Dienstag, 20. September 2016

226. Akt

 „Heute ist Ihr Glückstag!“
Die Stimme am Telefon klingt hell begeistert. Allerdings klingt sie auch ein bisschen überheblich.
Äh, warum ist mein Glückstag? Haben Sie die Lottozahlen von nächstem Samstag? Soll ich mitschreiben?“
Der Mensch am anderen Ende geht nicht weiter auf meinen Scherz ein.
Frau Thoma-Adofo, Frau Thoma-Adofo (hab ich schon mal gesagt, wie wenig ich es mag, wenn man meinen Namen zu oft wiederholt??), das wird das Buch Ihres Lebens.“
Ich bin ein klitzekleines bisschen entzückt. Sollte es sich um einen Käufer meines aktuellen Werkes „33 Grausamkeiten II“ handeln?
Ich frage nach. Fast abfällig wird verneint. Dann eine dramatische Pause.
Sie schreiben mein (!!!) Buch. Meine Geschichte. Na, was sagen Sie dazu?“
Ich schreibe Ihr Buch? Ihre Geschichte? Sehe ich das richtig? Sie möchten sich über meine Mitarbeit als Ghostwriter oder Co-Autorin informieren?“
Was heißt hier informieren? Ich biete Ihnen die Chance, die Geschichte Ihres Lebens. Sie werden begeistert sein.“
Gedanklich gehe ich meine aktuelle Buchplanung durch. Das aktuelle Buch ist erst vor ein paar Tagen herausgekommen. Zwei neue habe ich bereits wieder begonnen und zwei weitere Co-Autorenschaften hängen hinten in der Pipeline. Jeder neue Auftrag kann gar nicht vor 2018 begonnen werden. Als ich das mitteile, höre ich klarstellendes Gelächter.
Nein, Sie haben mich nicht verstanden. Wir fangen am besten noch jetzt im Herbst damit an. Ich möchte, dass das Buch spätestens im Frühling erscheint.“
Jetzt muss dann mal ich lachen.
Geht es in der Geschichte um Sie und Ihr Leben?“
Ja, natürlich, das tut es.“
Sind Sie Obama Baracks Haushälter, Vladimir Putins Liebhaber, Franz-Josef Strauß´ unehelicher Sohn, der Schwager vom Papst oder irgendwas, was Ihre Geschichte auf Anhieb zu einem Verkaufsschlager machen könnte?“
Am anderen Ende herrscht schockiertes Schweigen.
Sie wissen schon, dass ich für meine Arbeit bezahlt werde? Sie verstehen? Honorar und so weiter?“
Aber Fräulein (Hab ich schon mal gesagt, dass ich es hasse, wenn man mich Fräulein nennt??) !!! Ich biete Ihnen hier die Chance Ihres Lebens!“
Ja, das sagten Sie bereits.“
Sie werden anteilig über den Gewinn vergütet. Das wird mehr sein, als Sie sich vorstellen können.“
Äh, ja. Mehr Arbeit, mehr Stress und drei Mal die Hälfte von 2,20 € Gewinnspanne für den Buchverkauf. Weil das Werk nur drei Mal gekauft wird. Von Ihnen, Ihrer Mutter und Ihrem Vermieter. Das sage ich allerdings nicht.
Ich frage kurz nach, was denn die Geschichte so unfassbar interessant und spannend macht, dass er einen Bestseller darin vermutet.
Wieder erhalte ich ein Lachen am anderen Ende.
Na das hätten Sie wohl gerne. Dass ich Ihnen nun alles erzähle und sie dann die Geschichte ganz für sich alleine schreiben. Nein, nein. Vorher müssen Sie einen Vertrag unterschreiben. Das habe ich so im Internet gelesen. Von wegen Stillschweigen und so.“
Aha!“
Ja. Aha!“
Nun gut. Dann schicken Sie Ihren Vertrag mal an meinen Literaturagenten. Der wird sich darum kümmern.“ Innerlich kichere ich, weil ich genau weiß, wie das in dem Büro ankommen und aufgenommen wird.
Warum Agent? Können wir das nicht direkt machen?“
Aber nein. Sie sind doch ein Vollprofi, wie ich höre. Das muss alles seinen richtigen Weg gehen.“
Dann gebe ich die Adresse meines Agenten und verabschiede mich fröhlich.
Manche Leute haben wirklich eine unglaubliche Selbstwahrnehmung. Da fest damit zu rechnen ist, dass ich nichts weiter von diesem „Patienten“ hören möchte, speichere ich die Nummer in meinem Handy. Nur damit ich weiß, wann ich nicht nochmal ans Telefon gehen darf. Und da er nicht Harry Potter oder James Bond heißt, gehe ich in diesem Fall davon aus, dem Buch nie wirklich in den Buchhandlungen zu begegnen. Und ihm hoffentlich auch nicht.

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