234. Akt
„Du
sagst nie Ich liebe Dich. Immer
bloß ich mag dich, ich hab dich gern oder
ich hab dich lieb.“
Die
junge Frau auf der Bank am S-Bahnhof klingt frustriert. Der
dazugehörige junge Mann in Jeans und Turnschuhen tut mir ein
bisschen leid. Er schaut abwechselnd auf seine Fußspitzen und auf
die Gleise. Ein bisschen macht er den Eindruck, als ob er im Moment
gleichzeitig gerne hier und trotzdem lieber woanders wäre.
Sie
sitzen eng beieinander und gehen sicher davon aus, dass ich über
meine Kopfhörer irgendwelche netten Beats höre. Aber manchmal trage
ich die Dinger auch nur, um blöden Ansprechversuchen aus dem Wege zu
gehen. „Na du süße Maus. Wartest du auch auf die S-Bahn?“
„Nein, ich warte auf das Raumschiff, das mich hier abgesetzt hat.
Kann nicht mehr lange dauern. Sie haben gesagt, wenn der tausendste
Idiot mich angequatscht hat, dann machen sie sich auf dem Weg. Du
bist die 999.“ Alles schon passiert.
Und
so steh ich da und schaue auf das junge Glück auf der Bank.
Ich
würde ihr ja ganz gerne sagen, dass sein „Ich mag dich“
vielleicht weit mehr wert ist, als ein „Ich liebe Dich“ von
irgendeinem Hansel, der sie nur flachlegen will. Aber dann würde sie
ja merken, dass mein rhythmisches Fußwippen nur gespielt ist und ich
überhaupt keine Musik über meine Kopfhörer höre. Es ist so ein
bezaubernd süßes Paar. Sie schaut ihn verliebt an und er schaut
verliebt weg.
Hey,
ihr zwei, es kommt nicht auf die Worte an, viel wichtiger ist der
Inhalt.
Nach
der nächsten Ansage stehen beide auf. Die S-Bahn fährt ein, und sie
gehen zum Gleis. Ich habe noch Zeit und schaue ihnen nach. Er hält
immer noch ihre Hand.
Ich
bin sicher, dass er seine Freundin sehr, sehr mag. Er hat sie auch
sicherlich lieb. Vielleicht liebt er sie sogar. Bisweilen sind hier
die Grenzen ja fließend. Und wenn man sich nicht ganz sicher ist,
dann greift man halt nach der Formulierung mit der man sich am
sichersten fühlt.
Sein
„Ich hab dich lieb“ sollte sie nicht verunsichern. Aber verstehen
kann ich sie trotzdem, denn manchmal geht eben nichts über ein
leidenschaftliches „Ich liebe Dich“. Das ist so wie der
Unterschied zwischen einem ordentlichem Halb-Literbecher Eiscreme von
Langnese oder einem Haägen Dazs Pralines & Cream. Während ich
mich bei ersterem durchaus zu einem „Yo, das mag ich“ hinreißen
lasse, schmelze ich bei letzterem mit leidenschaftlich verdrehten
Augen auf meinem Sofa dahin. Da gibt es nix anderes als ein heiseres
„Das liebe ich.“ Und da steh ich dann auch zu.
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