Montag, 19. September 2016

225. Akt

Ich habe zugenommen. Gute zwei Kilo. Eigentlich völlig wurscht. Mehr von mir? Ist doch prima. Die Jeans geht noch problemlos zu, und jetzt wo es kühler wird, merkt es unter Pullis und Jacken eh keiner. Durch meine Größe von 1,78 m verteilt sich ohnehin jede Gewichtszu- oder abnahme auf so einer langen Strecke, dass ich schon deutlich mehr zulegen muss, damit man es erkennt. Eigentlich hätte ich es gar nicht gemerkt. Auf die Waage gehe ich sowieso nur, wenn ich tendenziell Bock auf schlechte Laune habe. Aber dieses Mal hatte es einen anderen Grund. Es ist Wiesn-Zeit und ich bin eingeladen. Ich freue mich auf mein neues Dirndl. Ich habe es im Februar entworfen und genäht (Nein, ich bin keine Dirndl-Designerin. Bloß weil ich hin und wieder mal ein Brötchen aufbacke, bin ich schließlich auch noch kein Bäcker.).
Es ist aus bronzefarbener Seide, und ich habe es in langen, kühlen Nächten liebevoll bestickt. Also raus aus der Jeans und rein ins Kleid. Zumindest zu weiten Teilen. Aber was ist das? Beim Griff zum Reißverschluss ruft es recht kläglich „Wegen Überfüllung geschlossen!“
Tja, ich gebe so schnell nicht auf. Alles, was geht, versuche ich weiter oben Freiheit zu verschaffen. Jetzt ist schon besser. Der Reißverschluss lässt sich schließen. Allerdings sieht die Auslage in meinem Dekolletee nun ein bisschen so aus, als hätte ein Schönheitschirurg bei mir die Happy Hour eingeführt. „Zahle 500 ml Silikon – bekomme einen Liter!“
Und das, obwohl sich bei mir alles ganz ohne chirurgische Eingriffe, völlig durchschnittlich der Erdanziehung und dem normalen Verfall hingibt.
Auch doof. Ordentlich ist ja sehr schön, aber über Gebühr frontlastig ist nicht so meins. Ich male mir ein explodierendes Dirndl aus. PENG! Massenpanik. Alles meine Schuld. Nee, das will ich nicht. Ich zupfe an der Bluse, aber wirklich viel verdecken kann die dann auch nichts. Noch eklatanter wirkt sich der Luftmangel mit geschlossenem Reißverschluss aus.
Eine gute Freundin und Ur-Bayerin hat mir mal die goldene Regel bei Dirndln beigebracht: „Wenn du meinst es passt, dann ist es zu weit!“
Schön und gut. Aber wenn ich es nicht mal bis zum Zelt schaffe und schon an der Schwanthalerhöhe blaugesichtig zusammenbreche, dann ist mir ja auch nicht wirklich geholfen.
Oh guck mal. Da ist schon wieder ne dralle Maid in zu engem Dirndl kollabiert.“
Nee, nee, es gibt Sätze, die ich im Rettungswagen nicht hören muss.
Ich überlege, ob ich auf Lederhosen und Karohemd ausweiche. Hat ja auch was für Mädels. Aber da haben wir das nächste Problem. Ich bin kein Mädel mehr. Ich bin ne Frau. Basta! Und ich bin voll und ganz ein Dirndl-Typ.
Nun gut. Ist ja nicht das einzige Dirndl was ich habe. Ich probiere noch ein bisschen weiter. Gab ja schon immer auch 38er Zeiten in meinem Leben. Bevor ich mich jetzt länger fruste, probiere ich das weiteste Kleid, das ich mir dereinst geschneidert habe. Prima. Zu groß. Damit könnte ich joggen oder auf dem Sofa liegen. Ich probiere noch ein bisschen und stelle fest, dass ich Alternativen habe, die sowohl eine funktionierende Atmung, als auch meinen optischen Anspruch erfüllen.
Während ich mich auf ein himmelblaues Seidendirndl einpendle, das ich mir vor drei Jahren genäht habe, kalkuliere ich die zu vertilgenden Speisen und zwei Maß Bier ein.
Yo, das passt. Schnell noch Tochterkind für eine Fertigung einer Flechtfrisur bestechen und mein jährlicher Wiesn-Besuch ist gerettet.

Und wenn dann alles rum ist, dann ist mir auch wieder schnuppe, ob ich zwei Kilo mehr oder weniger habe. Denn Jeans und Pulli sind, wie gesagt, deutlich gnädiger. Und nächstes Jahr ist das Plus dann entweder rechtzeitig weg, oder ich lass die Kleider um zwei Zentimeter aus. Frau plant ja schließlich vor.

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