225. Akt
Ich
habe zugenommen. Gute zwei Kilo. Eigentlich völlig wurscht. Mehr von
mir? Ist doch prima. Die Jeans geht noch problemlos zu, und jetzt wo
es kühler wird, merkt es unter Pullis und Jacken eh keiner. Durch
meine Größe von 1,78 m verteilt sich ohnehin jede Gewichtszu- oder
abnahme auf so einer langen Strecke, dass ich schon deutlich mehr
zulegen muss, damit man es erkennt. Eigentlich hätte ich es gar
nicht gemerkt. Auf die Waage gehe ich sowieso nur, wenn ich
tendenziell Bock auf schlechte Laune habe. Aber dieses Mal hatte es
einen anderen Grund. Es ist Wiesn-Zeit und ich bin eingeladen. Ich
freue mich auf mein neues Dirndl. Ich habe es im Februar entworfen
und genäht (Nein, ich bin keine Dirndl-Designerin. Bloß weil ich hin und wieder mal ein Brötchen aufbacke, bin ich schließlich auch noch kein Bäcker.).
Es
ist aus bronzefarbener Seide, und ich habe es in langen, kühlen
Nächten liebevoll bestickt. Also raus aus der Jeans und rein ins
Kleid. Zumindest zu weiten Teilen. Aber was ist das? Beim Griff zum
Reißverschluss ruft es recht kläglich „Wegen Überfüllung
geschlossen!“
Tja,
ich gebe so schnell nicht auf. Alles, was geht, versuche ich weiter oben Freiheit zu verschaffen. Jetzt ist schon besser.
Der Reißverschluss lässt sich schließen. Allerdings sieht die
Auslage in meinem Dekolletee nun ein bisschen so aus, als hätte ein
Schönheitschirurg bei mir die Happy Hour eingeführt. „Zahle 500 ml
Silikon – bekomme einen Liter!“
Und
das, obwohl sich bei mir alles ganz ohne chirurgische Eingriffe,
völlig durchschnittlich der Erdanziehung und dem normalen Verfall
hingibt.
Auch
doof. Ordentlich ist ja sehr schön, aber über Gebühr frontlastig ist nicht so meins. Ich male mir ein explodierendes Dirndl aus. PENG! Massenpanik. Alles meine Schuld. Nee, das will ich nicht. Ich zupfe an der Bluse, aber wirklich viel
verdecken kann die dann auch nichts. Noch eklatanter wirkt sich der Luftmangel mit geschlossenem Reißverschluss aus.
Eine
gute Freundin und Ur-Bayerin hat mir mal die goldene Regel bei
Dirndln beigebracht: „Wenn du meinst es passt, dann ist es zu
weit!“
Schön
und gut. Aber wenn ich es nicht mal bis zum Zelt schaffe und schon an
der Schwanthalerhöhe blaugesichtig zusammenbreche, dann ist mir ja
auch nicht wirklich geholfen.
„Oh
guck mal. Da ist schon wieder ne dralle Maid in zu engem Dirndl
kollabiert.“
Nee,
nee, es gibt Sätze, die ich im Rettungswagen nicht hören muss.
Ich
überlege, ob ich auf Lederhosen und Karohemd ausweiche. Hat ja auch
was für Mädels. Aber da haben wir das nächste Problem. Ich bin
kein Mädel mehr. Ich bin ne Frau. Basta! Und ich bin voll und ganz
ein Dirndl-Typ.
Nun
gut. Ist ja nicht das einzige Dirndl was ich habe. Ich probiere noch
ein bisschen weiter. Gab ja schon immer auch 38er Zeiten in meinem
Leben. Bevor ich mich jetzt länger fruste, probiere ich das weiteste
Kleid, das ich mir dereinst geschneidert habe. Prima. Zu groß. Damit
könnte ich joggen oder auf dem Sofa liegen. Ich probiere noch ein
bisschen und stelle fest, dass ich Alternativen habe, die sowohl eine
funktionierende Atmung, als auch meinen optischen Anspruch erfüllen.
Während
ich mich auf ein himmelblaues Seidendirndl einpendle, das ich mir vor
drei Jahren genäht habe, kalkuliere ich die zu vertilgenden Speisen
und zwei Maß Bier ein.
Yo,
das passt. Schnell noch Tochterkind für eine Fertigung einer
Flechtfrisur bestechen und mein jährlicher Wiesn-Besuch ist
gerettet.
Und
wenn dann alles rum ist, dann ist mir auch wieder schnuppe, ob ich
zwei Kilo mehr oder weniger habe. Denn Jeans und Pulli sind, wie
gesagt, deutlich gnädiger. Und nächstes Jahr ist das Plus dann
entweder rechtzeitig weg, oder ich lass die Kleider um zwei
Zentimeter aus. Frau plant ja schließlich vor.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen