Mittwoch, 28. September 2016

234. Akt

Du sagst nie Ich liebe Dich. Immer bloß ich mag dich, ich hab dich gern oder ich hab dich lieb.“
Die junge Frau auf der Bank am S-Bahnhof klingt frustriert. Der dazugehörige junge Mann in Jeans und Turnschuhen tut mir ein bisschen leid. Er schaut abwechselnd auf seine Fußspitzen und auf die Gleise. Ein bisschen macht er den Eindruck, als ob er im Moment gleichzeitig gerne hier und trotzdem lieber woanders wäre.
Sie sitzen eng beieinander und gehen sicher davon aus, dass ich über meine Kopfhörer irgendwelche netten Beats höre. Aber manchmal trage ich die Dinger auch nur, um blöden Ansprechversuchen aus dem Wege zu gehen. „Na du süße Maus. Wartest du auch auf die S-Bahn?“ „Nein, ich warte auf das Raumschiff, das mich hier abgesetzt hat. Kann nicht mehr lange dauern. Sie haben gesagt, wenn der tausendste Idiot mich angequatscht hat, dann machen sie sich auf dem Weg. Du bist die 999.“ Alles schon passiert.
Und so steh ich da und schaue auf das junge Glück auf der Bank.
Ich würde ihr ja ganz gerne sagen, dass sein „Ich mag dich“ vielleicht weit mehr wert ist, als ein „Ich liebe Dich“ von irgendeinem Hansel, der sie nur flachlegen will. Aber dann würde sie ja merken, dass mein rhythmisches Fußwippen nur gespielt ist und ich überhaupt keine Musik über meine Kopfhörer höre. Es ist so ein bezaubernd süßes Paar. Sie schaut ihn verliebt an und er schaut verliebt weg.
Hey, ihr zwei, es kommt nicht auf die Worte an, viel wichtiger ist der Inhalt.
Nach der nächsten Ansage stehen beide auf. Die S-Bahn fährt ein, und sie gehen zum Gleis. Ich habe noch Zeit und schaue ihnen nach. Er hält immer noch ihre Hand.
Ich bin sicher, dass er seine Freundin sehr, sehr mag. Er hat sie auch sicherlich lieb. Vielleicht liebt er sie sogar. Bisweilen sind hier die Grenzen ja fließend. Und wenn man sich nicht ganz sicher ist, dann greift man halt nach der Formulierung mit der man sich am sichersten fühlt.
Sein „Ich hab dich lieb“ sollte sie nicht verunsichern. Aber verstehen kann ich sie trotzdem, denn manchmal geht eben nichts über ein leidenschaftliches „Ich liebe Dich“. Das ist so wie der Unterschied zwischen einem ordentlichem Halb-Literbecher Eiscreme von Langnese oder einem Haägen Dazs Pralines & Cream. Während ich mich bei ersterem durchaus zu einem „Yo, das mag ich“ hinreißen lasse, schmelze ich bei letzterem mit leidenschaftlich verdrehten Augen auf meinem Sofa dahin. Da gibt es nix anderes als ein heiseres „Das liebe ich.“ Und da steh ich dann auch zu.


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