Freitag, 16. September 2016

222. Akt

Eine kleine Kneipe. Ich freue mich. Die Frau, die ich gleich treffe, habe ich schon länger nicht gesehen. Wir hatten früher viel miteinander zu tun und uns dann aus den Augen verloren. Internet sei Dank, kommt es aber nun zu einer neuen Begegnung.
Schon zwanzig Minuten später sieht es mehr nach einer Begegnung der dritten Art aus. Sie bringt nämlich genau den Typen mit, über den sie sich nach eigenen Angaben noch vor ein paar Wochen die Augen ausgeheult hat. Sie waren eine Weile zusammen, als sie herausfand, dass das einige ihrer „Freundinnen“ ebenfalls von sich behaupten konnten.
Ich grüble. Eigentlich macht man mit solchen Kerlen weniger angenehme Dinge als Händchenhaltend ums Eck zu kommen. Nun gut. Ist schließlich nicht meine Hand.
Wir reden viel. In erster Linie über Beziehungen und die damit verbundenen Schwierigkeiten. Ich höre zu und überlege, ob ich das Selbstbewusstsein meiner Freundin draußen im Gulli suchen muss.
Irgendwie weht mir gerade ein bisschen zuviel von der „Wir sind schließlich keine zwanzig mehr. Wir müssen nehmen, was wir kriegen.“-Ausstrahlung herüber.
Ich wedle ordentlich mit „Genau, wir sind keine zwanzig mehr, deswegen halte ich mich auch nicht mit Menschen auf, die nicht wissen, was sie an mir haben.“-Aura zurück.
Hin und wieder wirft sie dem Mann an ihrer Seite einen lieben Blick zu. Aber soweit ich erkennen kann, wirft er so ziemlich überhaupt nix zurück.
Dann stellt sich die Frage, ob man die ursprüngliche Unbeschwertheit einer jungen Liebe wieder herstellen kann.
Während meine Bekannte sich immer noch eifrig versucht, die Beziehung  zu diesem Honk (Sorry, meine Liebe, er hat dich monatelang verarscht. Ich kann ihn nicht leiden.) schönzureden, daddelt der Typ auf seinem iPhone ("wie, du hast nur ein Samsung? Hahaha.") herum.
Es wird über Disziplin und den festen Willen nun alles besser zu machen berichtet. Sie streicht ihm liebevoll über den Arm, während er - ohne zu fragen - den Rest unserer Weinflasche leert und der Kellnerin hinterhersabbert.
Ich habe nicht übel Lust, ihn auf dem Klo einzusperren und mit meiner Freundin das Weite zu suchen. Es muss ja gar nicht das Weite sein. Alle fünfzig Meter findet sie sicher einen Menschen, der besser zu ihr passt. Inklusive der Bewohner des naheliegenden Altenheims.
Erneut stellt sich die Frage, ob man die Unbeschwertheit einer jungen Beziehung wieder herstellen kann. 

Und auch, wenn ich weiß, dass meine Meinung sie nicht glücklich macht, bleibe ich ehrlich.
Die Unbeschwertheit einer jungen Beziehung lässt sich meiner Meinung nach genauso wieder herstellen, wie man harte Eier wieder weichkochen kann. Alternativ könnte man auch versuchen, durch mehrtägiges Zusammenpressen seiner Knie die Jungfräulichkeit wieder herzustellen oder so lange rückwärts zu fahren, bis der Kilometerstand wieder auf Null steht. Es funktioniert einfach nicht. Vielleicht kann man was Neues draus basteln oder die Reste hübsch dekorieren, aber es wird nie mehr genau so wie es früher war.
Und mit dem Heini hier ist es vermutlich das Beste, Bastelstunde und Dekoversuche gleich vollständig zu unterlassen. Manchmal ist das Material einfach zu gammelig, um noch was Gutes hinzukriegen. Und egal, wie toll es in Einzelteilen noch laufen mag, was nicht ist, soll manchmal auch nicht werden. Also drei Tafeln Schokolade, zwei Flaschen Wein und sich den Kerl, der die Kellnerin gerade heftig um ihre Nummer anfleht, fröhlich in den Wind schießen. Denn manche Typen kann und sollte man geistig einfach mal durchwinken. Auch und gerade, wenn man keine zwanzig mehr ist.




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