Montag, 12. September 2016

         218. Akt


Die Nachmittage, bei denen gleich mehrere Generationen meiner Familie aufeinanderprallen, sind immer extrem unterhaltsam. Völlig ohne Handy, Ipad und anderes technische Equipment, entwickelt vor allem die jüngste Etage meiner Familie ausgesprochen interessante und durchgeknallte Ideen. Nachdem beim letzten Treffen die Weltrettung zur Debatte stand, ist es dieses Mal der zwischenmenschliche Bereich. Aus heiterem Himmel unterhalten sich Kind 1.0 und 2.0 meinerseits und die Kinder A., B. und C. meiner Schwester darüber, wie es wäre, uns ein paar Stalkern auszusetzen. Ratzfatz wird gedanklich ein fiktives Parship Profil meiner Person diskutiert. Dass ich keinerlei Bedarf in dieser Richtung habe, wird dabei hartnäckig ignoriert. Ich höre nur mit einem Ohr zu, da ich sonst schreiend und panisch das Haus meiner Schwester verlassen müsste. Es beginnt damit, dass ich alterstechnisch Mitte 30 angepriesen werde, damit ich sicher an den potenten Mann gebracht werden kann. Kind 2.0 rudert zurück. Lieber nicht potent, weil sie keinen Bock mehr auf kleine Geschwister hat. Kind 1.0 stimmt zu. A., B. und C. ist es wurscht. Ich bin schließlich nicht ihre Mutter, sondern bloß die Tante. Weiter geht es im Text. Vorzugsweise werden Kandidaten mit Landhaus auf den Bahamas und Appartement in New York behandelt. Kind 2.0 dreht offenbar gerade komplett durch, was die Eroberung der Welt ihrerseits angeht. Bei der Erwähnung meines Nachwuchses beschließen beide, sich selber in diesem Profil zu unterschlagen. Meine Mutter, meine Schwester und ich überlegen, ob wir uns Rum im Kaffee genehmigen sollten. Die juvenilen Ideen am Kaffeetisch entgleisen nämlich gerade. Denn meine Wenigkeit ist erst der Anfang.
Für ihre Oma arbeiten sie jetzt ebenfalls an einem Parship Profil. Bei Wunschpartner tragen sie unter schallendem Gelächter „Fashionboy - nicht über 60, am besten ohne Hörgerät, respektive vollständig taubstumm.“ ein. Dann hätte es Aussicht auf Zukunft, meinen sie.
Ich schaue abwechselnd meine Kinder, Nichten und Neffen an und frage mich, was in ihrer Erziehung derart eklatant schief gelaufen ist.
Kind 1.0 fügt beim Profil seiner Großmutter als Benefit noch ein: „Sie kann selbstständig atmen.“ Bei "Kochen" wird ein dezenter Strich gemacht.
Und wo sie schon mal dabei sind, wird auch noch für meine kleine Schwester ein imaginäres Profil erstellt.
Bei einem kurzen Brainstorming fallen die Bezeichnungen:
Klein aber fein“, „Sugar Brownie“, „Bonsai“ und „in der Kürze liegt die Würze“. Dass sich die Gören aber auch immer nur auf Äußerlichkeiten festnageln. Bloß, weil meine kleine Schwester auf Augenhöhe mit einer Parkuhr das Wachsen aufgehört hat.
Sie hat die Figur und die Haut einer Neunzehnjährigen und muss immer noch ihren Ausweis vorzeigen, wenn sie Alkohol kaufen will. Und das, obwohl sie bloß ein Jahr und zehn Tage jünger ist als ich. Wäre sie zehn Zentimeter größer, würde Naomi Campbell seit Jahren heulend in einer Ecke sitzen.
Dann kommt ein Profil für meinen neunzehnjährigen Neffen. Es hört direkt nach dem Nicknamen „Black Mamba“ auf. Dann liegen alle vor Lachen unter dem Tisch.
Meine Schwester und ich versuchen die aufsässigen Gören mit Kuchen abzulenken. Das nimmt hier Wendungen an, dass wir überlegen, noch mal einen Bluttest vorzunehmen. Das kann doch nicht unsere direkte Verwandtschaft sein?
Eine Stunde später sind wir wieder auf dem Heimweg. Irgendwann ließen sie sich mit den Worten „Dienstag sind die Ferien rum, oder?“ wieder auf den Boden der Tatsachen holen. Ich grüble ein bisschen. Bei der Kreativität, die die Kids in manchem Bereichen an den Tag legen, werde ich mir definitiv drei mal überlegen, wen ich in meine Patientenverfügung einsetzen werde. Und über das Testament reden wir auch noch, wenn sie ein bisschen älter sind.




1 Kommentar:

  1. Sehr köstlich! Ich muss wirklich immer mal wieder laut lachen bei Ihren Texten. Danke dafür :-)
    Alles Gute nachträglich noch zum Geburtstag!
    Beste Grüße

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