Freitag, 30. September 2016

236. Akt

Was heißt verflixt nochmal auf chinesisch: „Hören Sie bitte auf, an ihren Zehennägeln herumzupulen?“
Ach nee. Ich bin wirklich nicht zickig im Umgang mit meinen Mitmenschen, aber bisweilen trifft es einen schon etwas unangenehm. Und dann auch gerne an Orten, bei denen die Fluchtmöglichkeiten exorbitant eingeschränkt sind.
Bei meinem letzten Flug nach Italien war alles nur halb so schlimm. Ich saß wie fast immer am Fenster, und neben mir platzierten sich zwei junge Mädchen. Sie waren vielleicht achtzehn oder neunzehn Jahre alt, fröhlich und recht angenehm in der Ansicht. Hinter unserer Reihe saßen nochmal drei Mädchen dieser Art. Es hätten Lisa, Lotta, Lena, Laura und Waltraud vom Ponyhof sein können. Waren sie vielleicht auch. Ich weiß es nicht. Aber was ich weiß, dass – nennen wir sie mal Lisa - neben mir über den gewalttätigsten Pferdeschwanz in der Geschichte der Ponyhof-Mädchen verfügte. Wann immer sie sich zu den anderen nach hinten drehte, flog mir dann auch selbiger ins Gesicht. Nicht schlimm. Eigentlich. Aber nach dem zehnten Mal mit Haaren im Gesicht und einem entzückenden „Oh, sorry.“ ihrerseits, begann ich von Scheren zu fantasieren.
Hallo? Ich habe ja selber hin und wieder einen Pferdeschwanz! Meiner verhält sich aber nicht annähernd so aggressiv oder aufdringlich wie der von „Lisa“. Kaum kam eine Ansprache von hinten oder links. Zack! hatte ich den Wedel wieder im Gesicht. Als mir das Ding dann auch noch in den Kaffee flog, überlegte ich, ob ich den Damen nicht erklären sollte, wie hip Kurzhaarfrisuren für angehende Twens seien. Aber was soll´s? Ich lehnte mich so weit es ging nach rechts und bekam so immer nur noch ein paar Haarspitzen ins Ohr. Okay, das war auszuhalten. Künftig nur noch neben Pixie- oder Bob-Trägerinnen setzen, kam auf meine imaginäre „Ich fliege irgendwohin“-Liste.
Jetzt, auf dem Rückflug bin ich beruhigt. Neben mir sitzen zwei Chinesinnen älteren Kalibers. Klein, Brille und – ja! Kurze Haare.
Ich lehne meinen Kopf entspannt ans Fenster und döse ein. Als ich aus meinem Nickerchen erwache, fällt mir die Kinnlade herunter. Auf meiner linken Armstütze befindet sich ein nackter, linker, chinesischer Fuß.
Ich wende meinen Kopf ruckartig nach rechts. Dann wieder mit verblüfftem Blick nach links. Wahrscheinlich ist meine Verblüffung schlichtweg zu sehr europäischer Natur, denn die Besitzerin des Fußes schaut mich nur kurz und verständnislos an und setzt ihr Nagelpflege ungehemmt fort.
Was soll ich sagen? „Hui, für ihr Alter sind sie aber noch gelenkig. Ich fände es aber trotzdem nett, wenn sie ein bisschen Platz zwischen ihrer schrundigen Hornhaut und meinem Ellbogen lassen.“?
Die Dame unterhält sich mit ihrer Freundin linker Hand. Ich linse rüber. Die hat wenigstens noch beide Schuhe an. Was nun? Den Text auf den Kotztüten auswendig lernen, bis man mal reinschaut, ob da auch noch was drinnen steht? Ich schwitze und wünsche mir meine Ponyhof-Mädchen mit den fliegenden Pferdeschwänzen zurück.
Die Gänsehaut auf meinem Körper schafft noch nicht ausreichend Abstand zwischen Fuß und mir, aber viel weiter nach rechts kann ich mich nicht lehnen. Irgendwann wird der Fuß wieder eingepackt. Dass ich jeglichen Kontakt mit der Armlehne meide, ist sicherlich verständlich.
Wie lang soll die Liste meiner imaginären präferierten oder zu meidenden Mitflieger denn noch werden? Gehe ich künftig direkt ins Cockpit und sage, ich fliege nur noch da mit? Und was, wenn die Piloten langhaarige, bezopfte, barfüßige Asiaten sind? Nur noch Zugfahren? Ist doch keine echte Alternative auf Langstrecken. Aber es hätte ja noch schlimmer kommen können. Was wenn die Dame ihre Körperpflege noch um eine Rasur ihrer Achseln oder einem umfangreichen Zahnpflegeprogramm erweitert hätte? Eben!
Das wäre weitaus entsetzlicher gewesen. Also bitteschön...



1 Kommentar:

  1. Und ich habe bisher geglaubt, das Mitführen von Messern und Scheren im Handgepäck sei wegen möglicher Entführungsphantasien verboten... Beim Lesen ging sofort mein Kopfkino an - Schere raus und Zack dem Ponyhofmädchen einen modischen Bob verpasst.... und der kleinen Chinalady ein schönes grosses blitzendes Messer mit einer Schälbewegungen an Ihre Kartoffelhornhaxen gehalten....so wie manche Menschen nur auf Piktogramme reagieren könnte frau da ihrer Kreativität freien Lauf lassen. Ich könnte ja jetzt schreiben: "you made my day" mit Deinem heutigen Blogbeitrag...aber da mir beim Lesen der Appetit auf mein Frühstücksmüsli vergangen ist, hat zumindest der Satz : "du sollst beim Essen nicht Lesen oder Fernsehen" eine neue Bedeutung😜 Spass beiseite, ich freue mich jeden Tag wie Bolle auf Deinen Blog...in diesem Sinne hab ein wunderbares Wochenende❤️ Liebe Grüsse Dagmar

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