmen wahnsinnig.
Wenn ich diese süßliche Flüssig-Kandis-Akustik höre, habe ich
den Eindruck, dass ich bereits zwei Schritte näher an einer Diabetes
bin, als vorher. Mit einer „ich bin so süß und niedlich wie eine
kleine Miezekatze und ein süßer Hundewelpe zusammen“-Stimme
werden die schlimmsten Meldungen verkauft. Flugzeugabstürze,
Zugunglücke, Wahlergebnisse, Unfallbeschreibungen. Alles Sachen, bei
denen man im besten Fall nachdenklich werden oder sich im schlimmsten
Fall aus dem fahrenden Auto erbrechen müsste.
Und weil man ja so super cool und süß ist, schließt man die
Meldung mit einem Satz wie:
„Das ist ja alles ganz traurig, aber dafür haben wir hier die
beste und neueste Musik für euch!“
Ich komm da manchmal nicht ganz mit. Natürlich will ich nicht, dass
mir ein Moderator Horrormeldungen ins Ohr heult und dann depressiv
aus dem Studiofenster springt oder vor lauter Betroffenheit seinen
Job hinschmeißt. Aber so ein klitzekleines bisschen den „Wow, wir sind die
Coolsten“-Modus kann man doch schon mal anpassen. Denke ich.
Manchmal.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen