312. Akt
Der
Baum steht. Aufrecht und so, als ob er schon immer dorthin gehört.
Die Kugeln und der Schmuck liegen bereit. Säuberlich und fein kraxel
ich durchs Geäst, um die Lichterketten ordentlich zu verteilen. Ich
bin da eitel. Es muss ausgewogen leuchten. Einseitige Illumination
macht mich nervös. Auf echte Kerzen verzichte ich vollständig. Ich
habe es einmal probiert und bin in der Nacht dann fünfmal
aufgestanden, um zu kontrollieren, ob wirklich, wirklich, wirklich
alle gelöscht sind.
Tochterkind
sitzt am Tisch und verpackt noch irgendwelche Geschenke. Kind 1.0
sitzt oben am Computer und arbeitet schon seit ein paar Stunden an
irgendwas. Sobald ich hier fertig bin, sind die Kinder mit dem
restlichen Schmücken des Baumes dran. Das machen wir schon immer so.
Funktioniert sogar weitgehend ohne Nötigung.
Mit
Nadeln in Haaren und Pulli betrachte ich mein Werk mit zwei Schritten
Abstand. Dann fällt es mir ein. Ich muss die Birnchen ja erst
anschalten, um zu sehen, ob alles ordentlich verteilt ist. Ich laufe
in den Keller und hole die Verlängerungsschnur mit der
Mehrfachsteckdose und der Zeitschaltuhr.
Beide
Lichterketten werden rasch reingedrückt und dann ramme ich auf allen
Vieren den Stecker in die Dose. Und Zack! Alles finster. Warum auch
immer, hat irgendwas die Hauptsicherung verärgert.
Tochterkind
bleibt entspannt und leuchtet mir mit der Taschenlampe auf ihrem
Handy den Weg in den Keller. Ich komme leicht ins Schwitzen. Nicht
wegen der Dunkelheit im ganzen Haus. Nein, mit dunkel kann ich
umgehen.Von oben höre ich lautes Fluchen und höre Kind 1.0 sein
Zimmer verlassen. Er hat die letzten Stunden wie gesagt am Computer
gearbeitet und Worte wie Backup und Datensicherung rauschen mir durch
den Kopf.
Als
er im Keller vor mir steht, bin ich noch einen Moment froh, dass es
finster ist. Dann drücke ich den Sicherungsschalter wieder hoch.
„Alles
in Ordnung?“ fragt er. Ich nicke und grinse entschuldigend.
„Bei
dir auch?“
Er
bestätigt, dass alles okay ist und die Muskulatur zwischen meinen
Schulterblättern entspannt sich wieder. Alles ist gesichert. Nix ist
verloren. Ich freue mich und der Gedanke, die nächsten Tage Asche
auf mein Haupt zu streuen verdünnisiert sich.
Stattdessen
gehen wir hoch und ich probiere sanft, ganz sanft ein der anderen
Steckdosen. Yepp! Es funktioniert. Alle Lichter geradezu perfekt
verteilt und ausbalanciert. So kann der heilige Abend was werden.
Zumindest Christbaumtechnisch. Ansonsten lassen wir das Ding eben
aus.
Fröhliche Weihnachten!
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