Samstag, 13. August 2016

188. Akt

 „Was soll das sein? Die Kung-Fu-Ballerina?“ Meine Tochter lacht sich schlapp.
Ich fass es nicht. Nimmt man mich denn überhaupt nicht mehr ernst?
Gerade eben war ich in eine Kämpferposition gesprungen, um meine Tochter zu einer Rangelei aufzufordern. Ich finde, ich sehe gerade richtig bedrohlich aus, aber sie läuft kichernd und kopfschüttelnd mit ihrer Müslischale an mir vorbei.
Irgendwie haben sich die Dinge wohl verändert. Nicht nur, dass ich mit 1,78m mittlerweile um zwei Zentimeter die Kleinste in der Familie bin, sondern vieles mehr.
Wenn ich zum Beispiel sage: “Dein Zimmer sieht katastrophal aus.“
Dann kam früher prompt die Aussage: „Ich räume gleich auf.“
Heute kommt nur noch ein bestätigendes „Ja, da hast du wohl recht.“ In beiden Fällen ist die völlig ausbleibende weitere Aktion allerdings gleichgeblieben. Und dennoch. Meine Kinder bleiben meine Kinder. Egal ob 10, 20 oder 30 Jahre alt. Wenn sie mich später mit eigenem Pfleger im Altenheim besuchen kommen, werden es trotzdem noch meine „beiden Kleinen“ sein.
Heute komme ich in den Genuss, dass Tochterkind mit mir in die Stadt will. Ich schaue jämmerlich auf meine Brieftasche, aber sie sagt, dass ein kleiner Ausflug auf den Viktualienmarkt völlig ausreicht. Also, ab ins Auto und rein in die Stadt. In die Parkhäuser fahre ich schon fast mit geschlossenen Augen. Die Preistabellen würden lachen, wenn sie könnten. 3,50 € für eine Stunde. Hallo??? Ich kann mich noch an 10 Pfennig Parkuhren erinnern. Ganz schwach nur, aber ich weiß, dass es sie mal gegeben hat.
Auf dem Viktualienmarkt dealt Tochterkind mit dem Obsthändler um zwei gigantische Papaya und ein Rudel Passionsfrüchte. Ich schaue ein bisschen durch die Gegend.
Alles so schön bunt hier. Und so viele Menschen. Schöne Stadt. Auf einmal steuert ein alter Mann auf Tochterkind und mich zu. Er trägt eine graue Hose und eine senffarbene Jacke. Und einen Seidenschal. Als ob es keinen anderen Weg gibt, läuft er genau zwischen meiner Tochter und mir hindurch. Aber das ist nicht alles. Laut und deutlich höre ich die Worte „Schöne T***en“. Mir fällt die Kinnlade runter. Unabhängig, ob er damit meine Tochter oder mich meint. Das geht ja mal sowas von überhaupt nicht. Wenn ich vorhin bloß eine Kung-Fu-Ballerina war, mutiere ich nunmehr zum Kampfschnitzel. Am liebsten würde ich den Alten mit den Mangos beschmeißen und mal zeigen, wohin er sich die riesigen Zucchinis stecken kann, aber Tochterkind hält mich zurück. Und bei einem Preis von fast sieben Euro pro Mango, verzichte ich darauf, sie als Wurfgeschosse zu benutzen. Ein bisschen Würgen mit dem Seidenschal ist auch nicht drin. Der Alte ist schon wieder im Getümmel verschwunden.

Viele Menschen sagen ja, dass man vor alten Menschen Respekt haben soll. Ich denke hier anders. Generell habe ich nämlich vor jedem Menschen Respekt, wenn er es sich nicht mit mir versaut. Aber zum alt werden bedarf es ja nicht mehr als viel, viel Zeit. Dass das nicht immer gleich mit Lebenserfahrung und Reife einhergeht, wurde mir ja gerade eindringlich bewiesen. Der „schöne T***n“-Opa war offenbar so reif wie die grünen Bananen vor mir. Oder eben so matschig wie das Obst vom Vortag, was sicher irgendwo in den Tonnen vor sich hingammelt. Aber was soll´s. Tochterkind hat was sie braucht und ich denke darüber nach, was ich außer der Zucchini noch hätte verwenden können, um dem unsittlichen Greis mal etwas Frische beizubringen.     

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