188. Akt
„Was soll das sein? Die
Kung-Fu-Ballerina?“ Meine Tochter lacht sich schlapp.
Ich fass es nicht. Nimmt man
mich denn überhaupt nicht mehr ernst?
Gerade eben war ich in eine
Kämpferposition gesprungen, um meine Tochter zu einer Rangelei
aufzufordern. Ich finde, ich sehe gerade richtig bedrohlich aus, aber
sie läuft kichernd und kopfschüttelnd mit ihrer Müslischale an mir
vorbei.
Irgendwie haben sich die Dinge
wohl verändert. Nicht nur, dass ich mit 1,78m mittlerweile um zwei
Zentimeter die Kleinste in der Familie bin, sondern vieles mehr.
Wenn ich zum Beispiel sage:
“Dein Zimmer sieht katastrophal aus.“
Dann kam früher prompt die
Aussage: „Ich räume gleich auf.“
Heute kommt nur noch ein
bestätigendes „Ja, da hast du wohl recht.“ In beiden Fällen ist
die völlig ausbleibende weitere Aktion allerdings gleichgeblieben.
Und dennoch. Meine Kinder bleiben meine Kinder. Egal ob 10, 20 oder
30 Jahre alt. Wenn sie mich später mit eigenem Pfleger im Altenheim
besuchen kommen, werden es trotzdem noch meine „beiden Kleinen“
sein.
Heute komme ich in den Genuss,
dass Tochterkind mit mir in die Stadt will. Ich schaue jämmerlich
auf meine Brieftasche, aber sie sagt, dass ein kleiner Ausflug auf
den Viktualienmarkt völlig ausreicht. Also, ab ins Auto und rein in
die Stadt. In die Parkhäuser fahre ich schon fast mit geschlossenen
Augen. Die Preistabellen würden lachen, wenn sie könnten. 3,50 €
für eine Stunde. Hallo??? Ich kann mich noch an 10 Pfennig Parkuhren
erinnern. Ganz schwach nur, aber ich weiß, dass es sie mal gegeben
hat.
Auf dem Viktualienmarkt dealt
Tochterkind mit dem Obsthändler um zwei gigantische Papaya und ein
Rudel Passionsfrüchte. Ich schaue ein bisschen durch die Gegend.
Alles so schön bunt hier. Und
so viele Menschen. Schöne Stadt. Auf einmal steuert ein alter Mann
auf Tochterkind und mich zu. Er trägt eine graue Hose und eine
senffarbene Jacke. Und einen Seidenschal. Als ob es keinen anderen
Weg gibt, läuft er genau zwischen meiner Tochter und mir hindurch.
Aber das ist nicht alles. Laut und deutlich höre ich die Worte
„Schöne T***en“. Mir fällt die Kinnlade runter. Unabhängig, ob
er damit meine Tochter oder mich meint. Das geht ja mal sowas von
überhaupt nicht. Wenn ich vorhin bloß eine Kung-Fu-Ballerina war,
mutiere ich nunmehr zum Kampfschnitzel. Am liebsten würde ich den
Alten mit den Mangos beschmeißen und mal zeigen, wohin er sich die
riesigen Zucchinis stecken kann, aber Tochterkind hält mich zurück.
Und bei einem Preis von fast sieben Euro pro Mango, verzichte ich
darauf, sie als Wurfgeschosse zu benutzen. Ein bisschen Würgen mit
dem Seidenschal ist auch nicht drin. Der Alte ist schon wieder im
Getümmel verschwunden.
Viele Menschen sagen ja, dass
man vor alten Menschen Respekt haben soll. Ich denke hier anders.
Generell habe ich nämlich vor jedem Menschen Respekt, wenn er es
sich nicht mit mir versaut. Aber zum alt werden bedarf es ja nicht
mehr als viel, viel Zeit. Dass das nicht immer gleich mit
Lebenserfahrung und Reife einhergeht, wurde mir ja gerade
eindringlich bewiesen. Der „schöne T***n“-Opa war offenbar so
reif wie die grünen Bananen vor mir. Oder eben so matschig wie das
Obst vom Vortag, was sicher irgendwo in den Tonnen vor sich
hingammelt. Aber was soll´s. Tochterkind hat was sie braucht und ich
denke darüber nach, was ich außer der Zucchini noch hätte
verwenden können, um dem unsittlichen Greis mal etwas Frische
beizubringen.
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