Montag, 5. September 2016

211. Akt

 „Aaaaaarghhhh!!!! Ich habe die Hanfsamen vergessen.“
Was hier so klingt, als ob jemand auf einer kardiologischen Station gerade den Defibrillator verlegt hat, ist bloß meine Tochter. Sie macht sich das, was früher schlichtweg Müsli hieß. Es ist schließlich schon fast 13 Uhr und das Kind braucht Frühstück.
Zu meiner Zeit konnte man sich irgendwas in die Milch schütten, was man da hatte. Weizen-, Roggen-, Haferflocken. Zack! Das Müsli war fertig.
Heute wird Agavendicksaft in etwas geschüttet, was veganes Reis-Nuss-Getränk heißt und die Milch irgendwie ersetzen soll. Dann kommen Chiasamen und allerlei Gekörntes dazu. Obst natürlich auch. Mangos, Papaya etc.
Und – oh Schreck – heute wurden diese Hanfsamen vergessen, die ich nur erkennen würde, weil die Bezeichnung fett auf der Verpackung steht. Mich lässt das kalt. Kind 2.0 wird durch Hanfsamenmangel nicht verhungern. Also nimm die einen Löffel und iss es trocken oder lass es bleiben.
Im Gegensatz zu mir sitzt meine Mutter stocksteif am Tisch.
Hanfsamen?“
Ja, Tochterkind macht das Zeug ins Müsli.“
Drogen?“
Nee Mutti, nicht wirklich.“
Bist du sicher?“
Ja. Außer Gras zum Frühstück, habe ich ihr auch die Haschkekse zum Kaffee verboten. Und Koks gibt’s auch erst nach 18 Uhr.“
Du willst mich verarschen?“
Ähem... ja. Macht Spaß.“
Und dann erkläre ich ihr die neue deutsche Küche. Wir sitzen, philosphieren darüber, wie wir ohne dieses Trockenfutter überhaupt das juvenile Alter hinter uns lassen konnten und wir trinken Kaffee. So wie vor zehn, zwanzig, dreißig Jahren auch.

Dass ich den Zucker durch das kalorienärmere Stevia ersetzt habe, sage ich Mutti aber nicht. Sie glaubt sonst, sie hätte den Anschluss vollständig verpasst. Und das will ich ja nun auch wieder nicht.      

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen