183. Akt
„Ihr Rotzlöffel, ihr
vermaldeiten! Euch sollte man die Ohren langziehen. Eine ordentliche
Tracht Prügel würde euch helfen. Steht´s da wie zwei Ganoven.
Geht´s her, kriegt gleich mal ne Watschn...“
Ich bin ein bisschen irritiert.
In einer Bushaltestelle steht ein Mann und beschimpft zwei Buben. Die
Jungs sind vielleicht zehn oder elf Jahre alt und schauen betreten.
Einerseits würden sie wohl gerne das Weite suchen, andererseits
müssen sie wohl mit dem nächsten Bus nachhause, zum Training oder
sonst wohin. Da sich sonst keiner in nächster Nähe befindet, frage
ich mal kurz nach, was denn passiert sei. Vielleicht haben ihn die
Burschen ja ganz schlimm beleidigt, das Haus abgebrannt oder den
Gehstock weggetreten. Denn Letzteres muss schon mindestens der Fall
sein, für so eine fulminante Schreierei.
„Wieso wollns das wissen? Sind
das ihre?“
Hmmm klar. Meine beiden Söhne
sind rothaarig und blond und gleichen mir wie zwei Bananen einer
Wassermelone.
„Nein, aber ich finde es nicht
schön, wenn Sie die Jungs hier so rund machen.“
„Die haben mit ihren Taschen
die Plätze besetzt. Und ich sollte stehn.“
„Haben sie das denn gesagt?“
„Wos gsagt?“
„Dass Sie stehen sollen?“
„Nein, aber da standen die
Taschn drauf.“
„Aber jetzt ist die Bank ja
frei.“ Ich kann nicht glauben, dass der Typ hier so rumlamentiert,
bloß weil zwei Kinder nicht sofort aufgesprungen und ihm Platz
gemacht haben.
„Ja, jetzt ist frei. Aber erst
muss man die anbrüllen.“
„Das stimmt ja gar nicht. Wir
sind gleich aufgestanden, als sie dem David seinen Rucksack runter
geworfen haben.“ Der kleine Rote traut sich.
„Sie haben den Rucksack
runtergeschmissen und jetzt brüllen sie die beiden vorsorglich auch
noch an?“
Die Jungs wechselten von einem
Bein auf das andere. Ich weiß nicht, was ihnen unangenehmer ist. So
ein grenzdebiler Honk, der sie anbrüllt, oder eine fremde Frau, die
aussieht, als ginge sie dem Typen gleich mal an den Hals. Aber sie
bleiben beieinander. Von Weitem kann ich den Bus schon kommen sehen.
„Die haben aufzustehen, wenn
ein Erwachsener kommt. Die haben keinen Respekt. Keinen Anstand.
Gänzlich unhöflich. Dreckspack!“
Ich überlege, ob ich noch was
sage oder die Gunst der Stunde und den herannahenden Bus nutzen soll.
„Sie wollen den Jungs Respekt,
Anstand und Höflichkeit beibringen, indem Sie sich aufführen als
seien Sie aus Haar ausgebrochen?“ (Haar ist die nächstmöglich
Klapse, die mit dem Bus erreichbar ist).
Der Bus hält und die Jungs
steigen ein. Beide winken mir noch zu. Mittlerweile hat der Typ einen
hochroten Kopf und fühlt sich meinerseits wohl ein bisschen
missverstanden oder gar ...ähem, kritisiert.
Die Türen schließen und der
Bus fährt los.
Jetzt bin ich noch weit mehr
irritiert als zuvor.
„Ihr Bus ist gerade
abgefahren!“
„Ich warte ja gar nicht auf
den Bus.“
„Bitte was?“
„Aber aufstehen hätten sie
trotzdem müssen, die Rotzlöffel.“
Wenn diese dämlichen
Buswarte-Häuschen nicht so gut einsehbar wären, würde ich meine
Einkäufe gerne als Angriffs-Material nutzen.
So schüttel ich aber nur mit
dem Kopf. Einatmen, ausatmen, umdrehen und gehen. Und jetzt, wo der
Idiot die gesamte Bank für sich hat, entschließt er sich lieber
rumzustehen.
Ich könnte ihn, ich könnte
ihn.... aber ich tu es nicht. Noch mehr Schreierei und Aggression
machen mich auch nicht glücklich. Also hoffe ich, dass die Jungs im
Bus jetzt ihre Ruhe haben und dass der Typ mal an jemanden gerät,
der ihn nicht nur „könnte“, sondern auch tut.
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